Freitag, den 7.11.
Den Auftakt machten die SchülerInnen mit ihrer Demo durch Lüchow am Freitag morgen. 354 von ihnen hatten per Unterschrift erklärt, am Tag des nächsten Castoren-Transportes nicht zur Schule zu gehen. Mit ihren Unterschriften haben die SchülerInnen zudem erklärt, dass sie beim Castor-Protest ihr Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit gänzlich wahrnehmen wollen. Seit Donnerstag gibt es in Splietau ein Jugendcamp: selbstorganisiert, selbstbestimmt und hierarchiefrei.
Samstag, den 8.11.
13.00 Uhr – Auftaktdemo vom Dannenberger Marktplatz nach Splietau. Sie wird von über 6000 Menschen besucht, die Bäuerliche Notgemeinschaft beteiligt sich mit knapp 200 Traktoren.
Sonntag, den 9.11.
6.00 Uhr – 12 AktivistInnen von Robin Wood besetzen den Förderturm auf dem Gelände des geplanten Endlagers in Gorleben. Sie ging auf das Gelände, auf dem mehrere tausend PolizistInnen untergebracht sind. Viele Menschen kommen daraufhin zum Frühstück vor die Tore des Bergwerksgeländes.
In der „Region Aktiv“ (Göhrde) veranstalten ReiterInnen auf Pferden und Drahteseln eine Jagd. Bis zum Schluss bleibt unklar was genau sie jagen – aber sie haben eine Menge Spaß und beeindrucken die Reiterstaffel der Polizei mit ihrer Ortskenntnis.
An einer Protestfahrt von Dannenberg nach Gorleben beteiligten sich ca 150 FahrradfahrerInnen. Auf dem Vordach des Osnabrücker Bahnhofs entrollen am Nachmittag zwei Personen in Strahlenschutz-Kleidung ein Transparent mit der Aufschrift „Castoralarm“. Im und am Bahnhof protestierten ca. 30 weitere, zum Teil verkleidete AtomkraftgegnerInnen gegen den geplanten Castortransport. In Berlin hindern 8 DemonstrantInnen aus Protest gegen den Castor-Transport einen ICE für kurze Zeit an der Abfahrt.
18.30 Uhr – die Polizei versucht Leute vom Camp Hitzacker zu hindern, zum Auftakt des Laternenumzugs an der Freien Schule zu gehen. Begründet wird dies mit der „Einsatzlage“. Nachdem einige DemonstrantInnen die Polizeikette auf einem Privatgrundstück umgehen und dahinter wieder laut singend mit ihren Laternen auftauchen, gibt die Polizei die Straße frei. Wie in zahlreichen anderen Orten des Wendlands findet an diesem und anderen Abenden der traditionelle Laternenumzug statt. Die Polizei sichert mit Hunden die Gleise, während Kinder und Erwachsene singend mit ihren Laternen darüber ziehen.
19.07 Uhr – der Castorzug fährt in Valognes ab. 15 AktivistInnen von Greenpeace sind die ersten DemonstrantInnen, die seinen Weg säumen. Die genauen Fahrpläne der Castorzüge durch Frankreich wurden im September zum militärischen Staatsgeheimnis erklärt: Jeder, der Informationen hierüber in Frankreich veröffentlicht, riskiert Geld- oder Gefängnisstrafen. Trotzdem werden die Termine weiter veröffentlicht, ein Akt Zivilen Ungehorsams der über die letzten Jahr stetig gewachsenen französischen Anti-Atom-Bewegung. So demonstrieren in vielen französischen Ortschaften Menschen bei der Durchfahrt des Zuges.
Montag, den 10.11.
9.50 Uhr – in Nancy hat der Castor schon eine Stunde Verspätung. 30 Leute verteilen dort am Bahnhof Flugblätter. In Lüneburg machten derweil CastorgegnerInnen unter dem Motto „Fit für den Castor“ Frühsport auf Kreuzungen. Es kommt zu einem Verkehrschaos. Die anschließende Rallye durch die Innenstadt führt die teilnehmenden Kleingruppen zur Bezirksregierung, der Polizei, den Gerichten, der Staatsanwaltschaft und in die Demonstrationsverbotszone am Bahnhof.
11.45 Uhr – in Réchicourt-le-Château hält die französisch-deutsche Gruppe „Bandajesky“ den Zug über 2 Stunden auf. Ein Franzose und ein Wendländer haben sich mit einem Rohr angekettet.
13.50 Uhr – der Castor fährt wieder
16.30 Uhr – mehr als 2500 AtomkraftgegnerInnen demonstrieren in Lüneburg.
17.55 Uhr – mit dreieinhalb Stunden Verspätung fährt der Castor in Wörth ab. In Wörth, Maximiliansau und Grötzingen gibt es Mahnwachen. In Gusborn/Wendland feiern derweil ca. 1000 potentielle BlockiererInnen eine Straßenparty mit Treckern und Trommeln.
