Protestantisch-fundamentalistische Missionare operieren mit Billigung der US-Militärbehörden im Irak.
„Wir werden Tod und Gewalt tragen in alle Himmelsrichtungen, um dieses wunderbare Land zu schützen und die Welt vom Bösen zu befreien“ (George W. Bush)
Einige nehmen ihn sehr ernst, den „Kreuzzug gegen das Böse“: „Ich bin bereit zu sterben. Ich würde in den Irak gehen, [auch] wenn es den Tod bedeutet. Wir müssen sie besiegen, sie wollen uns töten […]. Und dann sollen alle Iraker Christen werden, alle im Nahen Osten. Es ist ein spiritueller Krieg. Wir kämpfen gegen die Mächte der Dunkelheit“. (1) Der dies sagt, ist kein gespenstischer Widergänger des Templerordens, nicht einmal ein kampfeshungriger GI. Es spricht ein Zivilist, Mitglied der Baptistischen Gemeinde von Broken Arrow – ein Missionar. Mit einer Gruppe Gleichgesinnter bereitet sich der junge Mann in einer kleinen, schmucken Holzkirche darauf vor, hinauszuziehen, um das Wort Gottes zu verbreiten – allerdings (für diesmal) nicht in den Irak. Nach Mexiko.
„Es ist ein Religionskrieg“, sekundiert ihm ein weiterer Glaubensgenosse: „Sie hassen nicht uns, sondern unseren Gott. Sie glauben an eine Lüge. Es gab schon viele falsche Götter wie Allah. Aber es bleibt eine Lüge, das haben schon die Propheten gesagt“. (2)
Die Southern Baptist Convention (SBC), der die Gemeinde von Broken Arrow angehört, ist die größte protestantische Glaubensgemeinschaft der USA. Mit über 15,9 Millionen Mitgliedern rangiert sie unmittelbar hinter den US-amerikanischen Katholiken, und mit insgesamt 37.000 Kirchen hat sie ihnen den Rang bereits abgelaufen. (3) Im sogenannten „bible belt“ [Bibelgürtel], in Texas, Georgia, North Carolina, Tenessee und Alabama, hat die Southern Baptist Convention ihre Basis. Ihr Einfluss allerdings reicht weit über die südliche Provinz hinaus. George Bush Sr. war aktives Mitglied der First Baptist Church of Dallas, der bis zum Jahr 2002 der erzreaktionäre protestantische Kirchenmann Wallie Amos Criswell vorstand. (4) George W. Bushs damaliger demokratischer Gegenkandidat Al Gore betet in der Mount Vernon Baptist Church in Arlington (5), und George W. Bush Jr., der sich selbst einen „reborn christian“ [wiedergeborenen Christen] nennt, gibt sich alle Mühe, der mächtigen religiösen Lobbygruppe gefällig zu sein. Die beileibe nicht mittellose Southern Baptist Convention profitiert seit seinem Amtsantritt von großzügigen staatlichen Zuwendungen, und auch die Bemühungen der neokonservativen Nomenklatura um den Präsidenten, konfessionellen den Vorzug vor religionsungebundenen sozialen Hilfsorganisationen zu geben, kommen gut an. (6) Über 60% der organisierten Protestantinnen und Protestanten danken es ihm, einer Umfrage vom Mai 2003 zufolge, mit rückhaltloser Unterstützung seiner globalen Kriegspolitik – vor allem im Irak. (7) Bereits am 15. Juni 2002 bedankte sich der Präsident bei einer landesweiten Zusammenkunft der SBC in einer Fernsehansprache: „Laura und ich sind so dankbar für eure Gebete. Ich habe sie in schweren Stunden gefühlt […]. Ich weiß eure große Unterstützung unserer Bemühungen im Krieg gegen den Terror zu schätzen. Genau wie ihr, verstehe auch ich Freiheit nicht als ein Geschenk Amerikas an die Welt. Freiheit ist das Geschenk des allmächtigen Gottes an alle Männer und Frauen dieses Planeten (Applaus)“. (8)
Von der Beschaffenheit dieser „Freiheit“ hat man in den oberen Etagen der Southern Baptist Convention sehr dezidierte Vorstellungen: 1998 verfügte ein Gremium führender Gemeindemitglieder (unter ihnen der bereits erwähnte W.A. Criswell), dass es Pflicht der Ehefrau sei, sich „dankbar der Führung des Mannes zu unterwerfen“. (9) Als Reaktion verließen mehrere protestantische Gemeinden die Convention. Ein Jahr zuvor, am 18. Juni 1997, hatten Führer der SBC einen Boykott gegen die Walt Disney Company verhängt, um die „anti-christliche und familienfeindliche Ausrichtung“ der Firma zu bekämpfen. Walt Disney hatte in den Reihen seiner Belegschaft eine Gesundheitsfürsorge für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt. (10) Am 14. Juni 2002 bekräftigte ein hochkarätiges Führungsgremium einen (allerdings für die Gemeinden nicht bindenden) Beschluss, nach dem Frauen für das Priesteramt ungeeignet seien. Gleichzeitig wurde die Unterstützung der Todesstrafe betont. (11) Die Bibel gilt einem Großteil der in der Southern Baptist Convention organisierten Gläubigen als das „unvergängliche Wort Gottes“. (12) Ihr historischer Wahrheitsgehalt steht außer Frage. Der „allmächtige Gott der Freiheit“… für Mitglieder der SBC ist er der Gott des protestantischen Christentums – in seiner rigidesten Auslegung.
