Barcelona, das wilde, das laute, das eigensinnige Barcelona, ist so manchen Anti-Globalisierers, Hausbesetzers oder schwarz-roten Bürgerkriegsnostalgikers Dreamland. "La ciudad de los prodigios", die Stadt der Wunder, nannte 1986 der Romancier Eduardo Mendoza ironisch die katalanische Hauptstadt in seinem Roman gleichen Namens.
Barcelona ist und bleibt umflort vom Nimbus der ewigen Aufmüpfigkeit. Als im Frühjahr und Sommer 2003 nach Presseberichten ca. 93% der wahlberechtigten Spanierinnen und Spanier ihren erzreaktionären Regierungschef José Maria Aznar zum Teufel hätten jagen wollen, tobte vor allem in der nationalen Peripherie – also in Galizien, im Baskenland und eben in Barcelona – lautstark der Widerstand gegen ihn, und in schöner Regelmäßigkeit marschieren, rollen, knattern oder qualmen auch heute beeindruckende Demonstrationszüge durch die Straßen. Das macht beliebt bei den Linken. Selbst der jugendlich-krause katalanische Nationalismus bewirkt keine ernsthafte Rufschädigung. Würde jemand auf den naheliegenden Gedanken kommen, ein Büro für den boomenden linksalternativen Reisemarkt zu eröffnen – jenen Kapuzenpulli-Tourismus, der gelegentlich mit genau dergleichen Blindheit geschlagen ist wie seine großen Brüder von Neckermann & Co. – müßte er unvermeidlich Barcelona auf die Titelseite seiner Prospekte setzen, in Vier-Farb-Druck auf Hochglanzpapier.
Barcelona not cool!
Tatsächlich ist an Barcelona nur „wunderbar“, wie rasend sich die Folgen der neoliberalen Deregulierung offenbaren. Die Mieten sind in astronomische Höhen geschnellt. Für ein licht – und luftloses Kabuff von der Größe einer mittleren Telefonzelle sind 400 bis 600 Euro heute Standard; und das, obwohl Barcelona in den letzten Jahren mehr als 300.000 Einwohnerinnen und Einwohner verloren hat. Die Folgen, Obdachlosigkeit, Armut, Kriminalität und eine wachsende Segregation der betuchteren Schichten von der „Überschußbevölkerung“, sind überall sichtbar. Reichere Stadtviertel wie beispielsweise die Eixample ähneln belagerten Festungen, in denen sich das traditionell wohlhabende katalanische Bürgertum verschanzt. Barcelona ist ein El Dorado für private Sicherheitsfirmen geworden. Noch vor dem kleinsten Buchladen kann man mittlerweile die bärtigen Herren in ihren phantasievollen Uniformen finster dreinblicken sehen, ganz, als sei man noch in den späten Siebzigern, und mit vier (!) verschiedenen Polizeibrigaden ist das Chaos der Stadt perfekt. Die gängige Polizeistaatsmoral der Stadtverwaltung wurde jüngst auf erheiternde Weise deutlich, als vor der Fiesta de la Mercé, der Fiesta Mayor von Barcelona, laut in der katalanischen Presse darüber nachgedacht wurde, eine Sondereinheit der Polizei mit weitgehenden Befugnissen zum Kampf gegen den sogenannten „Piss-Vandalismus“ zusammenzustellen. Der chronischen Stehpisserei in den engen Gassen der Altstadt sollte endgültig mit Feuer und Schwert Einhalt geboten werden. Erst nach der siebentägigen Feier, zu der tausende von Menschen angereist waren, gab man kleinlaut zu, ein paar öffentliche Toiletten hätten es womöglich auch getan.
Die verkaufte andere Welt
Wie sehr man sich unter den Verantwortlichen dabei Mühe macht, Barcelona (und Katalonien) als fortschrittliche, weltoffene Alternative zum hinterwäldlerischen Mutterland Spanien zu präsentieren und den Mythos Barcelona einträglich lebendig zu erhalten, wird gegenwärtig an den Vorbereitungen für das Forum Barcelona 2004 deutlich, mit dem sich Jordi Pujol, seines Zeichens Multimillionär, Pressezar und ewiger Präsident der Generalitat, vor seinem politischen Abgang im kommenden Jahr ein Denkmal setzen möchte. Die Ankündigung dieses vom 9. Mai bis zum 26. September 2004 geplanten Massenspektakels hat es in sich. Man kann sich kaum retten vor den vielen, vielen bunten Werbeheftchen. Mitten in der Stadt ist ein Museum (!) eingerichtet worden, in dem man – kostenlos – mittels virtueller Displays und allerhand anderen hochmodernen Krimskrams über eine animierte „Stadt der Zukunft“ hinsegeln darf, oder sie auf einer weißen Magnetplatte als dreidimensionales Hologramm erstehen lassen kann. Über all dem prangt das Logo des Unternehmens: zwei Hände, die sich auf weißem Grund einander nähern, und darunter steht: „Eine Begegnung, die die Welt verändern wird“.
Die Welt ist schon verändert. Denn die katalanischen Baulöwen und Städteplaner, die hinter dem Forum stehen, haben, geschäftstüchtig wie üblich und vermutlich als erste, etwas Wichtiges erkannt: die Zugkraft und das Potential von Parolen der Anti-Globalisierungsbewegung für den kapitalistischen Markt. Wer sich die Mühe macht, die überall herumfliegenden Werbezettel tatsächlich einmal zu lesen, muß unweigerlich den Eindruck gewinnen, man wolle an der Küste Barcelonas eine zweite Causse Larzac erstehen lassen: „Ein Treffen für nachhaltige Entwicklung, kulturelle Vielfalt und Frieden […] ein Treffen von Menschen aller Kontinente, die helfen wollen, eine bessere Welt zu schaffen […] ein Treffen, miteinander zu reden und zu feiern […] ein unerhörtes Ereignis […] von internationaler Tragweite“. Barcelona, so soll man dieses Programm wohl verstehen, möchte der transnationalen Protestlergemeinde ein heimeliges Nest bauen. Für fast ein Jahr sollen Treffen, Diskussionsforen und Kongresse abgehalten werden, auf denen über eine bessere Welt beraten wird, und die Stadt erklärt sich bereit, für diese großen und zukunftsweisenden Aufgaben den geeigneten Rahmen zu schaffen. Die Bauvorhaben, die dem Forum vorausgehen sollen, sind gigantisch. Man hat, sehr zeitgemäß, erkannt, daß Barcelona als „Hauptstadt einer humanen Globalisierung“ im Stadtmarketing ein Schlager wäre. Und selbst beim Schulterschluß mit wirklichen Gegnerinnen und Gegnern der kapitalistischen Globalisierung – denn es ist kaum wahrscheinlich, daß zumindest die Stars der Bewegung eine Einladung nach Barcelona ausschlagen werden – ist wenig zu verlieren.
Das Ende des Poble Nou
Tatsächlich handelt es sich bei dem von zwei Architekten entworfenen Projekt des Forum 2004 um nichts als eine der üblichen, sprunghaften Stadtentwicklungen Barcelonas, bei denen eine zutiefst korrupte Bauwirtschaft, glücklich verfilzt mit politischen Honoratioren der autonomen Verwaltung Kataloniens, die Kasse klingeln läßt.
Ganz wie zu Zeiten der Weltausstellungen von 1888 und 1929, die Mendoza in „Die Stadt der Wunder“ beschreibt, profiliert sich eine Clique von Spekulanten und Investoren, die sich ihre Traumstadt basteln und sich an Großaufträgen gesund stoßen. Soziales spielt dabei nur insofern eine Rolle, als man es werbewirksam vermarkten kann; als es dem freigeistigen und progressiven Ruf Barcelonas Rechnung trägt.
Die Einwohnerinnen und Einwohner des Poble Nou, eines der wenigen noch weitgehend proletarischen Stadtviertels zwischen dem Meer und der Sagrada Familia im Osten der Stadt, werden die „weltverändernde […] Tragweite“ des Forums zu spüren bekommen. Die Planer brauchen Platz für „12 Kongresssäle, ein Pressezentrum und eine Produktionsstätte des staatlichen Fernsehens“. Der gesamte Südosten soll eingestampft und neubebaut werden, und gut ein Drittel der alten, dicht bewohnten Gebäude des Poble Nou wird die Abrissbirne zu schmecken bekommen. Damit verschwindet freilich eines der letzten innenstadtnahen Viertel, in denen sich auch bei schmalerem Geldbeutel einigermaßen leben ließ. Man merke: „Nachhaltigkeit“.