19.00 Uhr – in Bietigheim-Bissingen demonstrieren AtomkraftgegnerInnen direkt am Gleis. Der Zug steht bis 19.50 Uhr. In Hannover halten über 50 Menschen auf einer Brücke über einer möglichen Transportstrecke eine Mahnwache ab.
20.40 Uhr – Der Castor steht hinter Jagstfeld (Neckar). Dort haben sich ein Odenwälder und ein Brite gleich mit zwei Rohren ans Gleis gekettet. 2 1/4 Stunden muss der Castorzug warten. Die Polizei nimmt die Anketter und 10 weitere DemonstrantInnen in Gewahrsam.
21.00 Uhr – Am Marburger Bahnhof demonstrieren 15 Leute gegen den Castor. Sie werden von mehreren BGS-BeamtInnen am Betreten des Bahnhofs gehindert.
22.53 Uhr – der Castor-Zug fährt weiter. Inzwischen hat in Gusborn die Polizei mit der Räumung der Blockade begonnen. Dabei gibt es viele Verletzte. Unter anderem werden Kinder von den Trecker-Anhängern herunter gezerrt. Sanitäter berichten von einem besonders eklatanten Fall von vorsätzlicher Körperverletzung: der Misshandlung einer ganzen Familie, wobei erst der Vater, dann die Mutter und anschließend der 14-jährige Sohn Schläge auf den Brustkorb erhalten, woraufhin der Sohn mit Schocksymptomen, Atemnot und Prellungen behandelt werden muss. AugenzeugInnen berichten auch von Schlägen ins Gesicht und Tritten in die Genitalien. Ein Mann wird derart seitlich ins Knie getreten, dass die Bänder reißen. Die Polizei beschlagnahmt 33 Trecker, sie werden kurzgeschlossen und auf einem ebenfalls beschlagnahmten Acker eingezäunt.
23.00 Uhr – in einem Wald nahe Kassel nimmt die Polizei ca. ein duzend Menschen in Gewahrsam und hält sie über einen halben Tag fest mit der Begründung, sie führten in unmittelbarer Nähe des Gleises Material zum Anketten mit sich. Laut indymedia werden dabei auf dem Boden liegende Menschen von Polizeihunden gebissen, und die Polizei droht mit Schusswaffengebrauch.
Dienstag, 11.11.
01.08 Uhr – im Darmstädter Hauptbahnhof blockieren 20 AktivistInnen einen Intercity.
Den Reisenden wird Lesestoff sowie leckere Miniatur-AKWs angeboten. Nach 10 Minuten gestatten die AktivistInnen dem Zug die Weiterfahrt.
02.02 Uhr – Demo in Fulda, die Polizei verteilt Platzverweise. 2.15 Uhr. Der Castor fährt durch.
04.55 Uhr – in Göttingen sichert ein riesiges Polizeiaufgebot die Durchfahrt des Castorzuges.
08.57 Uhr – es wird bekannt, dass die nördliche Straßenstrecke zwischen Langendorf und Quickborn durch eine manipulierte Wasserleitung unterspült wurde.
09.56 Uhr – der Castor fährt in Lüneburg ein. Ca. 150 Leute demonstrieren am Bahnhof. Polizeibeamte gehen unverhältnismäßig gegen friedliche DemonstrantInnen im Bahnhof vor. Sie verletzen drei Personen und nehmen vier in Gewahrsam. 70 – 160 Leute (widersprüchliche Angaben) blockieren das Castorgleis. Erst um 10.24 kann der Castor weiterfahren.
10.00 Uhr – Die „Offene Aktionsplattform Ziviler Ungehorsam“, ins Leben gerufen von Menschen aus dem Umfeld von X-tausendmal quer, blockiert bei Rohstorf mit 150 Leuten das Gleis. Der Castor muss stoppen. Die zunächst brutale Räumung wird durch das besonnene Verhalten der BlockiererInnen und das Eingreifen der PastorInnen deeskaliert.
12.00 Uhr – der Castor fährt wieder, aber jetzt muss er durch die „Region Aktiv“. Auch hier kommt er nicht so richtig schnell vorwärts.
13.12 Uhr – Castor fährt durch den Bahnhof Göhrde. In Tangsehl versuchen sich zwei AktivistInnen anzuketten, werden aber von der Polizei daran gehindert. An mehreren Stellen wird die Bundesstraße von Lüneburg nach Dannenberg für die nachrückenden Polizeifahrzeuge blockiert.
13.26 Uhr – der Castor fährt durch Leitstade. Dann muss er halten, weil in und um Harlingen ca. 200-300 Menschen auf und an den Schienen sind. Sie werden von der Polizei mit Pferden abgedrängt.
