nachruf

Adi Rasworschegg

1. April 1929 - gestorben am 25. Juli 2003 in Graz

Am 25. Juli 2003 um ca. 9 Uhr schloss Adi Rasworschegg für immer seine Augen. Trotz sofortiger notärztlicher Versorgung war es nicht mehr möglich den 74-jährigen Grazer zu reanimieren. Mit Adi haben viele Menschen einen guten Freund, seine Frau und Familie einen geliebten und liebevollen Partner bzw. Vater und der Anarchismus eine herausragende Persönlichkeit verloren.

Die Nachricht von Adis Tod hat mich geschockt. Angestoßen durch seine persönlichen Briefe, die er 1998 als Reaktion auf Bücher von mir geschrieben hatte – hatten wir seitdem einen lebendigen Briefwechsel, Buch- und Informationstausch gepflegt. Diskutiert haben wir schriftlich und telefonisch über politische Entwicklungen, den Türkei/Kurdistan-Konflikt, über den Anarchismus, …

Ich habe meinen Brieffreund Adi ins Herz geschlossen. Er war bis zu seinem Tod als Graswurzelrevolution-Kontaktperson in Graz in jeder Ausgabe unserer Monatszeitung präsent und hat auch die türkisch-deutsche „Otkökü“ (türkisch: Graswurzel) in Österreich verteilt/verbreitet. Sein Engagement als Autor und Aktivist z.B. für die Pierre Ramus Gesellschaft, für die anarchosyndikalistische FAU/Ö, für die Menschen (nicht nur) in Kurdistan,… waren nicht vergebens. Adis große Lebensleistung wird nicht vergessen! Bis zu seinem Tod ist er den Idealen des Anarchismus treu geblieben. „Freiheit, Sittlichkeit, Moral und Würde des Menschen bestehen darin, dass er das Gute und Rechte tut, nicht, weil es befohlen wird, sondern weil er es begehrt und will.“

Dieses Zitat Michael Bakunins, das sich auf Adis Homepage (http://www.rasworschegg-adir.at.tf/) findet, war eine Lebensmaxime auch für unseren Genossen Adi Rasworschegg.

Adi ist nicht tot. Sein Traum von einer herrschaftsfreien Gesellschaft, seine menschenfreundlichen, libertären Ideen, leben weiter, in uns.

Bernd Drücke (Koordinationsredakteur der Graswurzelrevolution)

Anstelle eines längeren Nachrufes veröffentlichen wir hier Auszüge aus Adis Biographie.

Meine politische Biographie

Mein politisches Suchen begann erst einige Jahre nach meiner Rückkehr nach Österreich – nach dem (…) Erwachen aus der „Gehirnwäsche“ des Nazi-Regimes und der späten Erkenntnis all der Grausamkeiten und Verbrechen. Es war mir klar geworden, dass für mich in Zukunft nur mehr eine sozialistische Ausrichtung in Frage kommt. „Politische“ Experimente, Enttäuschungen und Fragestellungen am Anfang, verbunden mit daraus entstandenen Schwierigkeiten von „behördlicher“ Seite (…), waren die ersten „Erfolge“ meiner Suche nach politischer Glaubwürdigkeit!

1960 trat ich der KPÖ bei, in der Hoffnung, in einer (damals) ziemlich machtvollen Partei eine politische Heimat zu finden. Was ich aber fand, war: Ein Zentralismus, der zum höchsten Wert erhoben wurde, Machtstreben und eine totale politische Ausrichtung im Sinne Moskaus.

Auch der Umgang zwischen den „Vorgesetzten“ und der Basis war mit meinem Solidaritätsbegriff unvereinbar! All dies verstärkte meine „Aufmüpfigkeit“ und meine Bereitschaft zum Widerspruch! Dies führte zwangsweise zu unangenehmen Auftritten zwischen mir und den sog. „Machern“ der Partei. Die Haltung der Partei war für mich schon 1956 inakzeptabel, beim Volksaufstand in Ungarn unter dem späteren, in die Knie gezwungenen Ministerpräsidenten Janos Kadar und ebenso 1968 in der Tschechoslowakei beim sog. „Prager Frühling“ unter Alexander Dubcek. Jeder Versuch, nur das kleinste Demokratisierungsprogramm zu verwirklichen oder eine bescheidene Liberalisierung herbeizuführen, wurde als Verrat gewertet. 1968, als die sowjetischen Streitkräfte, wie zuvor in Ungarn, in der Tschechoslowakei einmarschierten, um „Ordnung“ zu schaffen, war für mich die Zeit reif, meine Mitgliedschaft in der KP zu beenden.

