Eineinhalb Wochen unter starker Kritik der veröffentlichten Meinung brauchte die CDU-Führung, um endlich die überfällige Entscheidung zu treffen, den hessischen Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann aus Fraktion und Partei auszuschließen.
Zunächst beließ man es bei einer bloßen Rüge. Vielleicht wäre man damit sogar durchgekommen, wenn der Skandal nicht durch einen Brief des KSK-Generals Reinhard Günzels und dessen prompten Rauswurf eine neue Dynamik bekommen hätte. Ausgestanden ist dieser neue Antisemitismus-Skandal damit allerdings längst nicht.
Da die Rede in der Öffentlichkeit meist nur unter Erwähnung einzelner Details thematisiert wurde und da selbst nach dem Beschluss der CDU-Führung in der Fraktion noch Stimmen laut wurden, denen zufolge die Kritiker Hohmanns Rede missverstanden hätten, lohnt ein genauerer Blick auf den kompletten Text. So werden zum einen rhetorische Finten Hohmanns deutlich, zum anderen erlauben Analyse und Kontextualisierung, den in der Rede zum Ausdruck kommenden Antisemitismus präziser zu bestimmen.
„Gerechtigkeit für Deutschland“ ist das Thema der am 3. Oktober in Neuhof gehaltenen Rede. So widmet sich Hohmann eingangs der Sozialpolitik, genauer angeblichem Sozialmissbrauch. Hier schon setzt er eine deutliche Duftmarke, spricht er doch von einem „Einzelne[n], den man früher Schmarotzer genannt hätte“, was alles andere als eine sprachgeschichtliche Nebenbemerkung ist. Hohmann setzt das Individuum gegen die Gemeinschaft: „Wie viele Menschen in Deutschland klopfen ihre Pläne und Taten auch darauf ab, ob sie nicht nur eigennützig, sondern auch gemeinschaftsnützig sind [, ob – Ergänzung von AS] sie der Gemeinschaft nützen, ob sie unser Land voranbringen?“ Ist das schlecht eingedeutschter Kennedy? Oder geht Hohmann im Kampf gegen Parasiten am Volkskörper „Gemeinnutz immer vor Eigennutz“, wie es im 25-Punkte-Programm der NSDAP hieß? Vor dem Begriff „Volksgemeinschaft“ schreckt Hohmann zurück. Aber er meint: „Das Wir-Denken, die Gemeinschaftsbezogenheit, müssen […] zweifellos gestärkt werden.“ Das geht bekanntlich am besten durch Abgrenzung gegen vermeintlich Fremdes.
Hohmann hegt den „Verdacht, daß man als Deutscher in Deutschland keine Vorzugsbehandlung zu [sic] genießt“. Er belegt ihn unter Rückgriff auf seine parlamentarische Arbeit und erwähnt einige Anfragen an die Bundesregierung, deren Beantwortung ihn „nachdenklich“ gemacht habe.
„Nachdenklich“ macht Hohmann u.a., dass die Bundesregierung sich nicht für die Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter einsetzen wolle. Schließlich macht ihn „nachdenklich“, dass die Bundesregierung nicht dem Vorschlag folgen wolle, „angesichts der Wirtschaftsentwicklung und des Rückgangs der Steuereinnahmen […] ihre Entschädigungszahlungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (also an – vor allem jüdische – Opfer des Nationalsozialismus) der gesunkenen Leistungsfähigkeit des deutschen Staates anzupassen“. Der von der Bundesregierung bekundete „Respekt vor dem damaligen Leiden dieser Menschen“, der es „gebiete, das Entschädigungsniveau uneingeschränkt aufrechtzuerhalten“, macht Hohmann „nachdenklich“.