Kein Wunder, dass nach den Anschlägen vom 11. September einer Reihe führender protestantischer Kirchenmänner der Mund überging. Hatte sich George W. Bush unmittelbar nach den Anschlägen noch öffentlich von anti-muslimischer Hetze distanziert, brauchten die protestantischen Eiferer bald keinen Widerspruch mehr zu fürchten. Reverend Jerry Falwell, führendes Mitglied der SBC, nannte Mohammed in einer von CBS ausgestrahlten Talkshow einen „Terroristen“. (13) Sein Kollege Jerry Vines legte im Rahmen jenes Treffens, bei dem die Dankesrede des Präsidenten via Satellit übertragen wurde, noch nach. Für ihn sei der Prophet nichts weiter als ein „vom Teufel besessener Pädophiler“. (14) Reverend Franklin Graham, Sohn des TV-Evangelisten Billy Graham, dessen Organisation Samaritans Purse [Börse des Samariters] der SBC angeschlossen ist und gleichfalls Missionare in den Nahen Osten entsendet, erklärte, der Islam sei eine „sehr böse und hinterlistige Religion“. (15) Höhepunkt der anti-muslimischen Hetze war bisher vermutlich der Auftritt des TV-Evangelisten Pat Robertson bei Hannity Colmes. Praktisch mit Schaum vorm Mund eiferte Robertson gegen Mohammed und den Islam: „Dieser Mann war ein absolut irrsinniger Fanatiker. Er war ein Räuber und Marodeur. Und da behaupten Leute, diese Terroristen würden den Islam verzerren! Sie führen ihn aus! Ich meine, dieser Kerl [Mohammed] war ein Killer. Und zu glauben, seine Religion sei friedlich, ist einfach lächerlich. […] Der Islam ist nichts weiter als ein gigantischer Haufen Abfall“. (16) Gute Vorraussetzungen demnach für christliche Missionare in einem überwiegend muslimischen Land…
Die Southern Baptist Convention hat aus ihrer ausgedehnten missionarischen Tätigkeit nie einen Hehl gemacht. Stolz verkündet ihre Internetseite, keine andere religiöse Organisation habe weltweit so viele christliche Missionare im Einsatz wie die SBC. Unterschieden wird nach 4857 sogenannten „home missionaries“ [Heimat-Missionaren], die in den USA, in Kanada, aber auch in so „heimatlichen“ Gefilden wie Costa Rica oder den Virgin Islands tätig sind, und 4137 „foreign missionaries“ [Auslands-Missionaren], die in über 130 weiteren Nationen verlorene Seelen zu erretten suchen. (17) Dass sich die Southern Baptist Convention, gemeinsam mit Organisationen wie Samaritans Purse oder der fundamentalistischen Protestantenorganisation Voice of the Martyrs [Stimme der Märtyrer], ungehindert im Nachkriegs-Irak betätigen kann, ist in der Geschichte der US-amerikanischen Außenpolitik allerdings eine Neuerung. Nach dem zweiten Golfkrieg 1991 mussten sich Mitglieder von Samaritans Purse noch verantworten, als bekannt wurde, dass ihre Mitglieder in Saudi-Arabien Bibeln statt Hilfsgüter verteilten. (18) Im April 2003 geriet Präsident Bush jr. unter Druck: SBC und Samaritans Purse hatten an der Grenze Jordaniens einen wahren Massenaufmarsch glaubenseifriger Missionare initiiert, die darauf brannten, im Gefolge US-amerikanischer und britischer Truppen die Bevölkerung des Irak zu bekehren. (19)
Mittlerweile hindert niemand mehr die christlichen Missionare daran, im Irak ihre frohe Botschaft zu verkünden. „Die Imame haben Angst“, sagt Steve Hardy von der Southern Baptist Convention: „Wenn sich das Christentum hier durchsetzt, wird es sich überall im Nahen Osten verbreiten. Im Moment gibt es keinen Ort, der für uns strategisch wichtiger wäre als der Irak“. (20) „Innerhalb der Kirche sind wir der Leib Christi“, erklärt John Brady, Koordinator der SBC für den Mittleren Osten und Nordafrika: „Durch uns will er wirken in diesem gepeinigten Teil der Welt […] Jene , die [in den Irak] gehen, werden die Freude haben, Gott zu dienen, und das Privileg, zu sehen, wie er Wunder wirkt im Leben und in den Herzen der Menschen“. (21)
