Das nordrhein-westfälische Innenministerium brachte die Problematik mit bemerkenswerter Prägnanz auf den Punkt: "Wie bereits im Vorjahr kann auch für den kommenden Winter nicht ausgeschlossen werden, dass Kinder von Roma-Familien bei einer zwangsweisen Rückführung auf Verhältnisse treffen, in denen sie schwere Gesundheitsschäden erleiden", schrieb NRW-Innenminister Fritz Behrens am 13. Dezember an die kommunalen Ausländerbehörden und bat sie, Roma-Familien mit unter 16jährigen Kindern aus der Bundesrepublik Jugoslawien bis zum 19. März dieses Jahres nicht abzuschieben. Ähnliche Vorschriften gab es für die Wintermonate auch in anderen Bundesländern.
Seit zwei Wochen also gibt es in NRW für Abschiebungen von Roma nach Serbien und Montenegro (im Gegensatz zum Kosovo, wo Roma durch das mit der UNMIK vereinbarte und für ein weiteres Jahr verlängerte „Memorandum of Understanding“ weitgehend vor einer Abschiebung geschützt sind) noch weniger Hindernisse als zuvor. Allerdings starteten auch im Winter regelmäßig Abschiebungsflüge vom Düsseldorfer Flughafen mit Reiseziel Belgrad, da Familien mit Kindern ab 16 Jahren und Straftäter vom „Wintererlass“ ausgenommen waren. Erst am 11. März 2004 war es in Essen zu einer spektakulären Abschiebung einer Familie mit einer 17jährigen Tochter gekommen: Als die Polizei die Familie um sieben Uhr morgens zum Flughafen bringen wollte, drohte der verzweifelte Familienvater seine Angehörigen und sich selbst umzubringen; ein Sondereinsatzkommando überwältigte ihn. „Die Familie wurde sofort zum Flughafen Düsseldorf gefahren und fliegt mit der vorgebuchten Maschine in ihr Heimatland zurück“, schreibt die Polizei in ihrem Pressebericht, und fügt mit einem Höchstmaß an Empörung hinzu: „Es kam zu leichten Verkehrsbehinderungen.“
Auf welche „Verhältnisse“, wie es der Innenminister nennt, Roma-Familien im „Heimatland“ Serbien treffen, schildern Reiseberichte unterschiedlicher Organisationen und Privatpersonen, die im vergangenen Jahr die Region besucht haben, äußerst eindringlich: „Seit Oktober 2002 hat sich die Situation der Flüchtlinge, vor allem aus der Volksgruppe der Roma, sowohl in Serbien als auch im Kosovo weiter verschlechtert“, berichtet etwa der grüne NRW-Landtagsabgeordnete Rüdiger Sagel von einer Balkan-Reise im März vergangenen Jahres. Insbesondere Roma lebten „unter humanitär völlig inakzeptablen Bedingungen“, die durch die Abschiebungen noch verschärft würden.
Die „Mütter für den Frieden“ berichten 2003 aus Belgrad: „Fährt man mit dem Auto durch die Stadt und schaut sich dabei aufmerksam um, entdeckt man immer wieder an Abhängen oder auf Brachland kleine Hütten, die aus Holz, Karton, Blechen oder anderen Abfällen zusammengezimmert sind.“ Das Informationsbüro der Deutschen Caritas und Diakonie in Pristina in seinem Monatsbericht 04/2002: „Belgrads Roma leben in ungefähr 150 Slums, die denen in Afrika oder Südamerika an Armut, Schmutz und Schäbigkeit in nichts nachstehen. Ihre Kinder spielen in Pfützen aus Abwässern aus den Sickergruben. (…) 70% der Roma-Haushalte haben kein fließendes Wasser, 84% keine Kanalisation und nur 8% besitzen ein Badezimmer.“
Dies sind also die „Verhältnisse“, die Kindern im Frühling problemlos zugemutet werden können. Was ist also zu tun?
„Nichts“, meint die Innenministerkonferenz: Sie hat zuletzt im vergangenen Jahr nochmals klargestellt, dass es eine „Gruppenlösung“, also ein Bleiberecht für Roma, keinesfalls geben werde. „Abwarten“, meinen die Flüchtlingsorganisationen: „Vor einer Einigung beim Zuwanderungsgesetz wird sich in Sachen Altfallregelung nichts bewegen“, mutmaßt Frank Gockel vom Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen. Auch die Roma selbst sind nach den Protestaktionen im Rahmen der Karawane vor anderthalb Jahren ernüchtert: „Diejenigen, die seit zehn oder 15 Jahren hier leben, richten ihre Hoffnungen darauf, dass das Zuwanderungsgesetz etwas bringt“, weiß Nation-Worker Fadil Mehmeti, der für die Stadt Münster Roma-Familien berät.
Realistisch indes ist diese Hoffnung wohl kaum: Da ein Bleiberecht im Rahmen einer Altfallregelung in aller Regel an die Voraussetzung der Sozialhilfeunabhängigkeit geknüpft ist, werden Roma davon faktisch nicht profitieren können. Ihr aufenthaltsrechtlicher Status der „Duldung“ hat sie während ihres Lebens in Deutschland praktisch vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen.