Millionen Jugendliche gehen täglich ihrem gewohnten Alltagstrott nach - fast weltweit. Fast nur, da Bildung heute das Primat reicher Industriestaaten zu sein scheint, welche uns jenes selektierte Wissen durch die Schule als Institution der Wissensvermittlung zu Teil werden lässt.
Zweifel daran werden kaum geäußert, zu logisch scheint, dass das, was man jungen Menschen vorsetzt, richtig sein muss. Dies führt dazu, dass gemeinhin nicht nur die staatlich vorgegebenen Bildungsinhalte nicht in ihren Grundfesten angezweifelt werden, sondern dass auch die Schule als Institution im allgemeinen SchülerInnenkreis nicht zum Objekt einer wirklichen Kritik wird, die über das typische „Schule ist Scheiße“ hinausgeht. Die eigentlichen pädagogischen Grundfesten der Schule bleiben unhinterfragt. Dabei hat eine ernstzunehmende Schulkritik nicht primär etwas damit zu tun, dass man der Schule eine Absage erteilt, da man entweder schlichtweg keinen Bock auf sie hat oder meint, Bildung nicht nötig zu haben. Vielmehr präsentiert sich die Schule heute als ein Abbild der Gesellschaft, in der die Interessen des Staates auf autoritäre Art und Weise zur Anwendung kommen, gezielt propagiert bzw. indoktriniert und geschickt mit „wirklicher“ Bildung vermengt werden.
Schule, was ist das? Zur Notwendigkeit der Schulkritik
Bei der Frage, was Schule ist, kann man sich streiten. Immerhin umfasst der Lehrplan aller Bundesländer – Bildung ist Ländersache – hierfür eine Definition: die Schule sei demnach „gemeinsamer Lebensraum von Lehrern und Schülern, wobei ein gemeinsames Miteinander, die Vorbereitung auf das zukünftige Leben und die Berufswelt in allgemeiner Form, der Überblick über die wichtigsten Wissens- und Arbeitsgebiete unserer Gesellschaft sowie die Entwicklung bestimmter Haltungen und Werte wie z.B. Zuverlässigkeit und Selbstdisziplin besondere Bedeutung erfahren.“ Eine Formulierung, die nicht weit von der antiken Umschreibung der „Schule“ als Lehranstalt zum Selbstzweck – also dem Erhalt einer entsprechenden Bildung – differiert. Nach griechischer Vorstellung ist die Schule jener Ort, an dem der junge, heranwachsende Mensch, in dem Fall die Söhne wohlhabender Aristokratenfamilien, eine Bildung erfährt, um sein geistig-schöpferisches Potential auszunutzen und sich zu einem mündigen Bürger zu emanzipieren.
Eben jene Umschreibung nutzte bisher fast jede Zeit- und Herrschaftsepoche als Definition der Schule als solches. In Wirklichkeit war schon immer das Gegenteil der Fall, in den 2300 Jahren, in denen es Schulen gibt.
Will man begreifen, was Schule heute ist, ohne die altgediegenen Definitionen zu konsultieren, die – und das kann ich als Schüler sehr wohl einschätzen – alles andere als die Realität tangieren, muss man die Entwicklung der Schule nachvollziehen. Während Bildung in der Antike ein Vorrecht reicher Aristokratenfamilien war, um ihren Nachwuchs auf die anstehende politische Arbeit im Rahmen des Ehrerhaltes der eigenen Familie vorzubereiten, erfuhr die Geschichte erst mit der Aufklärung eine weitgehende Wendung im Sinne der „Öffnung“ der Schulen, im begrenzten, nicht allgemein zu sehenden Maßstab auch für die Kinder des Bürgertums. Das von Pestalozzi geforderte Grundrecht auf Bildung wurde zu einer schlagenden Phrase der Französischen Revolution, nachdem in den vorangegangenen Jahrhunderten Schule nur die Angelegenheit privilegierter Stände, sprich Adel und Klerus, war. In jeder, auf den ersten Blick wohl für jene Zeit beinahe „revolutionär“ wirkender Forderung verbarg sich jedoch ein Potential, welches in den darauf folgenden Jahrzehnten dazu führte, dass die eigentliche Bedeutung der Bildung ad absurdum geführt wurde.
