Kommunen sind freiwillige Zusammenschlüsse auf Grundlage gemeinsamer Überzeugungen, in denen die Menschen ihr Zusammenleben als "Großfamilien" organisieren und gleichberechtigt sind. Die KommunardInnen leben und arbeiten gemeinsam. Sie versuchen der individualisierten, am Kapital ausgerichteten Lebensweise zu entrinnen.
Auch in der Bundesrepublik gibt es viele Kommunen, die mehr oder weniger nach anarchistischen Prinzipien organisiert sind. Uwe Kurzbein (geb. 1942) ist in Eckernförde aufgewachsen. Er arbeitet als Tischler und Architekt. Vor 25 Jahren hat er die Kommune Lutter mitgegründet, seit 1998 lebt er in der Gemeinschaft Olgashof bei Wismar. Bekannt ist er als Mitherausgeber des Kommunebuchs, aber auch durch seine GWR-Artikelserie "Signale aus der Nische".
Mit ihm sprach am Küchentisch der Kommune Olgashof GWR-Redakteur Bernd Drücke.
Graswurzelrevolution (GWR): Uwe, was ist eine Kommune?
Uwe: Eines vorweg: Ich kann nur meine Sicht der Dinge schildern. Wenn Du andere Kommunardinnen fragst, werden sie Dir womöglich etwas ganz anderes erzählen. Wenn ich zum Beispiel den Begriff Anarchismus verwende, dann würden andere vielleicht entsetzt davon Abstand nehmen. Einverstanden?
Eine Großfamilie ist eine Kommune in keinem Fall. Familien sind hierarchisch organisiert, Papa, Mama und die vielen Kinder. „Papa“ und „Mama“ sollte es in der Kommune nicht geben. Als wir den Kommunefonds gründeten, mussten wir definieren, was überhaupt eine Kommune ist. Welche Leute bekommen überhaupt Geld und können Darlehen aufnehmen? Dabei haben wir gemerkt, dass es kein Kriterium gibt, das alle Kommunen auszeichnet. Jede Kommune ist anders, auch anders organisiert. Ich bin der Meinung, dass die, die sich selbst Kommune nennen und in unserem Kommunekreis sind, Kommunen sind. Wir kennen uns fast alle und treffen uns mindestens einmal im Jahr. Wir haben eine Zeitung, die „Kommuja!“. Sie wird alle zwei Monate (im Wechsel) von einer Kommune gemacht. Die Leute, die sich an diesem ganzen sozialen Miteinander beteiligen, nennen sich Kommunardinnen und Kommunarden. Die einen Kommunen haben eine gemeinsame Ökonomie, die anderen haben keine. Im Großen und Ganzen zeichnen die Kommunen sich dadurch aus, dass sie latent anarchistisch organisiert sind. Das heißt: Sie versuchen über andere Menschen keine Herrschaft auszuüben. Das würde ausschließen, dass sie Angestellte beschäftigen oder selbst als Angestellte arbeiten. Aber das ist meine Sicht der Dinge und wird natürlich nicht von allen geteilt. In der anarchistischen Kommune Lutter haben wir das jedoch sehr straight gehandhabt.
GWR: Die Leute aus der Kommune Lutter dürfen nicht als Angestellte arbeiten?
Uwe: Von „Dürfen“ kann überhaupt keine Rede sein. Alle können das eh so machen, wie sie wollen. Es gibt ja keine Exekutive. Nur: es hat niemand gemacht. Ich denke, das hat mit dem politischen Bewusstsein zu tun.
Als wir 1980 in Lutter anfingen, hab ich mir gesagt: Ich will anarchistisch leben. Ich will nicht irgendwelche Leute in eine Abhängigkeit zu mir bringen. Ich selbst will das auch nicht. In den ersten Jahren haben die meisten so gedacht. Das hat auch zur Folge gehabt, dass wir keine staatliche Knete genommen haben, wie Sozi- oder Arbeitslosengeld. Ob das heute noch so ist, weiß ich nicht, ich bin ja schon lange weg. Aber solange ich da war, wurde das so gehandhabt.
