feminismus

Die Jelinek

Der Preis, "Die schwarze Botin" und "Die Klavierspielerin"

| Lou Marin

Die 1946 geborene österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek hat für viele überraschend den Literaturnobelpreis 2004 verliehen bekommen.

Dass der Stockholmer Preis – der immerhin auf die Überredungskunst von Bertha von Suttner zurückgeht, die Alfred Nobel zu Gewissensbissen und zur Ausschreibung des gleichnamigen Preises bewegte -, nicht immer die Falschen trifft, zeigen schon einige PreisträgerInnen der jüngsten Jahre: Dario Fo und José Saramago bezeichneten sich als Anarchisten, auch der Preis für Toni Morrison und ihre afro-amerikanischen Frauenromane war verdient. Elfriede Jelinek freute sich einerseits, empfand jedoch andererseits den Preis – und vor allem die damit verbundene weltweite Popularität – als Belastung. Sympathisch finde ich dabei ihren verlautbarten Grundsatz, dass persönliche Bekanntheit nicht das Ziel einer emanzipatorischen Werten verbundenen schriftstellerischen Arbeit sein kann. Besonders verbat sie sich Lobeshymnen der österreichischen Presse und Medien, die sie in ihren vielen Gedichten, Erzählungen, Romanen, Theaterstücken, Hörspielen und Drehbüchern immer wieder grundsätzlich kritisierte.

So steht ganz Österreich nun dumm und betroffen da: erstmals mit einer Literatur-Nobelpreisträgerin bedacht, hat die Jelinek den Preis gerade deshalb bekommen, weil sie dieses Land und seine Klischees in ihren Texten so radikal und unnachgiebig bekämpft hat.

Schwarze Botin in den siebziger Jahren

Elfriede Jelinek war übrigens bei einem mehrjährigen Aufenthalt in Berlin zeitweise Mitarbeiterin der Zeitung Die schwarze Botin (heute noch bekannteste Autorin dieser Zeitung: Gabriele Goettle), die im Fachlexikon „Der große Drücke“ (1) als „militante, anarchafeministische Zeitschrift aus der autonomen Szene“ beschrieben wird und zwischen 1976 und 1986 in 33 Ausgaben unregelmäßig erschien.

Es würde sich bestimmt lohnen, Jelineks Artikel aus dieser Zeit noch einmal genauer nachzulesen.

Die Zeitung verstand sich als feministische, auch schon lesbische Alternative zu den damaligen Zeitungen der Frauenbewegung, Emma und Courage. Trotzdem ist unklar, ob sich Jelinek zu dieser Zeit wirklich als anarchistisch oder anarchafeministisch verstanden hat. Sie hat in der Schwarzen Botin zwar Emma kritisiert und über Ingeborg Bachmann geschrieben, ansonsten aber eher intellektuelle Analysen und Kritiken – wie etwa zu Udo Jürgens‘ Songtexten – geliefert, also zumeist nicht näher über „klassisch“ anarchistische Themen oder Personen publiziert. (2) Zudem war Jelinek zwischen 1974 und 1991 Mitglied der KPÖ (Kommunistische Partei Österreichs). Auch sei hier darauf verwiesen, dass die Redaktion der Schwarzen Botin in ihrer Erstlingsnummer zum Tod von Ulrike Meinhof schrieb:

„Als Anarchistin, die nicht mehr Mutter, Geliebte, Linke usw. war, konnte sie nur noch sich selbst durch ihren grenzenlosen Haß verwirklichen (…). Die Repräsentanten der Gesellschaft, an der die Frau sterben musste, weil sie in ihr nicht leben konnte, können ihr dieses Sterben nicht verzeihen, weil es letzter anarchistischer Schritt des Subjekts ist.“ (3) Nun sagt dieses Zitat nicht viel, es sagt nur, dass, wer die überzeugte Kommunistin und das langjährige KPD-Mitglied Ulrike Meinhof Mitte der siebziger Jahre (und in Verdoppelung der irreführenden BKA-Propaganda) als Anarchistin bezeichnet, von Geschichte, Theorie und Praxis des Anarchismus nicht viel gewusst haben kann. Also ist bei einer Qualifizierung Jelineks als „Anarchafeministin“ für diese Zeit zumindest Vorsicht angebracht.

Die Klavierspielerin der achtziger Jahre

Auf literarischer Ebene gilt Elfriede Jelinek als das feministische Pendant zu Thomas Bernhard. Die von beiden als katastrophal reaktionär empfundene österreichische bürgerliche Gesellschaft ist der Fundus ihrer beider Sprachvirtuosität, die sich nicht selten zur fulminanten Beschimpfung steigert. (4) Dabei geht Jelinek immer noch einen Schritt weiter als Bernhard. Hatte letzterer in seinem Testament verfügt, seine Stücke dürften in Österreich nicht aufgeführt werden, so verbot Jelinek schon zu ihren Lebzeiten aus Protest gegen Haider die Aufführung ihrer Stücke.

