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Rosenstraße als Kinofilm

| Johanna Hellkerns

Margarethe von Trotta (Regie) Rosenstraße, D 2003.

Nach dem Tod ihres Mannes besinnt sich die New Yorkerin Ruth Weinstein auf die Ausübung jüdisch-orthodoxer Kulte. Eine nach religiösen Riten organisierte Familienfeier verläuft jedoch nicht reibungslos. Denn Ruths erwachsene Tochter Hannah rebelliert gegen das angeordnete religiöse Fest. Sie fragt herausfordernd, warum die Mutter plötzlich diese Anwandlungen aufgesetzter Frömmigkeit hat.

Haben sie vielleicht mit dem kürzlich verstorbenen Vater zu tun?

Doch da besteht eigentlich kein logischer Zusammenhang. Beide Eltern hatten, soweit sich Hannah erinnern kann, noch nie eine orthodoxe Position vertreten und waren religiös stets tolerant eingestellt gewesen. Als die Mutter Hannah auch noch die Heirat mit ihrem langjährigen Freund verbietet, weil der „kein Jude“ ist, reicht es der Tochter endgültig.

Sie beginnt nachzuforschen, warum sich ihre Mutter plötzlich so abschottet und auf interessierte Nachfragen mit eisernem Schweigen reagiert. Über einen verwandtschaftlichen Kontakt und entsprechende Auskünfte der New Yorker jüdischen Gemeinde erfährt Hannah, dass ihre Mutter vor ihrer Emigration in die USA in Berlin gelebt hatte, bei einer „arischen“ Frau namens Lena Fischer. Diese hatte im März 1943 das damals siebenjährige Mädchen Ruth zu sich genommen. Ruths Mutter Miriam Süßmann war in den ersten Märztagen 1943 von den Nazis nach Auschwitz deportiert worden.

Handelt es sich bei diesem Film nun vorrangig um die Recherchen einer jungen Frau, die wichtige Bestandteile aus dem Leben der eigenen Mutter und den damit verbundenen Ereignissen in der Zeit des Nationalsozialismus aufdecken möchte? Das lassen zumindest die Anfangsszenen dieses Films vermuten. Hannah Weinstein entschließt sich dazu, selbst nach Berlin zu reisen, um dort die 90-jährige Lena Fischer anzutreffen. Sie will nähere Informationen über die Situation der Mischehen im „Dritten Reich“ erhalten. Die beiden Frauen gehören unterschiedlichen Generationen an, doch ihre Begegnung verläuft offen und unverstellt. Sie können über die bedrückenden Ereignisse von damals sprechen und in der Person von Lena Fischer lernt Hannah jemanden kennen, die im Gegensatz zu ihrer Mutter bereit ist zu erzählen. Lena Fischer berichtet jedoch zur Überraschung Hannahs weniger vom Leben ihrer Mutter, sondern vor allem von den Ereignissen um den Widerstand der Frauen in der Rosenstraße.

Die damals 33-jährige, mit einem jüdischen Musiker verheiratete Pianistin gehörte zu den Mitinitiatorinnen dieser gewaltlosen Aktion „arischer“ Frauen und der sich dem Protestbündnis zugesellenden Kinder. Die mehrere Tage dauernde Widerstandsaktion gegen die Nazis ereignete sich mitten in Berlin vom 27. Februar bis zum 6. März 1943.

Margarethe von Trottas Filmdrama zeigt meines Erachtens keine naiv geschilderte HeldInnengeschichte einer ausgewählten Schar „arischer“ Frauen, die ihre jüdischen Ehemänner aus dem NS-Sammellager der Rosenstraße 2-4 retten wollen. Die entsprechenden Filmszenen schildern realistisch, wie sich die am Widerstand beteiligten Menschen mit ihren Gefühlen der Angst und Verzweiflung auseinander setzten. Der anfängliche Zustand der Vereinzelung wird überwunden, indem die Suche nach den von Gestapo und SS verhafteten jüdischen Ehepartnern sich zu einer gemeinsamen politischen Aktion enger Verbündeter entwickelt.