Denken wir an die von England ausgehende Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Hier war die Existenz von (fast) allen Bevölkerungsschichten zugänglichen Schulen ein Gewinn für die Ökonomen. Arbeitskräfte ließen sich nicht nur entsprechend von Grund auf ausbilden und für eine mögliche Tätigkeit qualifizieren; auch war die Schule ein Feld für Rekrutierungen seitens der Industrie, welche zu jener Zeit nach Humankapital lechzte. Der Schritt von einer bürgerlichen Institution hin zu einer ökonomischen Instanz zur Aufwertung junger Arbeitskräfte mit entsprechendem Fachwissen, die sich allein kapitalistischen Interessen unterworfen sah, war nicht weit, im Gegenteil. Beide Interessen waren und sind so eng wie nur denkbar miteinander verwoben und die Forderungen des Bürgertums nach der Erlangung eigener Mündigkeit bedeutete nichts anderes als die Etablierung eines frühkapitalistischen Wirtschaftsgefüges, um die eigenen Interessen unabhängig von der autoritären Rolle des Adels durchsetzen zu können. In jener Zeit war die (scheinbare) wirtschaftliche Freiheit bereits in den Schlagworten „Freiheit, Gleichheit Brüderlichkeit“ enthalten, welche einen freien Markt und eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit implizierte. Das „Grundrecht auf Schule“ stand dem nicht entgegen, im Gegenteil: man machte diese sich zu nutze, denn ohne Bildung keine Arbeit.
Deutschland war in Sachen Schule ein Spätzünder. Preußen führte erst 1870 eine allgemeine Schulpflicht ein. Diesem Beispiel folgten in den darauf folgenden Jahren auch alle anderen deutschen Staaten, wobei dieser Zwang für alle Schichten galt. Die damals existierenden öffentlichen Schulen waren von Anfang an darauf ausgelegt, so genanntes Wissen im Sinne des preußischen Militärstaates bzw. analog in allen weiteren deutschen Klein- und Kleinststaaten zu vermitteln. Konkret bedeutete dies, dass alle Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 14 Jahren eine kostenfreie Schulbildung erhielten. Der Unterrichtsstil jener Zeit war autoritär, beinahe militärisch. Entsprechend ergänzte militärischer Drill und absoluter Gehorsam die „üblichen“ Unterrichtsinhalte wie z.B. das Buchstabieren, Lesen und Rezitieren aus der Bibel. Entsprechend waren jene Schulen auch wieder die Basis für eine spätere Karriere im Militär, wobei Kindern aus wohlhabenderen Kreisen auch eine höhere Bildung, z.B. an Gymnasien ermöglicht wurde. Die Schulen deckten vor allem den Bedarf der Einzelstaaten an qualifizierten Arbeitern und Soldaten ab.
Nach dem bürgerlichen Intermezzo in der Weimarer Republik, welche die allgemeine Schulpflicht 1919 in ihrer Verfassung verankerte, setzte auch das 3. Reich die (nicht nur) deutsche Schultradition fort und knüpfte direkt an der „Vorarbeit“ aus früheren Jahren an. Erneut war die Schule ein Hort der Disziplin, Autorität, Unterordnung, absoluten Gehorsams (und unabdingbarer Treue gegenüber der Nazi-Ideologie). Erweitert wurde dies durch militaristische Elemente, etwa durch den Zwang zur Mitgliedschaft in faschistischen Partei-Jugendorganisationen, der Hitlerjugend.
Den Nazis ging es nicht um Wissensvermittlung, sondern um Erziehung hin zu den linientreuen Kriegern, die sich die NSDAP wünschte. Jene Zielsetzungen fanden auch auf dem Stundenplan ihren Niederschlag. So wurde Rassenkunde gelehrt und im Sportunterricht ging es um das Werfen von Handgranaten und die Simulierung von Gefechtssituationen.
Jenes Einbringen von Inhalten der gegenwärtigen politisch-gesellschaftlichen Positionen findet sich ab 1949 sowohl in der BRD als auch in der DDR, hier etwa durch die Einführung des Staatsbürgerkundeunterrichts und die enge Verquickung mit der sozialistischen Jugendorganisation FDJ (Freie Deutsche Jugend) zwecks Umsetzung des „Neuen sozialistischen Menschenbildes“, wieder.