Jelinek geht auch weiter als Bernhard, weil sie die unerträgliche Verlogenheit, Kälte und Unpersönlichkeit in den angeblich „normalen“ Beziehungen der Geschlechter offen zur Schau stellt, in ihrer ganzen Peinlichkeit, Ekelhaftigkeit und den damit verbundenen alltäglichen Erniedrigungen. Dabei spielt Jelinek mit einer grandiosen Ironie, die mich beim Lesen immer wieder zu einem plötzlichen Lachanfall reizt, aber inhaltlich der umso schonungsloseren Gesellschaftskritik dient. Beispiele aus ihrem bekanntesten Roman, „Die Klavierspielerin“, 1983 publiziert:

„Dann versagt Erika einmal bei einem wichtigen Abschlusskonzert der Musikakademie völlig, sie versagt vor den versammelten Angehörigen ihrer Konkurrenten und vor ihrer einzeln angetretenen Mutter, die ihr letztes Geld für Erikas Konzerttoilette ausgegeben hat. Nachher wird Erika von ihrer Mutter geohrfeigt, denn selbst musikalische Voll-Laien haben Erikas Versagen an ihrem Gesicht, wenn schon nicht an ihren Händen ablesen können. Erika hat zudem kein Stück für die breit sich dahinwälzende Masse gewählt, sondern einen Messaien, eine Wahl, vor der die Mutter entschieden warnte. Das Kind kann sich auf diese Weise nicht in die Herzen dieser Masse schmuggeln, welche die Mutter und das Kind immer schon verachtet haben, erstere, weil sie immer nur ein kleiner, unscheinbarer Teil jener Masse war, letztere, weil sie niemals ein kleiner, unscheinbarer Teil der Masse sein möchte.“ (5)

Allein in diesem kleinen Abschnitt steckt bereits das gesamte Arsenal Jelinekscher Gesellschaftskritik: „Was bleibt ihr (Erika, d.A.) anderes übrig, als in das Lehrfach überzuwechseln. Ein harter Schritt für den Meisterpianisten, der sich plötzlich vor stammelnden Anfängern und seelenlosen Fortgeschrittenen wiederfindet. Konservatorien und Musikschulen, auch der private Musiklehrbereich, nehmen in Geduld vieles in sich auf, was eigentlich auf eine Müllkippe oder bestenfalls ein Fußballfeld gehörte. Viele junge Menschen treibt es immer noch, wie in alten Zeiten, zur Kunst, die meisten von ihnen werden von ihren Eltern dorthin getrieben, weil diese Eltern von Kunst nichts verstehen, gerade nur wissen, dass es sie gibt.“ (6) Ist das nicht mit ungeheurer Sprachkraft auf den Punkt gebracht? Und so geht der Roman in einem fort.

In „Die Klavierspielerin“ nimmt Jelinek ein österreichisches Staatsheiligtum aufs Korn, die klassische Musik, den Kunstwahn der sich als „die Besseren“ dünkelnden Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft. Jelinek zeigt auf, dass dieses bürgerliche Gespinst aus Heuchelei und Doppelmoral nur auf einem sado-masochistischen Fundament gedeihen kann, aus einer beständigen Wiederholung von Qual und Selbstqual. So wie die Familie Graf ihre Steffi zur Tennisspielerin trimmt, bevor sie noch laufen lernt (oder die Familie Becker den Boris und seither so viele Ungezählte), so trimmt die befehlende Mutter die sich freiwillig knechtende Tochter (Erika Kohut) zur Pianistin, bis sie Vierzig ist und merkt, dass sie nie gelebt und geliebt hat. Der Roman ist auch deshalb so eindringlich, weil Jelinek darin ihre eigene Kindheit aufarbeitet. Sie weiß, wovon sie spricht, hat sie doch selbst auf Drängen der Mutter als Kind Musikunterricht bekommen und wurde als Dreizehnjährige aufs Konservatorium geschickt. Sie bekam davon Angstzustände.

Der Sado-Masochismus ist im Roman von Jelinek nicht – wie in jüngsten und oft allzu pseudo-emanzipatorischen Milieus von Schwulen, Lesben oder Transsexuellen – etwa Befreiungsphilosophie einer Minderheit, sondern schmerzhafte Grundlage bürgerlicher Realität, bittere Normalität einer überwältigenden Mehrheit. Die Mutter quält die Tochter, die Tochter lässt sich quälen und quält als Ersatz andere, vornehmlich ihre KlavierschülerInnen. Als Lehrerin, die nicht zur Konzertpianistin aufsteigen konnte, hasst sie SchülerInnen, die das Zeug zum Aufstieg hätten, und quält sie, macht sie fertig, bis sie scheitern. Lustlos, freudlos ist sie unfähig, die Musik zu lieben, die sie lehrt. Der Sado-Masochismus normaler zwischenmenschlicher Beziehungen in der bürgerlichen Gesellschaft steht bei Jelinek am Ausgangspunkt des oft so unmotiviert scheinenden, kleinlichen Neides und Hasses einzelner BürgerInnen auf andere, steht damit auch am Ausgangspunkt des Hasses auf wirklich kreative Menschen, auf unkonventionelle Lebensentwürfe, auf Minderheiten, MigrantInnen, all das eben, was die österreichische Gesellschaft hasst. Weil das Verhältnis Mutter-Tochter ausschließlich das von Herrschaft und freiwilliger Knechtschaft ist, kann sich Erika auch die in Form des Schülers Walter Klemmer („Klemmer“ – was für ein Name!) doch noch aufkeimende Hoffnung auf eine Liebesbeziehung nur als sado-masochistische vorstellen.

