In 84 Städten, wenn denn richtig gezählt wurde, fand am 3. Januar 2005 der "Agenturschluss" statt.
„Arbeitsagenturen und PSAs (Personal Service Agenturen) am 3. Januar lahmlegen!“ hieß es im Aufruf (vgl. GWR 293 & GWR 295).
Wohl die wenigsten Arbeitsagenturen haben am 3. Januar wirklich „dichtgemacht“, und wenn doch, so durch Staatsbeamte mit oder ohne Uniform, wie etwa in Berlin oder in Bremen.
Es war auch nicht Ziel der Kampagne, die Agenturen tatsächlich zu schließen, sondern im Gegenteil, sie für alle zu öffnen und einen anderen Raum daraus zu machen. Vorschläge dazu gab es in den Vorbereitungen in Hülle und Fülle: Vollversammlungen der Betroffenen und Angestellten, die Gründung von Arbeitslosenräten, Demos durch die Flure der Agenturen. Kritische Gespräche mit den Angestellten sollten geführt werden, und die Arbeitslosen sollten miteinander diskutieren. Der angstvolle und repressive Alltag in den Agenturen sollte gestört werden.
„Dichtmachen“ – das wäre kontraproduktiv gewesen. In den Diskussionen wurde sich erhofft, daß die etwa 130.000 ALG II-(Arbeitslosengeld II)-EmpfängerInnen, die kein Geld bekommen hatten, auf der Matte stehen und ihre finanzielle Unterstützung einfordern würden; bundesweit waren es 300, die sich Schecks abholten.
Der Plan, Vollversammlungen und Ratsgründungen durchzuführen, ist zum momentanen Zeitpunkt nicht realistischer als die vollkommene Blockade einer Agentur. Es bedarf einer kontinuierlichen Arbeit und Vernetzung, um einen solchen Schritt wagen zu können.
Genau in diesem Sinne war „Agenturschluss“ auch keine Kampagne für einen einzelnen, symbolisch gewählten Aktionstag. Zur Kampagne gehörte im Jahr 2004 genauso gut die bundesweite Demonstration am 6.11. zur „Bundesagentur für Arbeit“ in Nürnberg (vgl. GWR 294) und der vielfache Aufruf, die ALG II-Anträge erst verzögert (bis zum 6.12.) und dann massiv abzugeben, selbst wenn mensch genau wusste, daß mensch nicht ALG II-berechtigt sei. Auch der Versuch, schon im Vorfeld Kontakt zu den Angestellten der Agenturen aufzunehmen, war Bestandteil der Kampagne.
„Wir, die Protestierenden gegen die Hartz-Gesetze wenden uns an Sie, weil wir davon überzeugt sind, dass wir gleiche Interessen haben und gemeinsam gegen die Umstrukturierungen des Arbeitsmarktes, die Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und den Sozialabbau kämpfen sollten. […] Unser Protest richtet sich NICHT gegen diejenigen Beschäftigten der Agenturen und der Ämter, die sich ebenfalls dagegen wehren, dass Menschen derart entwürdigend behandelt werden sollen – wir hoffen und bauen auf die gegenseitige Solidarität!“, heißt es in einer Fassung des offenen Briefs, der vielerorts an die Angestellten verteilt wurde. Selbstverständlich ging damit eine Kritik an Verfolgungsbetreuung, Sozialschnüffelei, etc. einher.
Schlaglichter auf den 3. Januar
In den Städten liefen die Aktionen verschieden ab. Sie wurden nicht immer dem Anspruch gerecht, der auf Treffen, in Internet-Debatten, in Alternativmedien wie der GWR, der DA und auf diversen Homepages formuliert wurde. Demo, Kundgebung, Besetzung, Buttersäureanschlag, Spaßaktion – alles ist vorgekommen. „Agenturschluss“ war – anders als teilweise suggeriert – eine dezentrale Aktion, ohne bürokratischen Kopf, ohne eine dahinterstehende Organisation. Der Phantasie der einzelnen lokalen Gruppen war keine Grenze gesetzt, somit wäre es auch nicht gerechtfertigt, im Nachhinein die eine oder andere Aktion zu verurteilen.
Dennoch soll die Frage aufgeworfen werden, mit welcher Motivation die eine oder andere Aktion stattgefunden hat.
Berlin
In Berlin fand der „Agenturschluss“ mehrfach statt: am Leopoldsplatz/Wedding, an der Storkower Straße und an der Agentur Charlottenstraße (Kreuzberg). Die Medien stürzten sich auf den Wedding: Hier schien es autonom herzugehen, die Polizei griff brutal ein – Bilder, die Mainstream-Medien gerne zeigen. Dies wirft die Frage auf, ob es sinnig ist, eine solche Aktion für die Medien zu inszenieren, oder ob ihr Sinn nicht vielmehr sein sollte, mit jenen, die Hartz IV konkret betrifft, Informationen auszutauschen.