Hier im Osten ist eh alles anders. In der Kommune Olgashof gehört zwar der Grund und Boden allen, die hier leben, die Werkstätten auch. Wir haben auch eine gemeinsame Küche, einen Garten, einen Obstgarten, …
Aber hier ist das so, dass jeder einen bestimmten Betrag in die Hauskasse tun muss. Auch die Essenskasse wird gleichmäßig von allen getragen. Was jeder mit dem Lohn seiner Arbeit macht, bleibt ihm überlassen.
Praktisch sieht es bei mir so aus, dass das Meiste ins Projekt fließt, weil dieser Platz unser Lebensraum ist und wir wollen, dass es hier schön ist.
Wo jeder die Mäuse herbekommt, ist seine Sache. Es gibt hier keine Autorität, die darüber befinden kann.
GWR: Und Sozialhilfe und Arbeitslosengeld?
Uwe: Das gibt es hier auch. In der Kommune Olgashof könnten wir das kurzbeinsche Dogma gar nicht durchhalten.
Ich bin nach wie vor überzeugt, dass wir von dieser Immobilie hier leben könnten. Wir haben eine Tischlerei, die produzieren könnte, eine Architekturwerkstatt, ein Tagungshaus, das bisher nicht so gut läuft, wir haben den Gemüsegarten, der unseren Bedarf abdeckt. Das ist viel. Es könnten schon alle Leute, die hier leben, auch hier ihre materielle Existenz aufbauen. Es könnte einen Kindergarten, einen Waldkindergarten geben, es könnten tausend Sachen stattfinden, … Das ließ sich bisher aber noch nicht so einrichten. Dazu müssen Leute da sein, die sagen „Ich will jetzt dies oder das tun“, und wenn die Leute nicht da sind, dann sind alle Visionen und Möglichkeiten nur schleichender Nebel.
GWR: Wie viele Leute leben im Moment in der Kommune Olgashof?
Uwe: Sechs ältere, zwei junge Erwachsene und drei kleine Kinder. Wir sind im Wachsen.
GWR: 1980 hast Du die anarchistische Kommune Lutter mitgegründet. Wie seid Ihr damals auf die Idee gekommen? Wie bist Du zum Anarchismus gekommen?
Uwe: Tja, wie bin ich zum Anarchismus gekommen? Dass das Anarchismus sein könnte, wusste ich damals noch nicht.
GWR: Wie bist Du politisiert worden?
Uwe: Das hat sich daraus ergeben, dass ich schon früh auf Baustellen gearbeitet habe, als Einschaler und Zimmermann, als Architekt, als Bauleiter. Auf den riesengroßen Baustellen erlebst du die ganze soziale Scheiße gebündelt. Da ist alles zu finden, was in dieser Gesellschaft lebt. Mein Freund Fritz und ich haben in dieser Zeit eine kritische Haltung entwickelt.
Das war die Zeit, in der noch Arbeiter in den südlichen Ländern angeworben wurden, um auf den Baustellen zu arbeiten. Das war zur Zeit des Wirtschaftsaufschwungs in den 60er- und Anfang der 70er-Jahre, und ohne die Ausbeutung der Arbeiter aus dem Süden hätte es den gar nicht so geben können.
Wir kamen beide ziemlich zeitgleich auf die Idee, den Job beim Krauter zu schmeißen. Ich wollte weiter studieren und habe das dann in Braunschweig gemacht. Das erste, was ich in Braunschweig auf der TU erlebt habe, waren Mensablockaden. Und zwar monatelang. Meine erste politische Aktion auf der Uni hatte mit den Hochschulgesetzen zu tun. Ich hatte die Idee, Briefe an die Abgeordneten zu schreiben und diese aufzufordern, dagegen zu stimmen. Das war natürlich naiv. Ich war in vielen Gremien, vor allen Dingen als studentischer Vertreter im Vorstand des Studentenwerkes. Mit dem Ansteigen der politischen Arbeit ging mein Studium langsam baden.
