transnationales / ökonomie

Zug um Zug in eine bessere Welt

| Sigrid Lehmann

"Ihr seid nur 8 und wir der Rest der Welt!" war eine der vielen Parolen, die den hohen Herren, welche sich dieses Jahr vom 1.-3. Juni zum Gipfeltreffen im französischen Luxusbadeort Evian nahe der schweizerischen Grenze verschanzten, die Legitimation absprach, alleine über die weitere ökonomische und ökologische Gestaltung der Welt zu bestimmen.

Die Regierungschefs der sieben reichsten Länder und Russlands, die so genannten G8, verhandelten wie gewohnt geheim und unter weitest gehendem Ausschluss der Öffentlichkeit sowie fernab jeglicher demokratischer Kontrolle über Themen, die massive Auswirkungen auf das Leben von uns allen haben werden.

Sind unsere Nachbarn in Frankreich und Italien schon weitgehend politisiert, lösen sich auch Menschen in Deutschland ganz allmählich aus ihrem Phlegma und wehren sich gegen die Aushebelung von immer mehr Arbeits-, Sozial- oder Umweltstandards.

„Eine bessere Welt ist möglich!“ ist ein weiteres Motto der globalisierungskritischen Bewegung, die sich nicht mit einer gnadenlos nach Profit orientierten Wettbewerbspolitik abfinden will, welche immer mehr Menschen auf der Strecke liegen lässt und weiterhin lassen wird. Inzwischen befindet sich 48% des Gesamtkapitals in den Händen von 225 Privatpersonen, ein Drittel des Weltreichtums gehört Großkonzernen. Mit einem von attac und einigen Gewerkschaftsgruppen organisierten Sonderzug, der von Berlin verabschiedet wurde und in weiteren 15 Städten unter lautem Jubel weitere MitfahrerInnen einsammelte setzte sich am 28. Mai eine Vorhut von über 1000 Leuten in Bewegung, um sich im „Intergalaktischen Dorf“ bei Annemasse auf die Aktionen gegen den G8 vorzubereiten. Andere kamen mit Bussen, in organisierten Radtouren oder mit PKWs an.

Schon allein die Zugfahrt war ein rollendes Bollwerk gegen die Zersplitterung des Widerstandes und die Ohnmächtigkeit des Einzelnen. SchülerInnen, StudentInnen, junge und alte GewerkschaftlerInnen, frauenpolitisch engagierte Menschen, Friedens- und UmweltaktivistInnen und viele mehr kamen schon während der Fahrt durch die laue Frühlingsnacht ins Gespräch, die Stimmung war äußerst ausgelassen und solidarisch. So bunt gemischt gestaltete sich auch der Widerstand der TeilnehmerInnen.

Der Dialog zwischen den unterschiedlichen Vereinigungen und Gesinnungen, der schon im Zug begann, konnte sich noch drei weitere Tage im „Village“ (frz. Dorf) auf internationaler Ebene fortsetzen. Das von der französischen Regierung legitimierte Intergalaktische Dorf erwies sich als ein erfreulich gut funktionierender Zeltplatz, dessen Gemeinschaftsplätze und -zelte Raum für Plenen, Workshops, Filme, Veranstaltungen und Verköstigung boten. Sogar ein Mediazelt mit zahlreichen PCs gaben den intergalaktisch Verreisten die Möglichkeit, weiterhin online zu kooperieren oder einfach nur ihren privaten Interessen nachzugehen – niemand sollte hier von einem politischen Muss, wie auch immer geartet, vereinnahmt werden.

Konsens war ein fairer Umgang und Gewaltlosigkeit, welcher leider nicht immer von Einzelnen akzeptiert wurde.

Zahlreihe Demonstrationen und pressewirksame Aktionen liefen schon Tage vor dem (großen) Tag der Eröffnung des Gipfels und zugleich des Massenwiderstandes in der Umgebung ab.

Am 1. Juni gab es dann einen Mix von Blockaden und Demonstrationen, um den Gipfel maximal zu belästigen.

