kommentar

„No más bombas, …

... no más muertos". Terroranschläge in Madrid

| Joseph Steinbeiß

Das hat man nun davon, der politischen Alma Mater fremdzugehen, nur Ereignisse zu kommentieren, die auch artig eingetreten sind, und sich statt dessen als Teiresias, Jesaia oder Nostradamus aufzuspielen. Der Partido Popular ist abgewählt, und Joseph Steinbeiß ordentlich blamiert (vgl. GWR 287, S. 2) . Aber zum Lachen ist ganz gewiß niemandem...

Über 200 Menschen sind tot und über 1000 Menschen zum Teil schwer verletzt. Spanien hat die letzte, unverschämte Lüge des ohnehin scheidenden Ministerpräsidenten Aznar und seiner Clique beantwortet. Man täusche sich nicht: Zapatero und seine form- und farblose PSOE sind nicht gewählt worden. Der Partido Popular wurde abgewählt – und das ist alles.

Man sollte sich vorsorglich den 20. Juni 2004 im Kalender ankreuzen. Zu diesem Zeitpunkt will Zapatero „spätestens“ die spanischen Truppen aus dem Irak heraushaben. Möglich, daß er auf einen Regimewechsel auch in den USA hofft, der ihm Probleme erspart und ihn Wort halten läßt. Aznar, Rajoy und ihr Innenminister Ángel Acebes hatten jedenfalls ganz richtig erkannt, daß die Nachricht, nicht ETA habe die ungeheure und unmenschliche Bluttat vom 11. März begangen, ihnen politisch das Grab schaufeln würde – trotz aller optimistischen Vorhersagen, den Wahlausgang betreffend. Jede auch nur entfernte Verbindung des Anschlags mit der spanischen Beteiligung am Irak-Krieg, die Aznar in schwer zu übertreffender Arroganz gegen die Mehrheit der Bevölkerung seines Landes hatte durchprügeln lassen, mußte seinem Kandidaten Rajoy wie ein Fels auf den Fuß fallen. Einen Anschlag der ETA dagegen hätte der Partido Popular zweifellos zum Anlass genommen, seine „harte Linie“ gegen den „baskischen Separatismus“ ein weiteres Mal als den einzig gangbaren Weg anzupreisen.

Innere Sicherheit zieht, nicht nur in Deutschland. Es scheint zur politischen Statur europäischer Konservativer zu gehören, sich selbst für äußert schlau, den Rest der Bevölkerung aber für chronisch blöd zu halten.

Man war beim Partido Popular offenbar der Meinung, in das starre Grauen und Entsetzen des 11. März hinein nur ein paar mal kurz und unbewiesen „ETA, ETA“ murmeln zu müssen, und schon würde man mit siegesgewissen Bannern eines endlosen Anti-Terror-Kampfes ins Parlament einziehen. Das Problem war nur, daß in Spanien kaum jemand dieses Märchen glaubte – noch bevor die Fakten auf den Tisch kamen. In Barcelona waren auf der 1,5 Millionen Menschen starken Kundgebung einen Tag nach dem Anschlag mehr Rufe gegen die regierende Partei zu hören als gegen die baskischen Terroristen. Nicht, daß man ihnen eine solche Bluttat nicht zutrauen könnte: 1987 ließ ETA in Barcelona eine Bombe in der Tiefgarage eines Kaufhauses explodieren. 23 Menschen fanden den Tod. Allein an diesem Vergleich aber wird der Unterschied zu den Mördern vom 11. März deutlich. ETA verfolgt innenpolitische Ziele – die Zusammenführung und staatliche Unabhängigkeit des französischen und spanischen Baskenlandes, zuzüglich eines substantiellen Teils der Provinz Navarra (wenn man schon mal dabei ist!) – und ist trotz allem auf zumindest minimale innenpolitische Unterstützung angewiesen. Nach dem Anschlag von Barcelona gab die ETA ein Schreiben heraus, in dem sie die Tat als „Fehler“ bezeichnete. Dafür konnte sich keines der Opfer etwas kaufen. Aber es ist für das Procedere von ETA bezeichnend. Noch nie zuvor hatte ETA ohne Vorwarnung zugeschlagen. Noch nie zuvor hatte ETA mit Bekennerschreiben gegeizt. Und noch nie zuvor hatte ETA Spanier wie Basken gleichermaßen unterschiedslos abgeschlachtet, einzig mit dem Ziel, so viele Menschen wie möglich zu töten – noch dazu in Zügen, die aus Madrids armen, proletarischen Vororten in die Innenstadt fuhren. Selbst in den höheren Etagen der Presse wurde man nachdenklich. In der Sonderausgabe von El País, die schon am Nachmittag des 11. März an den Kiosken lag und erste Verletztenlisten enthielt, die kostenlos im Netz abgerufen werden konnten, rätselte Josep Ramoneda über eine mögliche Zusammenarbeit von Al Quaida und ETA, und verkündete, willentlich oder unwillentlich, was José María Aznar sich wünschte: „Am liebsten möchte ich bitten, niemand möge bei den Wahlen [am Sonntag] fehlen und seine Stimme denen geben, denen er sie auch gestern gegeben hätte. ETA kann nicht eine einzige Stimme ändern“

Der Anschlag vom 11. März ist eine Katastrophe. Nicht nur menschlich. Sondern auch politisch. Wir stehen vor einer erneuten Drehung der Gewaltspirale, die das 21. Jahrhundert schon jetzt tief in Blut getaucht hat. Es mag sein, daß Irrsinnige mit Taschen voller Sprengstoff nicht aufzuhalten sind. Staaten, die Krieg und Mord wieder zu normalen Formen der Politik gemacht haben, sind es dagegen schon. Man kann nur hoffen, daß der soziale Widerstand in Spanien erhalten bleibt, vielleicht sogar Schule macht, und sich nicht nur auf das kleine Wählerkreuzchen beschränkt, mit dem wir, wie Heinrich Böll einmal gesagt hat, „wenn keine Wahl mehr bleibt, nur noch unseren politischen Analphabetismus bekunden“. Die Machtübernahme der Sozialdemokraten wird nicht Wunder wirken, und vielleicht fragt man sich schon bald, wo überhaupt der Unterschied liegt zwischen PP und PSOE. Sollte Zapatero aber tatsächlich die Truppen vom Golf abziehen, ist das ein Fortschritt. Terror hat viele Gesichter, und Krieg ist zweifellos sein widerwärtigstes. Ob Romano Prodi das gemeint hat, als er, in schütterem Spanisch, seinem Wunsch Ausdruck gab: „No más bombas, no más muertos“ [Keine Bomben mehr, keine Toten mehr]?