„Es ist sehr wichtig für die Menschen im Nahen Osten zu verstehen, dass unsere Soldaten im Ausland anständige und ehrenwerte Bürger sind, die sich um Freiheit und Frieden kümmern, die täglich im Irak dafür arbeiten, dass sich das Leben der Irakis verbessert.“
George W. Bushs Kommentar nach Veröffentlichung der Folterfotos aus dem Irak, Mai 2004.
Die deutsche Mitverantwortung für Folter und Krieg
1993 wurde eine Freundin von mir im türkisch-kurdischen Kriegsgebiet verhaftet. Den türkischen Behörden passte es nicht, dass die kurdischstämmige Vorsitzende des Bremer Uni-AStA dort als Übersetzerin für eine deutsche Menschenrechtsdelegation tätig war. Wochenlang war sie verschwunden. Der laute Protest von zahlreichen FreundInnen, von Menschenrechtsgruppen, vom Rektor der Bremer Universität, vom Bremer Bürgermeister bis hin zur Bundestagsvorsitzenden Rita Süssmuth konnte die türkischen Behörden schließlich dazu bewegen, sie frei zu lassen. Nach ihrer Entlassung berichtete sie von grauenhaften Foltermethoden, denen sie im türkischen Gefängnis ausgesetzt war. Einer ihrer Folterer prahlte damit, in Deutschland von der GSG 9 ausgebildet worden zu sein.
Ihre Berichte wurden von den Medien und der Öffentlichkeit nicht wahr genommen. Dass deutsche „Verhör-Spezialisten“ ihre KollegInnen aus Militärstaaten und Diktaturen in den Techniken „moderner“ Foltermethoden unterrichtet haben (und unterrichten), wird weitgehend verschwiegen. Ignoriert wurden in der Bundesrepublik auch die Bilder, welche die für ihr mutiges Engagement preisgekrönte, mittlerweile verbotene kurdisch-türkische Tageszeitung Özgür Gündem (Freie Tagesordung) veröffentlicht hat: türkische Soldaten, die stolz vor den bestialisch verstümmelten Leichen kurdischer Guerilleras posieren, ein aus Deutschland stammender Panzer der türkischen Armee, der den behinderten kurdischen Jungen Mesut Dünder zu Tode schleift, …
Solche Fotographien sind Dokumente der Mitschuld der deutschen Rüstungsindustrie und Politik an Kriegsverbrechen, wie auch die Bilder der durch Saddam Husseins Piloten mit Giftgas aus deutscher Produktion getöteten KurdInnen in der nord-irakischen Stadt Halabja 1988.
Die Mitverantwortung des Waffenexporteurs Deutschland für Krieg, Folter und Staatsterrorismus wird bis heute kaum thematisiert.
Der „Krieg gegen den Terror“ und die Folter im Irak
Thema sind dagegen zurzeit die „Schnappschüsse“, mit denen US-SoldatInnen offenbar „zum Spaß“ ihre grausame Folterpraxis im US-amerikanisch geführten Gefängnis Abu-Ghraib im Irak dokumentiert haben.
Die Existenz der über 1800 Folterbilder, die seit April 2004 zu einem kleinen Teil ans Licht der Öffentlichkeit gekommen und Mitte Mai den US-Senatoren unter Ausschluss der Öffentlichkeit gezeigt worden sind, wurde monatelang verheimlicht. Dabei waren die Verbrechen nicht nur höheren Stellen im Militär und der US-Regierung, sondern auch Hilfsorganisationen bekannt. In aller Stille hatte das Internationale Rote Kreuz (IRK) nach zwei unangemeldeten Visiten in Abu-Ghraib bei den Verantwortlichen schon Anfang November 2003 gegen die Folterpraxis protestiert. „Die Antwort der Besatzungsmacht lautete, man solle sich beim nächsten Gefängnisbesuch gefälligst vorher anmelden.“ (Spiegel 22/04) Das IRK hat die ihm bekannten Verbrechen der US-SoldatInnen nicht öffentlich angeprangert und trägt somit eine Mitschuld für die monatelangen Vertuschungsversuche der US-Regierung.
Offen hingegen berichten und protestieren Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international und Human Rights Watch seit über einem Jahr regelmäßig über schwere Menschenrechtsverletzungen der Besatzungstruppen in Afghanistan und im Irak.
Nicht erst mit Bushs Verkündung des „Kriegs gegen den Terror“ und der Invasion in Afghanistan ist der bundesdeutsche Staat an Kriegsverbrechen beteiligt. Bundeswehrsoldaten beteiligten sich 1999 am NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien und spielen nach wie vor im Afghanistan-Krieg eine große Rolle. Das deutsche Kommando Spezialkräfte (KSK) übergibt „terrorverdächtige“ Gefangene an die alliierten US-Militärs, welche bisweilen wiederum befreundete „Verhörspezialisten“ etwa aus Ägypten und Pakistan für sich „arbeiten“ lassen.
Begründet mit den Terroranschlägen am 11. September 2001 in New York und Washington und am 11. März 2004 in Madrid, erleben wir eine verstärkte Erosion der Menschenrecht-Mindeststandards, auch in Deutschland. (1)
Spätestens seit Bekanntwerden der Zustände im US-Gefängnis Guantanamo Bay (vgl. GWR 287) dürfte großen Teilen der Weltöffentlichkeit bekannt sein, dass die US-Regierung zwar ständig von „Menschenrechten“ redet, diese aber gleichzeitig mit Füßen tritt. Die Genfer Konvention hat für Bush, Rumsfeld und Co. keine Bedeutung. Die USA sind mit einem jährlichen Militärhaushalt von mehr als 400 Milliarden US-Dollar der mächtigste und hochgerüstetste Staat der Erde. Anders als entmachtete und in Ungnade gefallene 3.Welt-Despoten haben US-Kriegsverbrecher keine Konsequenzen oder gar einen Prozess vor dem Internationalen Gerichtshof zu befürchten.