14.19 Uhr – es sind Leute auf den Vorzug gesprungen, der Zug steht.
14.44 Uhr – der Zug ist kurz vor Seerau, es sind Menschen auf den Schienen, die Polizei räumt mit Schlagstöcken
15.30 Uhr – der Castor ist im Verladebahnhof. Bei Dannenberg versammeln sich noch einmal ca. 1500 Menschen zu einer Kundgebung. In Gusborn sammeln sich mehr und mehr Menschen, Trecker blockieren die Straße. In Grippel, am Knotenpunkt, den der Atommüll auf alle Fälle passieren musste, entsteht aus kreativen Protestaktionen von gut 60 Leuten mit Musik und Tanz nach und nach eine immer größere Blockade.
15.36 Uhr – 300 Leute am Verladekran in Dannenberg
17.00 Uhr – in Langendorf hat es ein Aktivist von Robin Wood hat geschafft, in das Baumhaus an der Straßentransportstrecke zu kommen. In Pisselberg findet eine Bürgerfragestunde der Grünen-Landtagsfraktion zum Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz statt.
21.54 Uhr – Die eingekesselten DemonstrantInnen in Langendorf machen im Kessel eine „Kästner- Lesung“
22.00 Uhr – die unterspülte Stelle an der Nordstrecke ist notdürftig mit Beton repariert worden. Ca. 70 AktivistInnen blockieren die Nordstrecke in Langendorf. Die Polizei nimmt sie in Gewahrsam und umstellt später die Kirche des Ortes, in der sich noch einige Personen aufhalten. Währenddessen gelangen immer mehr AtomkraftgegnerInnen nach Gusborn (Südstrecke) und Grippel, obwohl die Polizei versucht, alle Zufahrtsstraßen abzuriegeln. In Gusborn wird die Straße von Treckern und ca. 600 Personen blockiert.
22.07 Uhr – Robin Wood Aktivisten in Langendorf verlassen das Baumhaus. Ihre Alu-Leiter wird mit einem Freiheitsentziehungsformular verhaftet und nach Neu Tramm in die Gefangenen-Sammelstelle verbracht.
Mittwoch, den 12.11.
00.30 Uhr – im Theaterzelt „Musenpalast“ in der Ortsmitte von Laase ist die Harry-Potter-Lesung vor rund hundert BesucherInnen auf Seite 293 angelangt, als die Polizei sich einen besonders originellen Rechtsbruch herausnimmt: Ganz Laase wird in Gewahrsam genommen. Ca. 500 Menschen werden eingekesselt, die Menschen in den Häusern können ihre Nachbarn nicht mehr besuchen. Doch auch hier verlieren die Eingekesselten nicht ihren Humor: das Buch ist ja noch lang. „‚Ein paar Leute?‘ sagte Harry mit belegter Stimme zu Hermine. ‚Ein paar Leute?‘ ‚Ja, nun, die Idee schien ziemlichen Anklang zu finden,“ sagte Hermine zufrieden. ‚Ron, würdest du noch ein paar Stühle holen?'“
In der Tat hat die Idee von „WiderSetzen“ Anklang gefunden. Bis Mitternacht ist die Zahl der feiernden Menschen auf der Straße in Grippel auf gut 800 angestiegen, weitere 400 DemonstrantInnen stehen am Straßenrand. Auch hier nimmt die Polizei einen Teil des Dorfes in Gewahrsam. Daraufhin stellen die Leute noch auf der Straße Anträge auf richterliche Überprüfung.
1.20 Uhr – in Grippel fordert die Polizei die – vorher schon in Gewahrsam genommene – Menschenmenge auf, die Straße zu verlassen.
2.20 Uhr – alle Castoren sind auf Tieflader verladen, der Konvoi ist abfahrbereit.
2.30 Uhr – In Grippel beginnt die Polizei mit der Räumung, wiederum mit schmerzhaften Polizeigriffen, (Arme verdrehen, Griffe in Nasenlöcher, Kopf auf Boden gedrückt). In eisiger Kälte harren die Menschen in einem Polizeikessel auf dem Feld aus.
4.01 Uhr – der Straßentransport beginnt. Die Castoren werden über die Nordstrecke transportiert. In Quickborn schütten Leute eine klebrige Flüssigkeit auf die Straße. Als der Transport Quickborn passiert hat, riegeln Polizeikräfte das Gelände um das Gemeindehaus ab und nehmen die ca. 60 im Gebäude anwesenden Personen in Gewahrsam. Gleichzeitig machen Greiftrupps draußen Jagd auf einzelne DemonstrantInnen. Auch hier werden viele DemonstrantInnen durch Polizeibeamte verletzt.
5.00 Uhr – der Transport fährt durch Grippel.
5.30 Uhr – der letzte Behälter erreicht das Zwischenlager.
6.30 Uhr – bei der traditionellen Pressekonferenz in Trebel ziehen die Anti-Atom-AktivistInnen Bilanz: Der Widerstand gegen die Atompolitik ist so lebendig wie eh und je. An vielen Orten ist es Menschen gelungen, sich dem Castor in den Weg zu stellen und zu setzen – mit Lebensfreude, Mut und Fantasie.
Anmerkungen
Quellen: Indymedia, BI-Ticker, X-tausendmal quer, sortir du nucléaire, EJZ