Im Rahmen unserer Initiative Bundeswehr-Monitoring, BürgerInnen und SoldatInnen beobachten die Bundeswehr (vgl. GWR 289, Mai 2004, S. 20), haben wir die anhaltende Diskussion über Folter in unterschiedlichen Streitkräften zum Anlass genommen, Indizien und sogenannte "Besondere Vorkommnisse" in der Bundeswehr zu dokumentieren, die Ähnlichkeiten mit den bekannt gewordenen Vorfällen in Abu Ghraib und Coesfeld aufweisen.
Das Bild der Bundeswehr, das in der bundesdeutschen Öffentlichkeit über die Medien und die Politik dargestellt wird, verschweigt den tatsächlichen Zustand der Streitkräfte.
Verteidigungsminister Struck als oberste Autorität in Sachen Bundeswehr bestritt bisher die Existenz von gewalttätigen Exzessen, die es, wie im November 2004 deutlich wurde, auch in der Bundeswehr gibt. Werden Gewaltexzesse bekannt, werden diese sprachlich verharmlost als Ausnahmen und Einzelfälle, als „Besondere Vorkommnisse“, die für den Gesamtkomplex „Militär“ nicht repräsentativ sein sollen. So verhält sich auch der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Er listet zwar in seinen Jahresberichten Verfehlungen wie rechtsradikale Übergriffe, Äußerungen und rassistische Vorfälle auf, ebenso wird jedes Jahr über „Verfehlungen“ in der Menschenführung oder von Kameradenmisshandlung berichtet, eine Analyse, eine detaillierte Dokumentation aller Vorkommnisse fehlen aber genauso wie eine zielgerichtete Untersuchung.
Auch der Wehrbeauftragte argumentiert immer wieder mit der Einzelfallthese; verneint wird der strukturelle Zusammenhang zwischen Rechtstendenzen, Gewaltbereitschaft, Obrigkeitshörigkeit und dem militärischen Gewaltapparat an sich.
Wir werden in diesem Bericht mit den Begriffen „Folter“ und „Misshandlung“ arbeiten. Wir dokumentieren Fälle, die uns über Presseberichte und die Jahresberichte des Wehrbeauftragten bekannt sind. Dabei handelt es sich um eine kurzgefasste beispielhafte Beschreibung des Zustandes innerhalb der Bundeswehr, die Strucks Aussage vom Mai 2004 „Ein deutscher Soldat foltert niemanden“ widerlegt.
Folter und Misshandlung
Folter kann man als das gezielte Zufügen von Schmerzen oder die gezielte Misshandlung von Körper und Seele bezeichnen. Der Zweck der Folter kann unterschiedlich sein. Oft dient sie dazu, die Gefolterten oder ihnen nahestehende Personen zur Preisgabe von Informationen oder zum Ablegen eines Geständnisses zu bewegen. Daneben kann die Folter auch der Abschreckung dienen (vgl. GWR 290, Juni 2004, S. 2, 6-9, und GWR 291, Juli 2004, S. 1, 8-9).
Misshandlungen sind genauso verwerflich, aber nicht unbedingt zielgerichtet. Körperliche Misshandlungen sind Formen unangemessener Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche und seelische Unversehrtheit beeinträchtigt wird.
In den Jahresberichten des Wehrbeauftragten werden sexuelle Übergriffe und sexualisierte Gewalt unter den Titeln „Verstöße gegen Sexualstrafrecht“ und „Verstöße gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung“ subsumiert. In unserem Bericht thematisieren wir auch Fälle von sexueller Gewalt, da diese Gewaltform eine genauso schwerwiegende Form der Misshandlung ist. In allen Kriegen dieser Welt wird Vergewaltigung als Mittel der Kriegführung eingesetzt. Sie ist eine Form der Folter.
