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Feministinnen in der Revolution

Die Gruppe Mujeres Libres im Spanischen Bürgerkrieg

| Johanna Hellkerns

Vera Bianchi: Feministinnen in der Revolution. Die Gruppe Mujeres Libres im Spanischen Bürgerkrieg, Unrast Verlag, Münster 2003, 160 S., 14 €

Noch immer ist die Geschichte der Mujeres Libres (Freie Frauen) in der Zeit des Spanischen Bürgerkrieges zu wenig bekannt.

Vera Bianchi, die 1974 geborene, Hamburger Geschichtswissenschaftlerin mit den Schwerpunkten soziale Bewegung und feministische Wissenschaft, hat ein neues Buch über diese dezentral strukturierte Frauenorganisation geschrieben, in der sich nach neuesten Erkenntnissen 149 Basisgruppen und rund 20.000 Frauen vernetzten. Die Autorin berücksichtigt nicht nur die bisher veröffentlichten deutschsprachigen Publikationen, sondern recherchierte vor Ort im Bürgerkriegsarchiv von Salamanca und bezog spanische sowie US-amerikanischen Forschungen mit ein.

Ein grundlegendes Problem der historischen Darstellung besteht darin, dass die Mujeres Libres zwar eine Zeitschrift, Bücher sowie Broschüren herausgaben und sich somit Theorie und Praxis der Gruppe gut beschreiben lassen, dass aber über die persönliche Lebensgeschichte der einzelnen, die Organisation prägenden Frauen wenig bekannt ist: „wie der Großteil der Mitglieder lebte, den Alltag gestaltete, ob und wie sie ihre politischen Überzeugungen auch im Privaten umsetzten, bleibt offen.“ (S.8) Der gesamte Bereich der Alltagsgeschichte ist mit den herkömmlichen Methoden der Geschichtswissenschaft kaum erfassbar. Bianchi weist darauf hin, dass sich dazu kaum Quellen in den Archiven befinden.

1975, nach Francos Tod, wollte eine der drei Gründerinnen der Mujeres Libres, Mercedes Comaposada Guillen, ein erstes Buch über die Geschichte der Gruppe schreiben. Sie sammelte Zeugnisse ehemaliger Mitglieder, denen sie folgende Fragen stellte: „Was war Mujeres Libres? Warum war die Gruppe besonders? Warum war sie eine Organisation und keine Assoziation? Die Frau als Mutter, als Produzentin, Frau. Politischer Feminismus und menschlicher Feminismus. Freie Liebe. Zusammenleben und sexuelles Problem.“ (S.10) Mercedes erhielt viele Antworten. Doch sie konnte ihr Werk nicht vollenden und in ihrem Nachlass ließen sich weder die Manuskripte noch die Antwortbriefe finden. Trotz des Verllustes schrieben einige Veteraninnen in kollektiver Zusammenarbeit ein Buch über die Geschichte der Mujeres Libres: Luchadores Libertarias (Kämpferinnen der Freiheit, Fundacion Anselmo Lorenzo, Madrid 1999).

Ein Rückblick in Geschichte und Politik der Gruppe

Die erste Initiative für Mujeres Libres entstand aus dem anarchosyndikalistischen Spektrum durch Lucia Sanchez Saornil (1895-1970) und Mercedes Comaposada Guillen (1900-1994). Sie entstammten Madrider Arbeiterfamilien und waren mit den gewerkschaftlichen Kämpfen der 20er Jahre konfrontiert gewesen. Sie stellten die unterdrückte Situation der Arbeiterinnen in den Gesamtprozess der sozialen Revolution. Ihre Mitstreiterin Amparo Poch y Gascon (1902-1968) hatte Medizin und Soziologie studiert. Sie hielt Vorträge zu Sexualität, Verhütung und Schwangerschaftsabbruch an Universitäten, Schulen und Ateneos (anarchistische Volkbildungshäuser). Zusammen arbeiteten die drei Frauen an der Herausgabe der Zeitschrift „Mujeres Libres“, der sie das Leitmotiv „Kultur und soziale Dokumentation“ gaben und die das Interesse der Frauen für die anarchistische Bewegung wecken sollte.

