Friedens- und Konfliktforschung war über Jahrzehnte wohl der Forschungszweig der Sozialwissenschaften, der einer gewaltfreien und einer anarchistischen Bewegung am nächsten stand.
Zielorientiert aufgebaut, kamen dieser wissenschaftliche Bereich und die AktivistInnen oft zu gleichen Schlüssen.
Kaum verwunderlich, wenn z.B. Karlheinz Koppe die Friedensforschung zielabhängig definiert: Friedens- und Konfliktforschung ist laut Koppe nämlich keineswegs die Forschung, die sich einfach mit Krieg und Frieden beschäftigt, sondern jene, die auf das Ziel Frieden hinarbeitet. (0) Selbstverständlich gab es da immer Ausnahmen: Die sogenannte „revolutionäre Friedensforschung“ etwa, die zu dem Schluss gekommen ist, dass selbstverständlich im Kapitalismus Krieg herrsche und auch Kriege nötig seien, um eines Tages zum Ziel des friedlichen Kommunismus zu gelangen. Ob nun plausibel oder nicht, mit der Akzeptanz kriegerischer Gewalt erfüllt die „revolutionäre Friedensforschung“ die Definition Koppes nicht.
Der theoretische Konsens zwischen Anarchismus und Friedensforschung manifestierte sich insbesondere in zwei Standardwerken der Forschung und deren Rezeption: Dies waren zum einen Johan Galtungs „Strukturelle Gewalt“ (1) und zum anderen Ekkehart Krippendorffs „Staat und Krieg“ (2).
Strukturelle Gewalt
Galtungs zentrales Interesse lag in der Erweiterung der Begriffe von Gewalt und Frieden. Frieden ist für Galtung Teil eines dualistischen Konzeptes. Das Gegenstück zu Frieden ist nicht Krieg, wie allgemein üblich konnotiert wird, sondern Gewalt. Frieden ist demnach definiert als Abwesenheit von Gewalt. Galtung definiert Gewalt als Beeinflussung des Menschen, so dass ihre aktuelle körperliche und geistige Verfassung unter dem Niveau ihrer potentiellen Verwirklichung liegt. Ein wichtiger Faktor in dieser Definition ist die Vermeidbarkeit.
Liegt tatsächlich ein negativ zu bewertender, aber vermeidbarer Zustand vor, muss nach Galtung von Gewalt gesprochen werden.
Weiter definiert Galtung Gewalt als Einflussverhältnis, das aus den drei Faktoren Subjekt, Objekt und Aktion besteht. Er sieht auch Schwächen in dieser Definition, die seiner Meinung nach darin liegen, dass es Formen von Gewalt gäbe, in denen entweder Subjekt oder Objekt oder beides fehlten – hier kommt der Begriff der strukturellen Gewalt ins Spiel.
Deswegen geht Galtung auf verschiedene Dimensionen des Gewaltbegriffes ein: Die Unterscheidung physischer und psychischer Gewalt, die Unterscheidung zwischen negativer (Bestrafung) und positiver (Belohnung) Einflussnahme, die Frage des Objekts der Gewalt, die Frage des Subjekts der Gewalt (und ob ein solches überhaupt vorhanden ist), die Intention von Gewalt und die Unterscheidung von manifester und latenter Gewalt. Die Frage nach dem Vorhandensein des Subjekts ist dabei die nach der strukturellen Gewalt, auf die Galtung besonderen Wert legt.
Zur Konstruktion einer Typologie struktureller Gewalt setzt er Ungleichheit als zugrundeliegende Formel voraus. Daher konstatiert er die Ungleichverteilung von Macht als verantwortlich für strukturelle Gewalt. Hieraus ergeben sich die entsprechenden Fragen, die auch für eine anarchistische Bewegung bedeutsam sind, nämlich, warum und wie diese Ungleichverteilungen organisiert sind.
Galtungs Erklärungsmuster sind – intuitiv hätten wir es nicht anders erwartet – in Kapitalismusanalysen zu finden.
Staat und Krieg
Der eigentliche Grund für die Existenz von Krieg und Militär ist für Krippendorff der Staat. Staat und Militär bezeichnet er als „Zwillingsinstitutionen“, die synonym für Herrschaft und organisierte Gewalttätigkeit stehen.
Krippendorff leistet, um dieses Phänomen zu erklären, eine sehr breite historische Analyse, in der er Gewaltverhältnisse in Frühgesellschaften, die Entstehung von Protostaaten (er nennt sie Frühstaaten) und den Übergang dieser in eine moderne (National)Staatlichkeit beschreibt. All diese Übergänge sind von Gewalttätigkeit bestimmt, immer auch von einer patriarchalen und einer ökonomischen Gewaltförmigkeit. (3) Insbesondere beschreibt er den Übergang zu moderner Staatlichkeit als besonders gewaltintensiv, als kriegerisch. Staatlichkeit ist also schon historisch nicht ohne Krieg zu denken.
Innerhalb der modernen Staatlichkeit sind Militär und Krieg Ausdrücke der Staatsraison, der Absolutsetzung der staatlichen Interessen über jene der Individuen oder in der Staatlichkeit existierender gesellschaftlicher Kollektive. Dieses Ignorieren der Bedürfnisse und auch der selbst nach innen aufgestellten Regeln ist das, was Krippendorff „politische Unvernunft“ nennt.
In mehr oder minder (potentiell) revolutionären Situationen, wie der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg, den USA nach der Unabhängigkeitserklärung, während der Oktoberrevolution in Russland und der französischen Revolution, bemerkt Krippendorff, dass sich auf Grund einer antimilitärischen und pazifistischen Grundhaltung der Bevölkerungen die Gelegenheit einer Entmilitarisierung darbot. Mit der Neumanifestierung von Staatlichkeit wurden diese Chancen jedoch sofort verspielt: Kein Staat ohne Militär und Militarismus, wenn auch die Gründe hierfür jeweils spezifische waren.
Krippendorff zitiert Tolstoi: „Solange Regierungen und Heere existieren werden, ist das Aufhören der Rüstungen und Kriege nicht möglich.“ Die Quintessenz aus „Staat und Krieg“ ist dann auch eine, die jedem und jeder AnarchistIn einleuchtet: Wer Kriege abschaffen will, muss Staaten abschaffen.
Strukturelle Gewalt als Verharmlosung personaler Gewalt?
Wie schon erwähnt: Galtungs und Krippendorffs Erklärungsmodelle für Gewalt bzw. Krieg erfreuten sich selbstverständlich nicht nur einer Beliebtheit in anarchistischen Kreisen, bis zum Ende des Kalten Krieges können sie als leitende Paradigmen der Friedens- und Konfliktforschung gelten. Aber die Zeiten des Konsens zwischen Wissenschaft und Bewegung sind vorbei, die beiden alten Herren der Friedensforschung werden oftmals nur noch belächelt. Wer könne denn, so ein weit verbreitetes Urteil, nach dem 11.9.2001 noch von struktureller Gewalt sprechen? Zynischerweise kommt heutigen SozialwissenschaftlerInnen eine solche Erkenntnis 50 Jahre nach Auschwitz, aber das muss wohl nicht weiter kommentiert werden.
Das Adjektiv „strukturell“, soweit mag der neuen Friedensforschung recht gegeben werden, verleitet zu Verallgemeinerungen, das ist aus anderen Debatten, die diese Vokabel nutzen, bekannt. Aber diese WissenschaftlerInnen sollten Galtung noch einmal genau lesen: Wesentlich ist die weite und auch durchaus utopische Definition des Friedens als Abwesenheit von Gewalt – nicht als Abwesenheit von Krieg, also einem negativen Frieden.
Die Debatte um die Frage „Welchen Frieden wollen wir?“ ist keine neue, vielmehr ist sie die Grundfrage der Friedensforschung, die seit den frühen 70er Jahren vielfach dokumentiert wurde. (4) Während es aber in den 70er und 80er Jahren weit verbreitet war, für einen absoluten Frieden zu argumentieren, hat nun die realistische Schule die Oberhand. Oder, etwas polemisch ausgedrückt: Wenn wir es nicht Krieg nennen, dann ist es auch kein Krieg. Kaum verwunderlich, dass diese Position aus der Schule kommt, , die begleitet ist von dem dogmatischen und patriarchal orientiertem Realismus, der in Neoliberalismus und Neokonservatismus mündet. Die Aussagen der Politiker in Sachen Kosovo, Afghanistan und Irak gingen in dieselbe Richtung.
„Soviel Frieden wie möglich, soviel Krieg wie nötig“, so ließe sich diese Position zusammenfassen. Je nach Auffassung sind damit sehr einfach militärische Interventionen zu legitimieren, und es ist alles andere als verwunderlich, dass die augustinische Theorie des „gerechten Krieges“, die schon in den 20er Jahren verworfen wurde, damit ihre Renaissance erlebt. (5)
Der friedensstiftende Staat
Ein gerade häufig hofierter Konfliktforscher, der von Anfang an Krippendorff kritisierte, ist Herfried Münkler. (6) In seinen beiden zur Zeit vielbeachteten Werken „Über den Krieg“ (7) und „Die neuen Kriege“ (8), letzteres basiert hauptsächlich auf der Studie „Neue und alte Kriege“ von Mary Kaldor (9), die sich hauptsächlich auf Bosnien-Herzegowina bezieht, konzentriert er sich darauf, eine Entstaatlichung von kriegerischen Konflikten und die zunehmend eigenständige Ökonomie der Krieges zu analysieren.
Das angebliche „Problem“ des abnehmenden staatlichen Gewaltmonopols führt Münkler zu der These, dass der Krieg sich in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten von einem Instrument politischer Willensdurchsetzung zu einer Form privatwirtschaftlicher Einkommenserzielung verwandelt habe. Als Beispiele werden immer wieder Afrika und Südostasien herangezogen, kennzeichnend ist die „Warlordisierung“ sowie die steigende Anzahl von Söldnern und Kindersoldaten.
Die Verstaatlichung des Krieges in Europa führt Münkler darauf zurück, dass die Staaten die einzigen finanzkräftigen Akteure waren, die sich die immer teureren Armeen leisten konnten. Die Totalisierung des Krieges in den Abnutzungsschlachten des ersten Weltkriegs habe schließlich in der westlichen Welt zu neuen Strategien geführt, die sich für die sogenannten „neuen“ oder „asymmetrischen“ Kriege nicht eignen. Die Entstaatlichung, die im Zusammenhang mit „asymmetrischen“ Kriegen wie z.B. im Kongo zu finden ist, werde vor allem durch das Fehlen fester Grenzen begünstigt.
Münkler legt viel Wert auf die Feststellung, dass demokratische und kapitalistische Staaten nie gegeneinander Krieg führten. Dazu liefert er auch Erklärungsansätze, die ökonomische gegenseitige Abhängigkeit und die Interessen der partizipierenden Bevölkerung. Sein eindeutiger Schluss ist die Umkehrung des Krippendorff’schen Diktums: Wer Krieg abschaffen will, muss Staaten schaffen.
Dabei ist er allerdings pessimistisch: Denn die Kriege, die er als „neue Kriege“ bezeichnet, hält er nicht für Staatengründungskriege (wie es in der Sicht Krippendorffs wahrscheinlich wäre), sondern sie besitzen seines Erachtens eine Eigendynamik durch ihre eigene Ökonomie.
Vieles daran mag nicht ganz falsch sein: Kapitalistische Staaten ersetzen häufig den militärischen Krieg durch den Wirtschaftskrieg, das, was gemeinhin „Globalisierung“ genannt wird, hat den Krieg im eigentlichen Sinne in der Tat verändert, da aber nicht so genau zu konstatieren ist, wann denn die „Globalisierung“ genau begann, ist auch nicht genau abgegrenzt, ab wann denn nun Kriege „neue Kriege“ sind.
Münklers Fehler liegt in seiner engen und neoklassizistischen Staatsauffassung. Was machen Warlords anderes, als Macht hierarchisch zu organisieren und damit quasi Protostaaten aufzubauen, die allerdings sehr labil sind? Und, wenn diese Staaterei denn so friedliebend ist, warum halten sich auch die Demokratien notwendigerweise immer ein Militär, dass quasi grundlegend zur Staatsdefinition gehört? – Auch wenn oftmals eine Privatisierung des Krieges und der militärischen Kräfte zu konstatieren ist (10), so steht doch auf der anderen Seite die Tatsache, dass neoliberale Freihandelsabkommen niemals das militärische Gewaltmonopol eines Staates in Zweifel ziehen. Und warum führen die USA als demokratischer Staat sozusagen einen Metakrieg mit ihrem „War against Terror“?
Münklers Antwort auf diese Frage ist entlarvend. Er wird zu einem klassischen Vertreter des „alten Europa“ und differenziert die (typisch europäischen) klassischen Nationalstaaten von Imperien. (11) So vorsichtig mit der Analyse „Antiamerikanismus“ umgegangen werden sollte: Diese aus dem Ärmel geschüttelte Differenzierung zwischen den USA und den europäischen Nationalstaaten hat etwas antiamerikanisches.
Münklers schöne Staatlichkeit wird von Medium zu Medium herumgereicht und als die neue „Kriegserklärung“ gewertet. In seiner Campus-Einführung nutzt Andreas Herberg-Rothe Münkler als nahezu einzig positive Referenz (12), um nicht gleich zu sagen: Er schreibt ab. Herberg-Rothes Beurteilung Krippendorffs mag als symptomatisch gelten für die neue Friedens- und Konfliktforschung: „Bei der […] Position wird jedoch übersehen, dass das Ende des Staates nicht das Ende der Gewalt, sondern höchstens das Ende des Staatenkrieges bedeuten würde.“ (13)
Was Münkler, Herberg-Rothe und anderen fehlt, ist ein Verständnis von Staat und Antistaatlichkeit, das seine Wurzeln in anarchistischen Theorien hat.
Bei Galtung und Krippendorff, aber auch bei anderen VertreterInnen der „traditionellen“ Friedens- und Konfliktforschung war dies noch gegeben. Heute ist nicht nur in den Massenmedien, sondern auch in der Theorie der Internationalen Beziehungen Anarchie nur noch ein Synonym für Chaos.
In den Tenor der prostaatlichen Kriegskritik fällt übrigens auch einer mit ein, von dem es eigentlich so nicht zu erwarten wäre: Reinhard Kühnl hat sich an einer Einführung in das Thema „Krieg und Frieden“ versucht (14), und ihm scheint Krippendorffs Kriegsanalyse nicht marxistisch genug zu sein: Er kritisiert Krippendorffs Fokussierung auf den Staat als zu wenig kapitalismuskritisch. Erstens liegt er dabei daneben, denn Krippendorff argumentiert wesentlich in ökonomischen Kategorien und sieht den Staat als einen Auswuchs kapitalistischer Gesellschaftsorganisation, zweitens unterschätzt er selber die Rolle des Staates.
Das Beispiel des Paradigmas der „neuen Kriege“ macht deutlich, wie die Produktion diskursiver Hegemonie funktioniert: Eine formulierte These oder Theorie (in diesem Falle Mary Kaldor) wird mit einer effektiveren publizistischen Strategie (die Wahl des Verlags, der Zeitpunkt des Erscheinens, die Medienpräsenz des Autors, parallele Publikationen mit ähnlichen Thesen, ein „populistischer“ Titel und recht allgemeine Sprachverwendung) ein weiteres Mal verkündet, bekommt durch die Wahl der publizistischen Mittel einen neuen Stellenwert und wird entsprechend rezipiert, in diesem Fall z.B. durch fast alle größeren Printmedien und explizit durch Herberg-Rothe. Hier wurde eine diskursive Hegemonie erreicht, die sich u.a. darin wiederspiegelt, dass auch linke Theoretiker (in diesem Fall Kühnl) diese wissenschaftliche Meinung wiedergeben, möglicherweise, ohne sich der theoretischen Vorläufer bewusst zu sein (immerhin zitiert Kühnl Münkler nicht!) und in jedem Fall ergänzt durch Versatzstücke der eigenen Theorie bzw. Ideologie.
Dass das letztendliche Diskursaggregat Münklers (bzw. Kaldors) mit einem staatlichen Interesse übereinstimmt, ist mehr als Zufall. Es soll Münkler an dieser Stelle nicht unterstellt werden, dies beabsichtigt zu haben, aber der konsequente Effekt liegt in der erneuerten Manifestierung des hegemonialen (Staats)Diskurses.
Wohin mit der Friedens- und Konfliktforschung?
Nach dieser Bestandsaufnahme stellt sich notgedrungen die Frage: Wie lässt sich, was hier auseinandergedriftet ist, wieder zusammenführen bzw. ist diese Zusammenführung überhaupt nötig und möglich?
Zur zweiten Frage: Ja. Es sollte nicht vergessen werden, dass anarchistische Strömungen durchaus wissenschaftlich nachhaltig waren und Lösungskonzepte boten und bieten, die utopisch klingen mögen, deswegen aber nicht weniger plausibel sind. Die Staatsanalyse der Anarchismen hat nicht einmal Marx übertroffen, selbst wenn sie so polemisch klingen wie z.B. bei Bakunin. Im Ziel der Anarchismen, das ich eingegrenzt definieren möchte als freiheitlichen Sozialismus, ist eine friedliche und gewaltfreie Gesellschaft inbegriffen, die Diskussion darüber wurde in der Vergangenheit selbst von konservativen WissenschaftlerInnen durchaus ernst genommen. Soviel zur Möglichkeit und dem Potential von Bewegungsseite.
Die Notwendigkeit dieser Melange mag mit Pierre Bourdieu und Stuart Hall konform gehen: Hall war es, der betonte, dass jede Theorie nur ihren Nutzen hat, wenn sie praktische Konsequenzen nach sich zieht, Bourdieu, auch wenn er alles andere war als ein Anarchist, war derjenige, der Zeit seines Lebens für eine Kooperation zwischen Wissenschaft und Bewegung plädierte, es mag als ein Plädoyer für eine „gegenseitige Hilfe“ interpretiert werden, die für beide Seiten notwendig erscheint.
Wie sieht die Möglichkeit der Kooperation von wissenschaftlicher Seite aus? Wenn die Friedens- und Konfliktforschung ihren Weg zurück in die staatliche Hegemonie gefunden hat (ein klassisch kapitalistisches Integrationsmanöver übrigens), gibt es dann überhaupt noch die Möglichkeit herrschaftskritischer Anknüpfungen?
Auch hier wieder: Ja. Zum einen erscheint es in der momentanen Situation notwendig, sowohl im Alltag als auch auf Großkundgebungen gegen diesen oder jenen Krieg zum Beispiel die Themen strukturelle Gewalt, Kapitalismus und Staatlichkeit einzubringen und einzufordern. Von wissenschaftlicher Seite lassen sich zum anderen neue punktuelle Koalitionen bilden, die aus einer explizit feministischen Friedens- und Konfliktforschung entstanden sind. Bei aller Heterogenität dieses neuen Forschungsstrangs bildet dennoch immer ein existierendes Patriarchat, wenn auch unterschiedlich definiert, dessen Grundlage. Und dies impliziert schon sprachlich HERRschaftskritik.
Diesseits vom Sprachlichen lassen aber auch die Ergebnisse dieser Wissenschaft Positives erwarten: Wie schon erwähnt, kommt Rumpf (15) zu ähnlichen Ergebnissen wie Krippendorff, eine kritische Auseinandersetzung mit Galtung zur Frage patriarchaler Gewalt mag zwar Galtung Auslassungen konstatieren, betont aber dennoch die Notwendigkeit der Galtung’schen Gewaltdefinitionen (16). Die Mehrheit der feministischen Friedensforscherinnen plädiert für „weite“ Begriffe von Gewalt, Krieg und Frieden – eben deshalb, weil die Gesellschaft, in der wir leben, in ihrer Staatlichkeit und ihrer kapitalistischen Ökonomie Gewaltförmigkeiten hervorbringt, die immer auch patriarchal sind. Deshalb genügt es auch nie, auf seine und ihre Staats- und Kapitalismuskritik anschließend das Patriarchat „aufzupfropfen“ anstatt es als integralen Bestandteil mitzudenken. (17)
(0) Koppe, Karlheinz: Wieviel Gewalt verträgt der Frieden? Zur Aktualität einer alten Debatte. Seminarreader, Bonn/ Münster 1999.
(1) Galtung, Johan: Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung, Hamburg 1975
|(2) Krippendorff, Ekkehart: Staat und Krieg. Die historische Logik politischer Unvernunft, Frankfurt a.M. 1985.
(3) Eine Krippendorff ergänzende Analyse des Zusammenhanges von patriarchaler Gewalt, Staatlichkeit und Krieg leistet, interessanterweise ohne auf Krippendorff einzugehen, Mechthild Rumpf. Vgl. Rumpf, Mechthild: "Staatsgewalt, Nationalismus und Krieg. Ihre Bedeutung für das Geschlechterverhältnis". In: Kreisky, Eva/ Sauer, Birgit (Hg.): Feministische Standpunkte in der Politikwissenschaft. Eine Einführung. Frankfurt/ New York 1995. S. 223 - 254
(4) Vgl. z.B. Schatz, Oskar: Der Friede im nuklearen Zeitalter. Eine Kontroverse zwischen Realisten und Utopisten. 4. Salzburger Humanismusgespräch, München 1970.
(5) Das wohl beste Beispiel dafür ist das Pamphlet "What we are fighting for" von 150 US-amerikanischen Intellektuellen zum "War against Terror", indem das Theorem des gerechten Krieges seine Wiederauferstehung feiert. U.a. haben diese Flugschrift Francis Fukuyama, Autor von "Das Ende der Geschichte" und Samuel P. Huntington, Autor von "Der Kampf der Kulturen", also die "üblichen Verdächtigen" unterschrieben. Vgl. www.propositiononline.com/ html/ figthing_for.htm
(6) Vgl. Münkler, Herfried: Staat, Krieg und Frieden: Die verwechselte Wechselbeziehung. Eine Auseinandersetzung mit Ekkehart Krippendorff: Staat und Krieg. Die historische Logik politischer Unvernunft. Sowie Krippendorffs Antwort: Krippendorff, Ekkehart: Bemerkungen zu Herfried Münklers kritischer Auseinandersetzung. Beide in: Steinweg, Reiner (Hg.): Kriegsursachen. (=Friedensanalysen Bd. 21) Frankfurt a. M. 1987. S.135 - 144 und S.145 - 150.
(7) Münkler, Herfried: Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion. Weilerswist 2002.
(8) Münkler, Herfried: Die neuen Kriege. Reinbek 2002.
(9) Kaldor, Mary: Neue und alte Kriege, Frankfurt a. M. 2002.
(10) Vgl. hierzu: Azzellini, Dario und Boris Kanzleiter (Hg.) Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der Neuen Kriegsordnung, Berlin/ Hamburg/ Göttingen 2003.
(11) Vgl. Münkler, Herfried: Der neue Golfkrieg. Reinbek 2003 sowie Münkler, Herfried: Wie Imperien funktionieren. In: Storz, Wolfgang (Hg.): Spiel mit dem Krieg. Essays und Analysen zum Irak-Konflikt. Eine Edition der Frankfurter Rundschau. Frankfurt a.M. 2003. S.10 - 15. Es mag dazu bemerkt werden, dass die Analyse der USA als "Imperium" oder "Empire" in den Sozialwissenschaften seit Hardt/Negris "Empire" populär geworden ist. Das ist - bei aller Kritik an Hardt/Negri - eine krasse Fehlinterpretation.
(12) Herberg-Rothe, Andreas: Der Krieg. Geschichte und Gegenwart. Frankfurt a.M. 2003.
(13) Herberg-Rothe, Andreas: Der Krieg. S.27.
(14) Kühnl, Reinhard: Krieg und Frieden. Heilbronn 2003.
(15) Siehe Fußnote 3.
(16) Vgl. dazu: Joos, Yvonne: Feministisch-theologische Beiträge zu feministischer Friedenspolitik. In: Anker, Elisabeth u.a. (Hg.): Männerkrieg und Frauenfrieden. Geschlechterdimensionen in kriegerischen Konflikten. Wien 2003. S.169 - 184. Bei aller Sympathie für die feministische Friedensforschung halte ich allerdings in diesem Punkt die Kritik an Galtung für ungerechtfertigt: Das System der Gewalten, wie Galtung es formuliert, beinhaltet m. E. patriarchale Gewalt, auch wenn er sie nicht explizit nennt.
(17) Als Einführung in die feministische Friedensforschung empfehle ich: Eifler, Christine und Ruth Seifert (Hg.): Soziale Konstruktion. Militär und Geschlechterverhältnis. Münster 1999, und Harders, Cilja und Bettina Roß (Hg.): Geschlechterverhältnisse in Krieg und Frieden. Perspektiven der feministischen Analyse internationaler Beziehungen, Opladen 2002.
(18) Vielen Dank an Dimi, Georgios und Patrick, Studierenden der Ruhr-Uni Bochum, deren Zusammenfassungen der Positionen Galtungs, Krippendorffs und Münklers in diesen Artikel eingeflossen sind.