Das zweite Halbjahr 2004
Um den 20. November 2004 herum wurden zufällig Inhalte der Grundausbildung aus der Freiherr von Stein-Kaserne, Artillerieaufklärungsbataillon 71 in Coesfeld in der Öffentlichkeit bekannt (vgl. GWR 295, Januar 2004, S. 1f.). Ein ehemaliger Rekrut der Einheit hatte beim Kaffeetrinken über eine Übung berichtet, bei der Rekruten von ihren Ausbildern misshandelt wurden. Unter anderem wurden sie als Gefangene gefesselt, für längere Zeiträume in unnatürliche Haltungen gezwungen und mit einem Stiefelbeutel über dem Kopf mit Stromschlägen malträtiert. Nur die Anwesenheit eines Mitarbeiters der Rechtsabteilung des Truppenkommandos führte dazu, dass die beschriebene Vorgehensweise der Ausbilder aus Coesfeld zur Anzeige gebracht wurde. In den darauf folgenden Wochen wurden weitere Fälle öffentlich. In vielen Fällen handelt es sich um „überzogene“ und „fehlgeleitete“ Ausbildungsversuche, bei denen Soldaten mit Gefangennahme und Geiselhaft als Opfer konfrontiert wurden. Bei einem Teil davon kann man sicher unterstellen, dass Ausbilder sadistische Züge ausleben. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundeswehr wurde eine öffentliche Debatte zum Thema „Gewalt in der Bundeswehr“ angeschoben. Erneut wird von offizieller Seite ein struktureller Zusammenhang von Gewalt und Militär verneint. Stellvertretend für diese Position ist z.B. eine Äußerung von Struck, dass die Ausbilder nur das in Auslandseinsätzen Erlebte verarbeiten und in der Ausbildung anwenden wollten, um die Rekruten auf solche Situationen vorzubereiten. Aber in den mehr als zehn Jahren, in denen die Bundeswehr mit Kriegs- und Auslandseinsätzen Erfahrungen gesammelt hat, ist noch kein deutscher Soldat in Gefangenschaft oder Geiselhaft geraten. Ist nicht die Erfahrung von „gewalttätigen Verhörmethoden“ und Folter ein Weg, diese zu erlernen – für zukünftige Anwendung?
Das erste Halbjahr 2004
Nachdem im Frühling 2004 der US-militärische Alltag in den irakischen und afghanischen Gefangenenlagern öffentlich wurde, schwappte die Debatte über Folter auch in bundesdeutsche Medien. Kurzfristig kam ein Hochschulprofessor einer Bundeswehr-Universität ins Fadenkreuz von Kriegsminister Struck, duckte sich und darf nun weiter seinen Standpunkt äußern. Der Historiker Michael Wolffsohn bleibt trotz seiner Ausführungen Professor an der Bundeswehr-Universität in München. Während einer Fernsehdiskussion bei Sandra Maischberger am 5. Mai 2004 verteidigte er den Einsatz der Folter: „Als eines der Mittel gegen Terrorismus halte ich Folter oder die Androhung von Folter für legitim.“
Struck kommentierte diese Äußerung in der TV-Sendung „Maischberger“ am 12. Mai 2004: „Ein deutscher Soldat foltert niemanden. Ein deutscher Soldat behandelt Gefangene (…) nach humanitären Regeln.“ Er sei „der festen Überzeugung“, dass auch ein noch so junger und nicht besonders gebildeter Soldat so etwas niemals machen würde, wie das, was US-Militärs im Irak getan haben.
Es gebe keine rechtlichen Möglichkeiten gegen Wolffsohn, teilte das Verteidigungsministerium mit. Peter Struck sagte, Wolffsohn hätte der Bundeswehr durch seine Aussage geschadet. Der Wissenschaftler hingegen sieht sich mittlerweile vollkommen rehabilitiert. Er habe nichts zurückzunehmen.
Struck nutzte die Gelegenheit aber erneut, um Scheinargumente für die Wehrpflicht zu konstruieren: „Ich bin in diesem Zusammenhang der festen Überzeugung, dass vor allem die Wehrpflicht insgesamt ein ganz entscheidender Faktor zur Vorbeugung gegenüber Auswüchsen ist, die alle Regeln des Völkerrechts, der Menschenrechte und des Anstands verhöhnen.“ (zitiert nach: „Die Wehrpflicht ist die bessere Wehrform“, Redetext von Struck anlässlich der Wehrpflichttagung des 11. Beirats für Fragen der Inneren Führung am 25.5.04 in Berlin).
