Yonathan (Yoni) Ben-Artzi wurde im August 2002 vom israelischen Militär inhaftiert (vgl. GWR 271-279). Nach sieben Monaten im Gefängnis wurde der Pazifist im April vor einem Militärgericht angeklagt und ist seitdem auf einer Militärbasis in Haft. Am 8.Oktober wurde sein Prozess mit dem Plädoyer seines Verteidigers abgeschlossen, die Entscheidung der Richter jedoch vertagt. Der Ausgang des Verfahrens und das weitere Vorgehen der Armee in diesem Präzedenzfall waren damit zum GWR-Redaktionsschluss weiter unklar.
Für das „Konzert für Frieden im Nahen Osten“ am 27. September in Paris hat Yoni die folgenden Grußworte geschrieben, die von seinem Vater vorgetragen wurden:
Fünfzig Jahre sind seit der UN Entscheidung den Konflikt in Palästina durch eine Teilung zu lösen vergangen und nichts hat sich verändert:
Der Konflikt ist so gewaltsam und so bedrohlich, wie er es immer war, und die Lösung scheint so weit entfernt, wie sie es bereits vor zwei Generationen war. Jedoch sollten wir nie die Hoffnung verlieren. Wir sollten nie den Glauben an die Aussicht auf Frieden verlieren. Unsere Hoffnung auf Frieden entspringt aus einem tiefen Glauben an das grundsätzliche Gute aller Menschen und dass sie das Recht dem Unrecht vorziehen.
Für viele Jahre haben die zwei Völker unter Kriegen und Gewaltakten gelitten, die zu Tod, Exil und Leid von Millionen führten. Heute, so glaube ich, ist es an uns, den Israelis, der stärkeren Seite, dem Befehl des Dichters des Psalmes zu folgen: „Suche Frieden und jage ihm nach …“
Der Staat Israel, der nach dem Holocaust gegründet wurde, hat den Grundrechten auf Gleichheit, Freiheit und Respekt gegenüber allen seinen StaatsbürgerInnen die Treue geschworen. Als eine dieser Freiheiten sollte die Freiheit des Gewissens respektiert werden. Es ist das individuelle menschliche Gewissen, das als grundlegendes Werkzeug unserer Gesellschaft auf der Suche nach moralischer Führung dienen sollte.
Inzwischen bin ich seit über einem Jahr ein Gefangener aus Gewissensgründen, meiner individuellen Freiheit beraubt – dies ist nicht einfach. Von meinem eigenen Land wegen meines tiefen Glaubens an Gewaltfreiheit vor ein Militärgericht gestellt zu werden, scheint absurd und sinnlos. Den Kampf für meine Sache werde ich fortführen und werde dabei bestärkt durch meine tiefgründige Überzeugung, dass Frieden die einzige Hoffnung für mein Land ist und durch das Bewusstsein, dass ich nicht alleine bin. Da sind meine Mitgefangenen aus Gewissensgründen NOAM BAHAT, MATAN KAMINER, ADAM MAOR, HAGGAI MATAR und SHIMRI TZAMERET. Da sind die treuen UnterstützerInnen in Israel und im Ausland, Einzelpersonen und Organisationen … Diese Versammlung und Sie, die Anwesenden, sind das Beste worauf wir hoffen können – als eine Geste der Solidarität mit uns und mit denen die ihrer grundlegenden Menschenrechte beraubt sind, den Palästinensern.
Das letzte Jahr im Gefängnis bot mir ausreichend Gelegenheit zu reflektieren was richtig und was falsch ist, was edel ist und wann man sich für sein Tun oder Mitwirken schämen sollte und wie mit diesen ernsten Themen in dem Land, in dem ich geboren wurde, umgegangen wird. Ich habe gelernt meinen persönlichen Groll gegen die Personen, die für meine Inhaftierung verantwortlich sind, zu überwinden. Es ist sogar unbedingt erforderlich den weiteren Zusammenhang zu berücksichtigen.
Israel, mein Land, ist ein Land in dem tausende Menschen ohne Gerichtsverfahren und gegen jede menschliche Moral inhaftiert sind und derzeit wird eine Mauer gebaut um ein ganzes Volk einzusperren. Es ist ein Land, welches eine Million seiner StaatsbürgerInnen wie ein fünftes Rad am Wagen behandelt, die Leben seiner dreieinhalb Millionen palästinensischen NachbarInnen kontrolliert und ihnen so jede erkennbare Hoffnung raubt. Ich stimme mit dem klugen Henry David Thoreau überein, der vor 150 Jahren schrieb, dass der einzige Platz, der einer ehrlichen Person heutzutage bleibt, hinter Gefängnismauern ist. Außerdem, so Thoreau, muss jemand damit er ernsthaft gegen Ungerechtigkeit sein kann, selber Ungerechtigkeit erlitten haben.