GWR: Wann war das?
Uwe: 1972 bin ich angefangen, 1974 habe ich voll studiert und 1977/78 war dann ein Jahr der Niederlagen. Ich war verheirat und dann geschieden.
Dann habe ich in diversen Initiativen gearbeitet, Anti-AKW-Gruppen, … 1 ½ Jahre habe ich im Frauenhaus-Verein gearbeitet. Zu der Zeit gab es noch kein Haus, das sollte erst noch besorgt werden. Die Frauen hatten ein Flugblatt gemacht, auf dem stand: „Wir suchen Leute, die mitmachen. Auch Männer.“
Ich bin da hingegangen. Es waren 30 Frauen da, und die guckten mich alle an: „Guck mal, ein Mann ist da.“ Meine Güte, das war ein Frauenverein, was soll ich denn da als Mann?!
Verstehste?
Gelächter
Sie haben mich nicht rausgeschmissen.
Ich kannte die Bauarbeiter und wusste, wie sie mit ihren Frauen umgingen. Fritz und ich haben ja öfter eingegriffen. Ich habe gesagt: „Ich bin Architekt. Wenn ihr ein Haus bauen wollt, dann kann ich euch helfen.“ Ich habe dann Frauenberatung gemacht. Nach 1 ½ Jahren haute das nicht mehr hin. Zu der Zeit war das übrigens allen noch nicht so klar, dass es Bereiche gibt, in denen Männer nichts zu suchen haben. Das war ein Klärungsprozess. Als das für die Frauen und für mich klar war, da haben wir uns getrennt.
So war ich von morgens bis abends beschäftigt. In der Zeit gab es in Braunschweig schon die ersten Kollektive in kleinen besetzten Fabriken. In Berlin war diese politische Entwicklung schon fast wieder Geschichte. Aus diesen Erfahrungen heraus gab es dann für mich nur die Perspektive eines basisdemokratischen Projekts.
Es hat sich die Burg Lutter aufgetan, und dann ging’s los. Wir hatten kein Programm, wir sind einfach eingezogen. Fast über Nacht waren wir 40 Leute. Das ging drunter und drüber. Keiner hatte eine Ahnung von Gruppendynamik. Supervision gab es nicht. Nach drei Jahren gab es schon so viele Palastrevolutionen auf der Burg Lutter, dass nur noch fünf Männer übrig geblieben sind.
Nach zwei weiteren Jahren und dem Zuzug von 7 Frauen waren wir als Kommune so weit, dass wir gesagt haben: „Wenn wir jetzt weitermachen wollen, dann müssen wir eine Supervision machen.“
Mit Psychologie anzufangen?
Das war eine Zeit, in der bist du ausgelacht worden. Es war nicht selbstverständlich, dass jemand zum Psychotherapeuten gegangen ist, oder dass eine Gemeinschaft gesagt hat: „Wir brauchen Hilfe von außen.“
GWR: Die Kommune Lutter kenne ich von den bundesweiten Infoladentreffen, die dort Anfang der 90er Jahre stattgefunden haben.
Uwe: Ja, es sollte immer auch eine Burg sein, in der alle möglichen Treffen stattfinden konnten. Das Projekt-A-Treffen mit Horst Stowasser war auch jedes Jahr zu Gast.
Letztens habe ich mit einer ehemaligen Verbündeten telefoniert. Sie meinte, Lutter war wirklich ein Traum, der sich so realisieren konnte, wie sie sich das vorgestellt hatte. Ich sehe das ein bisschen anders. Es ist eine wichtige Lebenszeit gewesen. Für alle Leute, die da sind, oder da gelebt haben.
GWR: Weggezogen bist Du 1998, weil Du dich frisch verliebt hast? Du bist hierhin gezogen, weil sie schon hier gelebt hat?
