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Happy Birthday, Mr. Wilde

| Jochen Knoblauch

Für den Künstler gibt es nur eine geeignete Regierungsform, und zwar gar keine. (Oscar Wilde) (1)

Zum 150. Geburtstag von Oscar Wilde erscheint eine Werkausgabe in 5 Bänden des gebürtigen Iren. Zu seiner Zeit einer der klügsten Köpfe und genialer Kritiker der Londoner Gesellschaft. Das viktorianische England rächte sich an ihm mit einem Prozess – an dem er zerbrach – wegen seiner Homosexualität. Trotz der Absetzung seiner Theaterstücke und dem Verbot seiner Bücher gilt er als einer der größten Klassiker der englischsprachigen Literatur.

Als Dandy wird gemeinhin ein Mensch bezeichnet, der hinsichtlich seiner Kleidung als Modenarr auftritt, und Oscar Wilde (1854-1900) gilt wohl neben Charles Baudelaire als ein Urgestein aller Dandys. Ihn allerdings darauf zu beschränken, wäre nicht ausreichend. Auch die Tatsache, dass Wilde ein glänzender Dramaturg und amüsanter Aphoristiker war, der mit seinen geistreichen und spitzen Bemerkungen im Mittelpunkt jeder Teegesellschaft stand, lässt ihn heute noch als großen Kritiker selbsternannter Herrlichkeit dastehen: „Es gibt keine Sünde, außer der Dummheit“. (2)

Wilde wird am 16. Oktober 1854 in Dublin geboren, hier absolviert er die Schule, bis er 1874, dank eines Stipendiums, nach Oxford geht und erste Reisen nach Italien und Griechenland unternimmt. 1878 erhält er eine Auszeichnung für sein Gedicht „Ravenna“ und den Uni-Abschluss mit Auszeichnung als „Bachelor of Arts“. Es folgen weitere Gedichte und eine legendäre Vortragsreise in die USA, wo der ‚Dandy‘ im ‚wilden Westen‘ über die Probleme der ‚Ästhetik‘ referiert. 1884 heiratet er Constance Lloyd. Aus dieser Verbindung gehen zwei Kinder hervor. Wilde wird Redakteur der Zeitschrift „Woman’s World“ und publiziert Geschichten und Theaterstücke mit zunehmenden Erfolg. 1891 beginnt die Beziehung zu Lord Alfred Douglas. Dessen Vater, ein stadtbekannter Trinker und Schläger, denunziert Wilde 1895 öffentlich als „Sodomiten“. Mit dem Verleumdungsprozess, den Wilde auf Drängen von Alfred Douglas anstrebt und gewinnt, gerät der Rhetoriker Wilde ins Kreuzfeuer des Staatsanwaltes, bis er sich selbst auf der Anklagebank wiederfindet. Dieses Tribunal wurde zur öffentlichen Rache an Wildes Verachtung für die bigotte Moral der Herrschenden. Auf der anderen Seite war dieser Prozess ein Signal für den Kampf der Homosexellen um ihre Anerkennung, in dem Wilde noch eine Gedichtzeile zitieren muss, um seine Liebe zu Männern zu umschreiben, eine Liebe, „die ihren Namen nicht zu nennen wagt“. Der deutsche Anarchist John Henry Mackay publiziert einige Jahre später seine Schriften zur Homosexualität unter dem Pseudonym Sagitta mit dem Reihentitel: Die Bücher der namenlosen Liebe.

Gegen Wilde beginnt eine gnadenlose Hetze. Die Möglichkeit zur Flucht ins Ausland, die ihm Freunde anbieten, nutzt er nicht. Er muss eine zweijährige Zuchthausstrafe mit Zwangsarbeit antreten, die ihn physisch und psychisch ruiniert. Als Wilde 1897 entlassen wird, begibt er sich sofort nach Frankreich, er schreibt kaum noch und stirbt nach drei rast- und ziemlich mittellosen Jahren am 30. November 1900 in einem Pariser Hotel. „Die Tapete und ich führten einen erbitterten Kampf auf Leben und Tod“, soll er über sein letztes Quartier gesagt haben.

Wilde beeinflusst nicht nur die Literatur in Europa – er soll neben Shakespeare inzwischen der meist zitierte englischsprachige Autor sein -, sondern belebte auch die (politische) Bohème der vorigen Jahrhundertwende sowie Kreise der intellektuellen AnarchistInnen, etwa, wenn Jean Grave 1891 in der französischen „La Révolte“ (Jg. 4, Nr. 43) Wilde zitiert hinsichtlich einer durch Maschinen leichter werdenden Arbeit und einer zunehmenden Beachtung der Kultur: „Die Kunst ist die höchste Manifestation des Individualismus“. Auch in deutschsprachigen anarchistischen Zeitschriften fanden Texte von und über ihn Eingang, wie etwa bei Albert Weidners Wochenschrift „Der Arme Teufel“, Landauers „Der Sozialist“ u.a. Nicht zuletzt kam dieses Interesse der AnarchistInnen an Wilde durch Gustav Landauer und Hedwig Lachmann zustande, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Wildes „Der Sozialismus und die Seele des Menschen“ (1904) und „Das Bildnis des Dorian Gray“ (1907) zusammen ins Deutsche übersetzt haben. In „Der Sozialismus…“ verwendet Wilde neben seinen ästhetischen und religiösen Vorstellungen überwiegend Ideen von Kropotkin, den er in seinem Briefessay „De Profundis“ „zu dem Vollkommensten, das mir im Bereich meiner Erfahrung begegnet ist“ (3), zählt.

