Liest man von der drohenden Steinigung Hajieh Esmailvands im Iran, die also - so ist zu befürchten - auf barbarische Weise umgebracht worden sein wird, wenn diese Zeilen gedruckt erscheinen, denkt man an die in den Todestrakten Einsitzenden in den USA oder an die unzähligen Hinrichtungen in China, dann scheint der Kampf gegen die Todesstrafe wenn nicht aussichtslos, so doch als noch derart langer Weg, dass man fürchtet, noch (aus der Ferne) Zeuge unendlich vieler Hinrichtungen werden zu müssen und die weltweite Abschaffung nicht mehr zu erleben.
Ein Rückblick auf die vergangenen 30 Jahre kann allerdings diesen finsteren Ausblick in die Zukunft aufhellen.
Als Amnesty International 1977 in Stockholm eine Internationale Konferenz über die Todesstrafe einberief, hatten gerade mal 16 Staaten die Todesstrafe generell abgeschafft.
Noch einmal: Fast drei Jahrzehnte nach der neuen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die das Recht auf Leben garantierte, ohne freilich – um die Souveränität der Staaten nicht anzutasten – die Todesstrafe explizit zu verurteilen, hatten nur 16 Staaten die Todesstrafe ohne Ausnahme abgeschafft.
Seither, wiederum in knapp drei Jahrzehnten, hat sich diese Zahl verfünffacht.
In den letzten Jahren kamen jährlich durchschnittlich drei Staaten hinzu.
Hinzu kommen die Staaten, in denen die Todesstrafe faktisch abgeschafft ist, wo es also – dies das Kriterium – seit mindestens 10 Jahren keine Hinrichtungen mehr gab. Des weiteren ist in einer Reihe von Ländern die Todesstrafe in Friedenszeiten abgeschafft. Rechnet man diese Staaten zusammen, so ist die Todesstrafe in der Mehrzahl der Staaten abgeschafft.
Betrachtet man jedoch die zehn bevölkerungsreichsten Staaten der Welt, fällt die Bilanz wiederum düster aus. In acht von ihnen wird die Todesstrafe angewandt, nämlich in Bangladesh, China, Indonesien, Indien, Japan, Nigeria und den USA.
Aus verschiedenen Beweggründen, gelegentlich auch niederen, gilt der Todesstrafe in den USA große Aufmerksamkeit. In 38 Bundesstaaten gilt dort die Todesstrafe – ihre Anwendung ist, wie vielfach nachgewiesen wurde, aufs Engste mit der (institutionellen) rassistischen Herabsetzung der Afroamerikaner verschränkt. Historisch komparativ betrachtet, beispielsweise auf der Folie deutscher Geschichte, kann dies nicht erstaunen: „Polen spielten in der Geschichte der Todesstrafe in Deutschland die gleiche Rolle wie Afroamerikaner in den USA.“ (1)
Quantitativ betrachtet entfielen 2003 auf die USA 65 von insgesamt mindestens 1146 Hinrichtungen in 28 Ländern. (2) Amnesty International nennt die USA unter den vier Staaten in denen 2003 84 Prozent der der Organisation bekannt geworden Hinrichtungen stattfanden, neben China, dem Iran und Vietnam (hier eine Hinrichtung weniger als in den USA).
China nimmt in den traurigen Hinrichtungsstatistiken unangefochten den Spitzenplatz ein.
Amnesty International nannte für das letzte Jahr 726 Hinrichtungen in China, wobei man allerdings dort davon ausgeht, dass die wirkliche Zahl höher liegt.
Im Vorfeld der China-Visite des obersten Lobbyisten der Firma Deutschland, auch unter mit dem Amtstitel Bundeskanzler bekannt, kursierte in der Presse die Meldung, in China seien im vergangenen Jahr mindestens 5.000 Personen hingerichtet worden. Das behauptete die in Rom ansässige Gruppe „Hände weg von Kain“.
Diese Schätzung übertrifft die Angaben anderer Menschenrechtsorganisationen um ein Vielfaches.
Im Iran wurden 2003 laut Amnesty international 2003 mindestens 108 Hinrichtungen vollzogen.
Zu Zeiten der Diktatur Saddam Husseins und seiner Baath-Partei hatte auch der Irak einen Spitzenplatz in der Statistik der Schande.
Von um so stärkerer symbolischer Bedeutung ist die jetzige Entwicklung: Von der Zivilverwaltung wurde die Todesstrafe vorübergehend abgeschafft.
Die jetzige Regierung, formal souverän, führte sie wieder ein. So droht den gestürzten Regierungsverbrechern, angefangen mit „Chemie-Ali“, der wegen des Giftgas-Einsatzes gegen KurdInnen angeklagt wird, nun die Todesstrafe – ist das der Neuanfang?
(1) Richard J. Evans: Rituale der Vergeltung. die Todesstrafe in der deutschen Geschichte. 1532 - 1987 [engl. zuerst 1996]. Berlin/Hamburg: Kindler/Hamburger Edition 2001, S. 1047.