Presseberichte im Februar 2004
Unteroffizier misshandelt Soldaten
Ein Hauptfeldwebel aus dem Fliegerhorst Wunstorf bei Hannover soll drei Soldaten anderthalb Jahre lang geschlagen und gedemütigt haben. Der Feldwebel steht in Verdacht, die Soldaten in mindestens 51 Fällen misshandelt zu haben. Er soll sie in einer Werkstatt mit Boxhieben und Nackenschlägen attackiert haben. Andere seien mit Kabelbindern an einen Stuhl gefesselt und geschlagen worden. (12.2.04. in: Die Rheinpfalz, Die Bundeswehr 3/2004)
Im August wurde der Hauptfeldwebel vom Amtsgericht Neustadt wegen Quälerei von Untergebenen zu einer elfmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt (ND, 23.8.04)
Presseberichte im Mai 2004
KFOR und UNMIK begünstigen Zwangsprostitution im Kosovo
amnesty international berichtet, dass die Präsenz internationaler Truppen und Organisationen im Kosovo zu einer „Blüte des menschenverachtenden Frauenhandels und der illegalen Sexindustrie in der Region geführt“ habe. Der ai-Bericht erwähnt, „dass deutsche KFOR-Soldaten im benachbarten Mazedonien im Jahr 2000 regelmäßig Dienste von teilweise minderjährigen Zwangsprostituierten in Anspruch genommen haben.“ (FAZ, 18.5.04, Tagesschau, 7.5.04, Pressemitteilung von ai)
Weitere Presseberichte im Mai 2004
Es gibt angeblich Folterfotos, die beim Bundeswehreinsatz im Kosovo 1999 gemacht wurden. Das Verteidigungsministerium dementierte diese Berichte sofort. Ganz an den Haaren herbeigezogen sind diese Behauptungen jedoch nicht, denn es sind zwei Vorfälle aktenkundig, die damals disziplinarisch geahndet wurden. Beim Einmarsch der Bundeswehr in Prizren musste sie kurzfristig ein Gefängnis übernehmen, in dem Kleinkriminelle inhaftiert waren. Einem Gefangenen wurde von deutschen Soldaten ein Schild um den Hals gehängt, auf dem stand: „Ich bin ein Dieb“. Im zweiten Fall wurden Gefangene mit Draht aneinander gefesselt. Die Vorfälle führten laut Verteidigungsministerium dazu, dass die Bundeswehrsoldaten eine Dienstanweisung bekamen, wie sie Gefangene zu behandeln haben. ( 27.5.04 in: FAZ, Süddeutsche Zeitung, ND, Berliner Morgenpost)
Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2003
„Ein Unteroffizier schlug über einen längeren Zeitraum mehrfach verschiedene Mannschaftsdienstgrade mit einem Lineal, einer Antenne und ähnlichen Gegenständen. Einen Hauptgefreiten schlug er mit einem aufgeklappten Tacker, sodass eine Tackernadel im Arm hängen blieb. Ohne dienstlichen Anlass ließ er diesen Soldaten auf einer Wiese robben und drückte ihn in ein Schlammloch.
Schließlich äußerte er sich in einem Gespräch mit dem Hauptgefreiten wie folgt: ‚Mannschaften sind nichts wert, Mannschaften sind wie Dreck, jederzeit austauschbar und wenn sie kaputt gehen, ist es kein Problem, dann kann man sie einfach neu ordern.‘ (S. 45)
„Im Berichtsjahr wurden insgesamt 83 Besondere Vorkommnisse mit Verdacht auf Verstoß gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gemeldet.“ „Im Hinblick auf Kinderpornografie wurden 24 Besondere Vorkommnisse gemeldet.“ (S. 32f.)
Laut Presseberichten (z.B. Tagesspiegel vom 7.1.04) wurde ein Hauptgefreiter des Mordes an einer Marinesoldatin überführt. Die Soldatin wurde kurz vor Weihnachten 2003 an Bord des Minensuchbootes „Mühlhausen“ erwürgt in ihrer Koje gefunden. Der Soldat hatte nach einem Diskobesuch wahrscheinlich seine „Kameradin“ sexuell bedrängt und wurde abgewiesen, woraufhin er sie ermordete.
Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2002
Ein Soldat im Grundwehrdienst wurde von drei betrunkenen „Kameraden“ geschlagen und genötigt, sich zur Dusche zu begeben. Dort wurde er, nachdem er sich ausziehen musste, mit Schrubbern abgeschrubbt und mit kaltem Wasser aus dem Schlauch abgespritzt. (S. 34)
Im Berichtsjahr wurden keine Erhebungen über „Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ vorgenommen, obwohl es diese gab. (siehe Einzelfälle auf S. 32)
Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2001
Ein Zeitsoldat im Dienstgrad eines Oberleutnants stellte als Student der Münchner Universität der Bundeswehr eine Folterfibel zusammen, in der Foltermethoden zur Informationsbeschaffung dargestellt wurden. Er wollte diese als „Ausbildungshilfe“ veröffentlichen. Wegen dieses Dienstvergehens wurde er durch ein rechtskräftiges truppendienstgerichtliches Urteil in den Dienstgrad eines Leutnants herabgestuft. Er wurde nicht mehr, wie ursprünglich vorgesehen, als Zugführer in einem Ausbildungsbataillon eingesetzt, sondern in einem Amt der Bundeswehr. (S. 25)
Im Berichtsjahr kam es zu zwei gemeldeten Vergewaltigungen an „Kameradinnen“.
Einer der beiden Fälle ging durch die Presse und beschreibt die Straftat der Vergewaltigung innerhalb der Bundeswehruniversität München an einer Bewerberin für den Bundeswehrdienst. Der zweite Fall wurde öffentlich nicht bekannt und ist nur, wie der erste Fall, rudimentär im Jahresbericht des Wehrbeauftragten erwähnt. (S. 12)
Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2000
Während einer Übung, bei der eine Gefangenensammelstelle einzurichten war, wurde ein Hauptgefreiter in der Rolle des Kriegsgefangenen über einen Zeitraum von etwa acht oder neun Stunden immer wieder verhört. Dabei wurde er gefesselt und musste mit einem Stiefelbeutel über dem Kopf unnatürliche Körperhaltungen einnehmen. Zusätzlich wurde er gezwungen, „Leibesübungen unter Einsatz eines Besenstiels durchführen“. (S. 14f.)
Im Berichtsjahr wurde ein Fall gemeldet, in dem ein Obergefreiter eine Zivilangestellte sexuell belästigte; ein Oberfeldwebel, der ihn daran hindern wollte, wurde von ihm tätlich angegriffen. (S. 19)
Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1999
Zwei betrunkene Obergefreite verprügelten einen Kameraden auf dessen Stube. Sie schlugen so lange zu, bis der Soldat auf den Boden viel. Dann rasierten sie ihm den Kopf kahl. Er musste wegen Prellungen, Hauthabschürfungen und Hämatomen truppenärztlich versorgt werden. In einem anderen Fall wurde ein Soldat von drei Kameraden „gehänselt“, mit Klebeband gefesselt und mit Bier übergossen. (S. 10f.)
„In Einzelfällen haben sich weibliche Soldaten zu Recht über ungerechte und schikanöse Behandlung, verbale Erniedrigungen sowie verschiedene Formen sexueller Belästigung beklagt.“ (S. 12)
Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1998
Nachdem einem Leutnant (Zugführer) von seinem Stellvertreter, einem Oberfeldwebel, ein Streich gespielt wurde, ging er mit dem Stellvertreter in ein nahegelegenes Wäldchen und befahl ihm niederzuknien. Dann drückte er ihm seine Pistole P1 an den Kopf und warf ihm eine Schlinge um den Hals. Dabei sagte er: „Das hat man früher mit Verrätern und Saboteuren gemacht.“
Ein Stabsunteroffizier, der als UvD eingeteilt war, erfuhr, dass ein Grundwehrdienstleistender während einer „Strafaktion“ von mehreren maskierten „Kameraden“ an ein Bett gefesselt und mit einer Kübelspritze nassgespritzt worden war. Der Stabsunteroffizier unternahm dagegen nichts und meldete den Vorfall auch nicht weiter. Im Berichtsjahr wurden mehrere nächtliche Überfälle auf Kameraden bekannt. (S. 43)
Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1997
„Am 07. Juli 1997 sendete ein Fernsehmagazin Ausschnitte eines im Jahre 1996 von Soldaten des Gebirgsjägerbataillons 571, Schneeberg, auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg privat aufgenommenen Videofilms.“
In diesem Video werden menschenverachtende und brutale Szenen wie Erschießungen, Vergewaltigungen, Folter, usw. dargestellt. Die Soldaten sollen diese Gewaltexzesse in ihrer Freizeit durchexerziert und gefilmt haben. Woher die Motivation für solche Aktivitäten kam, wurde nie recherchiert.