Dem „Wunder der Bekehrung“ helfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SBC im Irak gerne etwas nach. Offiziell für rein humanitäre Hilfe zuständig (die SBC betreibt beispielsweise ein Krankenhaus in Bagdad), nutzen sie die Lieferung von Hilfsgütern, um christliche Erbauungsliteratur und Bibeln zu verteilen. Wer Hunger hat, kriegt beides: geistige und körperliche Nahrung. „Ein Team von Baptistischen Freiwilligen war in verschiedenen Regionen des Irak tätig, um Nahrung und Bibeln zu verteilen und die Saat des Interesses zu säen, was Gott mit dieser Nation zu tun beabsichtigt“, heißt es in einem Bericht über die Tätigkeit der SBC im Irak vom 5. März 2004, der auf ihrer Homepage öffentlich zugänglich ist: „Acht Mitglieder der Porter Memorial Baptist Church in Lexington und zwei der Greenup Baptist Association im östlichen Kentucky verbrachten im vergangenen Dezember zwei Wochen damit, 200 Neue Testamente auf arabisch und 650 Beutel mit Nahrung im Nordirak zu verteilen […]. ‚Man ist sehr interessiert‘, sagt Asa Greear, Leiterin der Arbeit von Greenup Association: ‚Wenn ich Arabisch oder Kurdisch sprechen könnte, hätte ich einige Möglichkeiten, meinen Glauben zu teilen'“. (22)
Die Befürchtung, islamistische Gruppen, die ohnehin bis zu den Knien im Blut stehen, könnten die Anwesenheit explizit anti-muslimischer Missionare zum Vorwand nehmen, ihren Terror auf die bisher relativ unbehelligte, 500.000 Mitglieder starke christliche Gemeinde des Irak auszudehnen, wird lapidar beiseite gerückt. „Ja, unsere Tätigkeit kann für einige den Tod bedeuten, das wissen wir“, meint Tom White, Sprecher von Voice of the Martyrs: „Aber die Ewigkeit im Himmel zu verbringen statt in der Hölle – das ist doch ein guter Deal! Selbst wenn es vielleicht zu körperlicher Bestrafung hier auf der Erde führt“. (23)
Die enge Zusammenarbeit von Militärs und Missionaren im Irak gießt Öl in das Feuer der Gewalt und bestätigt muslimische Eiferer im gesamten Mittleren Osten ihrerseits darin, sich in einem „Glaubenskrieg“ zu befinden. Dass nicht an jedem der fast 16 Millionen Mitglieder der Southern Baptist Convention ein fundamentalistischer Frömmler verloren gegangen ist, sollte dabei kaum der Erwähnung bedürfen. Die Kritik an der erzkonservativen Agenda ist innerhalb der Organisation scharf, und gekämpft wird mit harten Bandagen. Selbst in den Irak mögen viele mit den besten Absichten reisen, um bitter nötige humanitäre Hilfe zu leisten. Islamistische Gruppen wie etwa der algerische Front Islamique du Salut (FIS) bedienen sich bei ihrer „Glaubenswerbung“ weitaus blutigerer Methoden als ihre christlichen Kollegen. Gleichviel: der Einfluss eines reaktionären, endzeitorientierten Protestantismus in den USA reicht bis in höchste Kreise von Armee und Politik. Der hochdekorierte General William Boykin, der auf Anweisung Präsident Bushs im Pentagon die Jagd auf Osama bin Laden koordiniert, bekräftigte – ausgerechnet bei einem Vortrag in der Baptistenkirche von Broken Arrow – im Frühjahr 2004 vor einem begeisterten Publikum noch einmal den Grundgedanken des US-amerikanischen „Kreuzzugs“:
„Es geht nicht um Osama bin Laden – der Feind steht im Reich des Spirituellen“. Und an die Musliminnen und Muslime überall in der Welt gewandt fügte er hinzu: „[Euer] Gott ist ein falscher Gott, ein Götze“. (24)
Wer waren noch gleich die Mamelukken?!