Um die bisherigen Erkenntnisse zusammenzufassen, bedarf es keiner eingehenderen Betrachtung. Klar sein sollte, dass der Staat keinerlei Interesse daran hat, Milliarden in die Bildung, vor allem in Schulen, zu investieren, um den Staatsbürgern Allgemeinwissen zu lehren. Der Wunsch nach dem mündigen Bürger endet an der Stelle, wo er bereit ist, sich am politischen System zu beteiligen, ohne es verändern zu wollen. Hier greift wieder die alte Weisheit „Wissen ist Macht“, und wer Wissen kontrolliert, bleibt mächtig.
Geschichte anarchistischer Schulkritik
Die Ablehnung der Schule ist kein neuzeitliches Phänomen.
Anknüpfend an die Verurteilung des kapitalistischen Arbeitsethos waren es AnarchistInnen, die schon Ende des 18. Jahrhunderts das Thema aufgriffen. Interessanterweise bedienten sich AnarchistInnen aller Richtungen viel öfter diesem Thema, als es etwa KommunistInnen bzw. BolschewistInnen mit der missinterpretierten Parole „Lernen, lernen und nochmals lernen“ taten, schließlich bedienten sich die Bolschewisten – und nicht nur solche – gern Schulen als autoritäre Lernstätten zur Herausbildung einer parteitreuen Kaderschicht und einer politischen Elite. Diese entzogen der Schule zwar ihre ideologische Verwurzelung im Kapitalismus, ersetzen ihn aber lediglich mit den eigenen dogmatischen Grundlagen und behielten den autoritären Charakter der Schule bei, tasten diese also nicht als Einrichtung an sich an. Dementsprechend formte die bolschewistische Pädagogik keine willenlosen ArbeiterInnen, musste aber den eigenen Bedarf an Humankapital befriedigen.
Peter Kropotkin war einer jener Anarchisten, die Schulkritik oft in ihren Schriften erwähnten, wenn auch nicht als zentrales Thema. Laut seiner Analyse ist der Zweck der öffentlichen Schule, Kinder zum bedingungslosen Funktionieren in der kapitalistischen Gesellschaft regelrecht abzurichten. Kropotkin machte Vorschläge zur Etablierung einer Form der Gegenpädagogik, um die Verwurzelung der Schule im Kapitalismus zu lösen und dafür wieder deren grundlegende Aufgabe, also Bildung frei von Verzweckung, zu erfüllen.
Es folgten im frühen 20. Jahrhundert viele kritische Beiträge, vor allem seitens anarchistischer bzw. anarchosyndikalistischer Jugendgruppen wie die der FAUD nahe stehenden SAJD (Syndikalistisch-anarchistische Jugend Deutschlands, 1922-1933). Etwa gleichzeitig nahmen sich auch Individualanarchisten, wie z.B. Walther Borgius mit seinem Buch „Die Schule – Ein Frevel an der Jugend“ dem Thema an, wobei Borgius später, in der 1970ern und vor allem 80’ern durch die antipädagogische Kinderrechtsbewegung wiederaufgegriffen wurde. In seinem Buch schreibt er: „Die Schule ist ein raffiniertes Herrschaftsmittel des Staates, geschaffen, um von Kindesbeinen an alle Staatsangehörigen an Gehorsam zu gewöhnen, ihnen die Suggestion von der Notwendigkeit des Staates in Fleisch und Blut übergehen zu lassen…“.
Auch außerhalb Europas wurde die Kritik an der Schule häufig thematisiert. So entstand in den USA die Free-School-Movement und als Resultat z.B. die First Street School in New York, an der modernere, libertär-pädagogische Ansätze auch in der Praxis getestet werden konnten. Vorbilder für derartige Experimente waren auch frühere Ansätze, u.a. die von dem gewaltfreien Anarchisten und Schriftsteller Leo Tolstoi gegründete Schule „Jasnaja Poljana“, in der von 1859 bis 1862 libertäre Bildungskonzepte erprobt werden konnten.
Alles in allem dienen diese Ansätze dazu, eine Art „Gegenschule“ zu bilden bzw. Methoden für eine solche zu erproben und die Möglichkeit der Verwendung dieser unter Beweis zu stellen. Es existieren viele weitere praktische Beispiele, denen alle das Infragestellen hierarchischer Gesellschaftsformen durch die Negierung der Anwendung dieser innerhalb der Schule als „Kaderschmiede des Kapitalismus“ gemein ist. Kritikpunkte sind jeweils die hierarchisch-autoritäre Organisierung der Schule, deren Zwangscharakter, die kapitalophilen Unterrichtsinhalte sowie mangelnde Möglichkeiten basisdemokratischer Mitgestaltung des Schulalltags.