So verwundert es nicht, dass eine befragte Soldatin, die sich an Misshandlungen aktiv beteiligte, anschließend in einem Interview bekundete, sie habe von der Genfer Konvention noch nie etwas gehört. Alle Beschuldigten beteuerten, sie hätten nur Befehle „von oben“ befolgt. Das ist naheliegend, ändert aber nichts an der Tatsache, dass jeder Mensch (auch in Uniform) ein Individuum ist und somit auch laut „NEIN!“ sagen kann. SoldatInnen sind nicht nur potenzielle FoltererInnen und MörderInnen. Sie sind keine willenlosen Maschinen. Sie könnten desertieren und sich verbrecherischen Befehlen verweigern. Die (Mit-)Schuld der SoldatInnen und FolterspezialistInnen ist offensichtlich.
Durch die Folter sollten Gefangene auf Verhöre „vorbereitet“, sowie Denunziationen und Geständnisse erzwungen werden. Der Journalist Seymour Hersh konstatiert in der aktuellen Ausgabe des „New Yorker“, diese Art des brutalen Umgangs mit Gefangenen sei von Kriegsminister Donald Rumsfeld höchstpersönlich gebilligt worden. Am 23. Mai berichtete die „Washington Post“ unter Berufung auf Militäranwälte, dass Generalleutnant Ricardo Sanchez, der Befehlshaber der US-Besatzungstruppen im Irak, bei der Misshandlung von Häftlingen im Gefängnis Abu-Ghraib zum Teil persönlich anwesend gewesen sei.
Antimilitaristischer Rück- und Ausblick
Vor 90 Jahren, im Mai 1914, begann der 1. Weltkrieg, dem mehr als 10 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. „Krieg dem Kriege!“, das Buch des libertären Antimilitaristen Ernst Friedrich, hat nach dem 1. Weltkrieg Millionen Menschen erreicht. Die darin enthaltenen und treffend kommentierten Kriegs- und Folterbilder wirkten auf die Bevölkerungen in Europa ähnlich „wehrkraftzersetzend“, wie die Fotos vom US-Massaker in My Lai während des Vietnamkrieges auf die Bevölkerung in den USA. Auch die nun veröffentlichten Bilder aus dem Irak könnten eine, den Krieg entlegitimierende Wirkung entfalten und somit dazu beitragen, dass dieser moderne Kolonialkrieg beendet wird. Voraussetzung dafür ist ein wachsender Protest an der „Heimatfront“, in den USA und in Europa. Staatlich und massenmedial verbreitetes Geschwätz vom „humanitären Krieg“ ist nichts weiter als eine Propagandalüge. Es gibt keinen „sauberen“ Krieg. Sei es in Afghanistan, im Irak, in Jugoslawien, in Tschetschenien, im Kongo, … Krieg bedeutet immer Folter, Massenmord, Vergewaltigung: Terror mit einem höheren Budget. Die grausame Seite der Macht wird sichtbar, und die dünne Schicht „zivilisierten Verhaltens“ geht verloren.
Dies deutlich zu machen ist unsere Aufgabe.
(1) Erinnert sei etwa an den Frankfurter Folter-Skandal vor 1 1/2 Jahren: Der Vize-Präsident der Polizei in Frankfurt a.M., Wolfgang Daschner, hatte im Fall des entführten Jakob von Metzler die Anweisung erteilt, per Androhung, gegebenenfalls Durchführung von Folter gegenüber dem Tatverdächtigen Magnus G. den Ort des Verstecks des Entführten herauszufinden. "Um dessen Leben zu retten", so die Rechtfertigung des die Folter Anordnenden. Auch der Einsatz von Drogen wurde explizit in Erwägung gezogen. Das Vorgehen dieses Polizisten wurde damals von Teilen der Boulevardpresse begrüßt. Die Menschen sollen offenbar vergessen, dass Folter und der offen bekennende Wunsch nach Folter gegen die Würde des Menschen, gegen den Kern des Mensch-Seins zielt. (vgl. GWR 279)
Im April 2004 protzte Bundesinnenminister Schily im SPIEGEL-Interview in Richtung Terrorismus verdächtiger Islamisten: "Wer den Tod haben will, kann ihn haben".
Die Rechte nicht nur von Flüchtlingen werden unter seiner Ägide massiv beschnitten. Abschiebung in Folterstaaten ist an der Tagesordnung und soll noch schneller und häufiger praktiziert werden.
Der Münchner Bundeswehrprofessor Wolfssohn konnte im Mai 2004 im deutschen Fernsehen offen Folter als Verhörmethode propagieren, ohne dass das für diesen Beamten (und Autoren der rechtsextremen "Jungen Freiheit") bisher irgendwelche Konsequenzen hat.
Die ebenfalls im Mai bekannt gewordenen Folterfälle in deutschen Gefängnissen dürften nur die Spitze des Eisbergs sein, der hinter dem Korpsgeist und der Vertuschungspraxis deutscher Amtsstuben zu vermuten ist.