In der Rosenstraße 2-4, einem von der SS beschlagnahmten Behördenhaus der Berliner jüdischen Gemeinde, werden seit Ende Februar 1943 2000 Menschen jüdischer Herkunft Frauen, Männer, Kinder tagelang zusammengepfercht gefangengehalten. Die Panik der draußen bei Frost und Kälte wartenden Frauen nimmt zu, als zu ihnen die Nachricht durchdringt, dass bereits mehrere Verhaftete nach Auschwitz deportiert worden sind. Auch Ruth Weinsteins Mutter gehörte zu diesen Menschen, für die überhaupt keine Aussicht mehr auf Rettung bestand. Ihr so genannter arischer Ehemann hatte sich aus Karrieregründen von ihr scheiden lassen. Ihre Geschichte ist nur ein Beispiel dafür, dass es für Juden und Jüdinnen keinen Schutz vor Verfolgung gab, auch wenn sie einen so genannten arischen Ehepartner hatten. Die bürokratisch organisierte Todesspirale des nationalsozialistischen Systems zerstörte bewusst jede Art der Bindung aus Freundschaft oder Liebe. Die Wirklichkeit des Protests in der Rosenstrasse verkörpert hingegen das Gegenteil zu dieser gewollten Auflösung von Netzen sozialer Beziehungen. Die zum Widerstand entschlossenen Frauen berufen sich nicht auf ein angebliches „Arierinnentum“, wenn sie geschlossen und mit lauter Stimme die Freilassung ihrer Männer fordern. Und sie lassen sich auch nicht durch Warnschüsse aus den von SA-Soldaten auf sie gerichteten Maschinengewehren einschüchtern. Diese historische Tatsache der widerstehenden Kraft der Menschen bewirkt schließlich die Entscheidung der SS-Behörden, ab dem 6. März 1943 die Inhaftierten der Rosenstrasse Stück für Stück freizulassen.

Die verschiedenen, miteinander kommunizierenden Zeitebenen im Film ermöglichen der / dem Zuschauer/in eine bestimmte Form der distanzierten Betrachtung. Andererseits wird man/frau aufgrund der Intensität der Dramatik stark emotional angesprochen. Der Weg zurück in eine schwer lastende Vergangenheit des „Dritten Reiches“ wird der einzelnen Zuschauerin nicht erspart. Gleichzeitig wird sie mit in den Sog der Ereignisse um den Widerstand in der Rosenstraße gerissen.

Vermisst habe ich in diesem Film die Darstellung der konkreten Lebenssituation jüdischer Menschen im Berlin der 40er Jahre. Zudem erfährt man/frau nur wenig über die so genannte „Fabrikaktion“, deren Ziel es war, die jüdischen ZwangsarbeiterInnen in den Berliner Rüstungsbetrieben nach Auschwitz zu deportieren. Betroffen waren nicht nur die „Geltungsjuden“, wie sie genannt wurden, die mit so genannten arischen Partnern verheiratet waren. Bis zum Jahresende 1943 wurden an die 10000 Berliner Juden und Jüdinnen deportiert, bis zum 6. März waren es bereits über 7000 gewesen. Obwohl der Film einige Einblicke in die Lage der Verfolgten gibt also durchaus in zweiter Linie ein Film über die Vernichtung der Juden/Jüdinnen ist – , bleibt er in diesem wichtigen Bereich vorwiegend auf einer Klischeeebene.

Nach den politischen Ursachen der Auslöschung jüdischer Existenz wird nicht weiter gefragt. Ein positiver Charakterzug dieses Films ist hingegen, dass man/frau dazu motiviert wird, selbst Stellung zu beziehen und sich mit dem Gesehenen unausweichlich auseinandersetzen muss.

Anmerkungen

Zum Thema siehe auch: William Wright: Um die Erinnerung kämpfen. Vor 60 Jahren: Der Widerstand der Frauen in der Rosenstraße, in: GWR 277, März 2003, S. 1, 10f.