Schule in der BRD
Grundlage für das aktuell existierende Schulsystem der Bundesrepublik Deutschland bildet die am Anfang genannte Definition, die gemeinhin als „Grundmaxime“ des hiesigen Schulsystems angesehen wird. In Wirklichkeit weicht unser Schulsystem allerdings nicht von der historischen Linie ab, die oben beschrieben wurde.
Vielmehr ist die Schule in Deutschland genauso instrumentalisiert und institutionalisiert worden. Die Schule stellt ein Mikromodell unserer Gesellschaft dar – mit allen zugehörigen Ebenen, wobei die real existierenden Machtverhältnisse im Schulalltag, hier dargestellt durch die Ebenen Schüler – Lehrer – Schulordnung – Schulleitung, in Vorbereitung auf das spätere Leben bestmöglich simuliert werden. Insofern hat die Verschulung für die Oberen einen Sinn. Die Schule, diese Rekonstruktion im Kleinen, soll die SchülerInnen dadurch nicht nur an die realen Zustände gewöhnen und eine Eingliederung in jene durch Übermittlung entsprechender kapitalistischer Werte sichern, sondern auch mögliche Querschläger mit verschiedenen Mitteln, z.B. Noten und so genannten Zuchtmaßnahmen (Verweise), zwangsweise wiedereingliedern.
Diese Bemühungen sind in vielen Fällen von Erfolg gekrönt, schließlich hat der Schüler bzw. die Schülerin durch die existente Schulpflicht keine Wahl, muss sich also von dem 6. Lebensjahr an den Weisungen der LehrerInnen fügen. Hier wird die Parallele zu autoritäreren Zeiten offensichtlich, auch wenn sich die Lesart der heutigen Definition der Schule geändert hat und ein direkter Vergleich unterlassen werden sollte. Damit verliert die Schule nicht ihren autoritären Charakter als Erziehungsanstalt, in der uns bestimmte (im Sinne der Herrschenden positive) Grundhaltungen anerzogen, unter Umständen auch aufgezwungen werden, wenn wir uns auf lange Sicht nicht fügen.
In Deutschland existiert ein so genanntes mehrgliedriges Schulsystem, aufgeschlüsselt nach Schularten (Sonderschule, Hauptschule, Realschule und Gymnasium), welche sich wiederum an der Leistungsfähigkeit (und -willigkeit) der SchülerInnen orientieren bzw. diese zwingen, sich an die Anforderungen der jeweiligen Schule anzupassen. Grundsätzlich soll jedem Schüler/jeder Schülerin der höchstmögliche Bildungsweg offen stehen. SchülerInnen sollen also die bestmögliche Bildung genießen, je nach ihren eigenen „Voraussetzungen“. Beschrieben wird dies mit dem Schlagwort der Chancengleichheit, was vermitteln soll, dass es dahingehend keine Regulierungen gibt, mensch sich also seinen Bildungsweg selbst bestimmen kann. Doch dies ist nur Theorie. Die Praxis zeigt, dass 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen aus sozial besser gestellten Elternhäusern das Gymnasium besuchen. Gleichzeitig wird dieser Weg nur gut 10 Prozent der ArbeiterInnenkinder ermöglicht, während 60 Prozent dieser die Hauptschule besuchen. Zum Vergleich: nur knapp 18 Prozent der Beamten- und Angestelltenkinder besuchen die niedriger gestellte Hauptschule.
Dies führt erstens zur Herausbildung einer Elite -entgegen dem Grundsatz, dass Bildung Allgemeinrecht sei und jedem offen stünde – und impliziert zweitens, dass es, ebenso wenig wie innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, eine Chancengleichheit gibt, da die beste Bildung in der Realität auch nur den Kindern offeriert wird, deren Eltern auch entsprechend begütert sind. Der Einsatz des Ellenbogens wird bereits in der Schule erprobt, sogar gefordert, schließlich wird über die Noten ein stetiger Leistungsdruck erzeugt und damit ein Konkurrenzprinzip etabliert.
