anti-atom

Gorleben reloaded

Tag X im Wendland: 6. - 10. November

| Jochen Stay

(Red.) Im November rollt der Castor nach Gorleben - wie immer. Und die Leute stellen sich quer - wie immer.

Kontinuität und Chancen im Castor-Widerstand

Castor-Transporte nach Gorleben sind scheinbar zur Normalität geworden. Anfang November werden die Behälter Nr. 45 bis 56 ins dortige Zwischenlager gebracht. Die Polizei hält die Proteste für handhabbar, will etwas weniger BeamtInnen ins Wendland schicken als letztes Jahr.

Und wenn mensch sich im Internet anschaut, was an Protesten geplant wird, wirkt dies altbekannt: große Auftaktdemo in Dannenberg, Camp im Südwesten, Schienenblockaden von Kleingruppen quer durch die Republik, Demos und Aktionen in Lüneburg, Waldspaziergänge in der Göhrde, Camp in Hitzacker, Infopunkt auf der Dannenberger Essowiese, X-tausendmal quer auf der Straßenstrecke, Bäuerliche Notgemeinschaft überall, WiderSetzen plant Sitzblockaden in Langendorf und Groß Gusborn. AktivistInnen von Greenpeace und Robin Wood werden irgendwo raufklettern oder sich irgendwo anketten. Die VolXküche und Rampenplan kochen für alle, Klaus der Geiger geigt für alle, und die Gorleben-Singers singen für alle. Dazu viele kleine und kreative Aktionen in den Dörfern entlang der Transportstrecke. Die BI Lüchow-Dannenberg spricht von der „5. Jahreszeit im Wendland“, also etwas, was mit großer Sicherheit jedes Jahr wiederkehrt. Alle sind drauf eingestellt, der Adrenalinspiegel steigt in der Region nicht mehr viele Wochen vorher an, sondern erst kurz vor dem Tag X. Die Presse ist sich nicht ganz sicher, wie viel Neuigkeitswert die Ereignisse noch haben werden und ob sich eine Reise ins Wendland lohnt.

Also alles wie gehabt? Ja und nein.

Ja insofern, als es auch beim anstehenden achten Gorleben-Castor-Transport noch immer ausgiebigen Protest und Widerstand gibt, noch immer ganze Polizeiarmeen aus dem Bundesgebiet zusammengezogen werden, noch immer tagelang Ausnahmezustand im Wendland herrscht.

Gerade jährte sich zum zwanzigsten Mal der allererste Tag X, als Anfang Oktober 1984 zum ersten Mal ein Atomtransport – damals noch mit Fässern voller schwach radioaktivem Müll – nach massiven Protesten Gorleben erreichte. Wer hätte es damals, oder auch nur beim ersten Castor 1995, für möglich gehalten, dass auch im Jahre 2004 ein Transport nach Gorleben noch einen solch riesigen Aufwand nötig macht?

Gorleben ist und bleibt die Konstante im Widerstand gegen die Atompolitik. Das ist dann zwar nicht mehr jedes Jahr aufregend neu, aber es ist in gewisser Weise verlässlich. Und es ist erstaunlich, angesichts der in rot-grüner Atomkonsenssoße verklebten Republik. Im neuesten Rundbrief von X-tausendmal quer wird das so formuliert:

„Mit den alljährlichen Aktionen rund um Gorleben legen wir den Finger genau in die offene Wunde des weiter völlig ungelösten Atommüllproblems. Wir nutzen die Chance der öffentlichen Aufmerksamkeit, die es eben vor allem bei den Castortransporten gibt und die wir mit unseren Aktionen letztendlich auch immer wieder neu bewirken. So besteht die Möglichkeit, das gesellschaftliche Problembewusstsein neu zu schärfen. Wer weiß schon, dass sich mit den im Atomkonsens festgelegten ‚Reststrommengen‘ die bisher entstandene Atommüllmenge in den nächsten Jahrzehnten verdreifachen wird?

Es geht letztlich darum, die öffentliche Debatte um Atomenergie, die inzwischen hauptsächlich zwischen den beiden Szenarien rot-grüner Status quo oder schwarz-gelbe Renaissance geführt wird, wieder um die notwendige Variante der sofortigen Stilllegung zu erweitern.

Vielen Menschen ist es auch weiterhin wichtig, Sand im Getriebe der scheinbar übermächtigen Atomlobby zu sein. Dies geht natürlich bei Castor-Transporten besser als an AKW-Zäunen. Das persönliche Eingreifen, die direkte Aktion, der Zivile Ungehorsam angesichts von kaum fassbaren Risiken, kann dazu beitragen, die eigene Handlungsfähigkeit zu erhalten, nicht zu resignieren und den Kampf für eine lebenswerte Zukunft fortzusetzen.“

Auch diese Argumente sind alle nicht wirklich neu, aber sie entsprechen der aktuellen Situation und heben sich übrigens wohltuend davon ab, den Hype immer höher treiben zu wollen.