Er sieht da wohl eine „Schieflage“, wünscht er sich doch „einen Konsens […], wie er in vielen anderen Ländern“ bestehe, nämlich: „Der eigene Staat muß in erster Linie für die eigenen Staatsbürger da sein.“ Dieser Wunsch verweist auf die Parole des Front National von der préférence nationale, einem „Kernbegriff des Rassismus“ (1), und auf die Parole Eigen volk eerst! des neorassistischen und separatistischen Vlaams Blok. Dass diese Maxime in der Bundesrepublik Deutschland nicht gelte, führt Hohmann auf die deutsche Geschichte zurück. So ergibt sich zugunsten sozialpolitischer Gerechtigkeit die Notwendigkeit geschichtspolitischer Operationen. Zwar bekräftigt Hohmann, „kein Kundiger und Denkender“ könne „ernsthaft den Versuch unternehmen, deutsche Geschichte weißzuwaschen oder vergessen zu machen“. Doch das ist lediglich Rhetorik, um desto heftiger dafür zu streiten, dass diese deutsche Vergangenheit keine moralischen und politischen Konsequenzen mehr haben möge. Und kämpfen müsse man, denn: „Immer wieder erfahren wir, wie stark die 12 Jahre der NS-Vergangenheit bis in unsere Tage wirksam sind.
Das Treiben der Neonazis meint Hohmann damit nicht: Ganz umgehen kann er dieses Thema allerdings auch nicht. Immerhin war kurz zuvor in München eine neonazistische Terrorgruppe aufgeflogen, die laut Bundesanwaltschaft mit Planungen zu einem Anschlag am 9. November befasst war. Doch als Pflichtübung führt das Thema beim vormaligen BKA-Mitarbeiter Hohmann zu halsbrecherischen Formulierungen: „Das Häufchen seiner [Hitlers] Adepten am rechtsextremen Rand der politischen Szene ist nicht zu verharmlosen.“ Schlimm genug, dass der Satz sich über die verharmlosende Rede vom „Häufchen“ selbst dementiert. Der Terrorismus-Experte Hohmann setzt noch eins drauf: „Nicht die braunen Horden, die sich unter den Symbolen des Guten sammeln, machen tiefe Sorgen.“
Man lese den Satz ruhig noch ein zweites Mal: „Nicht die braunen Horden, die sich unter den Symbolen des Guten sammeln, machen tiefe Sorgen.“ Es mag zwar sein, dass man gelegentlich But und Göse leicht verwechseln kann. Hohmanns Rede gibt aber Anlass zu der Befürchtung, dass er manche Transparente jüngerer Nazi-Aufmärsche, bei denen auch der Kopf der festgenommenen Münchner Gruppe in Erscheinung trat („Opi war kein Verbrecher“), tatsächlich für „Symbole des Guten“ hält.
Während die Hitler- und Strasser-Jungs Hohmann keine Sorgen bereiten, macht ihm „eine allgegenwärtige Mutzerstörung im nationalen Selbstbewußtsein, die durch Hitlers Nachwirkungen ausgelöst wurde“, allerdings „schwere Sorgen“. Die „Schuld von Vorfahren“ an den „Menschheitsverbrechen“ habe „fast zu einer neuen Selbstdefinition der Deutschen geführt“. Deren Zentrum sei „der Vorwurf: die Deutschen sind das ‚Tätervolk'“. An diesem Bild werde mit „neurotischem Eifer“ gearbeitet. Oder aber für ein deftiges Autorenhonorar – als besonders schlimmes Beispiel dafür nennt Hohmann einen „amerikanische[n] Junior-Professor (Daniel Jonah Goldhagen)“.
Hohmann hätte auch gleich ‚der Jude Goldhagen‘ sagen können, denn im folgenden schlägt er exakt diesen Ton an und heftet den auftretenden historischen Personen mehrfach ein Substitut des gelben Sterns an („der Jude Felix Teilhaber“ usw.).