(1) Interview zitiert nach: "Amerikas heilige Krieger. Christliche Missionare im Irak", ausgestrahlt von kulturzeit [3sat], 28. Juni 2004 [www.3sat.de/ kulturzeit/ themen]
(2) Interview zitiert nach ebenda
(3) Diese Angaben wurden einer Internetseite der SBC entnommen, die ausschließlich statistische Angaben zur Organisation enthält [www.adherents.com]
(4) vgl. "The Rev. W.A. Criswell", in The Guardian, Tuesday, January 15, 2002, S.4.
(5) vgl. "Southern Baptist Convention Oks Statement Against Women Pastors", in Beliefnet News Services, S.1 [www.beliefnet.com/story]
(6) vgl. Hatfield, James H., Das Bush-Imperium. Wie George W. Bush zum Präsidenten gemacht wurde, Vorwort von Jean Ziegler, Bremen, 2002, S.47-78, 230-258; Helmore, Ed: "Bible brigade is ready to roll", in The Guardian, Sunday, April 6, 2003, S.7.
(7) Angaben nach Monkerud, Don: "The Great Christian Schism: Make War or Peace?", in Counterpunch, May 9, 2003, S.1-10 [www.counterpunch.org]
(8) "President's Remarks Via Satellite to the Southern Baptist Convention", zitiert nach The White House. President George W. Bush, S.1-2 [www.whitehouse.gov/ news/ releases/ 2004]
(9) Beliefnet News Services, a.a.O., S.2.
(10) vgl. CNN: "Southern Baptists vote for Disney boykott", 18. Juni 1997, S.1-2 [www.cnn.com]
(11) vgl. Beliefnet News Services, a.a.O., S.1-2.
(12) "The Rev. W.A. Criswell", a.a.O., S.2.
(13) Zitiert nach Wazwaz, Fedwa: "Falwell, Graham and Friedman. Inexcusable Tolerance for Religious Extremism in America", in Counterpunch, October 10, 2002, S.1 [www.counterpunch.org]
(14) ebenda
(15) ebenda
(16) ebenda; vgl. zu den genannten Äußerungen darüber hinaus Abboushi, Tarif: "Cartoons and the Messianic Age. Tom and Jerry and Jerry", in Counterpunch, November 11, 2002, S.1-3 [www.counterpunch.org]; Helmore, a.a.O., S.2
(17) Angaben nach www.adherents.com
(18) vgl. Helmore, a.a.O., S.1.
(19) vgl. ebenda
(20) Interview zitiert nach kulturzeit, a.a.O., S.1.
(21) Interview zitiert nach Creswell, Mike: "Southern Baptists gear up to minister in post-war iraq", in International Mission Board. Southern Baptist Convention, 4. Juni 2003, S.1-2 [www.imb.org/urgent]
(22) Curry, Erin: "Signs of Iraqi spiritual life include Baptist church dedication", in Baptist Press (BP) news, 5. März 2004, S.1-3 [www.bpnews.net]
(23) Interview zitiert nach kulturzeit, a.a.O., S.1
(24) Sämtliche Aussagen zitiert nach ebenda, S.3