Im gleichen Jahr zogen fünf Soldaten durch Detmold und griffen wahllos Ausländer mit Messern und Baseballschlägern an. In Dresden wurde durch Bundeswehrsoldaten ein Brandanschlag auf ein AusländerInnenheim ausgeführt. (S. 7)
Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1996
„Ein Stabsunteroffizier ließ einen Rekruten während der Wachausbildung hinknien und die Hände hinter den Kopf verschränken. Daraufhin hielt er seine – was er übersah – noch mit Manövermunition geladene Pistole an dessen Nacken, setzte einen Fuß auf den Rücken und drückte ab. Der Soldat musste mehrere Tage stationär behandelt werden.“
„Vier angetrunkene maskierte Grundwehrdienstleistende schlugen auf einen schlafenden Kameraden mit verknoteten Handtüchern ein, weil sie ihn für einen ‚Abseiler und Drückeberger‘ hielten. Als er zu schreien begann, wurde er mit einem Gegenstand ins Gesicht geschlagen.“ Folgen waren eine Schädelprellung und Platzwunden.
Zwei alkoholisierte Gefreite schlugen einen Kameraden wegen eines angeblichen Verrats etwa 40 mal mit der flachen Hand ins Gesicht. Ferner wurde er beschimpft, und sein Ohrring wurde ihm ausgerissen. (S. 11f.)
Ein Feldwebel, der bei einer geübten „Gefangennahme“ einem Lehrgangsteilnehmer eine Maschinenpistole, die mit Manövermunition geladen war, auf den Rücken setzte und den Abzug betätigte, verletzte diesen schwer. (S. 14)
Offiziersanwärter wurden von Ausbildern im Gelände gefangengenommen, gefesselt und mit verbundenen Augen in einen Keller verbacht. Dort wurden sie – zum Teil in unnatürlicher Körperhaltung – stundenlang u.a. unter lauter Beschallung aus Lautsprechern verhört. Einige von ihnen mussten nacheinander in einen etwa ein Meter tiefen Sickerschacht steigen, der mit einer Eisenplatte verschlossen wurde. Dann hämmerten Ausbilder mit Gegenständen auf die Platte. (ebenda)
Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1995
In einer Panzergrenadiereinheit wurde ein Rekrut über mehrere Wochen hinweg schikaniert. Ein Stabsunteroffizier ließ ihn zum Beispiel im Gelände wiederholt über eine Strecke von mehreren 100 Metern mit dem Maschinengewehr in Stellung gehen.
„Danach zog er den völlig entkräfteten Panzergrenadier durch Schotter und Schlamm. In der Kaserne kommentierte der Ausbilder den Vorgang wie folgt: ‚Zu Adolfs Zeiten wären Sie schon vergast worden!‘ Als der Rekrut die Absicht äußerte, sich beschweren zu wollen, befahlen ihn die Ausbilder, ein Feldwebel und ein weiterer Stabsunteroffizier, in den Unteroffizier-Besprechungsraum, traktierten ihn gemeinsam mit Faustschlägen auf Kopf und Körper und brachen ihm dabei das Nasenbein. Nach langandauernden Misshandlungen drohten sie: ‚Beschwer dich bloß nicht, sonst schlagen wir dich tot!‘ (S. 10)
Ein Hauptfeldwebel als Zugführer misshandelte über Monate hinweg Mannschaftsdienstgrade und Unteroffiziere, in dem er u.a. schmerzhafte Stockhiebe an die Waden verteilte, Schläge mit der Faust, mit Hammerstielen und Stöcken in den Genitalbereich versetzte, Soldaten ohrfeigte und mit den Köpfen aneinander schlug. Erst als ein Unteroffizier vor dem angetretenen Zug zweimal derart stark ins Gesicht geschlagen wurde, dass er zu Boden fiel, fanden im Verlauf der vorgenommenen Untersuchungen die Opfer den Mut, die früheren Übergriffe auch aufzuzeigen. (S. 10f.)
