11. April 1968, Demo gegen Springer-Konzern: „Dann kam Peter Urbach. (…) An diesem Abend hatte er in seinem Auto einen großen, geflochtenen Weidenkorb mitgebracht mit einem guten Dutzend zündfertiger Molotowcocktails darin.“ (Ulrich Chaussy: Dutschke-Biographie, S. 253)
Peter Urbach, genannt „S-Bahn-Peter“ und Verfassungsschutz-Spitzel, hatte vorher schon Rudi Dutschke eine Bombe für eine Aktion geliefert, die dieser dann nicht ausführte. Bei der Straßenschlacht am Tegeler Weg, November 1968 („der erste und einzige Sieg auf der Straße in militärischen Kategorien“), fuhr plötzlich ein LKW beladen mit Pflastersteinen vor, höchstwahrscheinlich organisiert von Peter Urbach. (vgl. Spitzel, S. 132)
Typen wie Peter Urbach gibt es viele in der Geschichte sozialer Bewegungen. Sie transportieren eine Message, einen staatlichen Auftrag. Ich habe mir daher immer ein Buch gewünscht, das die politische Funktion des Spitzelwesens analysiert. Nun gibt es solch ein Buch. 42 zum Teil sehr lesenswerte Beiträge (vor allem der von Wolfgang Eckhardt über Marxens Diffamierung Bakunins) und Fallbeispiele behandeln die Spitzelgeschichte, angefangen beim „Urspitzel“ Judas über Urbach, Schmücker bis zu aktuellen Beispielen von Spitzeln in der Anti-AKW-Bewegung. Die Beiträge sind schön illustriert.
Doch mit dem inhaltlichen Ansatz der Herausgeber habe ich Probleme. Grob gesagt gibt es zwei Arten von Spitzeln, die dummen und die schlauen. Die Dummen lassen sich vom Verfassungsschutz anwerben und spionieren die Szene aus. Sie tragen dem Staat Informationen zu und verraten Menschen. Die Schlauen dagegen sind zu etwas ganz anderem fähig: sie tragen in staatlichem Auftrag etwas in die Szene hinein. Leider konzentrieren sich die Herausgeber in ihren Analysen fast gänzlich auf die erste Sorte.
So entgeht ihnen analytisch die Funktion der zweiten Gruppe, der „Agents provocateurs“, im bürgerlichen Rechtsstaat. Dieser konstituiert sich durch eine legalistisch-öffentliche Fassade, in welcher er sich als Gegner gewaltsamer Auseinandersetzungen präsentiert. Doch das ist Ideologie, nicht staatliche Realität. Weil das so ist, muss der bürgerliche Rechtsstaat sein Interesse an gewaltsamer sozialer Auseinandersetzung illegal durchsetzen, eben durch Agents provocateurs. Deren staatlicher Auftrag heißt: Soziale Bewegungen auf die militant-militärische Ebene der Auseinandersetzung bringen, um ihnen die öffentliche Legitimation und damit die Möglichkeit zu entziehen, systembedrohende Massenbewegung zu werden. Typisches Verhalten solcher Spitzel ist: Gewaltfreie Aktion wird grundsätzlich diffamiert, als zu lahm, zu passiv, angeblich nicht radikal genug. Früher oder später werden militante oder gar militärische Aktionen propagiert, und Spitzel haben oft das entsprechende Material bis hin zu Waffen gleich zur Hand oder können es schnell organisieren (woher wohl?).
Das bedeutet beileibe nicht, dass militante Aktionen nicht selbstbestimmt wären. Es heißt nur, dass es diesen staatlichen Auftrag für Agents provocateurs gibt. Und so ein Buch wäre ein Anlass, das einmal genau zu analysieren und sich zu fragen, warum das so ist. Nur bei einem Fallbeispiel im Buch, dem Anti-AKW-Spitzel Klaus Eggert, wird das – auch nur nebenbei – gemacht: „Bei einer Durchsuchung der ‚Ente‘ von Eggert fand sich eine Tränengasgranate, die er nach eigenen Angaben gegen die Polizei einsetzen wollte. Daher die Vermutung, dass die Spitzel ‚bei eventuell anstehenden Auseinandersetzungen mit der Polizei durch provokatorisches Verhalten einen weiteren Anlass zur Zerschlagung der Bewegung liefern‘ sollten.“ (S. 179)
Ein Manko ist der fehlende Artikel über Italien in diesem Buch. In Italien ist seit 1965 bewusst eine staatliche „Strategie der Spannung“ angewandt worden – sie ist nachgewiesen und gut dokumentiert -, die noch bei den militant-militärischen Auseinandersetzungen in Genua 2001 wieder zum Tragen kam (vgl. dazu z.B. Dario Azzellini: Genua, dort vor allem seinen Beitrag „Bomben für das System“, Assoziation A, Berlin 2002). Warum behandeln die aus der autonomen Szene kommenden Herausgeber dieses Beispiel nicht, wo doch sonst der autonome Blick immer gleich nach Italien geht? M.E. geht das zu nahe an ihre politische Identität: Wenn es nämlich ein – durch Agents provocateurs exekutiertes – staatliches Interesse an „spannungsgeladener“ sozialer Auseinandersetzung gibt, verliert jede Begründung von Gegengewalt ihren wie selbstverständlich vorausgesetzten revolutionären Charakter. Sie müsste dann mindestens subtiler und vorsichtiger begründet werden, verbunden mit einer Aufwertung antimilitaristischer Kampfformen.
Markus Mohr dagegen begnügt sich z.B. bei Peter Urbach mit einer jeder Analyse abholden Aneinanderreihung disparater Stimmen zu diesem Phänomen und schließt dabei ab mit einem zeitgenössischen Zitat von Klaus Hartung: „Wenn’s wahr wäre, muss man zugeben, dass der Verfassungsschutz zuweilen das Richtige macht.“ (S. 132) Na dann!
Markus Mohr, Klaus Viehmann (Hg.): Spitzel. Eine kleine Sozialgeschichte. Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg 2004, ISBN 3-935936-27-3, 256 S., 18 Euro.