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Von Aznar zum Aznarismus

| Joseph Steinbeiß

Man wird sie getrost forträumen dürfen, die Kristallkugeln und Tarotkarten. Die Eingeweide der diversen Kleinstnager auf dem schwarzverhängten Küchentisch gehören wieder der Katze, und den dicken Prütt am Grund der morgendlichen Kaffeetasse kann man endlich wieder in den Ausguß spülen. Es ist keine Prophetie mehr nötig.

Der Partido Popular (PP), Spaniens erzreaktionäre Staatspartei, wird die Wahlen am 14. März 2004 in Spanien gewinnen – möglicherweise mit absoluter Mehrheit. Mit 42,7% der Stimmen liegt der PP weit vor den neoliberalen Hampelmännern der sozialistischen Konkurrenz vom Partido Socialista Obrero Espanol (PSOE) [Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens], und der Vorsprung wird sich aller Voraussicht nach vergrößern. Nach Angaben der Tageszeitung El País sehen 66,4% der spanischen Wahlberechtigten in Aznars per dedazo [Fingerzeig] designierten Nachfolger Mariano Rajoy den nächsten Regierungschef des Landes. Es fehlen nur einige läppische Prozentpünktchen, und der Partido Popular wird seine selbstherrliche Ein-Parteien-Diktatur auf der Iberischen Halbinsel fortsetzen. Wer diese Aussicht für belanglos hält, hat offenbar das Land in den letzten Jahren nicht besucht.

Der Partido Popular ist die reaktionärste nicht-faschistische Partei Europas, und in Spanien selbst wird über die Berechtigung des letztgenannten Attributs mitunter mit Hitze gestritten. Seit dem Untergang der Unión Popular von Manuel Fraga ist der PP zum Sammelbecken aller franquistischen und „postfranquistischen“ Kräfte geworden, und José María Aznar, der, wie schon vor Jahren angekündigt, nicht mehr zur Wahl im März antreten wird, war vor nicht allzu langer Zeit der vermutlich meistgehaßte Regierungschef des Landes. Der Partido Popular hat einfach alles, was es für einen zünftigen politischen Grusel braucht: der Geist Francos geht schlurfend durch die Reihen, und auch die katholische Technokratensekte Opus Dei darf sich im PP heimisch fühlen. Aznar selbst wurde an ihrer Eliteuniversität in Pamplona ausgebildet, eine Ministerin seines ersten Kabinetts war sogar Mitglied der Organisation. Es war der Partido Popular, der einen ohnehin mehr als zaghaften Gesetzesentwurf gegen häusliche Gewalt in der ganzen Pracht seiner absoluten Mehrheit zunächst schlichtweg ablehnte, und dann, nach durchaus europaweiten Protesten, so verwässerte, daß erboste Feministinnen bei seiner Verabschiedung in den Cortés Skandal machten. Einen Gesetzesentwurf gegen die nahezu allgegenwärtige Misshandlung von Frauen ungerührt vom Tisch zu wischen ist schon eine Leistung in einem Land, in dem es bis 1964 noch geltendes Recht war, daß ein Ehemann oder Vater die eigene Ehefrau bzw. Tochter bei erwiesenem Ehebruch eigenhändig töten durfte. In der Bildungspolitik ist der PP für die Wiedereinführung eines national-katholischen Lehrplans verantwortlich, der dem rechten Klerus Freudentränen in die Augen treibt; auf den kanarischen Inseln werden afrikanische Flüchtlinge unter stetig unerträglicher werdenden Bedingungen zusammengepfercht, und selbst die Straßenkünstlerinnen und Straßenkünstler, die in Städten wie Madrid oder Barcelona so auffällig das Bild prägen, dürfen sich in Zukunft auf verschärfte Kontrollen und Schikanen der Ordnungskräfte freuen. Wer dagegen betrunken einen Passanten am Kragen packt und brüllend Geld verlangt, hat wenig zu befürchten. Christliche Almosenwirtschaft ersetzte schon unter Franco eine menschenwürdige Sozialpolitik.

Was den kaum mehr zweifelhaften Wahlsieg des Partido Popular so schwer begreiflich macht ist die Tatsache, daß eine überwältigende Mehrheit der spanischen Bevölkerung jahrelang gegen ihre eigene Regierung praktisch Krieg führte. Als ein Wahlsieg der PSOE im Bund mit der Izquierda Unida (IU) [Vereinigte Linke] bei den Kommunalwahlen in Madrid von der PP gelassen für ungültig erklärt wurde, antwortete Spanien mit einem Generalstreik. Die Ölkatastrophe vor der galizischen Küste brachte die ohnehin kämpferischen nationalen Minderheiten des Landes gegen die Regierung so sehr in Wallung, daß Beamte aus Madrid, die die Region bereisten, um ihre Gesundheit fürchten mußten. Und als Aznar und seine Partei Spanien auf den US-amerikanischen „Kreuzzug“ am Golf einschworen, unterbrachen Friedensaktivisten sogar internationale Fußballspiele mit phantasievollen Protestaktionen. Die Gründe, warum man zwar einen ungeliebten Regierungschef zum Teufel wünscht, seiner Partei aber mit wehenden Fahnen zu Macht verhilft, sind vielfältig. Zum einen sind Wahlkämpfe in Spanien immer höchst personalisierte Angelegenheiten gewesen. Nicht die PSOE wurde 1996 abgewählt, sondern deren Kopf Felipe González. Noch vier Jahre zuvor war der sozialistische Regierungschef so beliebt gewesen, daß er, als er seinen Herausforderer Aznar während einer Fernsehdebatte regelrecht vorführte, seiner Partei gleichsam im Alleingang zu einem weiteren Mandat verhalf. Die Tatsache, daß Aznar nicht antritt, hat die Siegeschancen des Partido Popular beträchtlich erhöht. Ein Ergebnis der Proteste ist sie nicht.

Der desolate Zustand der PSOE mit ihrem glücklosen Kandidaten Zapatero tut ein übriges, den PP ganz nach oben zu spülen. Denn, so widersinnig es klingen mag, die Massenproteste gegen die Regierung Aznar richteten sich zwar gegen ihn, nie aber gegen das politische System, für das er stand. Die parlamentarische Demokratie, wie sie in Spanien im vergangenen Jahr 25 Jahre alt wurde, stand selbst zu kämpferischen Zeiten nie zur Diskussion, und an der Parteienlandschaft hat man wenig auszusetzen. Die 40 Jahre der Diktatur Francos sind noch keineswegs vergessen. So darf man sich freuen auf die erneute Wiederkehr der guten, alten Espana negra.