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Der DGB will den Sozialraub mitgestalten

| Horst Blume

Kein Tag vergeht, an dem die PolitikerInnen sich nicht gegenseitig darin überbieten, in allen Bereichen des sozialen Lebens den Rotstift anzusetzen. Der Generalangriff auf die sozialen Sicherungssysteme führte offensichtlich bei vielen Menschen zu einem Gefühl der Lähmung und des Ausgeliefertseins.

Deutliche Zeichen des Widerstandes werden immer noch viel zu selten sichtbar.

Das war nicht immer so. Noch 1996 demonstrierten Hunderttausende gegen die Sozialpolitik der CDU/CSU/FDP-Regierung. Inzwischen versucht der DGB den Sozialabbau mitzugestalten. Was ist geschehen? Die Sozialdemokratie ist inzwischen seit fünf Jahren an der Regierung. Seit über hundert Jahren besteht eine Aufgabenteilung zwischen SPD und Gewerkschaften. Während die Partei im parlamentarischen System agiert und politische Kompromisse eingehen musste, war die Gewerkschaft darauf ausgerichtet, die unmittelbare Lebenslage der Lohnabhängigen konkret zu verbessern. Beide Seiten verstanden sich als natürliche Verbündete, die sich gegenseitig die Bälle zuspielten.

Die enge Verflechtung der DGB-Gewerkschaften mit der Sozialdemokratie führte in sich zuspitzenden Krisen dazu, dass die „VertreterInnen“ der ArbeitnehmerInnen trotz unterschiedlicher Interessen die Politik der Partei mitgetragen haben. In Zeiten, in denen es noch etwas zu verteilen gab, hatte eine solche Politik noch einen gewissen Gestaltungsspielraum. Damit ist es jetzt vorbei. Das Kapital und seine neoliberalen Parteien wollen immer ungezügelter ihre Profite einstreichen.

Anpassung an neoliberale Ideologie

Der DGB kann dieser Entwicklung nicht mehr viel entgegensetzen. Er hat das Dogma der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland selbst verinnerlicht. Dabei wäre es seine Aufgabe gewesen, Alternativen zu und nicht innerhalb der nationalen Wettbewerbspolitik zu entwickeln.

Die „Logik des Marktes“ wird auch von ihm hingenommen und nicht hinterfragt. Als einer Organisation der Arbeitsplatzbesitzer sind ihm die Sorgen und Nöte der Erwerbslosen weitgehend fremd.

Auch in seiner Mitgliedschaft herrscht oft die Meinung vor, dass durch angeblich großzügige Sozialleistungen der Wille zur Arbeitsaufnahme bei Arbeitslosen gebremst würde. Die Vorstellung, dass der Einzelne allein für seine Arbeitslosigkeit verantwortlich sei, ist inzwischen im Bewußtsein vieler Gewerkschaftsmitglieder verankert. Das von der Kapitalseite gesteckte Ziel, die Lohnnebenkosten zu senken, wurde von weiten Teilen des DGB akzeptiert und machte ihn politisch wehrlos gegenüber Bestrebungen, aus der paritätischen Finanzierung der Rentenversicherung auszusteigen. Diese politische Selbstentwaffnung ist im letzten Jahr von ver.di-Chef Bsirske zwar hinterfragt worden, aber er hatte noch nicht einmal seine eigene Organisation vollständig hinter sich.

Widerstand gegen Hartz-Pläne verschlafen

Im Juni 2002 verkündete die rotgrüne Bundesregierung ihre Hartz-Pläne und damit den Beginn der schwersten Angriffe auf die Rechte der ArbeitnehmerInnen im Nachkriegsdeutschland. Kernpunkt dieser Vorschläge sind eine rigorose Ausweitung der Leiharbeit bei deutlich geringeren Bezügen, die Einrichtung von Personalserviceagenturen (PSA) und die deutliche Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien bei der Arbeitsvermittlung und die Erweiterung der finanziellen Sanktionen.

Wenige Tage nach Bekanntgabe dieser Vorschläge hatten die führenden Gewerkschaftsfunktionäre nichts besseres zu tun, als diese zu begrüßen und Mitwirkung und Zusammenarbeit anzubieten. Nicht nur weil die hinter den Hartz-Plänen stehende neoliberale Ideologie bereits in den vergangenen Jahren von Teilen des DGBs akzeptiert wurde, sondern auch die Aufgabe elementarster gewerkschaftlicher Grundsätze zugunsten der Unterstützung der SPD bei der kommenden Bundestagswahl haben zu dieser Entscheidung geführt.