Die „Umgestaltung von Poble Nou“ hat noch einen weiteren, gar nicht „weltbewegenden“ Hintergrund. Denn wie eine Wand, die das Viertel mit seinen alten Lagerhallen, Mietskasernen und dem Gefängnis vom Meer trennt, zieht sich eine moderne Betonpromenade mit Jachthäfen und Luxushotels an der Küste entlang: der Passeig Maritim. Während der letzten Olympiade begonnen, ist diese Flaniermeile der Reichen und Schönen nie fertiggestellt worden. Sie endet gut anderthalb Kilometer vor dem Riu Besós, einem der zwei Barcelona gleichsam einrahmenden Flüsse, in einer enormen Industriebrache.
Dort soll nun ein moderner Park entstehen, bescheidene 25 Hektar groß, in dem die zum Forum erwarteten Massen begrüßt und „abgefertigt“ werden. Das Forum wird Barcelona endgültig zu einem durchgehenden Spazierweg in Meeresnähe verhelfen. So etwas schreibt man natürlich lieber nicht ins Programm.
Räumung für die „Stadt der Zukunft“
Gleichzeitig und gleichsam als Begleitprogramm sollen die vier ältesten besetzten Häuser der Stadt, darunter die traditionsreiche Casa de la Muntanya, bis Mai der neuen Welt des Forums weichen. Sie liegen über die gesamte Stadt verteilt und werden offensichtlich eher als imageschädigend denn als lästig im Weg stehende, bewohnbare Bausubstanz angesehen. Schon jetzt wird in Katalonien die Repressionsschraube gegen Hausbesetzerinnen und Hausbesetzer angezogen. Blutiger Höhepunkt war die brutale Räumung des in Valencia besetzten Teatre Princesa, das die Polizei während einer angemeldeten Feier durch die Fenster mit Gasgranaten beschoß. Einer der Besetzer, der versuchte, vor den Tränengasschwaden zu fliehen, wurde auf dem Treppenabsatz von der Guardia Civil gestellt – und erschlagen. Bei den sich anschließenden Massenprotesten kam es zu weiteren Gewalttätigkeiten und zahlreichen Festnahmen. Drei valenzianische Anarchisten wurden sechs Monate in Haft gehalten, bis ein Gericht kleinlaut zugeben mußte, die Anklage, sie hätten eine „bewaffnete Gruppe“ bilden wollen, sei an den Haaren herbeigezogen. Dafür ist nun ganz Spanien übersäht mit Graffitis, die die Freilassung der „Gefangenen von Valencia“ fordern. Ganz offensichtlich meinen die Macher des Forum 2004, wenn sie von Kultur reden, nicht eigenverantwortliche und selbstgestaltete Kultur von unten, und auch der soziale Friede der Stadt kann kaum gemeint sein, wenn immer wieder von „la paz“ die Rede ist. Die neue Welt des Forums ist eine Mischung aus Glamour, Geld, Beton und Polizei.
Der Widerstand gegen den architektonischen Großangriff formiert sich gleichwohl nur zaghaft und wird selbst im Poble Nou von der enormen Propagandawelle davon gespült. Bemerkenswert bleibt, daß Werbung, Bauwut und das große Geld mit der Sympathie, die viele Menschen der Anti-Globalisierungsbewegung und ihren Zielen entgegenbringen, bereits schwunghaft Geschäfte machen. Als die Tupamaros in den sechziger Jahren mit spektakulären und weiten teils unblutigen Aktionen der Staatsmacht Uruguays auf der Nase herumtanzten, brachte VW Deutschland einen knatschgrünen Käfer, „Modell Tupamaros“, heraus, der zum Verkaufsschlager des Konzerns avancierte.
Will man dergleichen bei Kernbegriffen des Anti-Globalisierungsprotestes verhindern, sollte schleunigst ein Copyright auf linke Parolen beantragt werden.