„Ein Gefreiter wurde nachts von vier Kameraden aus dem Bett gerissen, auf den Boden geworfen und durch Fußtritte in das Gesicht sowie in den Oberkörper dermaßen misshandelt, dass er ohnmächtig wurde und einen schweren Kieferbruch erlitt.“ (S. 11)
Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1994
„Ein Leutnant führte mit seinem Zug in der Allgemeinen Grundausbildung Infanterie und Gefechtsausbildung durch. Hierbei befahl er seinen Soldaten, die mitgeführten Tarnnetze an ihren Stahlhelmen zu befestigen. Diesem Befehl konnten drei Soldaten nicht Folge leisten, weil sie vergessen hatten, die Tarnnetze mitzuführen. Der Zugführer wies sie an, ihm einzeln in einen abgelegenen Keller zu folgen. Dort mussten sie die persönliche Ausrüstung ablegen und sich hinknien. Wie bei einer Exekution gab er auf zwei Soldaten mit Manövermunition Schüsse aus seiner Dienstpistole und auf den Dritten einen Feuerstoss aus der Maschinenpistole ab. Dann ging er zu den übrigen Soldaten und bemerkte ihnen gegenüber, ’sie können jetzt anfangen zu beten.'“ (S. 9)
Offiziere des Feldjägerbataillons 760 werden beschuldigt, während des Somalia-Einsatzes der Bundeswehr gefangene Somalier, die des Diebstahls verdächtigt wurden, durch körperliche und seelische Misshandlung zu Geständnissen gezwungen zu haben. Ihnen wurde unter anderem angedroht, dass ihnen die Hände abgehackt werden sollten. (ARD-Monitor sowie Frankfurter Rundschau vom 30.9.94 und 1.10.94)
Diese Beispiele sind nur eine Auswahl aus den letzten zehn Jahren. Sie ließen sich ergänzen. Zu beachten ist, dass erstens nicht alle Vorkommnisse gemeldet werden und zweitens nicht alle gemeldeten „Besonderen Vorkommnisse“ im Wehrbeauftragtenbericht niedergeschrieben werden. Als Beispiel sollen hier nur die bekannt gewordenen Foltervorwürfe gegen Bundeswehrsoldaten im Gefängnis von Prizren erwähnt werden, die in zwei Fällen disziplinarisch geahndet wurden. Sie erschienen in keinem Bericht, wurden nur durch einen ehemaligen Soldaten öffentlich thematisiert und fanden dadurch den Weg in die Öffentlichkeit.
Kontakt
Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär
Kampagnenbüro
Kopenhagener Str. 71
10437 Berlin
Tel.: 030-4401300
www.kampagne.de
Politische Arbeit kostet Geld. Damit wir unseren Informationsservice weiterhin anbieten können, bitten wir um Spenden an:
GLS Gemeinschaftsbank eG
BLZ 430 609 67
Kto.-Nr. 802 515 03 00
Anmerkung
Im August 2006 erreichte uns ein Leserbrief mit folgender Richtigstellung:
"Es ist richtig, dass das Artillerieaufklärungsbataillon 71 in Coesfeld der Wirtschaftstruppenteil ist und mit dem Kommandeur ArtAufklBtl 71 den Standortältesten stellt. Unrichtig ist, dass bei einer Grundausbildung durchführenden Einheit ein "Folterskandal" stattgefunden hat. Der in Ihrem Artikel beschriebene Vorfall bezieht sich viel mehr auf eine Kompanie des Instandsetzungsbataillons 7, von denen zwei in Coesfeld stationiert sind. Damit trägt nicht das ArtAufklBtl 71 die Verantwortung für die Vorfälle, sondern das Instandsetzungsbataillon 7 mit Standort Unna dem die nämliche Kompanie truppendienstlich unterstellt ist."
Wir weisen unsererseits darauf hin, dass in unserem Artikel der Begriff "Folterskandal" an keiner Stelle verwendet worden ist. (Red.)