Die Pressemitteilung der Bundesagentur, vielfach unhinterfragt abgedruckt, sprach von bundesweit 700 DemonstrantInnen. Diese absurd untertriebene Zahl fand sich allein in Berlin zusammen.
Bremen
Hier wie in Berlin/Wedding: Agenturschluss durch die Polizei. Über 300 Leute sammelten sich. Es fand ein Kickerturnier statt, eine „Agentur gegen Erwerbslose“ mit erschwerten Bedingungen wurde eröffnet, etc. Als etwa 100 Personen gegen 10 Uhr Einlaß begehrten, schloß die Polizei die Agentur kurzfristig.
Erfurt
In Erfurt wurden – mit entsprechend hohem bürokratischem Aufwand – 1-Euro-Jobs verteilt. Zahlreiche BesucherInnen der Agentur bekamen so tolle Jobs wie Nägel in Balken schlagen und wieder rausziehen, Tür aufhalten, Vorlesen (das „Manifest gegen die Arbeit“), Sand ausschütten und aufkehren, etc. Das Motto: „Sektfrühstück statt Armenküche!“
Münster
Anders als in anderen Städten wurde die Aktion in Münster von der Polizei massiv unterschätzt: Trotz eines Buttersäureanschlags in den frühen Morgenstunden wurden die etwa 80 Protestierenden vor der Agentur von maximal fünf Polizisten begutachtet, zusätzlich etwa genauso viele nicht-uniformierte Polizisten in der Agentur. Nachdem sich vorher nur wenige Personen bereit erklärt hatten, auch in der Agentur zu protestieren, gingen am Vormittag immer wieder diverse Personen in die Agentur, um mit den Betroffenen zu reden, sie zu begleiten oder warme Getränke zu verteilen.
Der Buttersäureanschlag allerdings blieb schleierhaft: War den „Tätern“ denn nicht bekannt, daß andere am selben Morgen in der Agentur protestieren wollten? Haben sie an jene gedacht, die einen Termin beim Sachbearbeiter hatten, um überhaupt Geld zu bekommen? Kann nach einer solchen Aktion noch eine Kontaktaufnahme mit den Angestellten vorgenommen werden?
Wuppertal
Erwähnenswert: Bei der Aktion vor dem Amt fuhr ein Abrissbagger vor, die Fahrerin wurde verhaftet, der Schlüssel von der Polizei beschlagnahmt.
Soweit einige Schlaglichter: Transparente in diversen Agenturen, immer wieder „Arbeitsplätzchen“, da Arbeitsplätze utopisch sind, viele phantasievolle Aktionen, die auf www.de.indymedia.org, www.labournet.de oder www.fau.org nachzulesen sind. Erstaunlich, daß bis zwei Wochen vor Weihnachten nur 20 Städte am „Agenturschluss“ beteiligt sein sollten: Der Aktionstag mit mehreren tausend TeilnehmerInnen kann als Erfolg verbucht werden, selbst wenn die Presse bundesweit versucht hat, diese Proteste klein zu reden.
Was kommt?
Zurück zur eigentlichen Idee: Um einen permanenten Protest gegen Hartz IV zu motivieren, kann ein „Aktionstag“ nicht genügen. Die punktuelle Kontaktaufnahme mit Erwerbslosen und Angestellten führt noch nicht zur Selbstorganisation. Sollte auf den 3. Januar nichts folgen, würden sich die Erwerbslosen zurecht verarscht vorkommen oder von einer einmaligen Aktion radikaler Linker ausgehen, die morgen wieder zur Antifa-Demo fahren oder Pelztierchen befreien gehen. „Agenturschluss“ war und ist eine Kampagne, die weitergeht, selbst wenn sie nicht medial und bundesweit wahrnehmbar ist. Viele vermuten, daß die Proteste gegen Hartz IV noch ein Hoch erleben werden, spätestens im März/April, wenn das Loch im Portemonnaie unübersehbar wird. Wenn die Wut dann wieder überkocht, könnte es einerseits zu individuellen Kurzschlusshandlungen kommen, wie wir sie in den vergangenen Monaten des öfteren erlebt haben.
Oder aus Protest wird sozialer Widerstand, was aber nur geschehen wird, wenn eine kontinuierliche Arbeit Perspektiven aufzeigt. Im Folgenden ein paar Vorschläge dazu.
