libertäre buchseiten

Die Heimsuchung

| Horst Blume

Michael Steffen: Geschichten vom Trüffelschwein. Politik und Organisation des Kommunistischen Bundes 1971 bis 1991. Assoziation A, Berlin 2002, 409 S., 24 €

„Heraus zum 1. Mai gegen Kapital und Atomkraft!“ – In der etwas verschlafenen Großstadt am Rande des Ruhrgebietes prangten im Jahre 1977 hunderte von übergroßen Plakaten mit einem abgebildeten apokalyptischen Reiter an den Mauerwänden. Absender: Kommunistischer Bund, Kai Ehlers, 2 Hamburg 50. Es folgten drei Wochen lang entnervende Auseinandersetzungen zwischen der örtlichen Bürgerinitiative gegen Atomkraft einerseits und Politkommissaren und Jugendlichen andererseits, die sich von ein paar bunten Bildchen und markigen Parolen beeindrucken ließen. Die angekündigte Verbrüderung von Arbeitern und Umweltschützern entpuppte sich in der Realität als eine Versammlung von einem kleinen Häuflein anpolitisierter Jugendzentrumsbesucher und einer Handvoll angereister KBler. Hier waren die begehrten Trüffel sicherlich nicht zu finden und schon war der KB wieder weg und suchte sie woanders.

Seit 1973 erregte der hauptsächlich aus Norddeutschland kommende Bund immer wieder durch aufwändige Kampagnen die Aufmerksamkeit der Beobachter. Hintereinander wurde mit der Chile- und Portugalsolidarität, der Antirepressionskampagne, dem AKW-Widerstand und Bunte Liste-Gründungen alle ein bis zwei Jahre eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Als ausgesprochen hinderlich für die Akzeptanz innerhalb der undogmatischen Linken erwies sich die großzügige Portion von ML-Aufbaufutter, die nach den linear ausgerichteten Erwartungen des „Leitenden Gremiums“ dieses Bundes der Trüffelsuchenden überproportionale Wachstumsraten bei der Organisationsausbreitung bewirken sollten.

Da die aus vulgärmarxistischem Dogmatismus, plattem Materialismus, penetranter Rechthaberei und eiskalter Machtpolitik bestehende ML-Futtermischung bei den anderen Schweinen auf wenig Gegenliebe stieß, wurde sie mit bunten Sponti- und Pragmatismuspillen aufgepeppt, was nur kurzzeitig zu gewissen Erfolgen führte, da Andere diese Komponenten auch schon einbezogen.

Die Geschichte des KB wird von Michael Steffen bis in alle Einzelheiten genau beschrieben und den Ursachen seines Zerfalls und seiner Auflösung im Jahre 1991 nachgegangen. Da er Zugang zu Originaldokumenten und zu vielen heute noch aktiven ehemaligen Mitglieder hat, kann er in seinem umfangreichen Buch interne Debatten und Auseinandersetzungen detailliert nachzeichnen und tiefe Einblicke in die ideologische Grundausrichtung und politische Praxis dieser Organisation gewähren. Ihre heute noch existierende Zeitung „Arbeiterkampf“ (AK) hatte zeitweilig eine Auflage von über 20.000 Exemplaren und erschien damals zweiwöchentlich.

Auch wenn der KB 1971 im Gefolge der antiautoritären 68er-Bewegung entstand, waren sein Organisationsaufbau und seine Entscheidungsstrukturen autoritär und zentralistisch ausgerichtet. Höchste Entscheidungsebene war das „Leitende Gremium“ welches bis 1980 nicht frei gewählt wurde und danach auch nur en bloc bestätigt wurde. Einfache Mitglieder und SympathisantInnen wurden durch sogenannte Anleiter inhaltlich instruiert und geschult. In dem Buch kann mensch an unzähligen Stellen sehr gut nachlesen, dass sich die Zweiteilung dieses famosen Bundes in Anleiter und Anzuleitende wie ein roter Faden durch die Organisationsgeschichte zieht. Diese Struktur war eine einzige Verhöhnung des libertären Prinzips der Selbstverwaltung von unten und findet auch heute noch seine Fortsetzung in der Praxis vieler aktiver ex-KBler, die in den höchsten Gremien von PDS (Reents ist Chefredakteur der Tageszeitung „Neues Deutschland“) und B’90/Die Grünen (Trittin ist Umweltminister) tätig sind.

