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Tod durch Brechmitteleinsatz

Wenn deutsche Polizisten foltern

Am 27. Dezember 2004 wurde der 35jährige Laye Kondé aus Sierra Leone im Bremer Polizeipräsidium Opfer eines Brechmitteleinsatzes. Ein Mitglied des von Dr. Michael Birkholz geleiteten "ärztlichen Beweissicherungsdienstes" hatte ihm zusammen mit zwei Polizeibeamten mittels einer Nasensonde gewaltsam Wasser eingeflößt, um Beweismaterial gegen den mutmaßlichen Kokain-Dealer zu finden. Infolge des Sauerstoffmangels führte dieses Vorgehen zum Hirntod durch Ertrinken. Am 7. Januar 2005 starb Laye Kondé. Ein hinzugezogener Notarzt erstattete Anzeige gegen den am Brechmitteleinsatz beteiligten Arzt.

Dieser Tod infolge einer fragwürdigen Polizeimaßnahme löste verstärkt Proteste aus.

So mobilisierte ein breites Bündnis zu einer Demonstration am 15. Januar. Ihm gehören so verschiedene antirassistische Gruppen wie die African Community, die Afrika-FreundInnen Bremen, die Anti-Lager-Tour – AG Bremen, das AntiRassismusBüro, das Bündnis gegen sexualisierte Polizeigewalt, der Flüchtlingsrat Hamburg, die FrauenLesbenGruppe no borders, der Infoladen Bremen, die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, das Medinetz, die Roma Solidarität Bremen, das Sozialplenum und die Stadtkommune Alla Hopp an.

Sie kritisierten in ihrem den Bremer Innensenator zum Rücktritt auffordernden Aufruf „Das war Mord, Herr Röwekamp“ (Flugblatt zum Download: http://thecaravan.org/filestore/download/231), dass an der Praxis der Brechmittelvergabe festgehalten wird, trotz „zahlreicher warnender Stellungnahmen von Fachärzten“ und wiederholter Strafanzeigen gegen Polizeibeamte und Angehörige des ärztlichen Beweissicherungsdienstes. Nach Aussage der OrganisatorInnen der Solidaritäts- und Trauerkundgebung „wurde stets dargelegt, dass die Art der Brechmittelvergabe sämtlichen medizinischen Standards widerspricht.“

Bereits 1995 habe Amnesty International „die Maßnahme als erniedrigende unmenschliche Behandlung im Sinne der europäischen Menschenrechtskonvention qualifiziert“.

Darüber hinaus wird an ein früheres Todesopfer erinnert, Achidi John, einen 19-jährigen Nigerianer, den 2001 „eine Ärztin und mehrere Hamburger Polizisten auf ähnliche Weise umbrachten.“ Die antirassistischen Gruppen in Bremen betrachten den Tod von Laye Kondé als „logische Konsequenz einer seit Jahren von der Bremer Justiz und Polizei gnadenlos durchexekutierten Misshandlungspraxis, die sich fast ausschließlich gegen Afrikaner richtet.“

Sie erkennen darin „das Ergebnis einer politisch gewollten rassistischen Sonderbehandlung“.

Es wird vermutet, dass ohne die Anzeige keine Ermittlungen eingeleitet worden wären.

Für wahrscheinliche Vertuschungsmanöver sprechen nicht nur die zeitliche Verzögerung des Bekanntwerdens in der Öffentlichkeit, sondern auch offizielle und öffentliche Stellungnahmen. Thomas Röwekamp behauptete eine Woche nach dem Tod von Laye Kondé, der Betroffene habe sich vergiftet und sei daher an seinem Tod selbst schuld.

In der Sendung „buten und binnen“ am 5. Januar 2005 behauptete Röwekamp z.B. bezüglich polizeilicher Brechmitteleinsätze, dass es bei fast 1.000 Fällen „keine einzige Beanstandung gegeben“ habe. Er zeigte sich überzeugt, „dass das Verfahren an sich sicher ist, wenn es ordnungsgemäß angewandt wird.“ Das AntiRassismusbüro Bremen verwies hingegen in einer Presseerklärung vom 14.1.2005 (www.antirassismus-buero.de/polizeipraxis/brechmittel/arabpresseerkbrech.pdf) auf eigene Recherchen über die Jahre 1995 bis 1997. Demzufolge erkannte auch der Weserkurier am 22.April 1996 das „Erbrechen unter Zwang“ als „Politikum“, da die zuständigen Behörden ihre Verantwortung verleugneten. Das AntiRassismusbüro wirft Röwekamp rassistisch motivierte Profilierungssucht vor.

