Hartz IV ist nicht nur für linke Splittergruppen und Politsekten eine Wiederbelebungstherapie. Auch die extreme Rechte um NPD und DVU kann Herrn Hartz wohl gar nicht dankbar genug sein für seine Reformideen: Die Wut des braven Bürgers von der Straße beschert den Rechtsextremen schließlich Wahlergebnisse, von denen sie sonst nicht zu träumen gewagt hätten.
Die NPD positioniert sich als die Partei der Sozialen Gerechtigkeit: „Die Ausbeutung der sozial Schwachen durch die Herrschenden findet in der BRD kein Ende“, empören sich die Nationalen in einem Flugblatt gegen Hartz IV. Und Gerhard Freys Parteikonzern DVU schimpft: „Der Sozialabbau ist das Gemeinschaftswerk einer Größten Koalition aller Zeiten (GRÖKOZ). (…) Weitere Vernichtung des vom deutschen Volk hart erarbeiteten Sozialstaates heckt man derzeit in Berlin aus.“
Zwischen derlei Sozialromantik und flammenden Reden für den Sozialstaat ist der Schuldige selbstverständlich rasch ausgemacht: „Scheinasylanten, Bürgerkriegsflüchtlinge, bei denen daheim der Bürgerkrieg längst vorüber ist, und jüdische ‚Kontingentflüchtlinge‘ aus der ehemaligen Sowjetunion“ hält die DVU für die Ursache, und die NPD fordert folgerichtig eine „Politik für das eigene Volk“.
Man kann die Aufregung der Nationalen nur schwer nachvollziehen – eigentlich könnte die national-soziale Avantgarde der entrechteten Deutschen mehr als zufrieden sein mit Hartz IV: Große Teile der ausländischen Bevölkerung sind nämlich wesentlich stärker betroffen vom aktuellen Sozialabbau als „das eigene Volk“. Selbst die regierungsnahe taz titelte Ende August „Die stillen Opfer von Hartz IV“ – und die sind insbesondere AsylbewerberInnen und geduldete Flüchtlinge. Im Zusammenspiel mit den Neuregelungen im Zuwanderungsgesetz ergibt sich so ein brauchbares Instrument, die Forderung nach „mehr Ausländern, die uns nützen und weniger, die uns ausnutzen“, politisch auch umzusetzen. Als „die Ökonomisierung der Menschenrechte“ bezeichnet etwa Volker Maria Hügel von Pro Asyl diese Strategie.
In vielen Bereichen der sozialen Sicherungssysteme waren AusländerInnen seit jeher schlechter gestellt als Deutsche. Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) – in Kraft getreten im November 1993 – schreibt diese soziale Diskriminierung in einem Sondergesetz fest, unter das eine ganze Bevölkerungsgruppe fällt. Man erinnere sich nebenbei: Anfang der 90er Jahre war die Zeit der Pogrome von Hoyerswerda und Rostock, der öffentlichen Hetze gegen „Asylantenflut“ und „Asylbetrüger“, die schließlich im „Asylkompromiss“ von 1992 mündeten. Das AsylbLG schrieb seitdem für eine große Gruppe von Flüchtlingen ein Jahr lang Leistungen vor, die rund 30 Prozent unter dem Sozialhilfesatz und damit unter der offiziell definierten Armutsgrenze liegen.
1997 wurde das Gesetz nochmals verschärft: Die niedrigeren Leistungen gelten nunmehr drei Jahre lang für Asylsuchende, Kriegsflüchtlinge und geduldete AusländerInnen. „Auch wenn das Gesetz mit den Mitteln der Rechtsstaatlichkeit auf den Weg gebracht wurde, muß es als rassistisch geprägtes Sondergesetz bezeichnet werden“, urteilte damals Heiko Kauffmann von Pro Asyl. Ein Jahr später folgte die nächste Verschärfung: Unter bestimmten Bedingungen erhalten Flüchtlinge nicht einmal mehr die abgesenkten Leistungen sondern nur noch das zum Leben „unabweisbar Gebotene“.
Ein Gesetz, „das Menschen aushungern soll“, kritisierte Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung. „Das Sozialrecht wird als drakonisches Strafrecht missbraucht; man setzt Flüchtlinge auf Wasser und Brot. Ihre Straftat heißt: Sie sind nach Deutschland geflohen.“
Verbunden mit abgesenktem monatlichen Regelsatz ist im AsylbLG der Vorrang von Sachleistungen, die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und eine eingeschränkte Krankenhilfe; nur bei akuten Erkrankungen übernimmt das Sozialamt die Behandlungskosten. Dies ist besonders gravierend, da zahlreiche Flüchtlinge durch Kriegs- oder Verfolgungserfahrungen schwer traumatisiert sind und qualifizierte psychotherapeutische Hilfe benötigen würden – Untersuchungen gehen von 30 Prozent der in Deutschland lebenden Flüchtlinge aus. Doch hier heißt es in der Regel: Chronische Krankheiten werden nicht bezahlt.
Im neuen Zuwanderungsgesetz werden derartige Missstände nicht etwa behoben. Im Gegenteil: Sie werden ausgeweitet und verschärft. „Mehr denn je gilt künftig die Devise: Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“, prognostiziert Volker Maria Hügel. Besonders gravierend sieht Hügel das Fortbestehen des AsylbLG im Zusammenwirken mit den Folgen von Hartz IV im kommenden Jahr: Ein geduldeter Flüchtling, der etwa nach einem Jahr seine Arbeit verliert, erhält künftig, nachdem er seinen Anspruch auf das übliche Arbeitslosengeld ausgeschöpft hat, nicht etwa das Arbeitslosengeld II, sondern unmittelbar Leistungen nach dem AsylbLG. Der aktuelle Satz für den Haushaltsvorstand: 224,50 € statt 345 € nach ALG II. Anspruch auf die viel gelobten Fördermaßnahmen nach Hartz IV besteht für diese Gruppe nicht.
Verstärkt wird auch die „Verzahnung zwischen ökonomischer Leistungsfähigkeit und Aufenthaltsstatus“ (Hügel). Im Klartext: Wer ohne staatliche Transferleistungen seinen Lebensunterhalt sichern kann, hat bessere Chancen, seinen Aufenthalt zu verfestigen, wer sozialhilfeabhängig ist, hat schlechte Karten.
Im Prinzip läuft also alles nach Plan für NPD und Co. – eine solche Strategie ist doch nun mal nichts anderes als „Politik für das eigene Volk“. Die Rechte könnte sich also zufrieden zurücklehnen und endlich schweigen. Und die Linke? Sie schweigt ohnehin geräuschvoll.