concert for anarchy

„Lust auch auf die Anarchie“

Interview mit dem Straßenmusiker Klaus von Wrochem (Klaus der Geiger)

| Interview: Bernd Drücke, Juni 2003

Sei es beim Jubiläumsfest "30 Jahre Graswurzelrevolution" im Juni 2002, sei es während der Anti-Atom-Konferenz [ikks]-2003 (1), bei politischen Straßenfesten, bei antifaschistischen Aktionstagen, bei Anti-Atom- oder Anti-Kriegsdemonstrationen,... da wo die sozialen Bewegungen in Erscheinung treten, da ist oft auch Klaus der Geiger zu finden. Mit seiner "Lust auf Leben, Lust auf Liebe, Lust auf Lust" schafft es "Deutschlands bekanntester Straßenmusiker" die Menschen mit zu reißen. Wo er spielt, bringt er Verhältnisse und Menschen zum Tanzen.

Klaus von Wrochem lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in Köln. Er wurde am 20. Januar 1940 in Doppoldiswalde geboren, hat in den 60er Jahren bei Mauricio Kagel und Karl-Heinz Stockhausen Musik studiert, war dann Violinist in Boston, San Diego und Köln.

In den 70er Jahren, in seiner „Tabernakelzeit“, lebte er in einer Kommune-ähnlichen Wohngemeinschaft und erlernte Living-Theatre-Techniken.

Weitere Lebensabschnitte in Stichworten

1971 Knast in Nürnberg, Hungerstreik; fünf Jahre Touren im Bauwagen – Politische Betätigung: aktiver Part in diversen Demonstrationen: gegen den Transport von radioaktiv verseuchtem Molkepulver in die „Dritte Welt“; Ford Streik; Startbahn West Erweiterung am Frankfurter Flughafen, Leben im Hüttendorf; MieterInnenkämpfe gegen Wohnungsenteignung; Hausbesetzung des Stollwerk in Köln als Forderung für Sozialen Wohnungsbau; Konzerte im Knast; Konzerte für Obdachlose; Aktion Platania, Protest gegen Abholzung von 30 achtzigjährigen Linden eines Parks in Köln,…

Graswurzelrevolution: Klaus, seit 1970 tourst Du als politischer Straßenmusiker durch Deutschland. Kannst Du Deine persönliche Lebensgeschichte und Politisierung beschreiben? Wie fing alles an?

Klaus von Wrochem: Da hat Amiland ne Menge mit zu tun, glaube ich. Das waren die wilden 60er Jahre: Rock, Marihuana, LSD, Hippies, und der Vietnam-Krieg, na klar.

So etwas kannte ich ja alles nicht von unserem Fuzzi-Deutschland. Mein fünfjähriger Aufenthalt dort war schon so etwas wie ein Befreiungsschlag für mich, zumindest am Anfang. Befreiung aus der Enge, geistig und körperlich.

GWR: Und wie ging es weiter?

Klaus der Geiger: Na ja, je länger ich da war, desto mehr hab ich mich als gleichberechtigter Ami gefühlt, mich engagiert, auch politisch.

War ja Vietnam-Krieg, Black Panther-Movement, Timothy Leary, John Cage, Morton Feldman, Fluxus. Studentenstreiks, People’s Park in San Francisco, Kent-shooting u.s.w. In Amiland, wenn’s da mal losgeht, dann geht’s aber zur Sache, ziemlich brutal. Und wenn man sich als Gast nicht systemkonform verhält, dann fliegt man raus, wie ich damals!

Was war, was ist Dir besonders wichtig?

Ich glaube, die Sache mit der Freiheit, immer noch.

In einem Interview hast Du formuliert, dass Du Dich als „anarchistisch geprägt“ verstehst. „Anarchie“ wird von den bürgerlichen Medien meist als Synonym für „Chaos“ und „Terror“ verwendet. Was ist Anarchie für Dich?

Keinen Diener unter uns und keinen Herrn über uns haben. Für mich immer noch die optimale Lösung. Und wenn man dafür kämpft, dann wird’s schon oft chaotisch und „terroristisch“. Das liegt aber nicht an den Anarchisten, sondern an ihren Gegnern!

Im März 2001 hast Du Dich im Wendland an einer Sitzblockade der gewaltfreien Initiative X-tausendmal-quer gegen den Castor-Transport beteiligt. Anschließend wurde ein Ermittlungsverfahren gegen Dich eingeleitet, weil Beamte behauptet haben, Du hättest einen Polizisten geschlagen. Was ist damals wirklich passiert und wie ging es weiter?

Da z.B. habe ich mich dem staatlichen Gewalt- und Befehlsmonopol widersetzt. Ist mir nicht gut bekommen, und meiner Geige auch nicht.

Aber es hat sich ausgezahlt: der Prozess wurde dreimal von Staats wegen verschoben, und dann wurde im Dezember 2002 das Verfahren gegen mich eingestellt, wegen polizeilichen Falschaussagen und Widersprüchlichkeiten.