Gegen all die, die „fast neurotisch auf der deutschen Schuld beharren“ (wie Hohmann Pfarrer Joachim Gauck zitiert) stellt er „die provozierende Frage: Gibt es auch beim jüdischen Volk, das wir ausschließlich in der Opferrolle wahrnehmen, eine dunkle Seite in der neueren Geschichte oder waren Juden ausschließlich die Opfer, die Leidtragenden?“ Zur Beantwortung greift Hohmann ausgerechnet auf Henry Fords Buch „The International Jew“ zurück. „Darin“, so Hohmann, „prangert Ford die Juden generalisierend als ‚Weltbolschewisten‘ an. […] Ford brachte in seinem Buch eine angebliche ‚Wesensgleichheit‘ von Judentum und Kommunismus bzw. Bolschewismus zum Ausdruck.“
Hohmann weiß, dass er hier auf ideologischen Sprengstoff gestoßen ist. Er spricht von „Thesen, die für unsere Ohren der NS-Propaganda vom ‚jüdischen Bolschewismus‘ ähneln“. Statt aber den Kampfmittelräumdienst zu verständigen, hantiert Hohmann mit seinem Fund herum. Zum Zweck möglichst risikofreier Entschärfung und Entsorgung der explosiven Altlast hätte der Kampfmittelräumdienst zunächst festgestellt, dass der Sprengsatz der NS-Propaganda nicht nur ähnelt: Fords Buch, das international erheblich zur Popularisierung jener berüchtigten „Protokolle der Weisen von Zion“ beitrug, gehörte zu den Quellen, aus denen sich in den 20er Jahren der NS-Antisemitismus speiste. „Der Internationale Jude. Ein Weltproblem“ erschien 1921 im Leipziger Hammer-Verlag, der 1902 von Theodor Fritsch gegründet worden war. (2) Fritsch war Verfasser des in etlichen, immer wieder überarbeiteten Neuauflagen erschienenen „Antisemiten-Katechismus“. Per Publikation in diesem antisemitischen Verlag erreichte Fords Buch in zahlreichen Neuauflagen sein Zielpublikum und entfaltete Wirkung.
Deutliche Spuren der Hetzschrift Fords finden sich in Dietrich Eckarts 1924 publizierter Schrift „Der Bolschewismus von Moses bis Lenin“. An zwei Stellen des „Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir“ legt Eckart Hitler Behauptungen Fords in den Mund: „‚Wenn’s nach mir ginge, müßten in allen Schulen, an allen Straßenecken, in jeder Gaststätte Plakate hängen, auf denen weiter nichts stünde, als das Wort von Schopenhauer über die Juden: ‚Große Meister im Lügen!‘ Es gibt kein besseres. Und ausnahmslos trifft es zu, auf jeden Juden, ganz gleich, ob hoch oder niedrig, Börsianer oder Rabbiner, getauft oder beschnitten. […] Henry Ford erzählt, in seiner Heimat werde allgemein behauptet, die Vereinigten Staaten hätten mehr Gold als jedes andere Land. Aber wo sei es? ‚Seit wann hast du kein Goldstück mehr gesehen?‘ Die Regierung sei überschuldet, versuche verzweifelt zu sparen, nicht einmal die Kriegsinvaliden könne sie bezahlen, in Amerika sei das Gold zweifelsohne, aber es gehöre nicht den Amerikanern.'“ Später heißt es: „Ganz Israel steht offen im britischen Lager!‘ verkündete 1916 der Führer der amerikanischen Sozialdemokraten Samuel Gompers. Sämtliche Juden der Welt also. Auch der Amerikaner Ford wußte das. Er spricht von der Untreue der ’sogenannten‘ deutschen Juden gegen das Land, wo sie wohnten; und daß sie sich mit den übrigen Juden zum Sturze Deutschlands vereinigt haben“. (3)
