In den Bundesstaaten Chiapas, Oaxaca, Guerrero und weiteren zentralen und südlichen Regionen lebt die Mehrheit der indigenen Bevölkerung Mexikos. Durch den Aufstand der linken Guerilla EZLN (zapatistische Befreiungsarmee) vom 1. Januar 1994 ist das Thema der Ausgrenzung und Ausbeutung der indigenen Bevölkerung weit bekannt. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass viele Indígenas schon zuvor gegen ihre Misere kämpften und heute weiter Widerstand leisten - nicht nur in Chiapas und nicht allein in der EZLN.
Der mühsame Befreiungskampf der indigenen Frauen ist vielen Menschen kaum bewusst.
Zivilgesellschaft im Widerstand
Während ihres Besuches in Europa brachten die drei indigenen Aktivistinnen Ana López, Claudia Flores und Marta Sánchez (1) aus den Bundesstaaten Chiapas und Oaxaca souverän Licht in dieses Dunkel. López und Flores, Tojolabal-Frauen von der sociedad civil en resistencia (dt.: Zivilgesellschaft im Widerstand) betonten, dass die Zivilgesellschaft in Chiapas bereits vor dem 1.1.1994 organisiert war. Mit Zivilgesellschaft meint die linke und indigene Bewegung in Mexiko die aktive Opposition, die nicht nach Posten und Pfründen Ausschau hält, sondern sich wirklich unabhängig für ihre Basis einsetzt. Die sociedad civil unterstützt die Forderungen der EZLN, weil sie gerecht und richtig sind und hat ein solidarisches Verhältnis zur EZLN, die der Bevölkerung mit ihren milicianos (dt.: MilizionärInnen) auch Schutz bietet (2). Gleichzeitig hat die Zivilgesellschaft ihrerseits Einfluss auf die zapatistische Bewegung, so dass von einer sich ergänzenden und unterstützenden Koexistenz im Widerstand gesprochen werden kann.
López führte aus, dass die sociedad civil en resistencia zwar nicht wie die EZLN die Waffen erhoben hat, aber über die Entschlossenheit und den Willen verfügt, anhaltenden Widerstand zu leisten. Sie unterstützt die Abkommen von San Andrés über indigene Selbstverwaltung, Rechte und Kultur, die – von Regierungsvertretern und EZLN 1996 unterzeichnet -, von der Regierung bis heute nicht umgesetzt wurden.
Seit der großen consulta (Befragung) zur Durchsetzung der indigenen Rechte, welche die EZLN 1999 angeregt hatte, existieren in zahlreichen Städten Mexikos weiterhin die lokalen Komitees, die sich damals zur Unterstützung zusammengefunden hatten. Die Aktivitäten der Zivilgesellschaft im Widerstand haben sich seitdem verstärkt und die AktivistInnen sind mexikoweit und regional vernetzt.
In Chiapas gibt es sieben Regionen der organisierten Zivilgesellschaft, die in einem Forum beschlossen haben, wie die Zapatistas keinerlei Hilfe von Staat anzunehmen, weil die Regierung mit diesen Almosen die Gemeinden spaltet, die Kontrolle zurückerlangt und den Menschen ihre Würde nimmt, an den ausbeuterischen und marginalisierenden Strukturen aber nichts ändert. Dieser sozio-ökonomische Sektor der Aufstandsbekämpfung, der parallel zum Krieg der niederen Intensität durch Paramilitärs und Armee vorangetrieben wird, ist in den letzten Jahren unter der neoliberal-konservativen Bundesregierung von Vicente Fox und dem neuen chiapanekischen Gouverneur Pablo Salazar wichtiger geworden. Sogenannte „Hilfsprogramme“ wie Progresa oder Procampo (3) bieten den Menschen auf dem Land Geld, Baumaterial und Sämereien an, wenn diese sich im Gegenzug von der EZLN und der weiteren Opposition lossagen. Diese Programme dienen folglich dazu, die Gemeinden auseinander zu dividieren und mit einer Umarmungstaktik an die Regierung zu binden, um die oppositionelle Basis zu schwächen.
Der Kampf der indigenen Frauen
In Südmexiko werden die Frauen gezielt dazu angehalten, Geld im Rahmen des Programms oportunidades (dt.: Chancen/Möglichkeiten) zu akzeptieren. Nach Meinung der oppositionellen Frauenorganisationen soll mit den Staatsgeldern erreicht werden, dass sich die Männer betrinken und keinen Widerstand organisieren und die Frauen gleichzeitig weniger Kinder bekommen. Die Frauen werden in aufoktroyierten Gesprächen zur Verhütung gedrängt, denn nach Aussagen der Aktivistinnen hat die Regierung offenbar Angst vor jedem neuen potentiellen Guerilla-Nachwuchs.