Ende 1934 hatte sich in Barcelona die Grupo Cultural Femenino (CNT) Barcelona (Kulturelle Frauengruppe) gegründet. Mitte 1936 kam es zum Zusammenschluss dieser Gruppe mit den Madriderinnen.

Die Gruppe in Barcelona konzentrierte sich auf die Kontakte mit den Anarchistinnen in der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT, während die Gruppe in Madrid ihren Schwerpunkt auf die Arbeit mit politisch unorganisierten Arbeiterinnen legte.

Bald darauf kam es zu Neugründungen in Valencia, Aragonien, Andalusien. Der erste Nationalkongress fand im September 1937 in Valencia statt. Die Mujeres Libres organisierten sich föderalistisch auf der Basis der Autonomie der einzelnen Basisgruppen, keine Befehlshierarchie von oben nach unten, aber eine Bindung an die überregionalen Entscheidungen der Plena und Kongresse der Bewegung. Durch diese flexible Struktur waren die Mujeres Libres aktions- und kampagnenfähig.

Die Mujeres Libres vertraten das theoretische Konzept des „Doble Lucha“ (doppelter Kampf). Das bedeutete: gemeinsam mit den anarchistischen Männern für eine herrschaftsfreie Gesellschaft zu kämpfen, aber gleichzeitig „gegen die sexistische Tradition ankämpfen, die sich sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen festgesetzt hat.“ (S.118 u. vgl. S.64) Im Mittelpunkt stand das Ziel der ökonomischen Unabhängigkeit der Arbeiterfrauen. Dabei verstanden sie sich nicht als Kaderpartei, die den Frauen ihre Ideen aufzwingt. Frauen könnten sich nur selbst befreien; die Mujeres Libres verstanden sich dabei als Katalysator. In Barcelona, Madrid, Valencia errichteten sie eigene Institute (meist in Räumen der CNT), in denen u. a. Ausbildungskurse in Fremdsprachen, sozialen und technischen Berufen, angeboten wurden. Vor allem sollte die hohe Analphabetenrate unter spanischen Frauen verringert werden. Der Erfolg bei diesen städtischen Bildungsangeboten kontrastierte mit der sehr viel schwierigeren Situation auf dem Land. In den landwirtschaftlichen Kollektiven bestanden Benachteiligungen für die Frauen fort, sie erhielten sehr viel weniger Lohn als Männer. Die Frauen in den Dörfern waren nur theoretisch gleichgestellt. Ihre praktische und aktive Teilnahme an den Versammlungen der AnarchistInnen war jedoch gering. Oft verhinderte Zeitmangel, resultierend aus der Doppelbelastung Kindererziehung/Haushalt und reguläre Mitarbeit im landwirtschaftlichen Kollektiv die Gründung einer Mujeres Libres – Gruppe.

Es gab kaum Volksküchen und Kindergärten zur Erleichterung der Arbeit, noch eine veränderte Einstellung der Männer. Ob es zur erfolgreichen Umsetzung der von den Mujeres Libres propagierten agrarökonomischen Ausbildungsprogramme kam, ist schwer ausfindig zu machen. Die Mujeres Libres waren sich der Defizite hinsichtlich der unzulänglich erreichten Ziele bewusst.

Die wirtschaftliche Notlage zwang Frauen damals oft in die Prostitution, um zur Ernährung der Familie beizutragen. Die Mujeres Libres sahen in dem seit 1931 bestehenden gesetzlichen Verbot der Prostitution keine Lösung. Die Frage war für sie nicht, „wie man die angeblich unmoralischen Frauen daran hindert, dieser Tätigkeit nachzugehen, sondern welche sozialen Missstände die Frauen dazu brachten, sich zu prostituieren.“ (S.69) Prostituierte waren für sie nicht Verbrecherinnen, sondern Marginalisierte, weshalb sie viel Zeit und Energie investierten, um zu Beginn der Revolution „Häuser zur Befreiung von Prostitution“ zu organisieren. Dort konnten Prostituierte schlafen, sich medizinisch versorgen und bekamen Zugang zu wirtschaftlicher Unterstützung und Bildung. Ob die Mujeres Libres wirklich Bordelle gestürmt haben, wie in dem 1995er gezeigten Film „Libertarias“ (Die Libertären Frauen, Regisseur Vicente Aranda, Sogetel / Lolafilms), ist schwer zu recherchieren. Tatsache ist, dass sie in Madrid Kampagnen zur Befreiung von Frauen und Mädchen aus der Prostitution starteten.

Zu Beginn des Bürgerkrieges gingen einige Frauen der Mujeres Libres an die Front und es gab eine Kolonne „Mujeres Libres“. Die Beteiligung am Bürgerkrieg sahen die Frauen jedoch nur als einen unter vielen wichtigen Aspekten der sozialen Revolution an. Sie befürworteten einerseits den Kampf mit der Waffe, andererseits entwickelten sie direkte Aktionen in anderen Bereichen, z. B. Weiterleitung der Post oder Organisierung der Lebensmittelversorgung hin zur Front. Dem von der republikanischen Regierung ab Dezember 1936 verordneten Rückzug der Milizianas von der Front entspricht zeitlich auch die Konzentration der Mujeres Libres auf die große Anzahl der Frauen, die sich der leiblichen Mutterschaft verpflichtet sahen.

Hierbei ging es aber in erster Linie darum, diese Frauen zu politisieren, ihnen durch Bildung zu Selbstbewußtsein zu verhelfen und für selbständige Berufswege zu sorgen.

Das Verhältnis der Mujeres Libres zur spanischen anarchistischen Bewegung war angespannt und ambivalent. Durch ihre autonome Organisierung als anarchistische Frauenorganisation hatten sie sich von Anbeginn den Vorwurf der Spaltung eingehandelt. Und das nicht nur von anarchistischen Männern, sondern z.B. auch von Federica Montsany, die seit Herbst 1936 als CNT-Mitglied Ministerin für Gesundheit und Soziales in Katalonien war. Die autonome Organisierung der Mujeres Libres geschah jedoch nicht in spalterischer Absicht, sondern resultierte aus dem Unbehagen vieler Frauen innerhalb der anarchistischen Bewegung der 30er Jahre in Spanien, aus der herablassenden Ignoranz, die sie erfuhren. Erst im Mai 1936 hatte z. B. die CNT die Gleichberechtigung der Frauen in ihr Programm aufgenommen. Die schlimmste Form der Ablehnung erfuhren die Mujeres Libres auf dem Plenum der CNT im Oktober 1938. Sara Berenguer, Zeitzeugin des Vorgangs, berichtet: „Am letzten Tag des Plenums durften einige Vertreterinnen der Frauenorganisation den Aufnahmeantrag und die Arbeit der Gruppe vorstellen, worauf sie die Antwort erhielten, sie seien noch nicht genügend vorbereitet und sollten warten, bis sie genug Erfahrung hätten“(S.86) Zu dem Zeitpunkt hatten sich die Mujeres Libres bereits zwei Jahre aktiv an der sozialen Revolution beteiligt! Es ging sogar soweit, dass Federica Montseny die Existenz der Mujeres Libres leugnete! Die Mujeres Libres zahlten es ihr nicht mit gleicher Münze heim und publizierten noch 1939 einen Text von ihr.

Tatkräftige Unterstützung erhielten die Mujeres Libres hingegen von der bekannten Anarchistin Emma Goldman. Auf ihren Vortragsreisen durch Europa und Kanada berichtete sie über die Mujeres Libres und trug damit sicher zur Bekanntheit der Gruppierung bei. Zur Zeit des Bürgerkrieges gab es Solidaritätsgruppen der Mujeres Libres in Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, der Tschechoslowakei, Schweden, Belgien, Polen, Argentinien und den USA.

Die Geschichte der Mujeres Libres bleibt auch heute eine Herausforderung. Trotz der beschriebenen problematischen Quellenlage und der angedeuteten Notwendigkeit weiterer Forschung kann Vera Bianchis mit diesem Buch vorliegender Versuch, die Mujeres Libres „auch im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen“ (S.121) als gelungen betrachtet werden.