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Antiatomaktivismus trägt Trauer

| Odile Benyahia-Kouider (Berlin), Thomas Calinon (Avricourt), Mathieu Ecoiffier Übersetzung: Lou Marin

Am gestrigen Sonntag, 7.11., kam es bei einer Widerstandsaktion gegen den Castor-Transport in Frankreich zur Katastrophe: der 21-jährige Aktivist Sebastian wurde von dem Atommüllzug überrollt und getötet. Im folgenden die Übersetzung eines Artikels aus der französischen Zeitung Libération von heute. (GWR)

Die Atomkraft hat getötet, gestern auf den Eisenbahnschienen nahe Avricourt (Departement Meurthe-et-Moselle), 40 Kilometer östlich von Nancy. Ungefähr um 14 Uhr 30 hat der 2000 Tonnen schwere und 400 Meter lange Zug, der 12 Container mit in Glaskokillen eingefassten Brennstäben aus La Hague in Richtung Gorleben/Deutschland transportierte, einen Anti-Atom-Aktivisten im Alter von 21 Jahren verletzt, der sich am Gleis angekettet hatte. Dem Jugendlichen, der aus dem Departement Meuse stammt, wurde ein Bein abgetrennt. Er ist seinen Verletzungen erlegen. "Bei diesem Unfall gab es eine Ansammlung von Problemen", meinte während einer Pressekonferenz der Staatsanwalt aus Nancy, Michel Senthille. Der getötete Jugendliche war Mitglied einer Gruppe von acht AktivistInnen, alle volljährig, die versuchten, den Transport mit (Atom-, der Begriff fehlt im Französischen, d.Ü.) Abfällen mittels unter den Gleisen versteckter Rohre, an denen sich vier von ihnen anketten konnten, zu blockieren. Sie haben sich am Ende einer Kurve niedergelassen (installiert, d.Ü.), wo die Sichtweite nicht mehr als 200 Meter beträgt. Die Gruppe ist nach der Vorbeifahrt eines Motorradfahrers der Gendarmerie, der dem Zug um zwei Minuten vorausfuhr und nichts Ungewöhnliches bemerkte, plötzlich aufgetaucht. Der Zug hat den Aktivisten trotz einer Notbremsung verletzt.

Geschwindigkeit

"Wir denken, dass es dem Jugendlichen nicht gelungen ist, sich aus der Ankettung loszuschließen. Vielleicht hat er das Vorhängeschloss blockiert", wodurch er einmal festgeriegelt (oder eingeklemmt, frz: verrouiller, d.Ü.) wurde, als der Zug zum Halten kam, meinte Michel Senthille. Die drei anderen Gruppenmitglieder konnten sich rechtzeitig von den Gleisen befreien. "Vor einer Zugblockade signalisieren die AktivistInnen ihre Präsenz mit Hilfe einer Lampe einige hundert Meter im Vorhinein. Und wenn wir sehen, dass das nicht möglich ist, versuchen wir es gar nicht. Die AktivistInnen müssen also eine übliche Sicherungspraxis vergessen haben", erklärt Gilbert Poirot, elsässischer Anti-Atom-Aktivist. Gestern abend kritisierte er die Geschwindigkeit des Zuges, die er "auf 100 Stundenkilometer" schätzte, wobei die Transporte mit (Atom-, d.Ü.) Abfällen nur "mit einer Maximalgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern fahren dürfen." Der Zug hat seine Fahrt kurz vor 18 Uhr wieder aufgenommen.

Um 11 Uhr 15 hatten DemonstrantInnen den Zug bereits in Laneuveville-devant-Nancy blockiert. Diese Aktion war von einer örtlichen Gruppe von vierzehn Personen durchgeführt worden, die aus dem Netzwerk "Sortir du nucléaire" stammte und Auskunft über die Logistik solcher Aktionen gaben. "Wir sind um 2 Uhr morgens hingegangen. Jeder wurde über die Risiken und den Ablauf der Aktion informiert. Wir haben uns die ganze Nacht über in den Büschen nahe der Gleise versteckt", erzählt Michel, 26 Jahre alt. Seine Mitstreiter hatten die Aufgabe, ihre Anwesenheit und die Blockade einen Kilometer weiter aufwärts der Strecke zu signalisieren. "Wir sind auf die Gleise gegangen, als der Hubschrauber, der die Gleise überfliegt, uns entdeckt hatte. Wir waren auf einem geraden Streckenabschnitt und konnten gut überblicken, wie der Zug gestoppt hat", erzählt Michel weiter. Zwei Personen haben sich auf den Gleisen mit Handschellen festgekettet. "Die Auseinandersetzung mit der CRS (französische Bundespolizei, vergleichbar dem BGS, d.Ü.) verlief sehr ruhig. Wir haben keinen weiteren Widerstand geleistet und wurden dann alle in die örtliche Polizeistelle eingeliefert", fährt Michel fort. "Es ist uns gelungen, den Zug um zweieinhalb Stunden aufzuhalten. Wir waren euphorisch", erzählt einer der beiden Festgeketteten. Die Stimmung ist dann auf brutale Weise umgeschlagen, als die Aktivisten die Nachricht vom Drama erfuhren. Die Gruppe vom Vormittag bestätigte, dass sie von derjenigen des Nachmittags nichts wusste. Letztere muss aber "Sortir du nucléaire" gekannt haben. Denn ein Vertreter von "Sortir du nucléaire" wurde "von einem Unbekannten um ungefähr 15 Uhr 10 angerufen" und darum gebeten, "einen Pressekontakt zu vermitteln", aber er konnte den Anrufer nicht identifizieren.

Widerstand

In Dannenberg/Deutschland, sowie in angrenzenden Städten, wo der Zug am Nachmittag erwartet wurde, waren die DemonstrantInnen von der Nachricht sehr betroffen. Ab 18 Uhr versammelten sich tausende Personen spontan in Hitzacker, einer der Gemeinden, die der Zug durchquert, um eine Minute des Schweigens zu begehen und dem Opfer zu gedenken. Einige trugen Laternen mit dem Zeichen "X", dem Symbol für Widerstand.

Anmerkungen

Quelle: Antinucléaire: l'activisme en deuil, Libération, 8.11.2004. Übersetzung: Lou Marin, Graswurzelrevolution

Weitere Infos

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