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Der liberale Traum vom ordentlichen Krieg

| Christian Axnick

Anfang Mai 2004 machte eine "lustige" Meldung über den Irak die Runde: Die Gewalttaten der amerikanischen Soldaten täten ihm leid, sagte der US-Präsident.

Alle Gewalttaten kann er nicht gemeint haben. Sondern eben nur die, die irgendwie (in diesem Fall: weil sie öffentlich geworden sind) über das Maß hinausgehen, das als ordentliches Mittel zum Zweck gesellschaftlich und juristisch anerkannt ist: Krieg geht, Folter geht nicht.

Aber es ist nicht leicht, einen sauberen Krieg zu führen. Je genauer man hinsieht, um so schwieriger wird es. Wenn man genügend scharf sieht, muß man noch nicht einmal die Opfer in den Blick nehmen; man kann sogar am Zustand, in dem der Krieg die Täter entläßt, ablesen, was es mit dieser staatlichen Veranstaltung auf sich hat. Soldaten sind Mörder? Allerdings so ziemlich die erbärmlichsten, die man sich vorstellen kann. Niemand kommt heil aus dem Krieg heraus, nicht einmal, wer ihn körperlich unverletzt überlebt: „Nachdem der Körper den ständigen Bedrohungen des Krieges ausgesetzt worden ist, bleibt er stets und ununterbrochen für den Kampf mobilisiert. Es gibt dann keinen Grundzustand der Ruhe oder des Wohlbefindens mehr.“ – Jonathan Shay beschreibt in seinem Buch „Achill in Vietnam. Kampftrauma und Persönlichkeitsverlust“ Entstehung und Wirkung des posttraumatischen Streßsyndroms (PTSD) anhand seiner Arbeit als Psychiater in der Ambulanz des Departement of Veterans‘ Affairs mit Vietnam-Veteranen.

Das ist ein merkwürdiges Buch. Shay stellt das Krankheitsbild detailliert dar, er beschönigt nichts, nicht die Handlungen der Soldaten in Vietnam, nicht die Auswirkungen von PTSD nach der Rückkehr ins Zivilleben; aber dem Buch scheint etwas Obszönes anzuhaften.

Shay erwähnt den Fall eines Veteranen, der von Halluzinationen verfolgt wird: immer wieder erscheint ihm der vietnamesische Soldat, den er bestialisch umgebracht hat:

„Im Laufe der zwanzig Jahre seit seiner Abmusterung unternahm C. mehrere Selbstmordversuche, dies geschah gewöhnlich in Gegenwart des halluzinierten vietnamesischen Soldaten oder seines Kopfes. Auch erlebte er bei fast jedem Erntedankfest oder Weihnachtsfest im Kreis seiner Familie einen Besuch dieses vietnamesischen Soldaten.

Ich kommentierte dies mit dem Wort: ‚Ehrengast!‘

Diese Bemerkung, die mir ohne viel Nachdenken entschlüpft war, traf den Patienten wie eine Erleuchtung. ‚Ja, er war tot, aber irgendwie erstand er immer wieder auf, um mich zu verfolgen.'“

Ein bestimmendes Moment von Shays Darstellung ist die Parallelisierung der klinischen PTSD-Symptome mit der Beschreibung des Berserkertums, wie sie sich in Homers Ilias findet – mit dem Ergebnis, daß es sich dabei um dieselbe Erscheinung handelt; auch einige Shakespeare-Zitate erweisen sich als künstlerische Umschreibung klinischer Befunde. Das Kampftrauma ist also keine Folge des modernen industrialisierten Krieges; und daß man nicht folgenlos organisiert und planvoll Menschen töten kann, haben die Dichter schon festgestellt, bevor es Psychiater gab. Und zwar so deutlich, daß Karl Kraus in den „Letzten Tagen der Menschheit“ die Ermordeten geradezu anflehen konnte, die Mörder nicht ohne PTSD davonkommen zu lassen:

„So stehet doch auf und tretet ihnen als Heldentod entgegen – damit die gebietende Feigheit des Lebens endlich seine Züge kennen lerne, ihm ins Auge schaue ein Leben lang! Weckt ihren Schlaf durch euren Todesschrei! (…) Rettet uns vor ihnen, vor einem Frieden, der uns die Pest ihrer Nähe bringt! Rettet uns vor dem Unglück, Henkern im Zivilberuf zu begegnen.