Beistände organisieren!
Auf der Rückseite der DA-Beilage (in der GWR 294) zum Thema wurde auf das Recht auf Beistand aufmerksam gemacht: Das Sozialgesetzbuch 10 (SGB X) regelt die Beziehungen zwischen BürgerInnen und Behörden. Dort steht unter § 13.4: „Ein Beteiligter kann zu Verhandlungen und Besprechungen mit einem Beistand erscheinen. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit dieser nicht unverzüglich widerspricht.“ Es gibt also ein verbrieftes Recht, zu zweit zu erscheinen, gegebenenfalls auch mit mehreren Personen.
Der Beistand kann alleine durch seine oder ihre Anwesenheit eventuelle Willkürlichkeiten einschränken und bei juristischen Streitpunkten aussagen. Dieser Aspekt muß bekannt gemacht werden, es gibt aber auch die Möglichkeit, selber anzubieten, zu Terminen in der Agentur mitzukommen.
Widersprüche einlegen!
Nach dem ALG II-Bescheid haben die ALG II-EmpfängerInnen einen Monat Zeit, Widerspruch einzulegen. In den meisten Fällen wird dies nötig sein, kaum aber jemand weiß, wie viel Zeit er/sie hat oder daß es diese Möglichkeit überhaupt gibt. Oder wenn doch: Trauen sich diejenigen? Auf www.erwerbslos.de, www.bag-shi.de und www.tacheles-sozialhilfe.de finden sich Vordrucke für Widersprüche zu jedem möglichen Fall. Es ist eine gute Idee, diese zu vervielfältigen, auszulegen, zu verteilen, anzubieten und/oder diese gemeinsam für den individuellen Fall zu formulieren. Der Tacheles e.V. ruft dazu auf, solche Widersprüche massenhaft abzugeben.
Wohnungswechsel verhindern!
Eine der empörendsten Neuerungen von Hartz IV ist die Möglichkeit, ALG II-EmpfängerInnen bei einer zu großen/zu teuren Wohnung zum Umzug zu zwingen. Diese Regelung ist ein klassisches Beispiel für den Ermessensspielraum der Agenturangestellten, hängt aber auch von der Kommune ab: Während es auf dem Land möglich sein mag, daß ALG II-Empfänger sogar ihr Haus behalten können (denn: Wohin soll die Kommune mit dem leerstehenden Haus?), sieht das in Großstädten anders aus. Vom gefakten Untermietvertrag bis hin zur Blockade der Wohnung (ähnlich wie in Abschiebefällen) sind hier Aktionen möglich und nötig.
Fallmanager und Ermittler beobachten und Fehlverhalten benennen
Im Rahmen des Agenturschlusses wurde immer wieder, gerade in den Versuchen der Kontaktaufnahme mit Angestellten der Agenturen, betont, diese nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Wurden sie auf der einen Seite aufgefordert, ihre Spielräume im Sinne der ALG II-Klientel auszunutzen, so wurden sie auf der anderen Seite gewarnt, in vorauseilendem Gehorsam militant gegen die Erwerbslosen zu agieren. Dies betrifft z.B. die erwähnten Wohnungswechsel oder auch den Zwang zum 1-Euro-Job. Rücksichtslose Angestellte sollten benannt werden und unter Druck gesetzt werden. Hausbesuche von Sozialschnüfflern („Ermittlern“) sollten verhindert werden: Zumindest müssen sie bei ihrem ersten Besuch nicht eingelassen werden (soweit es eine gute Ausrede gibt), dann kann ein Termin vereinbart werden.
1-Euro-Jobs thematisieren!
Eine Mehrheit der anwesenden Einzelpersonen auf einem bundesweiten Nachbereitungstreffen zum 3. Januar sprach sich für eine Kampagne gegen 1-Euro-Jobs aus. Herauszufinden wäre, wen sie betreffen (fast überall werden dies zuerst die unter 25-Jährigen sein), wer sie anbietet und wer von dem jeweiligen „Kopfgeld“ (dem Überschuß aus der Förderung der 1-Euro-Jobs) profitiert.
Besonders brisant ist dieses Thema, weil erste alternative Projekte (Welt- und Friedensläden, Archive, etc.) sich damit abfinden, 1-Euro-Jobs als bezahlte Ehrenämter anzubieten, und somit zu Erfüllungsgehilfen von Hartz IV werden. Diese Projekte sind ebenso zur Rede zu stellen wie z.B. kirchliche Träger und Wohlfahrtsverbände.
Ansatzpunkte gibt es viele. Bis die Agenturen dicht sind, ist noch viel zu tun.