Viele Frauen gehen ungern in die staatlichen Hospitäler, da sie dort wegen ihres Indígena-Seins oft abschätzig behandelt werden, weil sie abgelaufene Medikamente teuer erwerben müssen und z.T. nach Entbindungen gegen ihren Willen und gegen ihr Wissen operiert oder „geimpft“ werden – was sich in einigen Fällen als Zwangssterilisierung entpuppte. Viele Frauen schämen sich oder haben Angst, diese menschenverachtenden Sterilisierungen zu melden, so dass von einer erheblichen Dunkelziffer ausgegangen werden muss.
Das Programm oportunidades veranschaulicht auch das korrupte politische System Mexikos, denn es wird von der Weltbank mitfinanziert und eigentlich sollte jede interessierte Frau monatlich 500 Pesos erhalten, ausbezahlt werden in der Regel jedoch nur 150 Pesos (z.Z. gut 12,- Euro).
Frauenorganisationen und andere Gruppen, die diese staatliche „Hilfe“ ablehnen, werden immer stärkerem Druck ausgesetzt, die Zuwendungen zu akzeptieren – bis hin zu Morddrohungen. Dagegen wehren sich die Zapatistinnen und die Frauen im Widerstand.
Claudia Flores ist Aktivistin einer Frauenorganisation aus der Region Las Margaritas, die 1994 eine Kooperative gegründet hat. Die Kooperative verfügt über eine Mühle und einen Laden, um ein wenig Geld aufzutreiben und die Ernährung ihrer Familien zu sichern. Neben dem ökonomischen Aspekt ist es der Organisation auch wichtig, dass es ein Unterstützungszentrum für Frauen gibt. Dort betreuen sie Frauen, die von ihren Ehemännern oder anderen männlichen Gemeindemitgliedern misshandelt oder unterdrückt wurden. Vielen Frauen wird z.B. verboten, nachts auf die Straße zu gehen oder allein zu verreisen.
Dies führt bei einigen Frauen dazu, dass sie in der häuslichen Umgebung nahezu vereinsamen und nur wenig außerfamiliäre Kontakte aufbauen können.
Die Frauenorganisation besucht regelmäßig fünf Tojolabal-Gemeinden, um Aufklärungsarbeit über Menschen- und Frauenrechte zu leisten, wobei die Aktivistinnen auch Männer und Jugendliche zu ihren Seminaren einladen.
Des weiteren geben sie Alphabetisierungskurse, weil viele indigene und bäuerliche Frauen während ihrer Kindheit nicht die Schule besuchen konnten, da sie aufgrund von Armut und Unterdrückung – auch innerhalb der Familie – gezwungen waren zu arbeiten.
Flores und ihre Kolleginnen sind nicht nur in diesen Gemeinden, sondern auch auf bundesstaatlicher Ebene organisiert. Die übergreifenden Forderungen der Frauenorganisationen lauten: Gesundheit, Bildung, Wohnraum, Recht auf Ämter, Eigentum und politische Betätigung, Emanzipation und Freiheit. Diese Forderungen wollen sie mit Kongressen, Seminaren, Treffen und weiteren Mobilisierungen erreichen. Neben ihrer Belastung als Mutter, Frau und Indígena leiden viele Frauen auch unter der schlechten Gesundheitsversorgung, was ihr eigenes Engagement weiter erschwert.
Festzuhalten bleibt, dass es vor allem die Frauen selbst sind, die – trotz aller Widrigkeiten – die Prozesse der Verbesserung ihrer Lebenssituation aktiv vorantreiben.
Der Kampf für indigene Autonomie und gegen das System
Marta Sánchez von der coordinadora nacional de mujeres indígenas (dt.: Nationale Koordination indigener Frauen) innerhalb des Nationalen Indigenen Kongresses (CNI) erläuterte, dass der indigene Kampf für Autonomie nicht nur auf Chiapas und die Zapatistas beschränkt ist. Die Indígenas leben in vielen verschiedenen Bundesstaaten, in denen es ähnliche Probleme wie in Chiapas gibt. Sie betonte gleichzeitig, dass sich die CNI-Frauenkoordination solidarisch mit der EZLN und der Zivilgesellschaft „gemeinsam für eine mit Inhalt gefüllte Autonomie einsetzt, um gegen das Monster, welches das System darstellt, kämpfen zu können“.
Durch den Aufstand von 1994 konnten über 40 indigene Bevölkerungsgruppen ihre Anliegen formulieren und gründeten 1996 den CNI, um gegen Rassismus zu kämpfen und eigene Räume für die Indígenas zu öffnen – ohne Einmischung von Parteien, NGOs und Wirtschaftsvertretern.
