Fast täglich berichten die Massenmedien über Terroranschläge durch palästinensische SelbstmordattentäterInnen in Israel einerseits und über die staatsterroristischen Aktionen der israelischen Armee in den besetzten palästinensischen Gebieten andererseits. Nur selten wird dagegen über den Zivilen Ungehorsam gegen den Krieg berichtet.
Vor einigen Tagen wurde für die Weltöffentlichkeit sichtbar, dass es gewaltfreien Widerstand und Protest gegen die gewalttätige Eskalation auf beiden Seiten gibt. Am 24. September 2003 bekam die Refusenik-Bewegung frischen Wind. 27 Piloten der israelischen Luftwaffe gaben eine nahezu wortgleiche Erklärung ab: „Wir verweigern Angriffe in den besetzten Gebieten. (…) Diese Aktionen sind illegal, unmoralisch und ein direktes Resultat der anhaltenden Besetzung, welche die gesamte israelische Gesellschaft korrumpiert. Die fortwährende Okkupation schadet der Sicherheit und moralischen Kraft Israels in fataler Weise“.
Während sich Intellektuelle wie z.B. Moshe Zuckermann hinter die Verweigerer stellen, empört sich die politische Rechte in Israel. Texte und Bücher von Refusenik-UnterstützerInnen sollen aus den Schulbüchern und Bibliotheken verbannt werden. Der Zivile Ungehorsam der „Verräter und Patrioten“ (Der Spiegel 41/03) erschüttert den Staat Israel offenbar mehr als die Terroranschläge und Selbstmordattentate.
Die gewaltfreie Widerstandsbewegung in Israel ist stärker als es in Europa wahrgenommen wird. Schon im Februar 2002 machten israelische Reserveoffiziere auf sich aufmerksam. Sie veröffentlichten eine Erklärung, dass sie sich ab sofort weigern würden, „illegale und unmoralische“ Militäraktionen in den besetzten Gebieten durchzuführen. Bis heute haben sich rund 550 ReservistInnen und aktive SoldatInnen diesem Aufruf angeschlossen. Am 20. September demonstrierten 10.000 Menschen in Tel Aviv gegen die Kriegspolitik und für eine friedliche Konfliktlösung.
Die Friedensbewegung richtet ihre Kritik nicht nur gegen die Sharon-Regierung. In einem offenen Brief, der auch in den meisten palästinensischen Medien veröffentlicht wurde, riefen rund 100 israelische Kriegsdienstverweigerer zu einem Ende der Selbstmordattentate auf: „Die Selbstmordattentate palästinensischer Organisationen töten unschuldige Menschen: Kinder, Alte, Männer und Frauen, Juden, Araber und ausländische UnterstützerInnen und GegnerInnen der Besatzung. Diese Aktionen sind nicht moralisch (…) sie sind kaltblütig, töten unterschiedslos. Die zufälligen Morde erschrecken die meisten Israelis, was die Rechtfertigung der Besatzung für Sharon und seine Kollegen sehr viel einfacher macht.
Wir Verweigerer zeigen uns für das, was in der israelischen Gesellschaft geschieht, verantwortlich und sind bereit, mit unseren Widerstandshandlungen einen Preis dafür zu bezahlen (…) wir glauben, dass der palästinensische Kampf, wenn er auf die Verletzung von Zivilpersonen verzichtet, an Zielgerichtetheit gewinnen wird. Demonstrationen, Generalstreiks und gemeinsame Aktivitäten mit der israelischen Friedensbewegung sind sehr viel effektivere Widerstandshandlungen als irgendein Selbstmordattentat.“
Weder die Regierung des rechten Ex-Militärs Sharon, noch Arafats Autonomiebehörde, noch die fundamentalistischen Terrorgruppen Hamas und Dschihad sind positive Bezugspunkte. Nur der Zivile Widerstand kann den Weg für eine friedliche Lösung des Konflikts aufzeigen. Unsere Solidarität verdienen die antimilitaristischen AktivistInnen, Refuseniks und Graswurzelrevolutionäre wie Yoni Ben-Artzi. In einem bewegenden Brief (siehe Seite 1 f. in dieser GWR) bezieht sich Yoni auch auf Henry David Thoreau. Auch im Sinne Yonis dürfte das folgende Thoreau-Zitat Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat aus dem Jahre 1849 sein:
„Muss der Bürger auch nur einen Augenblick, auch nur ein wenig, sein Gewissen dem Gesetzgeber überlassen? Wozu hat denn jeder Mensch ein Gewissen? Ich finde wir sollten erst Menschen sein, und danach Untertanen. Man sollte nicht den Respekt vor dem Gesetz pflegen, sondern vor der Gerechtigkeit. Nur eine einzige Verpflichtung bin ich berechtigt einzugehen, und das ist, jederzeit zu tun, was mir recht erscheint. Man sagt, dass vereinte Masse kein Gewissen hat – und das ist wahr genug; gewissenhafte Menschen aber verbinden sich zu einer Vereinigung mit Gewissen. Das Gesetz hat die Menschen nicht um ein Jota gerechter gemacht; gerade durch ihren Respekt vor ihm werden auch die Wohlgesinnten jeden Tag zu Handlangern des Unrechts.“