Nichts ist Erika, getrimmt durch die von ihrer Mutter auferlegten Qualen, fremder als eine gleichberechtigte, sensible, liebevolle, gefühlsbetonte und gewaltlose Form der Sexualität. Sie befriedigt ihre sexuellen Bedürfnisse schon lange als Voyeurin, in Parks oder Peepshows. Sie kann sich Sexualität nur als Erleiden von Schmerz vorstellen. Sie lädt in einem abstrusen „Liebes“-Brief den erstaunten Klemmer dazu ein, ihr sexuelle Gewalt anzutun, wobei sie ihre eigene psychische und dramaturgische Herrschaft als Lehrerin über den Schüler Klemmer aufrecht erhalten will. Der jedoch ist selbst so patriarchal wie jeder bürgerlich sozialisierte Mann, der meint, es sei eine persönliche Gnade, sich noch mit einer Vierzigjährigen abzugeben, dass er sie schließlich vergewaltigt. Erika will sich rächen und ihn umbringen, schafft es jedoch nicht und sticht sich mit einem Messer am Ende selbst ins Herz.

Am allerwenigsten würde ich bei diesem Roman auf die Idee kommen, dass er verfilmt werden könnte. Doch der deutsch-österreichische Dramaturg und Regisseur Michael Haneke machte sich 2001 ans Unmögliche, und herausgekommen ist eine filmische Umsetzung, die ich als im Wesentlichen gelungen bezeichnen würde.

Der deutsch-französische Kinofilm erhielt in Cannes die „Goldene Palme“ und wurde auf Arte übrigens am 10.12.2004, dem Tag der Nobelpreisverleihung an Jelinek, wieder ausgestrahlt. Besonders beeindruckend fand ich die Schauspielerin Isabelle Huppert, die die Erika Kohut in zum Teil unerträglichen Szenen mit ihrem unwandelbaren, fast schon steinernen Gesicht verblüffend „romangetreu“ spielt. Was der Film allerdings nicht leisten kann, ist die Wiedergabe der subtil in die hart kritisierenden Texte eingearbeiteten Ironie der Jelinek, eine Kunst, in der sie einzigartig ist und für die es keine Alternative dazu gibt, ihre Romane selbst zu lesen.

(1) vgl. Bernd Drücke: Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre Presse in Ost- und Westdeutschland, Ulm 1998, S. 559.

(2) Leider bin ich aus Zeitmangel und weil mir die Zeitschrift nicht vorliegt, für diesen Artikel nicht dazu gekommen, die Texte selbst nachzulesen (d.A.). Die Titel der Artikel von Elfriede Jelinek in "Die schwarze Botin" geben zumindest einige Hinweise auf die Art der Veröffentlichungen: Udo. untersuchungen zu udo jürgens liedtexten, in: Die Schwarze Botin 8 (1978), S. 27-31; Emma, in: Die Schwarze Botin 13 (1979), S. 29-30; Eine Versammlung, in: Die Schwarze Botin 2 (1977), S. 30-31; Dankesworte der Preisträgerin (für den Literaturpreis der Stadt Bad Gandersheim) und Die Ballade von den drei wichtigsten Männern und dem Personenkreis um sie herum, in: Die Schwarze Botin 9 (1978), S. 6-11; Der Krieg mit anderen Mitteln. Über Ingeborg Bachmann, in: Die Schwarze Botin 21 (1983), S. 149-153; Irmgard Keun und die Sprache des Kindes, in: Die Schwarze Botin 26 (1985), S. 9-12; Begierde (Begleitperson für ein schwarzes Botin hinüber), in: Die Schwarze Botin 32/33 (1986/1987).

(3) Die schwarze Botin, Nr. 1/1976, zit. nach 20 Jahre radikal. Geschichte und Perspektiven autonomer Medien, Hamburg/Münster/Berlin 1996, S. 204.

(4) Mein Lieblingsbuch von Thomas Bernhard ist in dieser Hinsicht: Auslöschung. Ein Zerfall. Frankfurt/M. 1986.

(5) Elfriede Jelinek: Die Klavierspielerin, Reinbek 1983, S. 28f.

(6) ebenda, S. 29.