In der 12-jährigen Geschichte des Widerstands gegen das ehemalige sowjetische "Bombodrom" hat der gewaltfreie, zivile Ungehorsam eine wesentliche Rolle gespielt.
Die BewohnerInnen der anliegenden Gemeinden in der Region haben es immer als selbstverständlich angesehen, das Gelände zu betreten – sei es zum organisierten Protest, zum Pilze sammeln oder um ohne Umwege in das Nachbardorf auf der anderen Seite des Platzes zu kommen. Im Sommer jeden Jahres führte eine Gruppe von AktivistInnen aus Berlin und Neuruppin jeweils die antimilitaristischen Sommeraktionstage durch, auf denen eine gemeinsame Aktion zivilen Ungehorsams mit der Bürgerinitiative der Höhepunkt war.
Auch das Durchhaltvermögen ist in der Auseinandersetzung um den Bombenabwurfplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide im Norden Brandenburgs reichlich auf die Probe gestellt worden. Mitte letzten Jahres sah es so aus, dass diese punktuellen Formen zivilen Ungehorsams und die juristischen Möglichkeiten des Widerstandes nicht ausreichen würden, den Luft-Boden-Schießplatz zu verhindern. Die Bundeswehr erklärte das Anhörungsverfahren zur Inbetriebnahme für beendet, und Verteidigungsminister Struck ordnete unverzügliche Umsetzung nach den Sommerferien an.
In dieser Situation wurde das Konzept entwickelt, dass möglichst an jedem Übungstag der Bundeswehr eine gewaltfreie Gruppe angekündigt den Platz betritt. Nach den NATO-Statuten ist aus Sicherheitsgründen der Übungsbetrieb zu unterlassen, wenn sich Zivilisten auf einem Truppenübungsplatz befinden. Da die Bundeswehr von sich aus auf Übungen in den Ferien, an Wochenenden und an Feiertagen verzichten will, bleiben etwa 200 potenzielle Übungstage übrig, sodass die Kampagne den Namen „200 Gruppen in die FREIe HEIDe“ erhielt.
Ziel der Kampagne, die inzwischen von der Bewegungsstiftung gefördert wird, ist auch, durch das Betreten des strittigen Geländes vor einem möglichen Übungsbetrieb politischen Druck auszuüben. Das Gelände mit einer Fläche von 142 km2 ist sehr umfangreich und flächendeckend schwer zu kontrollieren. Bisher haben alle Gruppen, die im Winterhalbjahr das Gelände betreten haben, wenig Kontakt mit Bundeswehr und privatem Wachschutz gehabt.
Eine Sternradfahrt zum Ostermarsch 2004 war auch in dieser Hinsicht aufschlussreich. Zwei Gruppen von jeweils 25-30 Mitgliedern hielten sich am 11. April über 2 Stunden auf dem strittigen Gelände auf. Die Bundeswehr erwartete eine Aktion, aber an der falschen Stelle. Zwei RadfahrerInnen, die aus gesundheitlichen Vorbehalten die öffentlich zugängliche Landstraße durch das Gelände benutzten, wurden ausgiebig mit ihren Pace-Fahnen fotografiert und dann auf der Straße 8 km mit einem Funkwagen begleitet.
Den eigentlichen Aktionsgruppen, die auf Feldwegen über den Platz fuhren, wurde scheinbar keine Aufmerksamkeit gewidmet, sodass sie zügig ihren Weg nehmen konnten. Auf dem Platz fand eine Gruppe ein offensichtlich bereits vorbereitetes Zielgebiet vor, dass mit Tonnen gekennzeichnet war. Dies war uns nicht neu, wie auch der Umstand, dass von der Seite des Gerichts zurzeit noch jeglicher militärischer Übungsbetrieb auf dem Gelände untersagt ist. Es wurde zum Anlass genommen, die Tonnen dann auch einem friedlicheren Zweck zuzuführen und sie zu einem Smily umzustellen. Leider waren nicht genug Tonnen vorhanden, um ein Peace-Zeichen daraus zu gestalten.
Seit dem 8. April hatte eine Gruppe, die vom „Friedensweg Leipzig“ organisiert worden war, in Berlin und Oranienburg bereits einige öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Sie legten Kränze an der Neuen Wache in Berlin und an der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Sachsenhausen in Oranienburg nieder und wurden teils von der Presse begleitet.
Alles in allem war die gesamte Aktion ein gelungener Auftritt, der klar machte, dass der Luft-Boden-Schießplatz bei seiner eventuellen Inbetriebnahme mit Aktionen zivilen Ungehorsams in größerem Ausmaß zu rechnen hätte.
Kritischer betrachtet müssen aber die Aktivitäten der etablierten Parteien auf dem Ostermarsch, denen großzügig Redezeit eingeräumt worden war.
Seit dem letzten Sommer gibt es weiter gehende Klagen gegen die Inbetriebnahme des Platzes und eine Beschwerde vor der EU-Kommission wegen Verletzung der Flora-Fauna-Habitat-(FFH)-Richtlinie. Die Unternehmer aus der Region haben die desaströsen Auswirkungen des Luftwaffenübungsbetriebs auf die Entwicklung des Tourismus und des Öko-Landwirtschaft überzeugend vertreten. Am 31. März diesen Jahres sah sich sogar die große Koalition im Brandenburger Landtag genötigt, einen Antrag gegen die militärische Nutzung des strittigen Geländes einzubringen.
Dies alles zeigt, dass die Bewegung vor Ort einen politischen Druck erzeugte, der auch die Regierungsparteien vor den Landtagswahlen zu einem Bekenntnis zwingt. Wie es mit der Politik der Landesregierung allerdings nach der Wahl im September aussehen wird, bleibt offen. Der Antrag des Landtages hat keine Gesetzeskraft und überdauert auch nicht bis in die nächste Legislaturperiode wie eine Klage Mecklenburg-Vorpommerns vor Gericht.
Der Ostermarsch in der FREIen HEIDe war dieses Jahr mit 8000 Teilnehmern zahlenmäßig der größte in seiner Geschichte. Viele Unterstützer kamen aus Berlin und aus weiter gelegenen Städten, aber die überwiegende Mehrheit stammte aus der dünn besiedelten Region. Nach langer Pause war auch wieder der nunmehrige Ministerpräsident Brandenburgs, Herr Platzeck, anwesend. Insbesondere bei seiner Rede ist aber deutlich geworden, dass sich hiesige BIs vorwiegend als Interessenlobby verstehen. Grundsatzdebatten, die verschiedene Motivationen zusammenführend selbstbewusste Aktionsbereitschaft stärken könnten, werden zu Gunsten parteipolitischer Spekulationen vermieden. Schon viel wäre erreicht, wenn von allen Rednern Luftkrieg als verfassungswidriger Angriffkrieg grundsätzlich verurteilt würde. Aber Herr Platzeck durfte unwidersprochen die Bundeswehr und deren Auslandseinsätze billigen – und das auf einem Ostermarsch. Der verdiente in dieser Hinsicht seinen Namen nicht. Es ist daher auch höchste Vorsicht geboten bei der Interpretation der TeilnehmerInnenzahl als Ausdruck von politischer Kraft.
Nach der endgültigen Entscheidung im Verteidigungsministerium könnte die BI FREIe HEIDe ziemlich dumm dreinschauen. Hoffentlich ist dann die in 12 Jahren gewachsene politische Kraft noch zu außerparlamentarischem Widerstand aktivierbar. Der antimilitaristische, noch ziemlich kleine Kern innerhalb der BI wird sicher wachsen und mit Graswurzelwirkung gären müssen.