Die Ungerechtigkeit in diesem kleinen Land ist in einem solchen Maß angewachsen, dass fast keine Gerechtigkeit mehr zu finden ist. Man findet nur sehr wenige tugendhafte Menschen, die imstande sind den Gewalttätern zu widerstehen. Generäle und Offiziere sind die Männer der Stunde. Macht und Rache bestimmen die Politik. Die Menschen, die Millionen gewöhnlicher Israelis die leben und lieben, arbeiten und ihre Kinder großziehen – sie sind diejenigen, die sich diesem Übel hätten widersetzen sollen… Bedauerlicherweise ist dies noch nicht der Fall.
Vor einigen Wochen, wurde in Tel Aviv unter dem Motto einer „Love Parade“ eine Sommerparade veranstaltet. Fast eine Viertel Million Menschen besuchten diese Parade. Zu etwa derselben Zeit war eine Demonstration, auch in Tel-Aviv: eine Demonstration für Frieden, gegenseitiges Verständnis, für ein Ende der Gewalt, für Echte Liebe – Liebe zu Mitmenschen, Liebe zum Leben. Nur zweihundert Personen fanden, diese Demonstration sei es wert, an ihr teilzunehmen. Die vielen Tausend auf der so genannten „Love Parade“ kamen nicht für irgendeine aufrichtige Form von Liebe. Sie waren dort ausschließlich zu ihrem eigenen Privatvergnügen. Was sie nicht sahen war, dass sie nicht alleine dort waren. Jeder einzelne von ihnen nahm in Kauf, dass nur wenige Kilometer entfernt, Menschen unter Ausgangssperre gestellt wurden. Aber es war einfacher dies zu ignorieren, die Party hätte sonst ruiniert werden können.
Die Paraden-Gänger stellten sich als Repräsentanten des gewaltfreien, das Leben liebenden Teils der Gesellschaft dar. Jedoch wurden, um dieses angenehme Selbstbild nicht zu zerstören, die zweihundert anderen DemonstrantInnen, die versuchten unsere Gesellschaft aufzuwecken und zur Betrachtung des Übels in ihr zu bewegen, geächtet, als Verräter dämonisiert und dafür gehasst, die „Nationale Moral“ zu unterminieren.
Was für eine „Moral“ ist das?
Es ist die „Moral“ eines Riesen, einer Bestie mit verbundenen Augen, die versucht ihre Nachbarn zu beherrschen, in dem Glauben sie sei von einer feindlichen Welt umgeben. Wenn sie sich von der Augenbinde befreien würde, sähe sie eine Welt die bereit ist neben ihr in Frieden zu leben. Doch so lange sie diese Realität nicht erkennt, wird es immer solche geben, die versuchen ihr zerstörerisches Wüten zu stoppen, so wie David Goliath besiegte. Zum Unglück für die Menschen dieser Region verlieren viele ihr Leben, und die Augenbinde ist immer noch da, fest und straff über den Augen des Riesen.
Je weiter ein Krieg davon entfernt ist die letzte Möglichkeit zum Schutz der eigenen grundlegenden Menschenrechte zu sein, desto weiter ist er von Gerechtigkeit entfernt. Der Krieg, den Israel seit zwei Generationen kämpft ist immer weiter und weiter von Gerechtigkeit abgetrieben, bis zu dem Punkt an dem er ausschließlich darauf abzielt, die Privilegien einiger, auf Kosten der Inhaftierung anderer, zu erhalten. Das Privileg, das dieser Krieg versucht aufrecht zu erhalten, ist das alleinige Eigentum des Landes vom Meer bis zum Jordan. Israels Führung hat seine jüdische Bevölkerung manipuliert und zu dem Glauben gebracht, dass ein Teilen dieses Eigentums – und der demokratischen Rechte – ihre Existenz gefährden würde. Das Gegenteil ist der Fall – es ist der einzige Weg zur Selbsterhaltung.
Es gibt letztlich nur einen Weg mit dem Gegner umzugehen: Frieden und Gewaltfreiheit. Wer es schafft einen hohen moralischen Standard anzunehmen, und zwar einen Standard sittlicher Moral anstelle einer „Moral“ (nämlich der Disziplin; im englischen Wortspiel mit „moral“ und „morale“, der Übersetzer), wird so auf äußerst effektive Weise die andere Seite davon überzeugen können die eigene Augenbinde abzunehmen.
Die Zeit vergeht und mehr und mehr betrübt mich die sich abzeichnende Tatsache, dass sich weder der israelische noch der US-amerikanische Riese ihre Augenbinden freiwillig abnehmen werden. So lange sich die Mehrheit der Menschen nicht aktiv an der Suche nach Frieden beteiligt wird dieses Land weiterhin von Krieg geplagt werden. Wie Edmund Burke schrieb: „Für den Triumph des Bösen genügt es, wenn die guten Menschen nichts tun.“
Wie die Dinge schließlich enden werden? Das wird nur die Zeit zeigen. Doch trotzdem müssen wir, die klar sehenden Menschen der Welt, an eine friedliche Zukunft glauben und uns bemühen diese Zukunft zu bauen. Denn wenn wir dies nicht tun, wird das Blutvergießen sicher weitergehen.
Anmerkungen
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