Heinrich Himmler bemerkte 1924 in einem Brief, Ford sei „einer der wertvollsten, gewichtigsten und geistreichsten Vorkämpfer“. (4) In seiner Aussage beim Nürnberger Prozess erinnerte sich Reichsjugendführer Baldur von Schirach wie folgt an seine Ford-Lektüre: „Das ausschlaggebende antisemitische Buch, das ich damals las und das Buch, das meine Kameraden beeinflußte … war das Buch von Henry Ford ‚Der internationale Jude‘. Ich las es und wurde Antisemit. Dieses Buch hat damals auf mich und meine Freunde einen so großen Eindruck gemacht, weil wir in Henry Ford den Repräsentanten des Erfolgs, den Repräsentanten aber auch einer fortschrittlichen Sozialpolitik sahen.“ (5)
Aufschlussreich zur Verbreitung der Wahnvorstellung vom „jüdischen Bolschewismus“ unter den Nazis, wie sie insbesondere durch Fords Bestseller popularisiert worden war, ist ein Gutachten, das der Historiker Reinhard Maurach für die Verteidigung im Prozess gegen die Einsatzgruppen vorlegte. Maurach behauptete, es könne „überhaupt kein Zweifel“ bestehen, dass „es dem Nationalsozialismus vollständig gelungen ist, die öffentliche Meinung in Deutschland und darüber hinaus die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes von der Identität zwischen Bolschewismus und Judentum zu überzeugen.“ (6)
Auch im Neonazismus ist Fords Buch weiterhin beliebte Lektüre. So erschien 1976 ein deutschsprachiger Reprint. Die Verlagsangabe lautet: White Power Publications, Liverpool, VA in den USA. Spuren führen indes nach Deutschland: So wird u.a. das Versandantiquariat Berg im norddeutschen Toppenstedt empfohlen, gefolgt von dem Hinweis: „Die angeführten Firmen haben mit dem Druck dieses Heftes nichts zu tun!“. Das „Vorwort zur ersten Neuauflage nach dem Zweiten Weltkrieg in deutscher Sprache“ macht erst gar nicht den Versuch, den Band als Quellenedition zu wissenschaftlichen Zwecken auszugeben: „Die Welt befindet sich am Rande des Abgrundes, entweder das Judenproblem wird von dieser Generation gelöst, oder dieser Planet wird im Morast der Unsitte und Unmoral, der bewußt gesteuerten und geförderten Dekadenz versinken.
Das Problem ist durch dieses Buch analysiert – es gilt jetzt endlich zu handeln.
Es besteht heute ein jüdischer Staat, alle Juden, die sich nicht integrieren wollen, müßten nach dort verfrachtet werden. Nur durch die physische Separation, durch komplette Entflechtung der Juden aus den Volkskörpern, ist wirklicher Friede möglich. Die einzige andere Alternative ist die undenkliche Ausrottung der Juden in einer weltweiten Kristallnacht, wenn das Maß der Völker übervoll sein sollte.“ Für Horst Mahler ist Fords antisemitische Paranoia seit einigen Jahren eine Quelle krudester Weltanschauung: Datiert auf den 15. Oktober 2000 erschien auf Mahlers Homepage „Werkstatt Neues Deutschland“ eine vom Deutschen Kolleg verantwortete „Ausrufung des Aufstandes der Anständigen“, in der es nach Verneigungen vor Martin Walser und Norman G. Finkelstein wie folgt hieß: „Wir gedenken der unbekannten Verfasser der ‚Protokolle der Weisen von Zion‘, die hellsichtige Betrachtungen über die Mittel und Wege für die Begründung der jüdischen Weltherrschaft angestellt haben, die uns als Warnung dienen sollten. Wir meinen: ‚Der internationale Jude‘, Henry Fords Streitschrift gegen die Weltherrschaft des jüdischen Bankkapitals ist Pflichtlektüre für jeden Deutschen.“ (7) In einer einschlägigen Mailing-Liste fand sich der Hinweis, dass Fords Buch „vor kurzem in der ‚Archiv‘-Reihe eines rabiat-ludendorffschen Verlages erschienen“ sei „und weit gestreut unaufgefordert ‚zur Ansicht‘ versandt wurde“. (8)
