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150 mit dem Wendlandpass

... saßen auf der Schiene und erzählten sich was...

Eine Aktion nicht für andere organisieren, sondern mit anderen durchführen - das hatten sich für diesen Castor viele der Menschen vorgenommen, die in den letzten Jahren die großen gewaltfreien Sitzblockaden von X-tausendmal quer organisiert hatten. 80 Menschen waren es, die sich am Samstag abend in Hitzacker zur "Offenen Aktionsplattform Ziviler Ungehorsam" trafen. Bis Dienstag morgen wuchs die Gruppe auf 150 Menschen an. In 14 Bezugsgruppen bereiteten wir miteinander eine gewaltfreie Schienenblockade vor.

Am Dienstag um 9.45 Uhr trafen im kleinen Ort Rohstorf bei Dahlenburg dutzende von Autos der Aktionsgruppe gleichzeitig ein. Nach kurzem Sammeln machten wir uns auf den Weg zum Gleis. Polizei war zwar vor Ort, machte aber nicht den ohnehin aussichtslosen Versuch, uns am Betreten der Gleise zu hindern. Nachdem auch einige NachzüglerInnen angekommen waren, saßen wir als komplette Aktionsgruppe mit 150 Leuten auf dem Castorgleis. Und das Timing war gut: der Castorzug verließ um 10.24 Uhr Lüneburg und musste dann vor unserer Blockade halten.

Luftballons und Seifenblasen symbolisierten die Schönheit und Lebensfreude, die uns immer wieder Kraft zum Widerstand gegen die Pläne der Atomindustrie geben. Fröhliche und ruhige Lieder prägten die Stimmung. Vor laufenden Fernsehkameras begann dann die Polizei mit einer Räumung, die in keinem stärkeren Kontrast zu dieser ruhigen und friedlichen Stimmung hätte stehen können. Die bayerischen Polizisten des USK der 15. Bereitschaftspolizeihundertschaft behaupteten, in Bayern werde grundsätzlich niemand getragen, der laufen könne. Leuten, die nicht das Gleis auf die polizeiliche Aufforderung hin verließen, fügten die Beamten mit Griffen ins Gesicht und durch Überdehnen der Handgelenke massive Schmerzen zu. Einem Demonstranten wurde das Bein so verdreht, dass die Sanis vor Ort einen Bruch oder Bänderriss nicht ausschließen konnten.

Aber wenn die Polizei auf Eskalation hoffte, hatte sie sich verrechnet: Das häufige Muster „einen misshandeln, dann springen alle auf, es gibt ein Gewühl und die Presse hat ihre Bilder von gewalttätigen Protesten“ funktionierte hier nicht. Innerhalb der Gruppen sprachen wir uns ab, wie wir mit dieser Situation umgehen wollten. Wir blieben sitzen, sangen Lieder, die uns Kraft gaben, und sprachen ruhig aber eindringlich auf die Polizisten ein. Es war gut, zu sehen, wie innerhalb unserer Gruppe niemand unter dem Druck stand, aus Solidarität mit den anderen sitzen bleiben zu müssen: wer aufstehen wollte, tat das eben. Aber viele wuchsen in diesen Minuten über sich selbst hinaus: eben noch entschlossen, der Konfrontation aus dem Weg zu gehen, merkten sie plötzlich, als neben ihnen jemand misshandelt wurde, dass sie sich solcher Gewalt nicht beugen wollten.

So kam die Polizei mit ihrer Eskalationsstrategie nicht besonders schnell voran. Nach einer Weile gingen die Polizisten – auch auf das Eingreifen der beobachtenden PastorInnen hin – dazu über, die BlockiererInnen wegzutragen. Um 12 Uhr konnte der Castor weiterfahren.

Viele von uns führten nachher Gespräche mit denen, die sie misshandelt hatten. Dabei fiel durchgängig auf, dass die meist sehr jungen Polizisten überhaupt kein Unrechtsbewusstsein hatten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit schien ihnen völlig fremd zu sein, sie waren überzeugt dass ihr Verhalten rechtmäßig war. Sie waren auch nicht aggressiver Stimmung, sondern hatten ganz „cool“ ihren Auftrag ausgeführt.