Durch dieses Machtmittel konkurrierender Verhältnisse wird eine Selektion der SchülerInnen in „gut“ bzw. „schlecht“ geschaffen, gemessen an einer willkürlich festgelegten Skala, die im Grunde nichts mit der wirklichen Lernleistung der SchülerInnen zu tun haben. Die Kriterien zur Notenvergabe sind keineswegs objektiv, denn sie obliegen dem jeweiligen Lehrer/Lehrerin. Die Notenvergabe selbst ist stets auch an das Ziel geknüpft, jene Einteilung in „gut“ und „schlecht“ zu schaffen, da erstens alles andere keinen Sinn machen würde und um zweitens den SchülerInnen einen Anreiz zu geben, mehr Leistung zu bringen, da diese schließlich durch gute Noten belohnt werden, man also im Leistungsraster nach oben steigt. Schon hier wird, von der Grundschule an, ein kontinuierlicher Leistungsdruck geschaffen und eine Vorverteilung der SchülerInnen gemäß deren Leistungen getroffen. Hier endet der Traum von der Chancengleichheit, denn die unobjektiven Noten entscheiden über den beruflichen Werdegang der SchülerInnen. Der Willkür des Lehrers gegenüber einzelnen SchülerInnen ist Tür und Tor geöffnet.
Jene Vorsortierung, einerseits an Hand der verschiedenen Schultypen, andererseits innerhalb jener durch Notenvergabe, dient wirtschaftlichen Zwecken: SchülerInnen sind durch ihre schulischen Leistungen für spätere Tätigkeiten und Arbeitsverhältnisse prädestiniert; wer hier nicht zur Elite gehört, hat eben Pech. Dies ist ein fundamentales kapitalistisches Prinzip, welches bereits in der Schule praktisch vermittelt und umgesetzt wird; ständiger Leistungsdruck und wirtschaftliche Interessen an gut, d.h. je nach Bedarf auch weniger gut gebildetem Menschenmaterial stehen jedoch in grundsätzlichem Gegensatz zum eigentlichen Lernen und der Wissensvermittlung. Dies ist die Realität (nicht nur) deutscher Schulen. Schule ist eine Instanz kapitalistischer Hierarchie. Sie soll uns auf unsere spätere Bestimmung, das Dienen für jenes Systems, einstimmen bzw. uns dafür rüsten. Das Resultat ist stures Pauken im Rahmen eines autoritären, hierarchischen Mikrosystems. Einzelgängertum, Ignoranz und Egoismus sind Werte, die damit zu Tage gefördert werden..
Diese beschriebene Hierarchie wird innerhalb der Schule vor allem gesichert durch den Lehrer bzw. die Lehrerin als Autoritätsperson. Voraussetzung für das Funktionieren des Schulsystems ist ein kompromisslos funktionierendes Verhältnis Lehrer-Schüler in der Form, dass die Lehrkräfte als die Exekutive angesehen werden; sie vermitteln uns die Unterrichtsinhalte und setzen die Zielstellung der Schule am Objekt – also den SchülerInnen – um. Die regelrechte Indoktrination dessen, was einige als Wissen und Bildung ansehen – stures, starres Pauken – würde im Rahmen des aktuellen Schulsystems nicht reibungslos funktionieren, wenn der Lehrer mit weniger Autorität ausgestattet wäre. Dann nämlich ergäbe sich für die SchülerInnen eine Chance, sich selbst einzubringen und eigene Ansätze der Kritik wirken zu lassen. Solche Bestrebungen werden seitens der Lehrer unterdrückt. In der Schule geht es nicht um Selbstbestimmung. Der Autoritätsanspruch wird von etablierter Seite aus so gerechtfertigt, dass damit ein geregelter Schulablauf gesichert werden kann.
Der Anspruch, der der Schule von staatlicher Seite zugestanden wird – ein Ort sozialer Begegnung – ist damit eine hohle Phrase. Eine soziale Begegnung kann hier nur unter den Bedingungen eines unsozialen Leistungsregimes geschehen, in denen die Rollenverteilung feststeht. Das gemeinsame Miteinander beschränkt sich auf das Ausführen der den SchülerInnen zugedachten Aufgaben, nämlich kräftig zu pauken und die Autorität nicht in Frage zu stellen. Gleichzeitig sorgen LehrerInnen dafür, dass „Ausreißer“ wieder eingegliedert werden. Der Schüler/die Schülerin soll auch zu einem „mündigen Staatsbürger“ herangezogen werden, ganz im Sinne der ebenfalls eingangs erwähnten Haltungen wie z.B. Selbstdisziplin. Querdenker und Rebellen passen da nicht ins System, sie sind nicht im Sinne des Staates beschulbar und müssen wieder „auf die gerade Bahn“ zurückgeführt werden. Dies ist die Aufgabe der PädagogInnen, der LehrerInnen.