Uwe: Ne, Barbara kommt aus Österreich.
Ich habe immer eine Sehnsucht nach der Ostsee gehabt.
Lutter ist für Barbara von den äußeren Gegebenheiten her ein Hardcoreprojekt, ein einziges Chaos. Lutter hatte mit einem geordneten Haushalt nichts zu tun.
Daraufhin haben drei Alt-Lutteraner sich tief in die Augen geguckt und gesagt: „O.k., wir probieren es noch einmal.“ Wir haben die Landkarte geholt. Lübeck, Wismar, Schwerin, das war das Dreieck. Ich habe dem Landrat geschrieben, dass wir hier eine anarchistische Kommune aufmachen wollen.
GWR: Und wie haben die reagiert?
Uwe: Sofort haben sie die Unterlagen rübergeschickt. Anderthalb Monate später haben wir den Kaufvertrag unterschrieben.
Die Kommune Olgashof ist längst nicht das, was Lutter von der Ausstrahlung her war. Für mich sollte das auch gar nicht so sein, weil ich mich ein bisschen zurückziehen wollte.
GWR: Besuchen viele politische Gruppen die Kommune Olgashof? Finden hier politische Tagungen oder Seminare statt?
Uwe: Kaum. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass der Olgashof am Arsch der Welt liegt. Es kommen Genossinnen und Genossen, die hier Urlaub machen wollen, so wie ihr zum Beispiel. Darauf werden wir uns einrichten.
Es gibt eine Vision, die nicht nur von mir getragen wird, sondern auch von Freunden aus Schwerin und Bremen. Ihnen schwebt vor, hier wissenschaftliche Arbeitsplätze einzurichten, so dass junge Leute, die selber etwas schreiben wollen, sich hierhin zurückziehen und in aller Ruhe arbeiten können. Bibliotheken gibt es in der Nähe. In diesem Bildungsbereich lässt sich sicher etwas machen.
Jetzt biete ich hier das erste Seminar an.
GWR: Wie sieht es mit Vernetzung aus?
Uwe: Es gibt auch das „Los geht’s“-Treffen für Neueinsteigerinnen und für Leute, die neue Kommunen gründen möchten.
Das Kommunetreffen ist dagegen eigentlich nur für uns. Es sollen möglichst keine Zaungäste dabei sein, sondern da wollen wir unsere Sachen unter uns besprechen.
GWR: Wie viele Kommunen sind das zur Zeit?
Uwe: Ich würde sagen, es sind ungefähr 40, die nicht nur als Lebensgemeinschaft, sondern als „politische Kommune“ bezeichnet werden können.
Es werden immer neue Kommunen gegründet. Deshalb haben wir einen Kommune-Fonds, in den wir einzahlen. Junge Kommunen, die Geld brauchen, können sich Geld pumpen.
GWR: Das hört sich ein bisschen nach „Projekt A“ an. Die Idee, die Horst Stowasser im „Projekt-A-Buch“ formuliert hat, finde ich nach wie vor genial, sprich: Doppelprojekte und Fonds, mit denen dann wieder neue Projekte vorfinanziert werden können, der Aufbau anarchistischer sozialer Netzwerke, …
Uwe: Innerhalb der Kommunen findet ständig solch eine Förderung statt. Stowassers Idee geht ein bisschen in die Richtung „vorne die Bildzeitung und hinten der politische Salon“ …
GWR: Warum möchtest Du unbedingt in einer Kommune wohnen? Du hättest ja auch sagen können, Lutter hat mir jetzt gereicht …
Uwe: Als wir die Burg in Lutter gekauft haben, gab es den Punkt, an dem ich mir gesagt habe, wenn ich jetzt ja sage, dann ist das eine Entscheidung fürs Leben. Entweder riskierst du das, oder nicht. Ich habe mich dann auf dieses Abenteuer eingelassen.