Bei der Personalienfeststellung wiesen sich ganz viele von uns mit dem Pass der Freien Republik Wendland aus, um zu zeigen, dass uns mit einem Staat, der unsere Rechte eklatant verletzt, nichts verbindet. Nach anfänglichen Irritationen akzeptierte die Polizei den Pass als Ausweisdokument. Es dauerte viele Stunden, bis wir – teilweise mit auf den Rücken gefesselten Händen – in Busse verfrachtet und in die Gefangenensammelstellen (GeSa) in Lüneburg und Neu-Tramm gebracht wurden. Die Richter in Lüneburg hatten ihre Hausaufgaben gemacht: als auch nach 6 1/2 Stunden die Polizei dem Gericht noch keine Akten vorgelegt hatte, beschlossen sie kurzerhand, dass alle 55 in der GeSa befindlichen Leute unverzüglich zu entlassen sind.

Anders lief es in Neu-Tramm: die RichterInnen ließen uns dort in den Zellen warten, während sie zwei Polizeispitzel ausführlich vernahmen. Anni und Tobi, zwei baden-württembergische PolizistInnen, hatten sich – freilich ohne etwas über ihren Auftrag und Beruf zu sagen – in eine Bezugsgruppe aufnehmen lassen. Seit Sonntag hatten sie den Entscheidungs- und Vorbereitungsprozess mitgemacht. So waren sie auch dabei, als jemand vorschlug, wir könnten uns doch alle nach der Aktion wieder treffen und dann gemeinsam zu WiderSetzen fahren. Sie behaupteten, dieser Vorschlag sei ein Beschluss des Plenums gewesen. Dies nahmen einige der RichterInnen in Neu-Tramm zum Anlass, nicht mehr im Einzelnen zu prüfen, was jemand vor hatte, sondern pauschal anzunehmen, dass alle nur darauf warten, zur Blockade von WiderSetzen zu fahren. Allerdings war auch das keine durchgehende Linie – die verschiedenen RichterInnen entschieden unterschiedlich. So wurde z.B. eine Frau entlassen, die zwar gerne noch zu WiderSetzen wollte, aber darauf bestand, nur zu gehen, wenn alle mitgehen. Begründung: sie habe glaubhaft gemacht, dass sie ohne den Rest der Gruppe nicht gehen werde, deshalb bestehe keine Gefahr, dass sie zur Blockade fahren würde. Einer der Männer sagte seiner Richterin auf die Frage nach seinen Plänen klipp und klar, dass er in der GeSa bleiben wolle, bis alle draußen seien. Die Richterin war zunächst irritiert, denn wie sollte sie da eine Gefahrenprognose abgeben? Schließlich vermerkte sie in dem Bescheid, der Betreffende solle „auf eigenen Wunsch“ in Gewahrsam bleiben.

Auch wenn nicht alle so gelassen mit der Einschränkung ihrer Freiheit umgehen konnten oder wollten – die Situation in der GeSa war nicht nur von Polizei und Gericht bestimmt, sondern ganz viel auch von uns selber. So sorgten wir z.B. dafür, dass diejenigen von uns, die wirklich dringend raus mussten, vor allen anderen zum Gericht gehen konnten. Wir Frauen hatten mehrerer Sprecherinnenräte und gaben aus dem Gewahrsam eine Pressemitteilung heraus. Als um 4.55 Uhr das Gericht verkündete, dass jetzt alle Rohstorf-BlockiererInnen zu entlassen seien, hatten mindestens 14 von uns noch keine/n RichterIn zu Gesicht bekommen. Es wurde 6 Uhr, bis die letzten von uns den Knast verließen. Eine wichtige Unterstützung haben in dieser Situation die PastorInnen geleistet, die sich unermüdlich für uns einsetzten und in manchen Härtefällen für Erleichterung sorgen konnten. Auch die Präsenz der AnwältInnen in Neu-Tramm war hilfreich.

Bei der Auswertung der Aktion wurde kritisch reflektiert, wie es kam, dass wir die Spitzel nicht rechtzeitig enttarnt haben und dass sie an zentrale Informationen über die geplante Aktion kommen konnten. Dabei stieß die Äußerung „lieber zwei Spitzel dabei als die ganze Zeit misstrauisch miteinander umgehen“ auf große Zustimmung – denn schließlich hat auch die Anwesenheit der Spitzel die Aktion nicht verhindert. In Bezug auf den Gewahrsam kam der Wunsch auf, über unseren Umgang damit im Voraus schon mehr Klarheit zu haben und dann mit größerer Leichtigkeit agieren zu können. Insgesamt war die Zufriedenheit groß, und für die meisten ist klar:

Wir kommen wieder!