Zwei gewaltige Demozüge setzten sich (schließlich am Sonntag) in Bewegung, nach Angaben der Polizei sollen sich daran 50.000, nach Schätzungen der Organisatoren 120.000 Menschen beteiligt haben. Einer setzte sich von dem schweizerischen Genf und einer von dem französischen Annemasse aus in Bewegung mit dem Ziel, sich an der Grenze zu treffen und diese zu besetzen – ein symbolischer Akt für die geforderte Öffnung der Grenzen. Von hier sollte die einzige Zufahrtsstraße nach Evian besetzt werden, an welcher der Tross von einigen Tausenden Politikern und Mitarbeitern vorbeifahren würde, die nicht gerade eingeflogen werden oder den Seeweg nehmen würden. Die Demonstration am Sonntag war die größte, die Genf je erlebt hat. Die Polizei konterte nicht gerade zimperlich mit Tränengas, Prügeleinsätzen und Verhaftungen. Besonders brutal wurde das Vorgehen der Polizisten mit einer Stürmung des Gebäudes, in dem sich das alternative Internetportal „Indymedia“ befindet, beschrieben. Da es in der Nacht von Sonntag auf Montag geschah, könnte man es als eine Art Rache einiger Ordnungshüter für die tagsüber gelungenen Gegenaktivitäten in der Stadt interpretieren. Auch in Lausanne versuchten mehrere tausend GegnerInnen, den Transfer nach Evian zu behindern.

Der Gipfel fand statt, wenn auch durch die Blockaden nur etwas aufgehalten. Die gewaltsamen Ausschreitungen in Genf und anderswo, welche mit Plünderungen einhergingen, wurden von eher politisch oft unmotivierten – aber auch aus verständlichen Gründen frustrierten – „Ghettokids“ ausgeübt und von dem Gros der zusammengefundenen GlobalisierungskritikerInnen abgelehnt.

Kaum einer der DemonstrantInnen hätte wohl eine Umkehr der Politiker und deren Gefolge zum Treffen in Evian, geschweige denn eine ernsthafte Abkehr von ihrer rücksichtsloser Liberalisierungsideologie ad hoc erwartet. Trotzdem waren die TeilnehmerInnen an den Protesten mit dem Erreichten zufrieden und konnten sich einer starken Solidarisierung ihres Protestes mit der schweizerischen und besonders der französischen Bevölkerung erfreuen.

In den Fenstern in Dörfern und Städten hingen überall sichtbar die bunten „Pace“ (=Friedens)- Tücher, auch in den Schaufenstern von kleinen bis zu etablierten Geschäften. „Ja, kämpft um Eure Ideen und Ideale, das ist ganz richtig so. Wir müssen uns für unsere Rechte einsetzen!“ sagte eine alte französische Landswirtin beispielsweise, als sie an der blockierten Straße zu der Zufahrtsstraße von Annemasse nach Evian vorbeizog und alle ProtestkundgeberInnen in Erstaunen versetzte, indem sie sich unerschrocken auf die wie wild mit Tränengas und Schock-Knall-Granaten beschossene Zone zwischen Demonstranten und einer Hundertschaft von Polizisten zu bewegte und ein kurzfristiges Innehalten der Geschosse seitens der Polizei bewirkte. Sie verschwand hinter der Polizeilinie.

Was aus den Erlebnissen in Evian mitgenommen wurde?

Die Erfahrung einer nicht nur beredeten, sondern auch gelebten alternativen Lebensweise und die Möglichkeit eines starken Zusammenhaltes jenseits von ideologischen und sozialen Grenzen. Das alles macht Mut, aus der allgemeinen Lethargie gegen die eingefahrene Politik unserer Volksvertreter und der scheinbar unaufhaltsamen Macht der Konzerne aufzubegehren. Macht fröhlich, kreativ und erfinderisch. Aufgewacht!

Anmerkungen

Achtung: Vom 1.-6. August findet wieder die Sommerakademie von Attac mit vielen interessanten Workshops zum Thema.

Ort: Institut für Soziologie, Scharnhorststr. 121, 48151 Münster.

ReferentInnen sind auch GWR-MitarbeiterInnen & AutorInnen: z.B. Jochen Stay, Bernd Drücke, Gruppe B.A.S.T.A.

Infos:
0251/8324835
www.attac.de/ sommerakademie
Anmeldung noch möglich

Weitere Infos:

www.gats-stoppen.de
www.mcplanet.com

Literatur

Naomi Klein: No Logo!

Joseph Stieglitz: Im Schatten der Globalisierung

Michael Moore: Stupid White Men