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Die Militärverfassung für die Europäische Union

Protest und Widerstand sind nötig

| Tobias Pflüger

Die Europäische Union ist derzeit dabei sich erstmals eine eigene Verfassung zu geben. Diese neue EU-Verfassung würde dann über allen einzelstaatlichen Verfassungen – und damit auch über dem Grundgesetz – stehen. Und sie hat es in sich: Unter Artikel I-40 des 260seitigen Entwurfs für eine EU-Verfassung heißt es: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“. Dass es sich dabei tatsächlich um eine verbindliche Aufrüstungsverpflichtung für alle EU-Staaten handelt, zeigt die ebenfalls in der zukünftigen Verfassung festgeschriebene Gründung eines „Europäischen Amtes für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten“. Dieses Amt soll „bei der Ermittlung der Ziele im Bereich der militärischen Fähigkeiten der Mitgliedstaaten mitwirken und die Erfüllung der von den Mitgliedstaaten in Bezug auf diese Fähigkeiten eingegangen Verpflichtungen bewerten“. Ebenfalls in der EU-Verfassung wird geregelt, dass das EU-Militär zu „Kampfeinsätzen im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen“ eingesetzt werden kann. Weiter heißt es: „Mit allen diesen Missionen kann zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen werden, unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet.“ „Über militärische Einsätze der EU entscheidet der Ministerrat“, sonst niemand, keine Parlamente oder ähnliches.

Das Kerneuropa-Konzept festgeschrieben: In Artikel 40, Absatz 6 des Verfassungsentwurfs heißt es: „Die Mitgliedstaaten, die anspruchsvolle Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen untereinander festere Verpflichtungen eingegangen sind, begründen eine strukturierte Zusammenarbeit im Rahmen der Union.“ Dies ist im militärischen Bereich das, was der deutsche Außenminister als „Avantgarde“-Europa, als „Gravitationszentrum“ innerhalb der EU bezeichnet, der ältere Begriff vom „Kerneuropa“ von Wolfgang Schäuble und Karl Lamers trifft die Sache besser.

Das im Grundsatz gebilligte Militärstrategiepapier der EU, das im Kontext der EU-Verfassung zu sehen ist, sieht das Präventivkriegskonzept vor. Die Bombenphase des Krieges gegen den Irak war der Testlauf für dieses Präventivkriegskonzept (vgl. z.B. Financial Times Deutschland, 19. März 2003). Inzwischen gilt dieses Präventivkriegskonzept offensichtlich unter Militärs und Regierungen des Westens als Erfolgsrezept. Die Formulierungen im Solana-Papier zeigen, dass es keinen qualitativen – nur noch einen quantitativen – Unterschied gibt im Bereich der expansiven Militärpolitik zwischen EU und USA. Von vielen, auch von Regierungen, im „alten Europa“ werden gerne die US-Regierung und ihre Methoden kritisiert, doch diese EU-Regierungen – einschließlich der deutschen rot-grünen Regierung – übernehmen – z.B. mit der neuen EU-Militärstrategie – genau diese Methoden, z.B. die Präventivkriegsstrategie.

Im Militärstrategiepapier wird die EU zur neuen Weltmacht gekürt: „Eine aktive und handlungsfähige Europäische Union könnte Einfluss im Weltmaßstab ausüben.“ Die EU soll die zweite Weltmacht in einem „multilateralen“ Weltsystem werden! „Eine Union mit 25 Mitgliedern und einem Verteidigungsgesamthaushalt von 160 Milliarden Euro sollte in der Lage sein, mehrere Operationen gleichzeitig auszuführen. Wir müssen eine strategische Kultur entwickeln, die frühe, schnelle und, falls erforderlich, robuste Interventionen fördert“.

Das Ziel der EU-Politik wird offen formuliert, auch wenn man/frau den Satz mehrfach lesen muss, um zu glauben, dass er tatsächlich so im Militärstrategiepapier der EU steht: „Gemeinsam handelnd können die Europäische Union und die Vereinigten Staaten eine eindrucksvolle Kraft sein die sich für das Gute in der Welt einsetzt.“ Gemeinsam für „das Gute in der Welt“ gegen alles „Böse“? Für wen dieses „Gute“ gut sein soll, ist klar. Es geht um möglichst viel Macht, Einfluss und wirtschaftliche Expansion aus den westlichen Staaten. Die westlichen Staaten sind sich in den Kernfragen einig, bei Differenzen im Detail (Irak): weitere Aufrüstung und Herausbildung kriegsführungsfähiger Armeen. Die Kriege der Zukunft werden in ständig wechselnden Koalitionen stattfinden, bei denen nicht immer alle mitmachen werden. Aber die Kriege werden stattfinden, gegen Länder und Menschen im Süden. Die Analysen, die hinter dem Entwurf für eine EU-Verfassung und hinter dem Solana-Papier stehen, gehen davon aus, dass das Problem im Süden bei den „gescheiterten Staaten“ liegt. Im Entwurf für die neue EU-Verfassung wird genau die neoliberale Wirtschaftspolitik festgeschrieben, die weltweit zu Verarmung führt. Das Problem liegt also offensichtlich im Wesentlichen nicht im Süden, sondern im Westen… Die Politik der westlichen Staaten muss grundlegend geändert werden. Die derzeitige neoliberale und neoimperiale Politik der EU-Staaten – zwei Seiten einer Medaille – darf nicht festgeschrieben werden in der zukünftigen Verfassung der Europäischen Union.