Immer wieder werden MigrantInnen als mutmaßliche Drogendealer kriminalisiert und Opfer von Brechmitteleinsätzen. „Die Betroffenen sollen (…) genötigt werden, aus ihrem Körper heraus Beweismittel hervorzubringen, die in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden sollen.“ Darauf machen in der Drogenarbeit aktive Organisationen aufmerksam. In einer gemeinsamen Presseerklärung vom 11. Januar 2005 fordern u.a. akzept e.v. (Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik), die Deutsche AIDS-Hilfe, der Bundesverband der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit, die Grüne Hilfe und das JES (Junkies Ehemalige Substituierte)-Bundesnetzwerk „ein Ende der Brechmittel-Folter in Deutschland“. Sie bemängelten, dass der Jurist Röwekamp „Kleinstdealer, bei denen meist lediglich Mengen im einstelligen Gramm-Bereich gefunden werden, ‚Schwerstkriminelle'“ nennt, „gegen die man ‚unerbittlich‘ vorzugehen habe und die daher auch ‚körperliche Nachteile‘ hinnehmen müssten.“

Er übersähe „großzügig, dass der vorliegende gewaltsame Brechmitteleinsatz nicht nur gegen die Strafprozessordnung, sondern auch gegen das Grundgesetz und die Menschenrechte verstößt, sowie eine Form der Folter darstellt.“ Die Politik nähme „den Tod unzähliger Drogenkonsumenten billigend in Kauf“. Die Verbände verweisen auf „die Möglichkeit der inhaltlichen Analyse, dem sogenannten Drug-Checking“ als Alternative, die verwehrt würde. Sie heben auch „den Charakter einer ‚Polizeistrafe‘ hervor.

Für Martin Rediker, Vorstandsmitglied der Grünen Hilfe, ist der Todesfall in Bremen der „Ausdruck einer insgesamt menschenverachtenden Drogenpolitik“. Den „Kern des Übels“ sieht man in der „herrschenden Drogen-Prohibition“ und im „ideologisch geführten und erfolglosen ‚Krieg gegen Drogen'“. Das Betäubungsmittelgesetz (BtmG) wird als ausufernde und mit rechtsstaatliche Prinzipien unvereinbare „Sondergesetzgebung“ abgelehnt.

Auch ProfessorInnen der Universität Bremen äußerten sich bereits kritisch und bezweifelten, ob der Brechmitteleinsatz einem ärztlichen Berufsethos entspricht. Abgesehen davon konstatierten sie, dass die „‚herrschende Meinung‘ in der Strafrechtswissenschaft (…) die Verfassungsmäßigkeit des Brechmitteleinsatzes“ verneine, „ein entsprechendes Beweisverbot“ bejahe. Aus Äußerungen von Röwekamp zur Brechmittelpraxis schlussfolgerten die AkademikerInnen, dass in Bremen „jährlich 20 Personen zur eventuellen Sicherung von wenigen Gramm illegaler Substanzen lediglich aufgrund von polizeilich gehegtem Anfangsverdacht und ohne Gerichtsbeschluss so traktiert“ werden wie der Getötete.

In der Denunziation des Opfers als „Schwerverbrecher“ (Röwekamp), in den „rechtlich unverantwortlichen, vorverurteilenden Äußerungen des auf die Verfassung vereidigten Innensenators“, sehen sie die Gefahr, dass „die rechtsstaatlich normierte Unschuldvermutung ebenso wie strafrechtliche Kategorien“ ignoriert werden. Nach der Auffassung der unterzeichnenden Bremer ProfessorInnen leistet Röwekamp „damit aktiv einen Beitrag zum Abbau rechtstaatlichen Bewusstseins in der Öffentlichkeit und ist deshalb in dieser Funktion untragbar.“

Sie selbst wüssten „sich den Leitzielen der Universität Bremen verpflichtet, d.h. der Verteidigung von Gerechtigkeit, Menschenrechten und rechtstaatlicher Demokratie“.

Die „Frage des Brechmittel-Einsatzes“ sollte „in einem rechtsstaatlichen Diskurs über die Grundfreiheiten der Bürger“ thematisiert werden.