Durch die Autorität der Lehrkörper werden weitere Effekte nach sich gezogen: Willkür tritt auf, beispielsweise in der Benotung bestimmter SchülerInnen; die Aufgabe, alle SchülerInnen „auf Linie“ zu bringen, führt zur Gleichmacherei; in vielen Fällen tritt sogar eine direkte Ausgrenzung auf: „schwierige“ SchülerInnen werden übergangen, auch rassistische Kriterien spielen dabei nicht selten eine Rolle.
Es sollte bei aller notwendigen Kritik darauf hingewiesen werden, dass es falsch ist, Lehrkräfte zum zentralen Objekt der Kritik des Schulsystems zu machen. Richtig ist zwar, dass sie als Autoritätspersonen die Verbindung der Bildungsinhalte mit den SchülerInnen herstellen, doch sind sie nur ein Element von vielen – keinesfalls aber die oberste Instanz! Es ist denn auch nicht dienlich, unsere Kritik auf Personen zu fixieren, die zwar bereitwillig (und nicht selten besseren Wissens) dem System dienen, deren Bekämpfung es aber nicht verändern wird. In die Versuchung eben dieses fehlerhaften Ansatzes gelangen leider viele SchulkritikerInnen.
In die Gegebenheiten eines autoritär-hierarchischen Systems ordnen sich auch die (so genannten) Möglichkeiten der Mitbestimmung von SchülerInnen in der Schule ein. Dies bedeutet laut landesrechtlichem Schulstatut, dass der Schüler/die Schülerin innerhalb bestimmter Gremien selbst mitentscheiden und so den Schulalltag mitgestalten kann. Doch diese Möglichkeiten der Mitbestimmung – etwa als Klassen-/KurssprecherInnen bzw. VertreterInnen in SchülerInnenräten auf einzelschulischer, regionaler bzw. landesweiter Ebene – sind so undemokratisch wie der Rest an der Schule als Mikrosystem unserer Gesellschaft (und so undemokratisch wie eben die gesamte Gesellschaft). Die „schulische Demokratie“ hat einzig repräsentativen Charakter, die VertreterInnen besitzen in ihrer Funktion keine Macht, diese verbleibt in den Händen der entsprechenden Autoritätsträger, der Lehrkörper. Darüber hinaus beschränken sich die Aktivitäten der SchülerInnenvertretungen in der Praxis auf das Organisieren von schulischen Veranstaltungen; politische Aussagen sind dagegen oftmals unerwünscht. In diesem Sinne hat Schule nichts mit Demokratie zu tun. Es ist ein Ort, welcher durch das Fernbleiben von Möglichkeiten der aktiven Mitbestimmung genauso geprägt ist wie die gesamte Gesellschaft, in der die Schule existiert.
Möchte man all die genannten Aspekte nun auf einen Nenner bringen, muss man wieder an einem ganz fundamentalen Umstand anknüpfen: Schule bedeutet die Negation jeglicher kindlicher wie jugendlicher Freiheit. Durch den Zwangscharakter der staatlichen Schule werden Ansätze von Selbstbestimmung unterdrückt. Jegliches Handeln findet innerhalb eines vorgegebenen Rahmens statt, individualistische Ansätze werden durch strenge autoritäre Maßgaben unterdrückt. SchülerInnen sind gezwungen, sich über ihren Ellenbogen gegen andere durchzusetzen. Dies führt von jungen Jahren an zu permanentem Stress. Dadurch, dass alles auf die wirtschaftliche Nutzbarkeit des beschulten Humankapitals hinausläuft wird der eigentliche Zweck der Schule – Wissenserwerb frei von Verzweckung – ad absurdum geführt. An diese Stelle tritt eine ideologische Indoktrination der Ideale dieser kapitalistischen Gesellschaft und ein zwangsweise endloses Pauken. Kein Wunder also, wenn SchülerInnen die Schule nur noch Scheiße finden!
