editorial

Für einen heißen Sommer der Anarchie

| Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur), 27. Juni 2004

Liebe Leserinnen und Leser,

offenbar wirkt sich der Sommer irgendwie auf unsere AutorInnen aus. Diesmal wurden gleich fünf der für diese Ausgabe eingeplanten Artikel nicht rechtzeitig fertig, darunter zwei, die eigentlich auf Seite 1 erscheinen sollten. Das hat natürlich auch sein Gutes. Erstens könnt Ihr Euch auf die nächste Ausgabe freuen, die Ende September erscheinen wird, nach unser alljährlichen Sommerpause und inklusive einer neuen Ausgabe der „Libertären Buchseiten“. Zweitens konnte ich somit ein ansprechenderes und weniger bleiwüstiges Layout umsetzen.

Die letzte Ausgabe und insbesondere der Artikel „(Nichts) Neues in der deutschen Nahost-Debatte“ über die Kölner „Stop The Wall“-Konferenz haben ein erstaunliches Medienecho ausgelöst. Positiv hat überraschender weise Thomas Ebermann in der Konkret 7/04 reagiert: „Solcherlei verdienstvolle Recherchen nach dem Who is who sind nicht meine Stärke. Alfred Schobert hat sich in einem Beitrag in der Zeitschrift ‚Graswurzelrevolution‘ mit der Zusammensetzung der Unterstützer und Veranstalter dieses Kongresses ausführlich beschäftigt.“ Zum Teil übelste Diffamierungen gab es dagegen aus den Reihen von Antiimps, Stalinisten und Antideutschen. Die Polemik „Viel Feind, viel GWR“, die diese Hetze gegen uns und einen unserer Autoren aufs Korn nimmt, wurde bis zuletzt im GWR-HerausgeberInnenkreis kontrovers diskutiert und erscheint voraussichtlich in der GWR 292. Ebenso wie Beiträge zur „Renaissance des Zivilen Ungehorsams“, zum antifeministischen „Backlash auf leisen Füßen“, …

Obwohl in dieser Ausgabe einiges zu kurz kommt oder aus Platzmangel in die „Warteschleife“ verschoben werden musste, bietet sie noch genug Lesestoff. Die in GWR 290 verstärkte Auseinandersetzung mit dem Thema Folter wird mit „Keine ausgestreckten Hände. Zur Tabuisierung der Folter“ (S. 8) von Jörg Siegert und einem Artikel der US-amerikanischen Feministin Linda Burnham fortgesetzt: „Sexuelle Herrschaft in Uniform: Ein amerikanischer Wert“ (S. 1, 9). Wir werden am Thema bleiben.

Sarah Althäuser beleuchtet die Situation slowakischer Feministinnen (S. 9), das „Dilemma des postmodernen Feminismus“ und mögliche Wege der Befreiung (S. 20). Auch eine Nachbereitung der Europawahlen (S. 3), der Kölner Konferenz „Stop The Wall“ (S. 6) und des buko 27 (S. 7) durch drei kritische Korrespondenten fehlt nicht. Die drohende Renaissance der Atomkraft (S. 4) wird ebenso thematisiert wie die Gewaltfreie Revolution (S. 14 f.) und der vielfältige Widerstand gegen Staat und Krieg. Und dass dieser Widerstand nicht auf eine radikale Jugendphase beschränkt sein muss, zeigen die GraswurzelrevolutionärInnen, die auch im Alter für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft kämpfen. An das aktive Leben der nun gestorbenen „Alt-Graswurzelrevolutionäre“ Anthony Smythe (1939-2004) und Helmut Schönberg (1941-2004) erinnern Andreas Will, Helga und Wolfgang Weber-Zucht (S. 12 f.).

In Barcelona begann 1936 der „kurze Sommer der Anarchie“. Ich hatte nun das Glück, Abel Paz, einen Zeitzeugen und Beteiligten dieser Libertären Revolution, kennen zu lernen. Das Interview mit dem „Durruti“-Biographen (S. 10 f.) bietet ungewöhnliche Antworten und bisweilen gewagte Thesen, die wir nicht teilen müssen und bei denen vielleicht nicht immer klar ist, ob sie nun ironisch oder ernst gemeint sind. Ich denke aber, es ist richtig, das Interview mit diesem 83-jährigen Anarchisten als Dokument im Wortlaut und weitgehend ungekürzt zu veröffentlichen.

Unbedingt lesenswert ist auch Sophia Arevans Bericht aus Barcelona (S. 1, 15), der an die in der GWR bereits erschienenen Diskussionsbeiträge zum Forum der Kulturen 2004 anknüpft.

Den Blick über den europäischen Horizont hinaus werfen Artikel über Argentinien, Venezuela und Mexiko (S. 16 f.). Und – last but not least – findet sich in der GWR 291 auch eine Rezension des m.E. recht schwachen Kinofilms „Power And Terror – Noam Chomsky In Our Times“ (S. 18). Außerdem: Prozess- und Aktionsberichte (S. 4 f.), Informationen über das Projekt IDK-Archiv und das „Lobbylabyrinth Brüssel“ (S. 5), eine Erinnerung an den vor zehn Jahren gestorbenen Zukunftsforscher Robert Jungk (S. 13) sowie eine Glosse für „Fans“ der Deutschen Bahn (S. 18).

In der Sommerpause werdet Ihr nicht ganz auf die GWR verzichten müssen. Aktuelle Infos werden auf unserer Homepage www.graswurzel.net unter der Rubrik „News“ veröffentlicht.

Auch weil ich voraussichtlich in den nächsten Tagen zum zweiten Mal Vater werde, wird das Münsteraner GWR-Büro in dieser Zeit nicht rund um die Uhr besetzt sein. Ich wünsche uns allen einen schönen Spätsommer.

Li(e)bertäre Grüße,

GWR 292-Redaktionsschluss: 10. September 2004