Sánchez unterstrich an dieser Stelle, dass es wichtig sei, das Bild der Indígenas zu entmystifizieren, da sie keineswegs eine homogene Gruppe seien und in der Vergangenheit durch aufgepfropfte Systeme oder interne Konflikte zerstritten waren. Gerade aufgrund der Heterogenität der indigenen Bewegung müssten Organisierungsprozesse von unten geleistet werden. Den Indígenas hilft es auch nicht, wenn ein indigener Mensch das Land regieren würde; der Bewegung geht es um den Aufbau selbstverwalteter, basisdemokratischer Strukturen, was eine fundamentale Kritik am herrschenden System impliziert.
Der CNI, in dem die EZLN eine Mitgliedgruppe ist, befindet sich zur Zeit weiterhin im Aufbau, trifft sich regelmäßig und agiert dabei auf mexikoweiter Ebene. Die zentrale Forderung des CNI ist (deckungsgleich mit derjenigen der EZLN) die wirkliche Umsetzung der Abkommen von San Andrés über indigene Selbstverwaltung, Rechte und Kultur.
Im CNI werden die Frauenrechte mehrheitlich bejaht, sie sind jedoch noch nicht angemessen umgesetzt und garantiert.
Die Frauen fordern z.B. weiterhin, Ämter übernehmen oder Land erben zu können und an den Debatten um die indigene Bewegung mehr teilnehmen zu können. Die Aktivistinnen aus Chiapas und Oaxaca berichteten übereinstimmend, dass die Männer oft Diskussionen unter sich führen, während viele Frauenorganisationen darauf Wert legen, an ihren Seminaren auch Männer teilnehmen zu lassen.
Am Beispiel des Widerstandes gegen den Plan Puebla Panama – ein Megaprojekt, das durch Straßen, Staudämme, Biopiraterie und Fabrikbau die ländlichen Gemeinden bedroht – schilderte Flores, dass die Frauen besonders unter der Repression leiden und die umfassendere soziale Arbeit leisten, während einige Männer „Siegeshymnen“ anstimmen, wenn ein Teilerfolg errungen wurde. Sie verlangen eine stärkere Einbeziehung der Frauenfrage, sie soll eine Perspektive werden, die immer und überall eingebracht wird.
Das Ziel der Frauenstruktur des CNI ist, dass ihre Kämpfe, aber auch ihr Alltag anerkannt und respektiert werden. Die Frauen betonen, dass Autonomie nicht nur nach außen gerichtet ist, sondern auch innerhalb der Gemeinden umgesetzt werden muss. Neben der Umsetzung von Frauenrechten bedeutet dies vor allem einen solidarischen Umgang mit natürlichen und ökonomischen Ressourcen sowie eine Politik der Gemeinschaft.
Am Ende ihrer beeindruckenden Informationsveranstaltung riefen die drei Mexikanerinnen unter Beifall dazu auf, die Kämpfe der Indígenas, der Frauen und der linken Bewegung auch hier in Europa bekannt zu machen und weiterzuverfolgen, da es längerfristig darum geht, mit allen verschiedenen emanzipatorischen Kräften des Erdballs eine Alternative zum herrschenden System aufzubauen.
(1) Die Namen der drei Aktivistinnen wurden aus Sicherheitsgründen geändert.
(2) Obwohl die EZLN ihre Waffen noch besitzt, hat sie seit Mitte Januar 1994 keine militärischen Aktionen mehr unternommen. Viele BeobachterInnen des Konflikts gehen in diesem Kontext davon aus, dass die Bewegung längst zerschlagen worden wäre, wenn sie ihre Waffen abgegeben hätte.
(3) Progresa: dt.: Programm für Erziehung, Gesundheit und Ernährung - Procampo: Programm zur direkten Unterstützung der ländlichen Produzenten.
Kontakt & Infos
Alle Informationen beziehen sich auf die Veranstaltung und weitere Gespräche mit den drei genannten indigenen Aktivistinnen während des bundesweiten Treffens der EZLN-solidarischen Gruppen und Einzelpersonen vom 6. und 7. Juni 2003 während des BUKO-Kongresses in Bremen.
Aktuelle Infos zum Thema:
www.chiapas.ch
www.zapapres.de
www.gruppe-basta.de www.buko.info/carea
Für Dia-Vorträge zum Thema zapatistischer Aufstand, indigener Widerstand und Plan Puebla-Panamá stehen wir gerne zur Verfügung!
Gruppe B.A.S.T.A.
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