Erst in den folgenden Wochen setzte ein langwieriger Diskussionsprozess in den Landesbezirken der Gewerkschaften über die Folgen und Konsequenzen der Hartz-Pläne ein. Während die Medienmaschinerie zur Propagierung dieser Pläne auf Hochtouren lief, wurde der Protest auf der Straße weitgehend kleinen (Arbeitslosen-)Gruppen überlassen. Bis die ersten kritischen Stellungnahmen von Landesverbänden größerer Gewerkschaften abgegeben wurden, vergingen geschlagene drei Monate! Die politische Entwicklung ist damit auch an den „Gewerkschaftslinken“ in einem rasenden Tempo vorbeigerauscht. Der verkrustete DGB-Apparat zeigte sich mal wieder unfähig, schnell und flexibel auf die Vorstöße von Kapital und Regierung zu reagieren, weil es viel zu lange dauerte, bis der Unmut von Teilen der Basis in den oberen Gremien in handfeste Beschlüsse umgesetzt wurde.

Wenn erst am 16. 9. 2002 der Bezirksvorstand von ver.di Südhessen durchaus treffsicher und radikal Kritik an den Hartz-Plänen übte, so konnte hiermit kaum noch Einfluss auf den eingeschlagenen Weg genommen werden: „Vor diesem Hintergrund ist es ein Skandal, dass die Führungen von DGB und Einzelgewerkschaften ihre grundsätzliche Unterstützung für die Pläne der Kommission erklärt haben. Die Hatz-Pläne sind nicht zu verbessern, sie müssen abgelehnt und mit allen notwendigen Mitteln bekämpft und gestoppt werden“ (aus „Express“ 9/2002).

Mit der 40.000 TeilnehmerInnen umfassenden Demonstration am 14. 9. 2002 in Köln gelang im Vorwahlkampf nur eine relativ oberflächliche und wenig konkrete Verbindung von Gewerkschafts- und Antiglobalisierungsbewegung. Dies ist auch kein Wunder. Die diversen Arbeitszusammenhänge der Gewerkschaftslinken führen allenfalls ein Nischendasein innerhalb des DGB. So tagte beispielsweise im September 2002 die Arbeitsgruppe Sozialpolitik der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken nach zwei Jahren zum ersten mal wieder mit nur einer Handvoll Aktiver. Am 12. Oktober 2002 kamen auf der 5. bundesweiten Konferenz der Gewerkschaftslinken trotz der dramatischen Lage lediglich 120 Menschen zusammen. Bei einer derartigen Marginalisierung linker Positionen sind innerhalb des DGB kaum große Mobilisierungserfolge möglich.

Generalstreik!?

Bei der zum Teil komplizierten tarifrechtlichen Materie und den sich beinahe täglich ändernden Detailvorschlägen von Kapital und Politik war es für einen Großteil der Bevölkerung ohnehin schwierig genug, die Konsequenzen der Hartz-Pläne in vollem Umfang zu erfassen.

Umso überraschender, dass von verschiedenen Seiten in den folgenden Monaten die Forderung nach einem Generalstreik aufkam.

Von etlichen TeilnehmerInnen einer mit 500 Menschen besuchten Veranstaltung des Anti-Hartz-Bündnisses Berlin wurde er im Dezember 2002 gefordert. Seit dem 14. Mai 2003 schlägt das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ einen 24stündigen Generalstreik vor und stellt auf ihrer Homepage Musteranträge für die diversen Gewerkschaftsuntergliederungen vor. Im gleichen Monat schloss sich die Bundesjugendkonferenz von ver.di dieser Forderung an. Im August 2003 appellierte eine Aktionskonferenz linker GewerkschaftlerInnen in Frankfurt dafür, nicht mehr auf Vorgaben von oben zu warten, sondern verstärkt Aktionen zu organisieren und einen Generalstreik vorzubereiten. – Was ist davon zu halten?

Als aufrüttelnde Forderung, die die bisherige gefährliche Entwicklung dramatisiert und den Widerstandswillen unterstreicht und natürlich als letztendliches Ziel ist in dieser Auseinandersetzung ein Generalstreik sicherlich sinnvoll. Allerdings habe ich meine Zweifel, ob ausgerechnet der DGB, der so oft schon zur Demobilisierung der Arbeiterbewegung beigetragen hat, zu einer solchen Aktion fähig wäre. Bisher hat er sich noch nicht einmal zu einer offiziellen Unterstützung der Demonstration am 1. November in Berlin durchringen können, weil er Angst vor der entstehenden Eigendynamik und den Verlust der Kontrolle hat. Ein so weitgehender Schritt müsste unabhängig von dem größten Teil der Gewerkschaftsführung erfolgen.

Eine gesellschaftliche Kraft, die dies vollbringen könnte, sehe ich leider zur Zeit noch nicht.

Der DGB tarifiert Leiharbeit

Anfang 2003 hat der DGB sein Ziel „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ über Bord geworfen.

Mit den Hartz-Plänen akzeptierte er branchenübergreifend und flächendeckend Niedriglöhne für Leiharbeit und PSA-Jobs.

Mit der vom DGB abgesegneten Tarifierung können jetzt Hungerlöhne an der Armutsgrenze gezahlt werden. Da die Menschen nicht freiwillig in eine PSA gehen, sondern hierzu gezwungen werden, sind sie der unternehmerischen Willkür schutzlos ausgeliefert. Durch die schrittweise Umwandlung von festen Stellen in befristete Leiharbeitsstellen werden immer mehr Menschen in ein prekäres Beschäftigungsverhältnis gedrängt. Schon heute erhalten in Westdeutschland rund 6,3 Millionen ArbeitnehmerInnen (also ein Drittel der Vollzeitbeschäftigten) einen Niedriglohn, der weniger als 75 % des durchschnittlichen effektiven Vollzeitverdienstes ausmacht (Junge Welt,5.8.03).

Perspektiven

Die halbherzigen regionalen DGB-Proteste im Mai 2003 mit bundesweit nur 70.000 Beteiligten hatten nur die Funktion, folgenlos Dampf abzulassen. Der Sonderparteitag der SPD am 24. Mai 2003 wäre für den DGB eine gute Gelegenheit gewesen, gegen die Agenda 2010 machtvoll zu demonstrieren. Stattdessen hatte er die Unterstützung für die dort geplante Gegenkundgebung verweigert, sodass nur ein kleines Häufchen von eintausend Menschen dort demonstrierte. Wie bekannt, segnete die SPD mit 90prozentiger Mehrheit den Sozialkahlschlag ab.

Während in dieser Zeit in Europa und sogar in Österreich machtvolle Generalstreiks und Kundgebungen gegen die geplanten Einschnitte ins soziale Netz stattfanden, blockte der DGB im Sommer 2003 alle Mobilisierungen rigoros ab. DGB-Chef Sommer sagte ein vereinbartes Treffen mit dem Arbeitslosenverband Ende Juli 2003 einfach ab und verkündete im August, die Gewerkschaften seien nicht „die APO der Nation“!

Soviel Untätigkeit und Selbstaufgabe hat inzwischen doch noch zu einer gewissen Unzufriedenheit bei vielen ArbeitnehmerInnen geführt. Gewerkschaftslinke, Arbeitsloseninitiativen und ATTAC bereiteten ohne den offiziellen DGB-Segen die regionalen Aktionen am 20.10. und die Demonstration am 1. 11. vor. Unabhängig vom Resultat dieser Mobilisierungen stellt sich die Frage, welchen Stellenwert die Organisation DGB in Zukunft noch haben kann, wenn die wichtigsten Aktivitäten gegen den Sozialabbau sowieso weitgehend ohne ihn laufen müssen und sich bestenfalls kleinere aufmüpfige Untergliederungen an ihnen beteiligen. In der jetzigen Situation besteht durch die immer dreisteren Angriffe auf die sozialen Sicherungssysteme die Möglichkeit, dass viele Menschen in diesem Land endlich wieder lernen müssen, ihre sozialen Interessen in die eigenen Hände zu nehmen, wenn sie nicht in die Armut abgleiten wollen. Sehr schnell könnten dann immer mehr Menschen die Frage stellen, wozu dieser DGB noch gebraucht wird und sich auf breiterer Ebene auf die Suche nach alternativen Modellen von Basisgewerkschaften begeben (siehe GWR Nr. 281). Artikuliert hat dies bereits Mag Wompel von LabourNet:

„Wenn es nun aber gar nicht mehr klappen sollte, den Patienten ‚existierende Gewerkschaften‘ gegen seinen Willen am Leben zu erhalten, dann sollten wir auch endlich hier den französischen Weg ausprobieren, also neue Gewerkschaften gründen und soziale Streiks organisieren.“ (JW vom 22. 3. 2003)

Anmerkungen

Anm. d. GWR-Red.: Die anarchosyndikalistische Freie ArbeiterInnen Union (FAU) mobilisiert zu einem anarchistischen Block auf der bundesweiten Demo gegen die "Agenda 2010" am 1. November in Berlin, 13 Uhr, Alexanderplatz. Ihr lesenswertes, kostenloses DA-Extrablatt zum Thema kann bestellt werden bei:

Direkte Aktion
Straßburger Str. 38
10405 Berlin
da-schlussredaktion@fau.org

Infos zur Demonstration gegen Sozialkahlschlag am 1.11. in Berlin: www.labournet.de
www.Demo-gegen-Sozialabbau.de