Auch im Nachhinein muss ich sagen, dass die Vorteile in der Gemeinschaft einfach gigantisch sind. Von welcher Seite ich das auch betrachte. Nehme ich mal das Materielle: So billig wie in einer Kommune kann ich nirgendwo leben. Wenn ich an meine kreativen Möglichkeiten denke, die sind unbegrenzt, in Lutter noch mehr als hier. Hier auch. Ich kann alles machen, was ich will. Die Kommunen sind in gewisser Weise „befreite Gebiete“. Hier laufen Dinge, die in einer kleinen Zwei-Personen-Wohnung praktisch nicht stattfinden können.
GWR: Was war die schönste politische Aktion, an der Du beteiligt warst?
Uwe: Widerstandsaktionen sind für mich nie schön, weil sie mich von meinem Weg ablenken.
Aber sie müssen natürlich auch stattfinden. Insofern verzeihe ich mir diese Spaß-Aktion.
Schacht Konrad ist nicht weit weg. Wir hatten uns vorgenommen, vor das Rathaus in Salzgitter Lebenstedt einen 14 Meter hohen Turm zu stellen, der genau so aussehen sollte wie der Turm am Schacht Konrad. Das musste natürlich so schnell gehen, dass die Polizei gar nicht sofort versteht, was dort passiert.
Ich habe eine Konstruktion entwickelt, die man mit 100 Leuten einfach aufstellen kann.
Dann hatten wir einen LKW, Maschinen, Schutzhelme, Megafone, Sachen, an die du sonst nur schwer ran kommst. Es war alles da. Das ist fast wie im Paradies. Der Turm stand in 15 Minuten. Die Polizei brauchte Stunden, um ihn wieder abzubauen. Als politische Aktion kann ich das eigentlich nicht bezeichnen. Das war etwas fürs Herz. Romantisch verklärt.
Auch der persönliche Entwicklungsweg jedes Einzelnen kann in einer Kommune Fortschritte machen. Nicht nur: „Wir machen alles zusammen“, sondern in Richtung der Individualität und der Selbständigkeit. Wissen, was er oder was sie will, reden können, agieren können, überzeugen können. Das ist aus meiner Sicht eine sehr lobenswerte Entwicklung. Ich bin in meiner Kommunezeit immer gesünder geworden, durch gute Ernährung, dadurch, dass ich über meine Sachen reden kann, Kummer nicht in mich reinschlucken muss … es hat sich in der Kommune Lutter so entwickelt, dass das Suchtverhalten im Laufe der Jahre immer stärker abgenommen hat. Also, ich war in bester Gesellschaft Alkoholiker, und die Genossen haben gekifft. Als ich gegangen bin, trank überhaupt keiner mehr Bier.
GWR: In dem Münsteraner Wohnprojekt Breul/Tibusstraße, in dem ich seit 1991 lebe, ist es ähnlich. Früher haben dort viele Leute gekifft, geraucht und Alkohol getrunken. Das wurde mit den Jahren weniger, und auch die Ernährung hat sich verbessert. Wir sind aber keine Kommune, haben keine gemeinsame Ökonomie.