Die Ereignisse rund um die sog. „68-er-Bewegung“, die sich schon 1965 in den USA abgezeichnet hatten und dann auch in Europa stattfanden, konnte ich noch mit Genugtuung verfolgen, leider aber nicht die spärlichen politischen (!) Ereignisse in Österreich. Ich war damals in Moskau beim Bau der Österreichischen Botschaft beschäftigt und kam nur einmal kurz nach Wien.

Dass die Sechzigerjahre eine Zeit des Umbruchs werden würden, hatte sich abgezeichnet: Angefangen mit der Kuba – Krise (1961), die „Springer-Affäre“, die Aufnahme der Notstandsgesetze in die Verfassung der BRD, der Besuch des Schah von Persien, Reza Pahlavi in Deutschland, die breiten Proteste gegen den Vietnamkrieg, die „Liquidierung“ des „Prager Frühlings“, bis hin zum Pariser Aufstand und damit auch die zunehmende Radikalisierung der Student/innen – Bewegung in Frankreich und Deutschland, als deren Protagonist Daniel Cohn-Bendit angesehen wird (zumindest hatte er die französische und deutsche Student/innen – Bewegung beeinflusst). Weiter die Entstehung der sog. „Außerparlamentarischen Opposition“ (APO), nach den USA auch in Deutschland und zaghaft sogar in Österreich, die Oster- und Friedensmärsche, Proteste gegen Rassendiskriminierung, besonders in den USA, die Ermordung des Menschenrechtsaktivisten Martin Luther King und die Entstehung der „Hippie-Bewegung“ mit ihrem Slogan „make love, not war!“ (…) Diese Radikalisierung führte aber auch zum Attentat auf Rudi Dutschke und zum Mord an Benno Ohnesorg in Deutschland und Ernst Kirchweger in Österreich. Dieser politische Umbruch hatte (…) weltweit vielfältige politische, soziale und kulturelle Spuren hinterlassen: Student/innen – Revolten, Demonstrationen gegen die postkolonialen Strukturen des modernen Kapitalismus und die anerzogene Konsumabhängigkeit, die kritische Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Entwicklungen, die Frauenbewegung, die „Sexuelle Befreiung“, das langsame Umdenken in der Erziehung …

Was ist davon geblieben und was wurde erreicht?

Insgesamt ist die „68er-Bewegung“ als breit angelegter Wandel des gesamten Politik- und Demokratieverständnisses zu werten. Sie brachte (…) Reformen im sozialen, kulturellen und politischen Leben. Sie brachte die zunehmende Politisierung des täglichen Lebens mit sich (…) Leider wurden aber die guten Ansätze längst „zugeschüttet“, verblieben ist die Erinnerung und ein Hauch von Erkennen des Wahnsinns unserer Zeit und der verlorenen Chancen! Die „Hauptdarsteller/innen“ dieser Bewegung saßen bald an den Futtertrögen des Kapitals oder in der Politik als jämmerliche „Staatsdiener/innen“ und Ja – Sager! Ihr damaliges Engagement bezeichnen sie heute fast abwertend als „jugendliches Aufbegehren“ und als „Spaß“ an den damaligen Aktionen. (…)

Dieses Aufbegehren, dieses Aufbrechen von Emotionen und verborgenen Sehnsüchten hat mich tief bewegt und nachdenklich gemacht! Erweitert durch das größer werdende Angebot an guter Literatur über den Anarchismus und dessen Klassiker, formte sich in mir immer mehr das Interesse für den Anarchismus. Endlich kam ich meinen politischen Visionen, Vorstellungen und (…) Wertevorstellungen näher. (…) die „68er-Bewegung“ war mein Einstieg in den Anarchismus. (…) Ich bin Anarchist, Punktum! Anarchismus heißt für mich vor allem: Herrschaftslosigkeit, Freiheitsliebe, Gleichheit, Dezentralisation, gegenseitige Hilfe, direkte Aktionen, freie Liebe und Selbstbestimmung; aber auch: Verantwortung übernehmen für sein eigenes Tun und Lassen!

„Ist das Prinzip, die anderen so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte nicht identisch mit dem Gleichheitsprinzip dem grundlegenden Prinzip der Anarchie?“ (Peter Kropotkin)

Den Einstieg zu finden und auch „Gleichgesinnte“, war zur damaligen Zeit nicht einfach. Es existierte noch keine „anarchistische Szene“ in Wien außer, Reste eines bis ca. 1966 bestehenden Herausgeber-Kollektivs des „Antimilitaristen“ mit L.E.. In den kommenden Jahren machte ich die Bekanntschaft von J.V., welcher in einem „Anarchistischen Zirkel“ der Wiener „Philosophischen Gesellschaft“ Vorträge über den Anarchismus und seine Klassiker hielt. In diesem Zirkel lernte ich dann noch flüchtig K.B. kennen, der zum bereits 1969 eingestellten Zeitungsprojekt „Neue Generation“ gehörte und die beiden „Altanarchisten“ O.L. und P.