Liberalisierung des Schulsystems
Derzeitig hält der Staat das Monopol an Bildung. Doch auch wenn Schule Länder- und nicht Bundessache ist, werden damit weiter die Interessen des gesamten Staates und die der Wirtschaft befriedigt. Jene Dezentralisierung geht vielen jedoch noch nicht weit genug. Schaut man z.B. in die USA, erkennt man den intensiven Trend hin zur Liberalisierung des Schulwesens. In der Praxis bedeutet dies, dass der Staat sein Primat an Beschulung aufgibt und Bildungsanstalten dafür privatisiert. Ein erster Schritt auf dem Wege dahin sind die Einführung von Studiengebühren, die mittlerweile auch an vielen Standorten in Deutschland Realität sind. In Österreich gab es vor einiger Zeit sogar eine Debatte über die Etablierung von Oberstufengebühren. Wer die Sekundarstufe II bestreiten möchte, um das Abitur zu erlangen, müsste also blechen. Wie war das noch mit der Chancengleichheit?
Schon vor einiger Zeit ist die Schule bzw. Bildung allgemein in das so genannte GATS-Abkommen eingeflossen. GATS steht für „General Agreement on Trade in Services“ und stellt ein Handelsabkommen zwischen einzelnen WTO-Mitgliedsstaaten dar. Der Begriff der Schulbildung reiht sich in diesem hinter anderen als „Services“ bezeichneten Wettbewerbseinheiten ein. Schule wird damit zur Ware und hiermit Gegenstand des Wettbewerbes innerhalb und untereinander der GATS-Unterzeichnerstaaten. Ziel ist die Liberalisierung des Bildungssektors, angefangen bei der Erwachsenenbildung, also z.B. beim Studium. Wird dies auch auf den primären Bildungsweg ausgedehnt – und Bestrebungen in dieser Richtung bestehen offensichtlich -, ändert sich die Rolle der Schule in der Gesellschaft: SchülerInnen werden zu KundInnen, bekommen also von der Dienstleistungsfirma „Schule“ (natürlich nicht ohne Gegenleistung) Bildung vermittelt.
Entsprechend übernimmt die Wirtschaft die jetzige Rolle des Staates auf dem Bildungssektor gänzlich; die Zielsetzungen der Schulbildung würde sich insofern verschieben, als dass diese sich gänzlich an aktuellen, wirtschaftlichen Interessen orientieren würden. Schule würde also immer mehr zu einem Vorläufer späterer Berufsausbildung werden. Es wäre also eine weitere Verschärfung der jetzigen Situation, denn der Weg zur Umdefinition der Erziehung des „mündigen Staatsbürgers“ hin zum „unterwürfigen Arbeiter“ ist in der Tat weder lang noch holprig, verbergen sich doch im Grunde beide Begriffe ineinander.
Ein realistisch lautendes Szenario könnte folgendermaßen aussehen: es gibt in einigen Jahren nicht mehr „die Schule“, vielmehr existieren viele private Schulen, die um die Gunst zukünftiger SchülerInnen als deren KundInnen werben. Gewinn lässt sich für die privaten Investoren nur durch entsprechende Schulgebühren erzielen. Letztendlich würde sich also ein breiter Markt um die Kinder besser situierter Elternhäuser bilden, da sich hier das meiste Geld herausschlagen lässt. Dagegen würden Kinder aus Arbeiterfamilien mit einer wesentlich weniger qualitativen Bildung Vorlieb nehmen müssen; ihre Eltern könnten eine anständige Finanzierung einfach nicht leisten. Eine Situation, wie sie schon jetzt im Bereich der Hochschulen gängig ist: hier nämlich verzichten viele potentielle Studierenden auf ihr Studium, da sie sich dieses – trotz BaföG und anderer Scherze – nicht leisten können. Das Resultat wäre, dass Arbeiterkinder mangels Bildung auch niemals einen „besseren“ Job werden wahrnehmen können. Dies bliebe einzig den privilegierten SchülerInnen, also den Kindern reicher Familien vorbehalten.
Auch wenn durch den beschriebenen Weg der Liberalisierung des Bildungssystems der autoritär-staatliche Charakter der Schule entfallen würde, so würde sich nichts an der Rolle der Schule als Instrument des Marktes bzw. als Bestandteil des kapitalistischen Systems ändern. Aus diesem Grunde muss sowohl die Schule in ihrer jetzigen Form in Frage gestellt, als auch Pläne zur „Liberalisierung“ dieser bekämpft werden. Aus Schule auf Basis staatlichen Zwangs würde eine Schule zur Sicherung des Lebensunterhaltes ohne jegliche Chancengleichheit. Nichts von beiden kann eine Lösung sein.
