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Zum Demonstrationsverbot beim Castor-Transport im November 2004

Im Namen des Grundrechts auf Demonstration gegen das allgemeine Versammlungsverbot

| Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr Dr. Elke Steven

Zugleich: Ankündigung erneuter, grundrechtlich argosäugiger Demonstrationsbeobachtung. Beizeiten, am 22. Oktober 2004, hat die Bezirksregierung Lüneburg eine Allgemeinverfügung erlassen. Allgemein wird verfügt, dass das "Versammlungsrecht" innerhalb eines großzügig bemessenen Korridors 10 bzw. 8 Tage lang von Bürgerinnen und Bürgern zu praktizieren verboten werde.

Die Allgemeinverfügung wird hauptsächlich durch drei Hinweise gerechtfertigt:

  • den Schutz von Rechtsgütern, darunter an erster Stelle erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die aktuell den Schutz des Demonstrationsrechts überragten;
  • „eine auf Tatsachen gestützte Gefahrenprognose“, die Gewalttaten erwarten lasse;
  • „hochwertige Rechtsgüter Dritter“, darunter vor allem das Transportrecht des „Genehmigungsinhabers“ Castor.

Die Gefahrenprognose wird vor allem durch „Erfahrungen“ aus der Zeit der letzten Castor-Transporte gestützt. Sie wird außerdem mit „derzeitigen Erkenntnissen“ unterstrichen. Sie ließen Gewaltbereitschaft unter den mutmaßlich demonstrierenden Gruppen erwarten. Darum stelle die Allgemeinverfügung ein „gebotenes Mittel“ dar. Sie sei „verhältnismäßig“.

Diese Allgemeinverfügung der Bezirksregierung Lüneburg ist rechtzeitig und vorab vom Verwaltungsgericht Lüneburg justiziell abgesegnet worden. In einem am 12.10.2004 ausgefertigten Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. gegen die Bezirkregierung abgewiesen. Diese Klage richtete sich gegen die argumentativ gleichgerichtete Allgemeinverfügung vom 25.10.2003. In ihr hatte die Bezirksregierung die seinerzeitigen Demonstrationen allgemein weg-zu-verfügen gesucht.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie kritisiert die neuerliche Allgemeinverfügung der Bezirksregierung wie deren unhaltbare Hinterher- und Vorabrechtfertigung durch das Verwaltungsgericht. Unhaltbar ist diese, wenn man die Normen des Grundgesetzes angemessen auslegt; wenn man die Erfahrungen mit Gorlebener und anderen Demonstrationen nüchtern und grundrechtsengagiert wahrnimmt; wenn man schließlich realistisch und pragmatisch einschätzt, wie rundum friedliche Demonstrationen um der Demokratie und Menschenrechte willen am besten gewährleistet werden können. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie legitimiert sein Urteil durch sein grundrechtsgemäßes Verständnis der unmittelbar geltenden Grundrechte des Grundgesetzes; durch teilnehmend beobachtend gewonnene Erfahrungen mit zahlreichen Demonstrationen quer über die Bundesrepublik; durch das bis heute in keinem Fall widerlegte Wissen um das Funktionieren von Großdemonstrationen und die in ihnen aktiven mündigen Bürgerinnen und Bürger.

Wir werden eine detaillierte Kritik der Allgemeinverfügung und der allgemeinen Rechtfertigung durch das Lüneburger Verwaltungsgericht in diesen Tagen veröffentlichen. Vor dem Hintergrund dieser Kritik stellen wir wohlbegründet, aber pauschal fest:

Zum ersten: die Allgemeinverfügung der Bezirksregierung zu Lüneburg und des ihr justizell zuhandenen Verwaltungsgerichts zu Lüneburg haben bis zur Stunde die normierende Kraft der Grundrechtsnorm von Art. 8 GG nicht verstanden. Sie haben deswegen auch nur mithilfe einer sprachlichen Formel, dem Begriff „Verhältnismäßigkeit“, die unabdingbare Güterabwägung zwischen dem Grundrecht hier und anderen Rechten dort vorgenommen. Sie täuschen eine skrupulöse Güterabwägung nur vor. Sie haben immer schon zugunsten des Transports einerseits und der Ersparnis polizeilichen Schutzes andererseits eine einseitige Vorentscheidung getroffen. Der flächen- und zeit- und demonstrationen-deckende Allgemeincharakter der Verbotsverfügung ist normativ bodenlos.

Zum zweiten: Bezirksregierung und Verwaltungsgericht täuschen sich empirisch. Sie haben Erfahrungen früherer Demonstrationen einseitig und pauschal ‚gesamt‘-gerechnet. Darum können sie, von ihnen zugestandene, friedliche Demonstrationen mit dem Verweis auf Störer der Allgemeinverfügung verbotsrepressiv unterbuttern. Hilfsweise ist von einem „polizeilichen Notstand“ vorab die Rede. Dieser soll darin bestehen, dass in der vorab gewaltgeschätzten Demonstration die Polizei andere Rechtsgüter nicht genugsam schützen könne. Dass es gerade der Polizei als der Einrichtung eines Bürger-Staates zuerst um den Schutz eines Grundrechts gehen muss, geht dabei verloren. Ebenso wird verkannt, dass es gerade die Art der Allgemeinverfügungen und des Einsatzes der Polizei sind, die allenfalls zu einem „Notstand“ der Polizei führen. Der Notstand eines zentralen Grundrechts wird so billigend, ja bewusst und gewollt in Kauf genommen.

Zum dritten: sowohl allgemein verbotsverfügende Bezirksregierung wie allgemeinverbotsrechtfertigendes Gericht wissen – und das wahrhaft aus Erfahrung -, dass die Bürgerinnen und Bürger vor allem rund um Gorleben, jedoch auch andere Personen und Gruppen in der Bundesrepublik trotz aller Verfügungen, ja z.T. wegen ihnen demonstrieren werden. Also ist es pragmatisch und durchaus im Kontext des grundrechtsfundierten Rechtsstaats geboten, alles zu tun, um in der Regel ohnehin – jedenfalls ausschlaggebend und überwiegend – von vornherein friedliche Demonstrationen so verlaufen zu lassen, dass die Demonstrationen und ihr Schutz ihren politisch-friedlichen Zweck erreichen. Indem aber gewaltverboten wird, indem Verbote einseitig gerechtfertigt werden, werden Regierung und Gericht zur Partei. Sie sorgen dazuhin mit dafür, dass die Chancen zunehmen, es werde zu störenden Geplänkeln rund um die Demonstrationen vor allem anlässlich fragwürdiger, wenn nicht falscher Polizeieinsätze kommen.

Das Komitee beobachtet auf der Basis der Grundrechte. Das Komitee wird davon berichten. Eine ausführlichere Fassung unserer Kritik an allgemeiner Verbotsverfügung und rechtfertigendem Urteil folgt dieser Tage nach.

Kontakt

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Tel.: 0221 / 97269-20 oder -30
Fax: 0221 / 97269-31
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Die ausführliche Fassung unserer Kritik an dem diesjährigen Demonstrationsverbot und seiner Begründung kann im Sekretariat des Grundrechtekomitees angefordert werden (0221 - 9726930).