Voraussichtlich im Herbst 2003 kommt der nächste Castor-Transport ins Wendland. Wirst Du Dich wieder an den Aktionen der Anti-Atom-Bewegung beteiligen?

Na klar! Logo! Außerdem braucht mein Seelchen so was! Körperchen auch! Und man trifft immer so tolle Menschen!

Du hast Dich stark auch gegen Wohnungsnot und für Obdachlose engagiert. Stichwort „Klagemauer“. Was lief denn da in Deiner Heimatstadt?

Die Klagemauer war und ist eine, sagen wir mal: kulturpolitische Straßen-Aktion meines „Polit-Bruders“ Walter Herrmann. Der hat sich damals, genauso wie ich, für die zahlreichen Menschen hier in Köln stark gemacht, die die Mieterhöhungen nicht mehr zahlen konnten bzw. wollten und über Räumungsklagen oft genug obdachlos wurden. Walter hat Wäscheleinen in der Fußgängerzone gespannt, DIN A 6-große Pappkärtchen sowie ein paar Filzer davor gelegt, ich habe an diesem Platz lautstark meine Miethai-Lieder gespielt und die Leute aufgefordert, ihre Nöte und Sorgen auf die Kärtchen zu schreiben, die Walter dann an den Wäscheleinen aufgehängt hat. Da gab es mordsmäßige Kämpfe drum. Das wollten sie ja unbedingt weg haben!

Und als der Golfkrieg 1991 losging, da ist Walter auf die Domplatte gezogen, und da wohnten zu der Zeit die Punks, und da wurde die Auseinandersetzung natürlich noch ein ganzes Stück grimmiger. Ja, die Klagemauer ist rebellionsträchtig, und nicht tot zu kriegen, genauso wie der Walter, das Stehaufmännchen!

Die rot-grüne Regierung plant mit der „Agenda 2010“ den größten Sozialabbau in der Geschichte der Bundesrepublik. Siehst Du Chancen diese menschenfeindlichen Vorhaben noch zu kippen? Wie kann der Widerstand dagegen mobilisiert werden?

Die einfachste Lösung: So wenig Geld wie möglich ausgeben und einnehmen! Und das ganz bewusst und mit Würde!

„Wir sind die Drückeberger“, das ist ein bekanntes Kriegsdienstverweigerer-Lied von Dir aus den 70er Jahren. Du hast Dich auch an den Protesten z.B. gegen die Angriffskriege gegen Jugoslawien 1999, Afghanistan 2001 und Irak 2003 beteiligt. Wie siehst Du die Chancen der transnationalen Anti-Kriegs-Bewegung die bereits geplanten Kriege etwa gegen Syrien und den Iran zu verhindern?

Die Anti-Kriegs-Bewegung war ja wohl fulminant und wird mit jedem imperialistischen Krieg stärker. Ich kann nur sagen: Brüder und Schwestern, seien wir wachsam und googeln kräftig durch unsere Internetseiten!

Dein Musiker-Kollege Pit Budde (Ex-Cochise) hat in der Graswurzelrevolution Nr. 278 (April 2003) die Machenschaften der Industrie in Sachen „alternativer Musik“ beschrieben. Hast Du ähnliche Erfahrungen gemacht?

Ich hab wenig zu tun mit der Musikindustrie, Gott sei Dank! So wenig wie nur irgend möglich.

Viele „politische Musiker“ haben sich entpolitisiert, wurden kommerziell oder sind verschwunden. Du versprühst dagegen immer noch Hoffnung und „Lust auch auf die Anarchie“. Wie erklärst Du Dir das?

Wegen der Lust und der Anarchie! Ganz egoistisch!

Danke für das Gespräch.

Perverse Führer (World Trade Center)

Perverse Führer in Allahs Namen: im Kopf nur die Hölle, in Ewigkeit Amen. Verherrlicht den Tod, seid blind für das Leben: Das kann euch Allah nicht Vergeben!

Perverse Führer, in Christi Namen: dealt auch mit der Hölle, ohne Erbarmen. Verwurstet die Menschheit, am liebsten global; Hauptsach‘ reich und Erfolg: das ist eure Moral.

Und wir? Da häng’n wir im Dornengestrüpp von Höllenmoral oder Monsterglück, was den einen beglückt, weil’s den andern erstickt, und wer’n selber langsam pervers und verrückt.

Und träumen doch alle vom Paradies. Und wissen alle, was das ist. Ham’s alle schon mal erlebt und gesehn. Es ist ja da. Man kann hingehn.

Doch nicht mit Krieg und Haß und Rache. Denn Leben ist eine heilige Sache. Das zu erkennen, sind wir vielleicht hier. Und wenn wir kämpfen, dann nur dafür. Dann nur dafür.

Klaus der Geiger (Live 2002)

Kontakt & Infos

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Klaus von Wrochem
Mainzerstr. 27
50678 Köln
Tel.: 0221/319116
Fax: 0221/4733620
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