Mitte der 1970er Jahre begannen für mich wirklich interessante Entwicklungen! Begonnen haben diese im so genannten „heißen Sommer“ 1976 in Wien, mit der Besetzung des Ausland – Schlachthof in St. Marx und der Entstehung der „Arenabewegung“. Die besetzte „ARENA“ war erstmals zu einem Ort geworden, an dem sich in Österreich auf breiter Basis das formierte, was dann bald zu Bürger/innen- bzw. Basis -Initiativen wurde. Bis zum Herbst 1976 – dem Auszug aus der „alten“ Arena – entstanden außer den diversen Basisgruppen das Zeitungsprojekt „Arena-Stadtzeitung“ und die provisorische Gründung einer „Freien Universität St. Marx“.

Später lernte ich in meiner Heimatstadt Graz – paradoxerweise über Deutschland – R.M. kennen, einen heute bekannten Publizisten und Historiker der anarchistischen Bewegung in Österreich und durch ihn auch F.G., den Herausgeber der „Befreiung“, der zu dieser Zeit einzigen anarchistischen Zeitschrift in Österreich, sowie seinen Freundeskreis. Bald darauf überstürzten sich die Ereignisse und endlich begann auch in Österreich (…) ein Neubeginn anarchistischer Ansätze:

1979 wurde von P.ST. die „Liberté“ (später: „Monte Verita“) gegründet. Einige Zeit später, nach kurzer Mitarbeit beim „Räte-Bund“, wurde ich 1980 Mitbegründer des Vereins „Genossenschaft der Gleichen“. Nach Auflösung dieses Vereins in der 2. Vereinsperiode (weil niemand Vorstandsverantwortungen übernehmen wollte), arbeitete ich in der „Liberté“ mit und war 1984 Obmann im Zeitungsprojekt „Freunde der Zeitung Liberté“. 1982 arbeitete ich beim (Sozial) – Projekt „Gassergasse“ mit, vorerst als „Streetworker“, später als Mitarbeiter (bis zum bitteren Ende) im „ESL-Schulprojekt“, dazu noch in der Rechtshilfe im „Rotstilzchen“, in der „Burggartenbewegung“ und dazu kam noch ein kurzes Engagement bei der „Alternativen Liste Wien“ (ALW) und beim Zeitungsprojekt „Wurzelwerk“ in N.Ö.. 1983 war ich Mitbegründer der „Anarchistischen Föderation – IIAF“ mit der Zeitschrift „Anal“ und schließlich auch Mitherausgeber der Zeitschrift „AND“ (Anarchistischer Nachrichten – Dienst“). (…) gleichzeitig baute ich mir auch gute Kontakte im Ausland auf: So z.B. mit der „CNT – Alicante“ (wo ein Österreicher langjähriges Mitglied ist) und mit der „CNT – Barcelona“, mit der „SAC“ in Schweden, den „Wobblies“ in Toronto, besonders aber mit der FAU in Deutschland, sowie mit verschiedenen Gruppen in Holland, Italien, Türkei, der Schweiz und in osteuropäischen Ländern.

Leider versäumte ich das „VENEZIA – 1984“, dass bis dahin größte Treffen anarchistischer Gruppen in Italien, da ich zu dieser Zeit leider im Spital lag!

In den 1990er Jahren kam für mich die Wende. 1991/1992 hielt ich mich sporadisch in der Buchhandlung „Monte Verita“ auf und später beim Lokalnachfolger „RBH“, die für mich – trotz verschiedener inhaltlicher Kontroversen und gravierender Meinungsunterschiede, die damals einzige, ernsthaft arbeitende anarchistische Gruppe in Wien war.

Bald darauf (1992), wurde anlässlich des 50ten Todesjahres von Pierre Ramus, die „Pierre – Ramus – Gesellschaft“ ins Leben gerufen und ich dabei in den Vorstand. Ich besuchte in dieser Zeit auch die „Libertären Tage“ in Frankfurt und später die 10-tägige Veranstaltung „Anarchy in the UK“ in London und gründete anschließend die „FAU – Österreich“. 1993/94. Etwa zur selben Zeit organisierte ich den „Pfingstkongress der FAU/IAA“ in Wien. Anschließend versuchte ich abermals, eine so notwendige Vernetzung anarchistischer Gruppen zu initiieren und zwar durch die Ausrichtung der „Libertären Tage“ in Wien, gemeinsam mit dem RBH u.a.. 1996 nahm ich als Delegierter aus Österreich am IAA-Kongress in Madrid teil und dazu noch die diversen, jährlichen „Ost-West-Treffen“ in Berlin, Prag, Litovel, Györ u.a.. (..) Meine vielen Versuche, auch in Österreich eine Föderation bzw. ein stabiles „anarchistisches Netzwerk“ (…) auf die Beine zu stellen (…) schlugen leider fehl! (…)