Richtig groß geworden ist der KB, indem er sich auf seine Weise in die Anti-AKW-Bewegung einbrachte. Er benutzte sie als einzuverleibende Rekrutierungsmasse und gründete ganze Landesverbände aus den Regionalkonferenzen dieser Bewegung heraus, um sich weiter im Süden der Republik zu etablieren. Steffens lobt die Intention des KB antikapitalistische Inhalte und militante Aktionen in die Anti-Atom-Bewegung einzubringen. Oberflächliche, verbalradikale Phrasendrescherei wird hier als wegweisende, tiefgreifende Einsicht in die Verfasstheit der Gesellschaft verkauft. Die Mitglieder von Bürgerinitiativen wurden in den KB-Medien oft als naive Einfaltspinsel dargestellt, denen viele Dinge auf dieser Welt noch erklärt werden müssen. Welch eine Arroganz tritt hier zutage! Die Menschen in der Mitte der 70er Jahre gegründeten Bürgerinitiativen haben bei ihrem Widerstand im Eiltempo elementare politische Erfahrungen gemacht und zu emanzipatorischem Handeln, zu Staatsskepsis und Kapitalismuskritik in einer Weise weiterentwickelt, zu der weite Teile der Bevölkerung nicht in der Lage waren.

Es ist wirklich eine Frage, ob das verfrachten von Demonstranten in Hunderten von Bussen über viele Hunderte von Kilometer hinweg zu den angeblichen Kristallisationspunkten des Widerstandes – wie der KB es propagierte – tatsächlich emanzipatorisches, weitsichtiges Handeln darstellt. Die mittelalterlich anmutenden Aufmärsche und Schlachten am Bauzaun mit der Losung „Schafft ein, zwei, drei Brokdorf“ zur sinnvollen politischen Strategie zu erklären ist schon damals von den Graswurzelgruppen frühzeitig kritisiert worden und ist nach kurzer Zeit vollständig gescheitert. Steffen jedoch lobt in seinem Buch dieses Vorgehen, auf diese Weise „seine Kampfbereitschaft zu unterstreichen“ (S. 188)!

Steffen verschweigt jedoch nicht das moralisch äußerst fragwürdige Verhalten dieses Bundes, mit hinterlistigen Methoden linke Koordinationskonferenzen zu okkupieren und zu manipulieren, was aber schon seit Holger Stroms Klassiker „Friedlich in die Katastrophe“ (1981, S. 1212) bekannt war: „Der KB verfügte über ‚bündnispolitische‘ Erfahrungen und beherrschte das Versteckspiel mit ‚Geisterinitiativen‘ auf beeindruckende (!!) Weise. Eine nach der Hamburg-Wahl von Kritikern des KB in der Bunten Liste durchgeführte Überprüfung der Gruppen der Bunten Liste deckte mindestens 26 ‚Briefkasteninitiativen‘ auf, die sich als ‚Ein-Mann-Unternehmen‘ entpuppten, wobei vier dieser Initiativen sogar unter derselben Adresse eingetragen gewesen waren“ (S. 242).

Mit der Gewaltfreiheit hatte der KB nichts am Hut, denn er betrachtete sie als „Absurdität in sich selbst“ (S. 191). Mit der Behauptung, die Gewaltfreien würden in Hamburg nur 5 – 8 % der Bewegung ausmachen (AK 97; S.7), versuchte er die Bedeutung dieser Gruppen herunterzurechnen. Dem großen gemeinsamen Zentrum Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), in dem fast eintausend BIs tatsächlich solidarisch und überparteilich zusammenarbeiteten, dichtet Steffen in Übernahme der KB-Denunziation in der Haupttendenz eine Vermischung von „ökologisch-reformerischen mit christlichen, naturromantischen und wertkonservativen Vorstellungen“ (S. 178) an. Der größte „Fehler“ des BBU jedoch war, dass es sich für den KB als unmöglich erwies, ihn für seine egoistischen Interessen zu dominieren und zu instrumentalisieren.

Ähnlich wie sich bei der Springerpresse Nichtakzeptanz und der Wille zur Stigmatisierung auch durch das Setzen von Anführungszeichen bei der Namensnennung der DDR dokumentierte, genauso existierten die gewaltfreien Initiativen in den Publikationen des KB grundsätzlich nur in Gänsefüßchen. Dieses Verhalten wird von Steffen in seinem Buch oftmals übernommen.