Aber es hat sicher ähnliche Gründe wie bei der Kommune Lutter. Zehn Jahre lang war unser Wohnprojekt abrissbedroht, die meisten der 45 Bewohnerinnen und Bewohner hatten – wenn überhaupt – nur Pseudountermietverträge, in denen uns gedroht wurde, dass die Häuser abgerissen werden und wir innerhalb von drei Monaten wieder ausziehen müssten. Wir haben uns erfolgreich gegen die Abrisspläne gewehrt, haben Straßenfeste, Benefiz-Konzerte, Demos, direkte gewaltfreie Aktionen organisiert und unsere Räumungsprozesse gewonnen. Aus einer „Zwangsgemeinschaft“, die sich bilden musste, um sich gegen die Spekulanten zu stemmen, aus unterschiedlichsten Leuten ist eine Gemeinschaft von Freundinnen und Freunden gewachsen. Früher wurden wir von der Lokalpresse angegriffen als „Münsters Hafenstraße“: „Dieser Schandfleck muss beseitigt werden“… Nach der Sanierung hat unser Verein zur Erhaltung preiswerten Wohnraums einen Preis für ökologisches und selbstverwaltetes Bauen bekommen. Von Münsters Hafenstraße zum Vorzeigeprojekt des Land NRW. Wir produzieren unseren eigenen Strom … Dass wir unsere Häuser sanieren konnten und heute – trotz fehlender Bedrohung – immer noch eine Gemeinschaft sind, es viele Freundschaften gibt innerhalb des Projekts, hat sicher auch dazu geführt, dass der Bier- und Hanfkonsum zurückgegangen ist. Eine wichtige Rolle spielen auch die vielen Kinder, die mittlerweile mit uns leben.
Uwe: Es ist einfach aus sozialen Gründen nicht mehr nötig, zum Beispiel in die Kneipe zu gehen. Oder, was ich früher gemacht habe, Currywurst zu essen. Die Bedürfnisse ändern sich total.
Das sind alles Vorteile, die ich nicht missen möchte.
Was das Alter angeht: Da ist eine Kommune eine ideale Alternative. Wenn ich auf Hilfe angewiesen bin, sitze ich nicht allein in meiner Butze, sondern finde hier Leute, die mir helfen können. Ich habe etwas zu tun, und sei es, dass ich die Kinder ärger. Es ist ein schönes Leben.
GWR: In der 1986 gegründeten Kommune Niederkaufungen leben zur Zeit rund 70 Menschen um gemeinsam ihr Leben zu gestalten. Dort gibt es auch ein Altersversorgungs-Projekt?
Uwe: Ja, sie sind dabei, eine Altentagesstätte einzurichten.
Das hat aber noch nicht so konkret mit ihren eigenen alten Leuten zu tun.
Hier wird es so aussehen, dass ich ein Altenteil baue, in dem ich auch schon wohne, und mich im Laufe der Jahre langsam aus den Entscheidungsfindungen zurückziehe. Ich habe natürlich immer noch meine Dogmen, die ich mit meinem Sturkopf auch durchzudrücken versuche. Aber oft genug habe ich damit auch keinen Erfolg mehr. Zum Beispiel, dass wir keine Bankschulden machen. Ich will nicht für die Bank arbeiten, aber das müsste ich, wenn ich mir von ihr Geld leihe.
GWR: Wie war das während des Jugoslawien-, des Afghanistan- und 3. Golfkriegs?
Gab es da Aktionen in Schwerin oder Wismar, an denen Ihr euch beteiligt habt? Gibt es dort größere linke Szenen?
Uwe: Hier in Wismar oder Schwerin gibt es keine linke politische Szene, so wie sie in Westdeutschland in jeder Kleinstadt zu finden ist.
Es gibt hier die institutionalisierten „Bewegungen“, wie „Arbeit und Leben“, Kirche, Sozis, Gewerkschaft, Ausländerrat usw.
Als im Herbst 2001 die Bombardierung Afghanistans losging, haben wir spontan die Montagsdemonstrationen wieder ins Leben gerufen und sind drei, vier Monate lang jeden Montag in Schwerin durch die Stadt marschiert. Das war auch inhaltlich gut. Wir haben ein paar Zeitungen rausgebracht.
GWR: Und was passiert jetzt?
Uwe: Wir können nicht immer demonstrieren. Das schläft einfach ein.
Es gibt in Schwerin mittlerweile einen etwas größeren Kreis, der das jährliche Friedensfest organisiert und jetzt z. B. sich auch mit dem Sozialforum beschäftigt. Also, ich habe schon mit politischen Leuten zu tun. Aber ich würde das nicht unbedingt als Szene bezeichnen. Was aber sehr auffällig ist, ist, dass viele alte Menschen sich politisch engagieren. Das ist das, was ich im Westen vermisst habe.