Es handelt sich also um mehr als bloße Ähnlichkeit der Thesen Fords mit der NS-Propaganda vom „jüdischen Bolschewismus“. Hohmann ist allerdings geschickt genug, sich bei seinen folgenden Aussagen nicht unmittelbar auf Ford zu stützen. Er hält sich an eine Veredelung des Stoffs, die der Bielefelder Bibliothekar und Historiker Johannes Rogalla von Bieberstein vorgelegt hat. (9) Rogalla von Biebersteins Buch erschien in der Dresdener Edition Antaios. Das ist sozusagen der Hausverlag des der rechtsextremen Wochenzeitung Junge Freiheit nahe stehenden Instituts für Staatspolitik (INSTAPO). Die INSTAPO-Gründer hantierten zur Selbstbeschreibung mal mit der Formulierung „Reemtsma-Institut von rechts“, das Vorbild mit umgekehrtem Vorzeichen ist das Hamburger Institut für Sozialforschung und insbesondere die öffentliche Wirkung der Ausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht“. (10)
Eine Darlegung des angeblichen „jüdischen Bolschewismus“ passt da vortrefflich ins Programm. Eine entsprechende Aufnahme in der Publizistik des völkischen Nationalismus war garantiert, wie beispielsweise die Rezension des Militärpfarrers a.D. Lothar Groppe und ein Aufsatz des Ex-Militärs Reinhard Uhle-Wettler zeigen. (11)
Gestützt auf Rogalla von Bieberstein breitet Hohmann seitenlang vermeintliche Belege für die antisemitische These vom „jüdischen Bolschewismus“ aus und kommt zu folgendem Ergebnis: „Mit einer gewissen Berechtigung könnte man im Hinblick auf die Millionen Toten dieser ersten Revolutionsphase nach der ‚Täterschaft‘ der Juden fragen. Juden waren in großer Anzahl sowohl in der Führungsebene als auch bei den Tscheka-Erschießungskommandos aktiv. Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als ‚Tätervolk‘ bezeichnen.“
Es gehört freilich zu Hohmanns demagogischem Geschick, dass er hier nur, grammatisch korrekt im Konjunktiv, ein hypothetisches Zwischen-Ergebnis formuliert. Der zweimalige Konjunktiv „könnte man“ steht im Kontrast zur wiederholten Betonung der „Berechtigung“ der Bezichtigung „Tätervolk“. Es geht, aller kontextueller Einbettung und allen später nachgeschobenen Ausflüchten zum Trotz, sehr wohl um die Bezichtigung „der Juden“ als „Tätervolk“. Dafür spricht auch die Dimensionierung dieses Teils der Rede: die betreffende Passage umfasst zirka ein Viertel des gesamten Redetextes. (Zu berücksichtigen ist zudem, dass es sich um eine mündlich vorgetragenen Text handelt, dessen grammatische Feinheiten wie die Konjunktivformulierungen bei vielen Zuhörern vermutlich ‚überhört‘ werden.)
Allerdings tut Hohmann im folgenden so, als habe es sich in der langen Redepassage über den „jüdischen Bolschewismus“ nur um ein Gedankensspiel gehandelt – man kennt diese Schreibtechnik von Ernst Nolte, der übrigens auch das Vorwort zum Buch Rogalla von Biebersteins verfasst hat. (12) Hohmann präsentiert abschließend ein „Tätervolk“, das aus (in großer Zahl jüdischen, von Gott abgefallenen) Bolschewisten und Nazis bestehe. Als „verbindendes Element“ macht Hohmann ihre „religionsfeindliche Ausrichtung und die Gottlosigkeit“ aus. „Die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien, sie waren das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts.“
