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Zehn Jahre Zapatistischer Aufstand

| Oskar Lubin

Vor zehn Jahren, am 1. Januar 1994, begann die Erhebung der Zapatistas (vgl. GWR 185). Für einen kurzen - und für viele einen bis heute verlängerten - Augenblick schaute die Welt auf Mexiko, genauer auf Chiapas, den südlichsten und ärmsten Bundesstaat. Aber warum eigentlich?

Für alle, die diesen Moment verpasst haben oder schon immer wissen wollten, was es mit dem Zapatismus eigentlich auf sich hat, hier der Versuch einer kurzen Zusammenfassung.

Der Aufstand

Nur zwölf Tage dauerte die militärische Auseinandersetzung zwischen der bis dahin unbekannten Guerilla EZLN (Ejecito Zapatista de Liberación Nacional – Zapatistisches Heer zur Nationalen Befreiung) und dem mexikanischen Bundesheer. Für BeobachterInnen aller Couleur überraschend hatten die Gueriller@s einige größere Orte und Städte besetzt und mit ihrem Motto „Ya Basta!“ (Es reicht!) die Weltöffentlichkeit auf die Situation im Süden Mexikos aufmerksam gemacht: Die extreme Armut und die rassistische Ausgrenzung der indigenen Bevölkerung.

Aber nicht nur die regionale Ungerechtigkeit war gemeint. Symbolisch gut gewählt, begannen die Zapatistas ihren Aufstand am Tag des Inkrafttretens des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) und formulierten damit eine Gegnerschaft gegen ein politökonomisches Modell, der sich weltweit viele anschließen sollten: den Neoliberalismus.

Der Zapatismus

Zwar besteht die Guerilla bis heute zum Großteil aus Indígenas, der Zapatismus aber ist nicht nur die EZLN. Benannt ist die Bewegung nach Emiliano Zapata (1873-1919), der in der mexikanischen Revolution (1910-1920) unter der Losung „Land und Freiheit“ („Tierra y Libertad“) eine Bauernmiliz anführte und den links-libertären Flügel der Revolution repräsentierte (vgl. GWR 187). Dennoch nicht nur eine subversive Bezugnahme in Mexiko: bis zur Abschaffung des Zehn-Peso-Scheins prangte darauf sein Konterfei. Den Zapatismus als solchen aber, das wurde immer wieder betont, gibt es nicht. Er konstituiert sich weder durch eine konkrete Gruppe, noch durch ein bestimmtes politisches Programm. Angesprochen sind Marginalisierte in aller Welt, ausgesprochen sind die Ziele Freiheit, Würde, Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden.

Die Wortergreifung

Ein Avantgarde-Anspruch wie von früheren Guerilla-Gruppen wurde von der EZLN bewusst nicht formuliert. Viele Dogmen der 60er und 70er Jahre hinter sich lassend, betraten die Zapatistas die politische Bühne stattdessen mit einer poetischen Sprache, die ihnen Sympathien weit über linksradikale Kreise hinaus eintrug und sie auch als „Diskursguerilla“ in die Geschichte eingehen ließ. Das Wort ist eins der wichtigsten Kampfmittel der Zapatistas, seit dem Waffenstillstand vom Januar 1994 fiel von ihrer Seite kein Schuss mehr. In ihren Erklärungen, den cominicados, mit denen sie ihre Wege und Ziele erläutern, und auch durch ihr outfit, den charakeristischen pasamontanas (Skimützen), wählen die Zapatistas betont symbolische Formen der Politik.

So halten sie mit ihrer Vermummung der Gesellschaft den Spiegel vor und machen auf all diejenigen aufmerksam, die bis dahin in der sozialen und medialen Welt unsichtbar waren und nicht wahrgenommen wurden.

Das Politikverständnis

Um ihren prozessorientierten Weg der Veränderungen zu betonen, gaben die Zapatistas sich das Motto „preguntando caminamos“ („fragend schreiten wir voran“), die von der Guerilla bzw. ihren UnterstützerInnen kontrollierten Gebiete heißen „Gemeinden in Rebellion“ und wurden mit Namen aus der Geschichte des linken Widerstandes („Emiliano Zapata“, „Che Guevara“, „Tierra y Libertad“) umbenannt.

Die letzte demokratische Umstrukturierung der autonomen Gemeinden im August 2003 wurde mit so genannten „Juntas de buen gobiernos“ („Juntas der guten Regierung“) vielleicht nicht so glücklich bezeichnet, denn eigentlich sind die Zapatistas in Wort und Tat ausgesprochen antistaatlich – was die Rede von einer „guten Regierung“ eigentlich ausschließen müsste – und verzichten im Gegensatz zu den meisten anderen lateinamerikanischen Guerillas auf den Anspruch der Machteroberung.

Ein Preis für das zeitweise große Medienecho der Zapatistas ist sicherlich der Personenkult um den Sprecher der Guerilla, Subcomandante Marcos. Macht sein Konterfei auf T-Shirts längst dem von Che Guevara Konkurrenz, wird seine Bedeutung als „Superstar“ für die wirklichen Prozesse vor Ort sicher oft zu hoch eingeschätzt. Dennoch gelingt es auch den SympathisantInnen durchaus nicht immer, den Blick durch die Maske auf die sozialen Realitäten zu lenken, wie ursprünglich beabsichtigt. Der basisdemokratische Politikanspruch wird dadurch manches mal konterkariert.