Alternativen
Will man über Alternativen zur jetzigen Schule nachdenken, so muss man sich zunächst die Frage stellen, ob die Befreiung der Schule überhaupt möglich ist. Unter jetzigen Verhältnissen meine ich, dies guten Gewissens verneinen zu können. Es ist einerseits illusorisch, dass der Staat sein Monopol bereitwillig aufgibt und das Schulsystem im Sinne unserer libertären Forderungen abändert. Andererseits ist es unwahrscheinlich, dass es gelingen wird, unter kapitalistischen Bedingungen Gegenkonzepte dauerhaft und über einen Evaluierungszeitraum hinaus zu etablieren.
Es existieren eine Vielzahl von Ansätzen, um den Charakter der Schule dahingehend zu ändern, dass bestimmte Instrumente der Unterdrückung beseitigt werden. Ein in diese Richtung gehender Ansatz ist die Einführung der so genannten Gesamtschule als einzige Regelschule. Durch ein gemeinsames Lernen soll dafür gesorgt werden, dass jeder Schüler/jede Schülerin mit Hilfe der anderen seine/ihre individuellen Fähigkeiten ausprägen und einbringen kann. Durch das gegenseitige Sich-Ergänzen wird zu einer solidarischen Lerngemeinschaft an Stelle einer autoritären Schulklassenstruktur hingeführt, wodurch soziale Ausgrenzung – besonders im Umgang mit Behinderten – und Konkurrenzdruck überflüssig werden würden. Hierzu gehört auch die Anwendung alternativer pädagogischer Methoden auf kleine Lerngrüppchen, die gemäß ihrer Interessen und Fähigkeiten lernen können.
Der Umgang mit solchen Ansätzen ist schwierig, auch wenn es sich gut anhört. Man sollte sich die Frage stellen, ob ein minimalistischer Reformismus – bei allem Unrealismus – Sinn macht. Die Gesamtschule ist nur eine Idee von vielen, die oft und gern von KritikerInnen der Schule aufgegriffen wird. Doch auch hier bleiben Fragen unbeantwortet bzw. Grundwerte unangetastet; unberührt bleibt zum Beispiel die heikle Sache mit der Schulpflicht als eine fundamentale Negation unserer freiheitlichen Ansätze. Natürlich gibt es auch Schulkonzepte für ein gemeinsames Lernen außerhalb des Kapitalismus und frei von staatlicher wie wirtschaftlicher Verzweckung.
Zur Disposition steht aus anarchistischer Sichtweise deshalb nicht, ob und inwieweit man das jetzige Schulsystem verbessern kann, denn dies ist offensichtlich nicht möglich. Wir werden die Verankerung der Schule in ökonomischen Interessen auch auf lange Sicht nicht lösen können und derzeit läuft alles darauf hinaus, dass diese Bindung sogar noch verstärkt wird. Es bedarf ebenfalls keiner Diskussion, ob Bildung überhaupt nötig ist, denn dies ist sie auf jeden Fall – jeglicher gesellschaftlicher Fortschritt basiert auf einer Weiterentwicklung auf geistiger Ebene und damit auf erlerntem Wissen. Die Frage lautet, wie wir die Voraussetzungen schaffen, unter denen ein freies Lernen möglich ist – ohne Staat und Hierarchie.
Viele SchülerInnen äußern schon heute ihren Unmut über die Zustände des maroden Bildungssystems. Ihre Wut entlädt sich häufig in Gewaltaktionen, so genanntem Rowdytum. Einen Ausweg aus dem Stress und dem Zwang suchen zudem viele im Schwänzen, welches laut einer jungen Studie immer moderner zu werden scheint: schon 10 Prozent der FünftklässlerInnen bleiben teils regelmäßig dem Unterricht fern. Der Rest arrangiert sich, wobei das Nicht-Schwänzen nichts damit zu tun hat, die Schule toll zu finden.
Wie jedeR selbst mit dem Thema umgeht, kann nur der/die Betreffende für sich selbst entscheiden. Hier müssen Kompromisse getroffen werden. Die Alternative zur Akzeptanz der Schule unter kapitalistischen Bedingungen bedeutet eine kurzfristige Bildungs- und eine langfristige Chancenlosigkeit.
Eine erneute Diskussion des Themas der Schulkritik ist heute auf breiter Ebene nötig. Da ich die niederschmetternde Realität tagtäglich am eigenen Leib erfahre, bleibt mir nur zu hoffen, dass mein Text einen Beitrag dazu leisten kann.