Hohmanns Rede von der „Gottlosigkeit“ der Nazis ist historischer Humbug und dient dem katholischen Fundamentalisten als Entlastungspropaganda. Gewiss gab es innerhalb des Nazismus dem Christentum feindlich gesonnene Ideologen. Doch findet sich gerade bei herausragenden Naziideologen und insbesondere in ihren antisemitischen Tiraden positive Bezüge auf das Christentum. In der Nachbemerkung zu Dietrich Eckarts unvollendet gebliebener Schrift „Von Moses bis Lenin“ spricht der Hoheneichen-Verlag von diesem „Zwiegespräch“ mit Hitler als einem „für die christliche Einstellung der völkischen Bewegung zeugenden, hochbedeutsamen Werk[.]“ und hofft, dass „Adolf Hitler nach der Beendigung des gegenwärtig gegen ihn in München anhängigen Hochverratsprozeß die Liebenswürdigkeit haben wird, die Vollendung dieses unmittelbar vor seinem Abschluß stehenden Werkes zu übernehmen“. Hitler schrieb in der Haft stattdessen „Mein Kampf“, an dessen Schluss er sich unter der Kopfzeile „Unseren Toten als Mahnung zur Pflicht“ vor Eckart als „Märtyrer“ der NS-Bewegung verneigte. (13) Passend zu dieser Ehrung des für die christliche Einstellung der völkischen Bewegung zeugenden Autors heißt es in „Mein Kampf“ u.a.: „Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“ (14) Gemeint war der christliche Gott. Entsprechend zitierten auch katholische Nazis diesen Kernsatz Hitlers; verwiesen sei hier nur auf Carl Schmitts Eröffnungsrede und sein Schlusswort bei der Tagung „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“ Anfang Oktober 1936 in Berlin. (15) Statt sich also wie Hohmann christlich selbstgefällig reinzuwaschen, täten Christen gut daran, einen religionspolitologischen Hinweis zu reflektieren (oder meinetwegen auch zu beherzigen): „Wer den dünnen Faden christlicher Glaubensgewißheit aushält, wird aber ohne Scheu, nicht stolz auf dem Unterschied [zwischen Nazismus und Christentum – AS] bestehen, sondern auch danach fragen, in welchen Hinsichten, ob einige oder gar viele, Ähnlichkeiten festgestellt werden können. Die Lösung der Aufgabe, was an der ‚Religionsideologie der Nationalsozialisten christlich, häretisch oder genuin neu ist, muß künftiger Forschung überlasen bleiben.“ (16)
Gegen „das Böse“ sieht Hohmann Gott auf seiner Seite. Dabei handelt es sich um einen Gott mit nationaler Präferenz: „Mit Gott in eine gute Zukunft besonders für unser deutsches Vaterland!“ Hohmanns auf Deutschland zentrierte christlich-abendländische Akzentuierung der Totalitarismusthese Ernst Noltes kann allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass die CDU in Gestalt ihres Abgeordneten Hohmann und seiner Getreuen in der Partei ein massives Antisemitismus-Problem hat. Hohmanns Antisemitismus weist im Vergleich mit den vorhergehenden antisemitischen Ausfällen deutscher Eliten eine neue Qualität auf: Diese besteht nicht allein in ihrer systematischen Geschlossenheit, wobei die Systematik wohlgemerkt die eines Wahnsystems ist. Das erschreckende Novum ist, dass ein Bundestagsabgeordneter (unter Beifall eines der wichtigsten Generäle der Bundeswehr) einen zentralen ideologischen Komplex des Nazi-Antisemitismus reproduziert. Man könnte fast versucht sein zu behaupten, nicht das Treiben der Neonazis, sondern der neue Eliten-Antisemitismus bereitete tiefe Sorgen; doch hieße dies, einer falschen Denk-Alternative aufzusitzen und das Ineinandergreifen von rechtem Rand und Mitte der Gesellschaft zu übersehen: die harte Naziszene sieht sich durch Hohmanns Rede bestätigt und angefeuert.
(1)So Étienne Balibar: De la préférence nationale à l'invention de la politique. In: ders.: Droit de cité. Paris: PUF 2002, S. 89-132.
(2) Vgl. S. Busse/ F. Zimmerman: Theodor Fritsch und seine Verlagsgründungen. In: Hubert Orlowski/Günter Hartung (Hg.): Traditionen und Traditionssuche des deutschen Faschismus. 4. Protokollband. Poznan: Adam Mickiewiz University Press 1992, S. 63-73.
