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Zapatistas starten politische Offensive

Autonome Räteverwaltung in Chiapas trotz Armut und Repression etabliert / Proteste und Vernetzung in Cancún anlässlich der WTO-Tagung

| Luz Kerkeling (Gruppe B.A.S.T.A.), z.Z. Mexiko

Mexiko. Vom 8. bis 10. August feierten in Chiapas rund 20.000 Menschen die offizielle Installation der Selbstverwaltung der zapatistischen Bewegung. Die beeindruckenden Feierlichkeiten, an denen hauptsächlich Unterstützungsbasen der EZLN (Zapatistische Armee zur nationalen Befreiung) - aber auch die mexikanische und internationale solidarische Zivilgesellschaft teilnahmen, fanden in Oventik, im Hochland von Chiapas statt.

Die fünf aufständischen Regionen der Zapatistas werden nun von fünf „Juntas der guten Regierung“ koordiniert, die dazu da sind, die Entscheidungen der jeweiligen Basis umzusetzen – getreu dem zapatistischen Motto des „mandar obedeciendo“ (dt.: gehorchend Befehlen).

FunktionsträgerInnen, die im Sinne ihrer Basis unzufriedenstellend arbeiten, sollen – wie auch bisher auf Gemeinde- und Landkreisebene – jederzeit abgesetzt werden können.

Die zentralen Aufgaben der „Juntas“ sind Vermittlung bei in- und externen Konflikten, Annahme und gerechte Verteilung von Hilfsgütern, Überwachung überregionaler Projekte, Verhinderung von Korruption, Gewährleistung einer ausgewogeneren Entwicklung innerhalb der rebellischen Gebiete und Kontaktstelle für Solidaritäts- und Menschenrechtsorganisationen. Vor der Ausrufung der Juntas hatte die Bewegung mehrere Monate intensiv diskutiert und reflektiert, um ihre eigenen Strukturen – aber auch den Kontakt zu solidarischen Gruppen – zu verbessern. Aus den Fehlern und Irrtümern der eigenen Praxis, die die Zapatistas wie nur wenige Bewegungen öffentlich transparent machen, entstand nun dieser neue Schritt gesellschaftlicher Selbstorganisierung.

Die Juntas, die in den fünf Logistik- und Kommunikationszentren der Bewegung ansässig sind, werden aus Delegierten der jeweils zugehörigen autonomen Landkreise gebildet und wollen sich in Zukunft regelmäßigen Rotationsprozessen unterziehen. Diese fünf Zentren, bisher „Aguascalientes“ genannt, ließen die Zapatistas im Rahmen der Feierlichkeiten symbolisch „sterben“, um sogleich darauf die Geburt der neuen, umstrukturierten Zentren, der „Caracoles“ (dt. Schneckenmuschel), zu feiern. Das Symbol der Schneckenmuschel wählte die hauptsächlich aus Indígenas bestehende Bewegung, um ihr basisdemokratisches Selbstverständnis – das durch Zuhören und kollektive Entscheidungs- und Artikulationsprozesse gekennzeichnet ist – zu versinnbildlichen.

Mit dieser Erneuerung „formalisierten“ die Zapatistas ihre schon seit Jahren im Aufbau befindlichen Parallelstrukturen, die v.a. die Bereiche Gesundheit, Bildung, Rechtsprechung, Landwirtschaft und Verwaltung betreffen. Diese Strukturen sollen ausdrücklich auch Nicht-Zapatistas offen stehen, solange diese die EZLN-UnterstützerInnen nicht belästigen.

Die RebellInnen wehren sich so weiter gegen jegliche Einverleibungsversuche des politischen Systems – und trotz erheblicher Armut, Marginalisierung und der Repression in den rebellischen Gemeinden geht die Selbstorganisierung unter großen Mühen erfolgreich voran.

Die EZLN als Guerilla tritt nun noch weiter zur Seite, die Gemeinden verwalten sich noch stärker autonom und nur bei gravierenden Abweichungen von der zapatistischen Ethik will sich die politische Leitung der EZLN, die Comandancia (die aus rund 25 Personen besteht, die über hohes Ansehen in ihrer jeweiligen Herkunftsregion verfügen), in die Arbeit der Juntas einbringen.

Die EZLN, die seit Mitte Januar 1994 nicht mehr militärisch als Guerilla agiert hat, gab in diesem Kontext auch bekannt, dass sie ihre Kontrollposten zurückgezogen hat und nur noch bei Holz- und Drogenschmuggel bzw. im Falle von Angriffen auf ihre Gemeinden aktiv werden will. Sie warnte die Paramilitärs vor jedweden Aktivitäten, erteilte dem undemokratischen, ultra-neoliberalen „Modernisierungs“-Projekt Plan Puebla Panama – welches Staudämme, Biopiraterie, Ansiedlung von Billiglohnindustrie, Vertreibung, Monokulturen u.v.a. bedeuten würde – eine Absage und bezeichnete eine eventuelle Realisierung durch die mexikanische Regierung in ihren Gebieten als einen „Gang durch die Hölle“.

Doch die politische Offensive der Zapatistas stößt nicht nur auf Gegenliebe: In den vergangenen Wochen beklagten mehrere zapatistische Gemeinden die Zunahme militärischer und paramilitärischer Aktivitäten, auch konkrete Morddrohungen wurden ausgesprochen.

Proteste und Vernetzungen in Cancún

Während der Proteste gegen die (letztlich mehr oder weniger gescheiterte) Verhandlungsrunde der Welthandelsorgansiation (WTO) Mitte September 2003 im mexikanischen Cancún manifestierte sich die Tendenz, dass viele soziale Organisationen inzwischen nicht mehr auf die Reform der bestehenden politischen und wirtschaftlichen Strukturen hoffen, sondern durch Basis-Prozesse von unten die Welt verändern wollen. Oft geäußerte Kernforderungen waren die Abkehr von der kapitalistisch-kriegerischen Weltordnung, Handelsgerechtigkeit, globale Solidarität, Ernährungssouveränität, Selbstbestimmung sowie die Umsetzung von Frauen- und Indígena-Rechten. Viele der in Cancún anwesenden Gruppierungen bezogen sich explizit und positiv auf die politischen Vorschläge der EZLN, die immer wieder eine vielfältige und horizontale Vernetzung der verschiedenen Widerstandsbewegungen angeregt hat, um eine „Internationale der Hoffnung“ zu schaffen. Obwohl die Proteste zahlenmäßig geringer als erwartet ausfielen, war in Cancún zu spüren, dass intensive Organisierungs- und Vernetzungsprozesse weiterhin im Gange sind.

Die Zapatistas haben mit ihrem neuen ehrgeizigen – aber auch mühevollen und schwierigen – Projekt der Räteverwaltung in Teilen von Chiapas bewiesen, dass soziale Alternativen auch im Zeitalter einer aggressiven kapitalistischen Globalisierung möglich sind. Sie riefen Mexiko und die Welt dazu auf, ihrem Beispiel der Selbstverwaltung – je nach den örtlichen und sozialen Gegebenheiten – auf eigene Weise zu folgen.

Die Zapatistas haben der Linken so ein weiteres Mal vor Augen geführt, dass die Macht nicht übernommen werden muss, um die Welt zu verändern.