Der Puritaner und Sozialist G.B. Shaw, der mit der Bisexualität seines Landsmannes nichts anfangen konnte und ihm seinen „irischen Charme“ neidete, dem die Engländer(innen) zu erliegen schienen, schloss sich der allgemeinen Homophobie an, wie sie etwa auch bei Nettlau und Landauer anzutreffen war: „Ich empfinde den ganzen normalen, heftigen Widerwillen gegen die Homosexualität…“ (4) Aber als es darum ging, eine Petition für die zum Tode verurteilten Chicagoer Anarchisten (1887) zu unterschreiben, war Wilde in ganz London der einzige, der dies tat. „Das war eine ganz selbstlose Handlung von seiner Seite; und sie sicherte ihm meine besondere Achtung auf Lebzeiten“ (5), gestand Shaw ihm letztendlich zu.

Jetzt hat der Zürcher Haffmans Verlag, der inzwischen dem Zweitausendeins-Konzern angeschlossen worden ist, eine erweiterte und neu übersetzte Werkausgabe veröffentlicht.

Band 1 enthält den Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“, Band 2 die Märchen, Erzählungen und Prosagedichte, darunter das ‚proletarische‘ Märchen „Der glückliche Prinz“ oder die Erzählung „Das Gespenst von Cantervilles“. Band 3 versammelt neun Essays – unter ihnen auch „Die Seele des Menschen im Sozialismus“, Band 4 vereinigt vier Komödien, und Band 5 wird gegenüber der ersten Zürcher Ausgabe von 1999 erweitert mit dem im Original französisch geschriebenen Drama „Salome“ sowie dem „Brief aus dem Gefängnis“ (früherer Titel „De Profundis“ – eine seiner Umwelt gegenüber etwas ungerechte und verbitterte, aber verständliche Abrechnung). Dazu kommt noch das kleine biographische Beiheft mit zahlreichen Abbildungen.

Mir gefällt besonders, vom Inhalt mal abgesehen, die Ausstattung dieser Ausgabe, sowie, dass die Bände statt der Nummerierung auf dem Rücken, untereinander jeweils die fünf Buchstaben des Autorennamens tragen.

Sicher fehlen einige Tragödien und Essays sowie „Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading“ oder, was ich spannend gefunden hätte, eine Neuübersetzung des Dramas „Vera oder die Nihilisten“, welches letztmalig 1908 erschienen ist. Nach Rückfrage beim Verleger Gerd Haffmans konnte der dies nur bestätigen, aber derartigen Projekten zu einem solchen Preis und dem Aufwand der Neuübersetzung sind eben auch Grenzen gesetzt.

Fremdartig mag heute für die Eine oder den Anderen die Sprache des 19. Jahrhunderts sein, die hier in dieser Ausgabe aufgrund der Neuübersetzungen kaum noch spürbar ist.

Hingegen lassen die Landauer/Lachmann-Übersetzungen (wie die anderen dieser Zeit auch) noch wesentlich den damaligen (sprachlichen) Zeitgeist spüren. Die Tätigkeit des Übersetzens ist vielleicht noch aus einem laxeren Verständnis heraus gemacht worden. Wenn Landauer etwa beim „Bildnis des Dorian Gray“ von „manchen Stellen leisen Schwulstes“ redet, dann lässt es nichts Gutes erahnen, wenn er gleichzeitig in einem Brief an Fritz Mauthner zu seiner Wilde-Übersetzung bemerkt: „Ich habe die Arbeit gern getan – das weitaus meiste davon ist von mir – weil etwas von Sprachgestaltung dazugehörte.“ (6)

„Klassiker“ haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten, konsumiert zu werden – deren Chance ist im realen Leseabenteuer um so größer, je weniger mensch zwanghaft, als SchülerIn etwa, damit drangsaliert wird. So scheinen die Wildeschen Themen unser Medienzeitalter zu erreichen, denn Wildes Arbeiten (inkl. seinem Leben) lieferten für 58 TV- und Spielfilme die Drehbücher. Allein „Das Bildnis des Dorian Gray“ wurde zwölf Mal verfilmt.

Wilde ist nicht der Anarchist par excellence. Sein Widerstand gegen die selbsternannte geistige und moralische Führung einer bigotten (englischen) Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ging über seine eigene Bürgerlichkeit nur schwer hinweg. Und ein Subversiver, der Wert auf Kleidung, Konversation und Ästhetik legte, scheint im Moment nicht wirklich ‚cool‘ zu sein, aber sein hoher Grad an intelligenter Unterhaltsamkeit ist in den heutigen Zeiten der Dumpfbacken-Medien ein Trost.

Für einen wie Oscar Wilde wäre eine Etikette eh zu schnöde. Die Frauenbewegung hat gegenüber dem „harten“ Sozialrevolutionär das Ganzheitliche einer Revolution schon eher erkannt, wenn sie „Brot und Rosen“ forderte, und Wilde war eben mehr für die Rosen zuständig (wenngleich dies nicht seine Lieblingsblume war).

(1) Gerd Haffmans (Hg.): Oscariana oder Wildes Denken. Frankfurt/M. 2003, S. 104

(2) ebd., S. 15

(3) hier zitiert bei: James Joll: Anarchisten. Frankfurt/M. / Berlin 1966, S. 172/173

(4) G.B. Shaw: Meine Erinnerungen an Oscar Wilde; in: Norbert Kohl (Hg.): Oscar Wilde im Spiegel des Jahrhunderts. Frankfurt/ Leipzig 2000, S. 83

(5) ebd.

(6) Gustav Landauer - Fritz Mauthner: Briefwechsel 1890-1919, München 1994, S. 169

Oscar Wilde. Werke ("Neue Zürcher Ausgabe") in 5 Bde. Verlag Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt/M. 2004, zus. 2.163 S., geb. im Schuber, 49,95 Euro. Nebst einem "Beiheft zur Oscar Wilde Werkausgabe" (38 S., Abb.)