(3) Dietrich Eckart: Der Bolschewismus von Moses bis Lenin Ein Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir. München: Hoheneichen 1924; ich zitiere nach der auf der mehreren Nazi-Homepages im Volltext verfügbaren Fassung. Der Fehler im Titel ("Ziegespräch" statt "Zwiegespräch") lässt darauf schließen, dass die diversen Cyber-Nazis sich aus einer Quelle bedienen.
(4) Zitiert nach Armin Pfahl-Traughber: Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat. Hrsg. von Anton Pelinka u. Helmut Reinalter (= Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit Bd. 9). Wien: Braumüller 1993, S. 39.
(5) Baldur von Schirach vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg am 23. Mai 1946; hier zit. nach Pfahl-Traughber: Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos (Anm. 4), S. 39.
(6) Zitiert nach Daniel J. Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Berlin: Siedler 1996, S. 460. Goldhagen fügt an: "Wie die Täter unmittelbar nach dem Krieg befand sich auch Maurach noch fest im Griff dieser Ideologie, und so verteidigte er diese Auffassungen als richtig."
(7) Dokumentiert in Martin Dietzsch/Alfred Schobert: Ein "jüdischer David Irving"? Norman G. Finkelstein im Diskurs der Rechten - Erinnerungsabwehr und Antizionismus. Duisburg: DISS 2001, S. 79-81, hier S. 80; vgl. zu Mahlers Werdegang ebd., S. 21f.
(8) eisernekrone vom 6.11.2003. Dahinter steckt der rabiat antisemitische Österreicher und Bekenntnis-Teheraner Martin Schwarz.
(9) Vgl. Johannes Rogalla von Bieberstein: "Jüdischer Bolschewismus". Mythos und Realität Dresden: Edition Antaios 2002.
(10) Vgl. Martin Dietzsch u.a.: Nation statt Demokratie. Sein und Design der "Jungen Freiheit". Duisburg: DISS 2003, S. 75-94.
(11) Vgl. Lothar Groppe: Die Rolle von Juden im Bolschewismus. Johannes Rogalla v. Bieberstein greift in seinem neuesten Buch ein brisantes Thema auf. In: Preußische Allgemeine Zeitung 17/2003, S. 3. Bei der Preußischen Allgemeinen Zeitschrift (früher Das Ostpreußenblatt) handelt es sich um das Organ der Landsmannschaft Ostpreußen. Uhle-Wettlers Aufsatz "Bleibt Deutschland eine Canossa-Republik?" steht auf der Homepage der Hamburger Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft (SWG).
(12) Vgl. zu Noltes Schreibweise Alfred Schobert: Geschichtsrevisionismus à la carte. Mit Nolte und Zitelmann gegen "Westextremismus". In: Helmut Kellershohn (Hg.): Das Plagiat. Der Völkische Nationalismus der Jungen Freiheit. Duisburg: DISS 1994, S. 269-296, bes. 287ff.
(13) Vgl. Adolf Hitler: Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. München: Zentralverlag der NSDAP., Franz Eher 815-820. Auflage 1943, S. 781.
(14) Hitler: Mein Kampf: (Anm. 13), S. 70.
(15) Vgl. zur Tagung Raphael Gross: Carl Schmitt und die Juden. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000, S. 120-134.
(16) Claus-Ekkehard Bärsch: Die politische Religion des Nationalsozialismus. die religiöse Dimension der NS-Ideologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler. München: Fink 1998, S. 350f. ; vgl. ebd., S. 370: "Es ist die Aufgabe einer christlichen Religionsgeschichte festzustellen, ob die nationalsozialistische Weltanschauung eine christliche Häresie ist oder nicht." Vgl. ders.: Erlösung und Vernichtung - Dr. phil. Joseph Goebbels. Zur Psyche und Ideologie eines jungen Nationalsozialisten 1923-1927. München: Boer 1987.
Anmerkungen
Alfred Schobert ist Mitarbeiter beim Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS)