anti-atom

„Kompetenzverbund Kerntechnik“ forscht weiter an Hochtemperaturreaktoren

| Horst Blume

Die Energieversorgungsunternehmen haben sich selbst mit dem (extrem langfristig angelegten) "Ausstieg" aus der Atomenergie durch die rotgrüne Bundesregierung nie wirklich abgefunden. In dem Flugblatt "Forum in Berlin" von dem "Atomwirtschaft"-Verlag "Inforum" wurde in diesem Jahr die Losung ausgegeben: "In der Politik ist nichts unumkehrbar". Gert Maichel, Mitglied des RWE-Vorstandes und Präsident des Deutschen Atomforums, hat auf der Wintertagung dieses Forums in diesem Jahr klargemacht, dass die Atomindustrie sich nicht abwickeln lässt, sondern schon heute an verbesserten Startbedingungen für den Neueinstieg in moderne Reaktorgenerationen arbeitet (atw 3/2004).

Hierbei setzt sie ausgerechnet auf die Zusammenarbeit und Weiterentwicklung von Strukturen, die die rotgrüne Bundesregierung neu geschaffen hat, um die Nutzung dieser gefährlichen Energieform die nächsten Jahrzehnte auslaufen zu lassen. Das Zeitfenster sieht demnach fogendermaßen aus: Bis mindestens 2022 sind noch Atomkraftwerke in Deutschland in Betrieb, wahrscheinlich wegen der gegenseitigen Anrechnung der Restlaufzeiten noch viel länger. Darüberhinaus gibt es für die Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente , den Anlagenrückbau und „Entsorgung“ und Endlagerung der radioaktiven Abfälle noch jahrzehntelang Bedarf an Fachleuten.

Aus diesem Grunde hat die rotgrüne Bundesregierung im Herbst 1999 eine Evaluierungskommission eingesetzt, die darauf achten sollte, dass fleißig im Atomenergiebereich weitergeforscht und -gelehrt wird, damit das Know-how auf diesem Gebiet in Zukunft erhalten bleibt. Im Jahre 2000 kam diese Kommission naturgemäss in ihrem Abschlussbericht zu der Empfehlung, dass der „Schutzauftrag staatlicher Vorsorge“ nur dann erfüllt werden kann, wenn mehr für den „Kompetenzerhalt in kerntechnischer Sicherheit“ getan würde!

Die rotgrüne Bundesregierung reagierte auf die Wünsche der Atomindustrie sofort und richtete am 16. März 2000 den „Kompetenzverbund Kerntechnik“ ein, um die Zusammenarbeit der Forschungseinrichtungen zu intensivieren. Dieser Verbund besteht aus:

  • Forschungszentrum Jülich (RWTH Aachen, FH Aachen/Jülich)
  • Forschungszentrum Karlsruhe (Uni Heidelberg, Karlsruhe, Stuttgart)
  • Forschungszentrum Rossendorf (TU Dresden, FH Zittau/Görlitz)
  • Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (TU München)

Wenige Monate später schlugen die Mitglieder des Verbundes Alarm und sagten einen Abbau der Arbeitsplätze für das Fachpersonal von 16.500 auf 13.000 voraus (atw 6/2004). Besonders dramatisch sei der Rückgang an kerntechnisch orientierten Hochschulabsolventen, was zu einem reduzierten Lehrangebot an den Hochschulen geführt habe.

Besonders schwer im Magen lag den Atomfreunden der anstehende altersbedingte Abgang des HTR-Spezialisten Prof. Kugeler bei der RWTH Aachen und beim Forschungszentrum Jülich. Dieses Problem wird zur Zeit durch die Einrichtung einer Stiftungsprofessur gelöst (atw 6/2004).

Der zweimal jährlich tagende „Kompetenzverbund Kerntechnik“ steckt sich mittlerweile ehrgeizige Ziele. Er hält „eine gezielte Werbeinitiative für notwendig, um Top-Studenten für nukleare Sicherheitsforschung zu gewinnen“. Spezielle Workshops, Bereitstellung von Doktorandenstellen, Kolloquien „Perspektiven der Kerntechnik“, Aufbau einer virtuellen Europäischen Nuklearuniversität – das alles ist schon geschaffen worden. Ab dem Wintersemester 2004/05 wurde an der Technischen Uni München ein völlig neuer Kurs zur Kerntechnik eingerichtet.

Da es zur Zeit nicht immer ganz so einfach ist, von der rotgrünen Bundesregierung Geld für atomare Forschungsprojekte zu erhalten, werden über sogenannte Drittmittel der Atomindustrie Doktorandenstellen geschaffen. Bei diesem „Patenschafts“-Konzept „finanzieren einzelne Betreiber und Hersteller (Framatome ANP) qualifizierte Hochschulabsolventen als Doktoranden“ gleich selbst und verpflichten diese für die Zukunft, in dem entsprechenden Konzern zu arbeiten.

Trotz „Atomausstieg“ ist auf diese Weise eine unbegrenzte Weiterforschung in allen nuklearen Bereichen in Zukunft möglich, wie die Atomindustrie selbst zugibt: „In seiner Stellungnahme vom 16. Juli 2003 an das BMWA (Wirtschaftsministerium, H. B.) hält der Kompetenzverbund eine Mitwirkung deutscher Wissenschaftler aus öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen an Generation IV und vergleichbaren internationalen Projekten für notwendig, um sich an dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik zu orientieren und die Übertragbarkeit innovativer Sicherheitsansätze für zukünftige Reaktoren und weiterer ‚Spin-offs‘ auf bestehende Reaktoranlagen in Deutschland überprüfen zu können. Da sich diese Einschränkung allerdings nur auf diejenigen Mitarbeiter, die aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden bezieht, wurden Möglichkeiten der externen Finanzierung geprüft. Im Ergebnis können die über die Betreiber und Hersteller finanzierten Doktoranden genau diese attraktiven Themen bearbeiten.“!

Durch den Einsatz eigener, keiner gesellschaftlichen Kontrolle unterstehender Finanzmittel kann die Atomindustrie einfach bestehende Ausstiegsgesetze ignorieren und auf internationaler Ebene an der Entwicklung des Very-High-Temperature Reactor System (VHTR) mitarbeiten. Die atw sagt es in ihrer Ausgabe 6/2004 ganz offen: „Somit können – wenn auch über einen komplizierten Umweg – zumindest teilweise auf Sicherheitskonzepte zukünftiger Anlagen im Ausland Einfluss genommen werden und evtl. neue Erkenntnisse auf eine Anwendbarkeit in Deutschland überprüft werden.“

Bereits in seinem Bericht vom 9. Juli 2003 hat sich der Kompetenzverbund Kerntechnik“ auf Seite 77 für die Jahre 2002 bis 2006 eindeutig für die weitere Forschung an Hochtemperaturreaktoren ausgesprochen: „Ziel der Arbeiten zu Hochtemperaturreaktoren ist der Erhalt einer Mindestkompetenz für die Beobachtung, Bewertung und Einflussnahme auf die Sicherheitsphilosophie zu modularen Hochtemperaturreaktor-Projekten, die aktuell in anderen Ländern durchgeführt werden. Dazu werden wissenschaftliche Beiträge zur Nutzung der dem modularen HTR innewohnenden Sicherheitseigenschaften mit industrieller Unterstützung durchgeführt.“ Wenn also im Jahre 2006 die neue CDU/FDP-Bundesregierung im Amt sein sollte, kann sie sich bei der alten Rotgrünen für den atomaren „Kompetenzerhalt“ bedanken und konsequent an der Realisierung neuer Hochtemperaturreaktoren weiterarbeiten!