„Mit den besten KBW-Schmähwitzen“ steht in einem schrägen Balken auf der Titelseite des Buches. Der Kommunistische Bund Westdeutschland (KBW) war ein wichtiger Konkurrent des KB und noch dogmatischer und bizarrer als Letzterer. Also ein Grund mehr für den einen Bund auf den anderen Bund verächtlich herabzublicken. Die zwölf im Anhang des Buches abgedruckten Karikaturen zeigen deutlich, mit welch primitiven Mitteln der KB Konkurrenten oder auch nur Andersdenkende propagandistisch niedergemacht und öffentlich in die Pfanne gehauen hat. Dass der Kommunistische Bund zu einer Verrohung der Umgangsformen innerhalb der Linken einen guten Teil mit beigetragen hat, ist für Steffens kein sonderlich wichtiger Kritikpunkt, wird aber unfreiwilliger Weise an einigen Stellen dokumentiert.

Themen wie die Haltung des KB zur Politik Chinas oder die absurde Faschisierungsdiskussion zwischen KB und KBW in den 70er Jahren interessieren heute kaum noch jemanden und werden von Steffens trotzdem ausführlich und hingebungsvoll dargestellt. Es gibt Wichtigeres im Leben.

Auffallend wohltuend ist der kühl-distanzierte Schreibstil und die Analyse des Autors. Allerdings nur auf den ersten Blick. Nachdem mensch sich durch mehrere hundert Seiten seines Werkes geradezu gequält hat und sämtliche Unverschämtheiten, die dieser Bund sich im Laufe seiner Geschichte geleistet hat, noch einmal Revue passieren lässt, empfinde ich den Grundton, der diese Arbeit durchzieht, nicht nur als unangemessen, sondern auch als ärgerlich. Genauso wie für das „Leitende Gremium“ Mitglieder, SympathisantInnen und andere Menschen zu hin- und herschiebbaren Schachfiguren in seinem Machtspiel verkamen, genauso bleibt Steffen nüchtern und mechanistisch-formalistisch mit seinem Politikbegriff an der Oberfläche. Er übt keine grundsätzliche Kritik daran , wie sich Menschen bedrängt oder benutzt fühlten, wenn sie Opfer der Machtpolitik dieses Bundes wurden. Kein Wort darüber, wie sie sich fühlten, wenn sie auf Versammlungen oder in den KB-Medien ideologisch an den Pranger gestellt wurden, sie daran gehindert wurden, ihre eigene politische Arbeit zu tun, weil durchgeknallte Politkommissare rücksichtslos und mit Ellenbogenmentalität auf ihren Nerven herumtrampelten! Stattdessen wird von ihm ML-immanente und KB-interne Nörgelei an „schematischen Arbeitsanweisungen“ des sogenannten Leitenden Gremiums aus alten Protokollen wiedergekäut.

Dieses Buch baut im Nachhinein einen Mythos von einer zumindest temporär erfolgreichen und zum Teil akzeptablen ML-Gruppe auf und verschweigt, dass dieser Bund vorrangig das widerständige Potential in der Bürgerinitiativ-Bewegung an seiner Arbeit gehindert hat, anstatt ihm eher zurückhaltend und selbstlos unterstützend unter die Arme zu greifen. Nur dann sich wirklich zu engagieren, wenn handfeste Vorteile und Erfolge zu erwarten sind, ist die politische Leitlinie des KB gewesen. Die besten Trüffel für sich selbst zu sichern und sich damit implizit über das „naive“ Engagement anderer Menschen in angeblich aussichtslosen Situationen lustig zu machen ist weder bei einem Bund noch bei einem Menschen ein besonders liebenswerter Charakterzug. Er hat aber gerade in der jetzigen Situation durchaus Konjunktur, was zum Teil den relativen Erfolg dieses Buches erklärt.

In den ersten Ausgaben der anarchosyndikalistischen Zeitung „Direkte Aktion“ und natürlich in der „Graswurzelrevolution“ der Jahre 1976 bis 1978 wurde die Politik des KB gründlich und grundlegend kritisiert. Obwohl Steffen nach eigenen Angaben aus dem autonomen Lager – was immer das bei ihm heißen mag – kommt, geht er auf unsere damalige Kritik nicht ein. Die Einschätzung in der GWR Nr. 34/35 aus dem Jahre 1978 erweist sich auch jetzt noch als korrekt: „Der KB ist und bleibt eine leninistische Organisation, die nach dem Revolutionsmodell der Bolschewiki ihre Politik macht und voraussichtlich auch weiter machen wird. Zu diesem Modell zählte eben nicht nur die Unterstützung der Räte in der russischen Revolution, sondern auch deren spätere Entmachtung sowie deren Ersetzung durch die Diktatur der Partei. Und diese Diktatur ist alles andere als undogmatisch gewesen.“ – Und die Moral von der Geschicht?

ML-Futter ist für freie Schweine nichts!