GWR: Einen Infoladen gibt es in Wismar nicht?
Uwe: Es gibt das Tiko, ein kleines alternatives Café, mit Kulturveranstaltungen und Kino.
Außerdem gibt es den Tauschring und einen ganz rührigen Attac.
GWR: Was würdest Du Leuten, die dieses Interview lesen und auf die Idee kommen, eine Kommune zu gründen, empfehlen?
Uwe: Anfangen. Ich empfehle: nicht zu lange zu warten.
Es gibt Gemeinschaften, die hängen fünf, sechs Jahre rum und kommen nicht in die Puschen. Das bringt nur Frust.
Insofern ist es wichtiger, lieber ins kalte Wasser zu springen und die ganzen Erfahrungen zu machen, auch wenn das zuerst negative sein könnten. Wenn die Leute dabei bleiben, dann werden es positive Erfahrungen.
Meine Schwester sagte neulich: „Uwe, wir brauchen Genossinnen und Genossen, die durchhalten können“. Kommune ist keine Aktion für einen Augenblick. Kommune sind Experimente, die Generationen andauern.
Die Leute müssen wissen, warum sie das machen. Sie brauchen einen langen Atem. Wenn sie sich darüber im Klaren sind, dass das ein harter Weg ist, dann werden sie viel Spaß haben.
Kontakte
Olgashof Kommune
Gutshaus
23966 Olgashof bei Dorf Mecklenburg
Tel.: 03841/793337
Fax: 03841/793338
Olgashof@aol.com
Im Seminar- und Ferienhaus sind noch Termine frei. Seminar- und Ferienhaus Olgashof Lehmofenbau, Holzkollektiv, Schlafplatzuntersuchungen, Ernährungsberatung, Holzspielzeug
Kommune Lutter
Auf der Burg
38729 Lutter
Tel./ AB / Fax: 05383/8500
il.lutter@gmx.net
www.burg-lutter.de
Kommune Niederkaufungen
Kirchweg 1
34260 Kaufungen
Tel.: 05605/80070
Fax: 05605/800740
tagungshaus-niederkaufungen@web.de
Aus der Selbstdarstellung der Kommune Niederkaufungen: "Wir wollen in der Kommune Niederkaufungen so viele Menschen werden, dass wir immer mehr in wesentlichen Bereichen menschlicher Grundbedürfnisse - Ernährung, Gesundheit, Wohnen und Bildung - tätig sein können. Auf dieser Grundlage wollen wir nicht nur für uns, sondern auch für andere ökologisch und sozialverträgliche Produkte und Dienstleistungen herstellen. Bisher wurden folgende Arbeitsbereiche aufgebaut: Tagungshaus Niederkaufungen (Seminarhaus), Komm-Menü (Großküche und Bio-Party-Service), Rote Rübe (Gemüsebaukollektiv), Hof Birkengrund (Bio-Hofkäserei und -Fleischproduktion), Die Wühlmäuse (Kita), Komm-Bau GmbH (Wärmedämmung und Innenausbau), Schlosserei (Bauschlosserei und Fahrradabstellanlagen), Schreinerei (Möbel- und Bauschreinerei), Näh- und Lederwerkstatt (Kinderpuschen, Rucksäcke und Lederbekleidung), Komm-Rat (Projektberatung), Tagespflege Lossetal (Betreuung alter Menschen)."
Weitere Informationen und das Seminarprogramm 2005 der Kommune Niederkaufungen finden sich hier:
www.kommune-niederkaufungen.de
Weitere Kommunen:
www.nadir.org/ nadir/ periodika/ contraste/ kommunen1.htm
Literatur
Das Kommunebuch. Alltag zwischen Widerstand, Anpassung und gelebter Utopie, hrsg. vom Kollektiv Kommunebuch, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 1996, ISBN 3-89533-162-7