Seit Beginn der 1990er Jahre beschäftigte ich mich auch mit dem sog. „Kurdenproblem“ und damit auch mit den Kurd/innen (…) und der Realisierung eines Frauenhausprojektes in Niederösterreich (…) Ich hatte mich nach Misserfolgen und Unverständnis bei vielen Mitgliedern, was Anarchismus sein sollte entschlossen, die FAU/Ö (sie hatte gerade noch 4, manchmal 7 Mitglieder) auslaufen zu lassen. Mein Versuch eine wirklich syndikalistische Gruppe, mit sozialer Ausrichtung und anarchistischer Prägung zu gestalten war fehlgeschlagen. Eine Gruppe in der nur von Sozialismus, von gegenseitiger Hilfe, freier Liebe, Solidarität und Gleichheit theoretisiert und darüber nur „palavert“ wird, ohne diese doch logischen anarchistischen Grundprinzipien in die Tat umzusetzen (…) ist nicht meine Vorstellung von Anarchismus!

Ich wollte und will nicht, dass der Anarchismus nur zum Diskussionsbeitrag oder zum billigen Aktionismus verkommt, oder, wie in Österreich, lediglich auf „Haiderjagd“ geht und 3. „0ppositionspartei“ wird und dabei die anarchistischen Grundsätze verliert! (…) Ich verblieb nun nur mehr in der „Pierre – Ramus – Gesellschaft“ und in unserem Buch- und Verlags – Projekt „Wilde Mischung“. (…)

Anarchist bin ich und werde auch immer Anarchist bleiben, egal wie alt ich werde. Mit dem Staat und seinen Parteien, Regierung usw. verbindet mich nichts – außer mein Österreichischer Reisepass!

Aktualisierung:

Heute (2003) (…) hat sich leider (…) bestätigt, dass meine Aussage über den Stand und über die Aktionen unserer anarchistischen Gruppen seit Beginn der 90er Jahre richtig waren. Nicht nur die so genannte radikale „Linke“, die Antifa-Gruppen, Autonome und in besonderer Weise auch alle unserer spärlichen anarchistischen Gruppen, haben sich von der SPÖ, den Grünen, von den Gewerkschaften u.a. zur „Haiderjagd“ – im guten Glauben der Richtigkeit ihres Engagements – vor ihren Propagandawagen spannen lassen, weil es zu dieser Zeit zur politischen Situation passte und „en vogue“ war. Auch ich war keine Ausnahme und ging bei vielen Demos und Aktionen mit, (…) überzeugt, dass Haider ein Lump und wegen seiner politischen Raffinesse auch gefährlich ist.

Heute, gut 10 Jahre später, ist wieder alles anders! „Jeder Mörder wird nach 15 Jahren Haft begnadigt, warum soll man nicht endlich auch Haider wieder rehabilitieren und nicht mehr ausgrenzen“ meinte unlängst in einem TV-Interview Hr. Broukal (ex TV-Moderator und jetziger Wissenschaftssprecher der SPÖ)! Alles ist wieder vergessen und anders geworden, Haider wird von den SPÖ – Granden eingeladen, Haiders Hände werden wieder ringsum geschüttelt, er beteiligt sich wieder an allen politischen Auseinandersetzungen, wird freundlichst vom Bundespräsidenten begrüßt und sogar als Koalitionspartner der SPÖ in einer neuen Regierungsform gehandelt, kurz gesagt: Haider ist wieder der „klasse Bursch“ und alles Gewesene ist vergeben und vergessen! Er kann sogar Vizekanzler ohne Einspruch werden und strebt wie früher (…) die Position des Bundeskanzlers an! Bravo!!! Wir haben den alten und wahren Spruch über die „Sozialdemokraten“ (…) vergessen: „Wer hat uns immer wieder verraten, die Sozialdemokraten“!

(…) Da ich schon 75 Jahre hinter mir habe und nicht weiß wie es mit meiner Krankheit weitergeht, möchte ich (…) mit folgendem Gedicht abschließen:

Der Kampf muss weitergehen!
Ob ich lebe oder sterbe,
ist unerheblich.
Es reicht mir zu wissen,
dass auch Menschen nach mir,
Zeit, Geld und Energie einsetzen werden,
um gegen Ungerechtigkeiten und Verdummung der Menschheit anzukämpfen.
Wenn sie heute nicht Erfolg haben,
werden sie morgen erfolgreich sein.
Wir müssen weiterkämpfen,
damit die Welt ein besserer Ort
für die Menschheit wird.
Und jede/r kann seinen Teil
dazu beitragen.

Adi Rasworschegg