Gorleben und der Tag X sind ein Stück weit Routine geworden. Das nimmt dem Ganzen derzeit ein Stück seiner politischen Durchschlagskraft und seiner revolutionären Sprengkraft. Aber Anti-Atom-Politik war noch nie etwas für SprinterInnen, sondern eher für LangstreckenläuferInnen. X-tausendmal quer dazu: „Nur konstanter Protest, der sich über tagesaktuelle Schwankungen und Trends erhaben weiß, wird mit einer veränderten Politik quittiert! Setzt der Protest aus, so wird dies als Anzeichen für Zustimmung gedeutet. Darum sind Blockaden immer noch so wichtig.“

Die Kontinuität hat übrigens auch einen Nutzen auf einem ganz anderen Gebiet: Das Wendland war und ist eine Art Durchlauferhitzer für die politische Sozialisation von etlichen Generationen. Noch immer zieht es hauptsächlich junge Menschen zum Tag X. Und sie lernen in diesem jährlich wiederkehrenden und sich doch immer wieder neu erfindenden Widerstand unendlich viel, was hinterher auch an anderer Stelle politische Praxis befruchten kann.

Also alles wie gehabt? Ja und nein.

Nein insofern, als sich die Bedingungen vor Ort in einem interessanten Wandel befinden. Im Gegensatz zu den Transporten nach Gorleben vor einigen Jahren, hat die Polizei nämlich inzwischen ihr Konzept geändert. Sie versucht, Kräfte und Geld zu sparen und gleichzeitig die Belastung für die Bevölkerung im Wendland zu reduzieren. Das führt aber gleichzeitig wieder zu größeren Möglichkeiten für den Widerstand. Die Bewegungsfreiheit ist nicht mehr überall so eingeschränkt wie noch 2001. Die Transportstrecke ist an vielen Stellen wieder erreichbar. Im letzten Herbst war es beispielsweise der Bäuerlichen Notgemeinschaft wieder gelungen, mit ihren Treckern die Straße zu besetzen. Es geht wieder was…

Dies auch und gerade, weil ja die Zahl der QuerstellerInnen in den letzten Jahren nicht mehr ab-, sondern wieder zugenommen hat. Nach dem frustrierenden Tief im Herbst 2001 – direkt nach dem 11.09. in New York und Washington – wächst die Zahl der Aktiven langsam, aber stetig Jahr für Jahr an.

Dazu kommt, dass es in den letzten Monaten eine große Reihe sehr deutlicher Gerichtsurteile in Sachen Polizeirepressionen beim Castor gab. Die bisherige Praxis der massenhaften Ingewahrsamnahmen ist dadurch zwar nicht völlig unmöglich geworden, aber doch erschwert und eingeschränkt. Sollte es doch zu großen und langen Einkesselungen kommen, dann haben einige Dannenberger Richter schon angekündigt, dass sie sich dann selbst vor Ort begeben wollen, um die Rechtmäßigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls die Auflösung des Kessels zu verfügen. Es wird also spannend.

Insgesamt kann es in diesem Jahr also durchaus interessante Wendungen im Geschehen auf Straße und Schiene geben. Alles wie gehabt und dann plötzlich… Aber davon dann mehr in der nächsten GWR. Jedenfalls wäre es doch schade, nicht dabei gewesen zu sein, oder?

Anmerkungen

Die Auftaktdemonstration ist am Samstag, den 6.11., in Dannenberg. Der Transport wird diesmal einen Wochentag früher, also schon am Montag, den 8.11., im Wendland erwartet, weil er entsprechend früher losfährt.

Mehr über geplante Aktionen im Internet:
www.castor-stoppen.de (Aktionen im Süden)
www.x1000malquer.de
www.castor.de
www.widersetzen.de
www.bi-luechow-dannenberg.de
www.anti-atom-aktuell.de
www.koelnergegenstrom.de.vu

Infotelefon

Wer keinen Netzzugang hat, kann beim Infotelefon von X-tausendmal quer anrufen: 0431-2108821.

Spenden

Und wer was spenden möchte, das am Besten an den Unterstützungsfonds Ziviler Ungehorsam, damit auch in Zukunft noch AnwältInnen und Prozesskosten getragen werden können.

Konto M. Digel
Nr. 1 385 481 856
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