Die Autonomie

Basisdemokratisch organisiert sind allerdings die autonomen Gemeinden. Sie bilden die politische und personelle Basis der Zapatistas. In über dreißig Landkreisen behaupten sich autonome Gemeinden nach dem Prinzip des „gehorchend Befehlens“, auch eine Wortneuschöpfung, die martialischer klingt, als sie gemeint ist: Sie bedeutet, dass die gewählten VertreterInnen den „Befehlen“ der Basis verpflichtet sind und, sofern sie sie nicht erfüllen, abgesetzt werden können. Diese Landkreise und Dörfer, die sich vor, während oder nach dem 1.Januar 1994 zu Unterstützerinnen der Bewegung erklärten, verwalten sich seitdem selbstverwaltet, unabhängig auch von Almosen der Regierung, und bewirtschaften ihr Land kollektiv. (vgl. GWR 268).

Die Autonomie ist eine der zentralen Forderungen der Zapatistas. Damit wird nicht die Abspaltung vom Zentralstaat in Form eines „Indianerreservats“ verlangt, sondern die Verfügungsrechte über das bearbeitete und bewohnte Land. Eine Forderung, die im ressourcenreichen Chiapas auf den vehementen Widerstand von Großgrundbesitzern, Industrie und Regierung stößt. Diese Koalition hat letztlich bis heute auch die Umsetzung der Verträge von San Andrés verhindert. Diese Abkommen wurden im Februar 1996 von der Zentralregierung und der EZLN vereinbart, vom Staat jedoch nie umgesetzt. Die Forderung nach Umsetzung der darin vereinbarten Garantien für indigenen Rechte und Kultur ist seitdem immer wieder Anlass zivilgesellschaftlicher Interventionen der Zapatistas.

Die Zivilgesellschaft

Ansprechpartner und potentielle Unterstützung treffen die Zapatistas in der sogenannten Zivilgesellschaft. Die Zivilgesellschaft wird v.a. verstanden als von Parteien, Verbänden und staatlichen Institutionen unabhängige Gruppen und Personen, sorgte aber als Begriff immer wieder für Diskussionen und Irritationen (weil er nicht identisch ist mit den eher geläufigen Bedeutungen des Begriffes bei Habermas oder bei Gramsci).

Die zivilgesellschaftlichen Initiativen, die die Zapatistas immer wieder ergriffen, sind somit auch – neben den autonomen Gemeinden – das zentrale Politikfeld des Zapatismus. In Mexiko initiierten die Zapatistas eine große Diskussionsplattform, den Demokratischen Konvent (CND) (1994) und sie unternahmen verschiedene Versuche, die Zivilgesellschaft auch organisatorisch zu bündeln: mit der Gründung einer Bewegung zur Nationalen Befreiung (1995) oder der Zapatistischen Front (FZLN, 1997). Mit der nationalen Befragung über die Zustimmung zu den Zielen der Bewegung, genannt Consulta 1999, brachten sie ihr Eintreten für Demokratie zum Ausdruck. Die letzte groß angelegte Aktion war La Marcha, eine von 2000 SympathisantInnen und MenschenrechtsbeobachterInnen begleitete Buskarawane der Comandancia in die Hauptstadt im Frühjahr 2001 (vgl. GWR 258).

Nicht zu unterschätzen sind auch die zivilgesellschaftlichen Initiativen auf transnationaler Ebene. Die beiden intergalaktischen Treffen gegen den Neoliberalismus und für die Menschlichkeit/ Menschheit, die mit TeilnehmerInnen aus vielen Regionen der Welt 1996 in Chiapas und 1997 in Spanien (vgl. GWR 221) stattfanden, haben die globalisierungskritische Bewegung angestoßen und können getrost als Vorläufer der Weltsozialforen betrachtet werden. Die Zapatistas initiierten damit auch, wie es ein Buchtitel so schön wiedergibt, eine „Internationale der Hoffnung“.

Der Nationalismus

Widersprüchlich wie die militärische Struktur – obwohl die Zapatistas betonen, Soldaten zu sein, damit es keine Soldaten mehr geben muss – ist sicherlich auch der Bezug auf die mexikanische Nation. So hat das „N“ im Namen und das Hochhalten der Nationalflagge immer wieder zu berechtigter Kritik Anlass gegeben. Allerdings ist dabei nicht zu vergessen, dass die Nation in Lateinamerika immer auch in einem antiimperialistischen Deutungsrahmen steht und im besonderen Falle der Zapatistas eine Inklusion statt, wie in Europa Normalität, einen Ausschluss symbolisieren soll: Die Losung „Nunca más un México sin nosotr@s!“, (Nie mehr ein Mexiko ohne uns!) klagt diesen Einschluss ein. Den Tendenzen, nur als indigene Bewegung mit nationalem Anspruch zu erscheinen, begegnen die Zapatistas wiederum mit dem wirklich alle implizierenden Motto „Hinter unseren Masken sind wir Ihr“.