Denn das Gewissen dieser niedrigen Grausamkeit, der die Hemmung der Phantasie nicht durch Leidenschaft, nur durch Mechanik genommen war, wird sich so rasch zum Tagwerk erholen, wie es sich aus der Banalität der Vergangenheit ins Morden geschickt hatte.“

Ein Fluch, an den sich der vietnamesische Soldat makaber genau gehalten hat.

Aber es ist nicht die Aufgabe eines Psychiaters, seinen Patienten Flüche aufzuerlegen, im Gegenteil, er soll sie davon befreien. Shay macht sich Gedanken darüber, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit es zu einem Kampftrauma kommt, und er findet sowohl vor Troja als auch in Vietnam die gleiche Grundvoraussetzung: den Verrat an „dem, was recht ist“, wie Shay Homers Begriff thémis übersetzt:

„Der spezifische Inhalt der thémis der homerischen Krieger unterschied sich oft sehr von jener der amerikanischen Soldaten in Vietnam, aber was sich in drei Jahrtausenden nicht geändert hat, sind zerstörerischer Zorn und gesellschaftlicher Rückzug, wenn tiefsitzende Annahmen über ‚das, was recht ist‘ verletzt werden.“

Die Verletzung des Wertesystems ihrer eigenen Soldaten gelang der US-Armee in Vietnam offenbar so gründlich, daß man an diesem Beispiel geradezu mustergültig die Voraussetzungen für Kampftraumata herauspräparieren kann. Shay stellt sich dieser Aufgabe nicht nur, um seine Patienten zu therapieren, er gibt schließlich auch Ratschläge, wie entsprechende Situationen möglichst zu vermeiden seien. Und hier kommt die Obszönität ins Spiel. Er schreibt:

„Eine nicht geheilte PTSD kann ein Leben verheeren und ihr Opfer unfähig zur Teilnahme an der häuslichen Gemeinschaft, an wirtschaftlicher Tätigkeit und am politischen Leben machen. Ein schmerzhafter Widerspruch liegt hierbei darin, daß der militärische Einsatz fürs Vaterland jemanden für seine Rolle als Staatsbürger untauglich machen kann.“

Da aber in der nahen Zukunft nicht mit dem Verschwinden der Kriege gerechnet werden könne, müsse man sie eben so führen, daß die psychischen Folgeschäden möglichst vermieden werden – oder sollte man sagen: daß das Gewissen sich so rasch wieder zum Tagwerk erhole, wie es sich aus der Banalität der Vergangenheit ins Morden geschickt hatte … Mit einem solchen Vorwurf hat der Vorwortschreiber, Prof. Dr. Jan Philipp Reemtsma, gerechnet; und er versucht, ihn sogleich zu entkräften:

„Die Pazifisten unter den Lesern dieses Buches mag irritieren, daß Shay am Ende auch der militärischen Führung der USA Ratschläge erteilt, die ja nur Ratschläge für die Führung kommender Kriege sein können. Sie mögen sich damit beruhigen, daß die pazifistischen Ideale nicht entwertet werden, wenn es Menschen gibt, die darüber nachdenken, wie die Eskalationsdynamik von Kriegen eingeschränkt werden kann.“

Danke für die Ideale, so was hört man immer gern. Aber hier irrt der Professor; auf elegante Weise und so, daß Leute, die sich von Vokabeln, die imponieren sollen, imponieren lassen, das nicht ohne weiteres merken; aber dennoch. Shay kümmert sich um die Einschränkung psychischer Schäden in einer kriegführenden Gesellschaft – über die Eskalation militärischer Gewalt ist damit nichts gesagt. Die Vorstellung, mittels einer Kriegführung, die den Soldaten nach ihrem Einsatz eine bruchlose Rückkehr in den Zivilberuf gestattet, eine „Eskalationsdynamik“ moderner Kriege einzuschränken, versorgt lediglich die Ideologie vom sauberen Krieg mit Nahrung: Es wäre, wenn man sich nur Mühe gibt, ein vernünftiger Krieg möglich, in dem die Gewalt geradezu justizförmig exekutiert wird und die Soldaten sich darauf verlassen können, stets rechtmäßig zu handeln und behandelt zu werden.

Jonathan Shay, Achill in Vietnam. Kampftrauma und Persönlichkeitsverlust.
Hamburg 1998