Auf der Jahrestagung Kerntechnik ging es im letzten Jahr auch um die Hochtemperaturreaktor (HTR)-Linie. Wie in der Ausgabe 10/2004 der "atw" (Atomwirtschaft) berichtet wurde, hielt Dieter Herrmann (Fichtner Consulting & IT GmbH, Stuttgart) als Sitzungsleiter das Referat "Ein qualitativer Modellansatz zur langfristigen Entwicklung der Kernenergie im Rahmen globaler Energieerzeugung". Er zeigte - offensichtlich völlig unbeeindruckt vom deutschen "Atomausstieg" - abschließend folgende Perspektive auf: "Und hinsichtlich der künftigen Entwicklung globaler Energieversorgung spricht vieles dafür, dass die drei qualitativ unterschiedlichen Reaktortypen LWR, SBR und HTR nacheinander eine ähnliche Rolle als 'Fortschritt tragende Primärenergiequellen' spielen werden."
In der Arbeitsgruppe 2 (Thermo- und Fluiddynamik) beschäftigte sich ein Beitrag dieser Tagung spezieller mit dem HTR: „Der vierte Beitrag von N. Ben Said (Institut für Kernenergetik und Endergiesysteme – IKE – der Universität Stuttgart) trug den Titel ‚Thermofluiddynamische Modelle und Analysen für den Hochtemperaturreaktor mit fester mittlerer Graphitsäule‘.“
Auf der offiziellen Homepage der Uni Stuttgart war im August 2001 über dieses spezielle Forschungsprojekt zu lesen: „Mit dem seit 1990 wieder gestiegenen Interesse an gasgekühlten Hochtemperaturreaktoren (HTR) in der Welt wurden auch zwischenzeitlich gestoppte Entwicklungsanstrengungen zur Weiterentwicklung dieses Reaktortyps neu aufgenommen. Wesentlicher Antrieb waren neben dem vornehmlich in den Schwellen- und Entwicklungsländern steigenden Bedarf an elektrischer Energie die Absicht, speziell von Südafrika Reaktoren dieses Typs auf der Basis des deutschen HTR-Moduls quasi in Serie zu bauen.“
Wie im THTR-Rundbrief Nr. 94 (www.thtr-a.de) gemeldet, wurden von dem französischen Konzern CEA (Commissariat a l’Enegie Atomique) in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Karlsruhe die für den HTR benötigten radioaktiven PAC-Kügelchen wieder hergestellt. CEA fusionierte mit Framatome, Cogema, Siemens und KWU zu dem Dachkonzern AREVA. Ein Name, den man sich für die Zukunft merken muss.
In dem großangelegten, siebenseitigen Konzernportrait schrieb die am 28. 12. 2004 erschienene „atw“ (12/04): „AREVA ist das einzige Unternehmen weltweit, das im gesamten Kernbrennstoffkreislauf aktiv ist sowie Dienstleistungen für Energieübertragung und -verteilung bietet. (…) Das Unternehmen ist fest entschlossen, eine Hauptrolle bei der Wiederbelebung des weltweiten nuklearen Energiemarktes zu spielen. Dadurch sollen – auch in Deutschland – ein Maximum an Beschäftigung gesichert und die Option Kernenergie als sichere, wirtschaftliche und umweltfreundliche Energiequelle für die folgenden Generationen offen gehalten werden. (…) Ähnlich wie Framatome ANP als Ganzes ist auch das Geschäftsgebiet Kernbrennstoff in einer Matrix-Organisation aufgestellt: Die drei Geschäftslinien Design & Sales, Zirconium und Manufacturing arbeiten weltweit über alle drei Regionen.
Diese Globalität ist ein wichtiger Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit, ist doch das Geschäftsgebiet damit in der Lage, die Märkte in Europa, den USA und Asien zu bedienen und Synergien in Forschung und Entwicklung zu nutzen. (…) Darüber hinaus arbeitet die AREVA-Gruppe auch an zukünftigen Reaktortechnologien wie dem ‚Höchsttemperaturreaktor‘ (Very High Temperatur Reactor – VHTR). Diese so genannten ‚Reaktoren der 4. Generation‘ können in 20 bis 30 Jahren zum kommerziellen Einsatz kommen. Längerfristig sollen sie die bestehenden Reaktorlinien ergänzen und neue Anwendungsfelder wie Prozesswärme, Trinkwassergewinnung aus Meerwasser und Wasserstofferzeugung erschließen. (…) In Deutschland arbeiten rund 6.000 Mitarbeiter auf diesem Gebiet (der Energietechnik) für die AREVA-Gruppe, davon je rund 3.000 für Framatome ANP GmbH bzw. AREVA T&D.“
In dem Artikel wird weiterhin betont, dass zahlreiche Komponenten (Reaktordruckbehälter usw.) in die ganze Welt geliefert werden, auch nach Südafrika. Die Matrix-Struktur von Framatome ANP als Bestandteil der AREVA-Gruppe in Deutschland wird laut „atw“ wie folgt angegeben:
- Lingen: Brennelementefertigung
- Duisburg: Hüllrohrfertigung
- Offenbach: SWR-Technologie, Elektro- und Leittechnik, Service
- Karlstein: Brennelementkomponenten, Service Center, Technical Center, intelligeNDT
- Erlangen: DWR-Technologie, Service, Elektro- und Leittechnik, Brennelemente-Engineering und Vertrieb, Technical-Enter, intelligeNDT
Wenn ein wirtschaftlich übermächtiger Konzern wie AREVA sich erklärtermaßen stark für die HTR-Technologie interessiert und engagiert, wird dies ohne Zweifel schwerwiegende Konsequenzen für die Zukunft haben. Denn die AREVA-Gruppe ist ein klassisches Beispiel, wie sich eine internationalisierte Konzernstruktur mit Niederlassungen in 40 Ländern und weltweit 30 Prozent der installierten nuklearen Kraftwerkskapazität mühelos über nationalstaatliche Beschlüsse (etwa einen Atomausstieg) hinwegsetzen kann. Wenn es irgendwo Schwierigkeiten gibt, weicht der Konzern einfach zu einem Produktions- oder Forschungsstandort in einem anderen Staat aus. Das hat AREVA allerdings in Deutschland nicht nötig. Hier wird mit staatlicher Unterstützung fleißig weiter an der Atomkraft geforscht. Man nennt es einfach nur Sicherheitsforschung und Kompetenzerhalt!
Zivile und militärische Technologien verschmelzen in der EU
Unter dieser bezeichnenden Überschrift konnte mensch am 17. 12. 2004 einen Artikel der „VDI-Nachrichten“ lesen, der sich mit der EU-Sicherheitsforschung beschäftigt. Es geht darum, wie „enttäuschte“ Sektoren verschiedener Unternehmen und ihrer staatlichen Forschungsinstitute Druck machen, um von dem zu verteilenden Kuchen zukünftiger EU-Gelder eine größere Portion abzubekommen als bisher. Vor dem Hintergrund der HTR-Förderung durch die EU eine interessante „Diskussion“:
„Auch im Jahr 2005 wird in der EU kaum mehr Geld für die Sicherheitsforschung fließen. Erst mit dem Beginn des 7. Forschungsrahmenprogramms (2007 bis 2010) – in das die Sicherheitsforschung eingebettet werden soll – dürften die Fördertöpfe größer werden. Doch noch ist unklar, wie viel Geld fließen wird: Denn in der finanziellen Vorausschau der EU, ihrem mittelfristigen Finanzplan, ist dafür kein Geld eingestellt. Etwas Klarheit dürfte der April 2005 bringen: Dann sollen die ersten Vorschläge für das 7. Forschungsrahmenprogramm der EU vorliegen. (…) Die Europäische Kommission will mit der Förderung der Sicherheitsforschung nicht etwa die militärische Sicherheitsforschung stärken. Ihre Strategie ist es, solche Technologien und Verfahren zu fördern, die sowohl militärisch wie auch zivil genutzt werden können. ‚Zivile und militärische Forschung sind ein Kontinuum‘, so Pieter de Smet von der Generaldirektion Forschung der Kommission. Die EU-Kommission will damit die Sicherheitsforschung in den Rahmlen ihrer so genannten Lissabon Strategie (1) – Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Europas – integrieren. (…) Die neuen Ausschreibungen (‚calls for proposals‘) für die Fortsetzung des PASR-Programms (vorbereitende Maßnahme) werden für Januar 2005 erwartet.“
Damit die Atomindustrie bei der Energieforschung nicht zu kurz kommt, legte sich Hermann-Josef Wagner, Vorsitzender der Gesellschaft für Energietechnik (VDI-GET) und Inhaber des Lehrstuhls für Energiesysteme und Energiewirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum, in seinem Artikel in den „VDI-Nachrichten“ am 14. 1. 2005 kräftig ins Zeug: „Im internationalen Vergleich erscheint die Energieforschung in Deutschland derzeit unterfinanziert. (…) Den deutschen Kernkraftwerken wird international ein hoher Sicherheits- und Verfügbarkeitsstandard zugesprochen.“
Für den Zeitraum bis 2015 sind seiner Meinung nach unter anderem folgende Schwerpunkte zu setzen: „Weitere Forschung zur Reaktorsicherheit und Lagerung nuklearer Abfälle auch unter dem Aspekt, international gesprächsfähig zu bleiben.“
Die langfristige Energieforschung soll nach dem langjährigen Mitglied in Beiräten nationaler und internationaler Forschungsorganisationen über 2015 hinaus Folgendes beinhalten: „Auch wenn die Bundesregierung beschlossen hat, aus der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie auszusteigen, sollte zumindest ein Monotoring der internationalen Bemühungen um die Entwicklung neuer Reaktortypen erfolgen.“ Es ist klar, auch dieser Atomlobbylist wartet nur auf die nächste Gelegenheit, wieder völlig ungezügelt Nuklearforschung betreiben zu können.
(1) Auf dem Lissaboner EU-Sondergipfel 1999 beschloss die EU das größte neoliberale Massenverelendungsprogramm nach dem 2. Weltkrieg, damit das EU-Kapital in Zukunft auf Kosten der Armen in Konkurrenz zu USA und Asien noch größere Profite einstreichen kann. Der rotgrüne Sozialraub ist mit der Agenda 2010 und Hartz IV nur die erste Stufe des damals beschlossenen Programms. Nur wenige haben 1999 die gesamte Tragweite begriffen, worum es damals ging. Kaum jemand glaubte, dass sie das auch wirklich umsetzen würden.