antimilitarismus

Auf zum erstbesten Gefecht!

Deutsche Antiimperialisten erlösen das irakische Volk

| Christian Axnick

Sie erfinden sich das Volk, wie sie es brauchen: als Objekt der Identifikation und Vollstrecker ihres politischen Programms. Mit dieser Problematik der "antiimperialistischen" Volkstümelei setzt sich der folgende Beitrag auseinander (GWR-Red.)

Das „Deutsche Solidaritätskomitee Freier Irak“ teilt in einer E-Mail vom 25. November 2004 folgendes mit: „Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, das Deutsche Solidaritätskomitee Freier Irak unterstützt den aus Anlass der Massaker gegen die Bevölkerung von Falluja von der Zeitschrift ‚Offensiv‘ am 23. November 2004 per E-Mail verbreiteten Aufruf: SOLIDARITÄT MIT DEM IRAKISCHEN VOLK UND SEINEM LEGITIMEN WIDERSTAND!“

Auch eine Nachricht.

Dagegen ist zunächst nichts zu sagen: die Zeitschrift „Offensiv“ geht mit einem Aufruf gegen eine Offensive der US-Streitkräfte vor, dafür sind Zeitschriften schließlich da, das ist nicht besonders wirkungsvoll, aber legitim. Und es könnte nützlich sein, wenn in dem Aufruf sinnvolle Dinge stünden, eine zwingende Analyse oder durchdachte Forderungen.

Immerhin ist es rücksichtsvoll von den Autoren, schon mit dem Titel des Aufrufs zu signalisieren, daß man nichts dergleichen zu erwarten hat: „Solidarität mit dem irakischen Volk …“

Das ist eine Aussage vom gleichen Kaliber wie die immer noch beliebte Phrase: „Ich liebe mein Land!“ Man fragt sich, wie das praktisch gehen soll: das ist ja mit Mann und/oder Frau gelegentlich schwer genug, aber wie kriegt man ein Land ins Bett? Und wie wird verhütet, wie schützt man sich vor den Folgen dieser allzu umfassenden Liebe: Intoleranz, Nationalismus, Militarismus?

Ein Land lieben oder mit einem Volk solidarisch sein kann nur, wer von konkreten Dingen absieht und in einer allgemeinen und sentimentalen Abstraktion lebt, die von Land und Volk nichts anderes mehr übrig läßt als eine bloße Idee. Die Solidarität mit einem Volk kennt keine Individuen – die schon gar nicht, weder lebendig noch tot -, keine Parteien, Interessen, gesellschaftlichen Konflikte oder Widersprüche, sondern einzig eine anonyme Masse; eine so allgemeine und undifferenzierte Form, daß sie gar nicht existieren könnte, wenn ihr nicht derjenige, der zur Solidarität mit diesem Hirngespinst entschlossen ist, einen Inhalt beilegen würde: sein politisches Programm, als dessen Vollstrecker das so erschaffene Volk nun fungiert.

Nachdem die USA den Irak überfallen hatten und nicht imstande gewesen sind, danach für friedliche Zustände zu sorgen (man hat sich das an fünf Fingern abzählen können, wenn man nicht gerade Hermann L. Gremliza heißt), war es unvermeidbar, daß sich leninistisch geschulte Antiimperialisten das irakische Volk erfinden würden; als Objekt der Identifikation und Solidarität, und als Katalysator ihrer Politik. Die Sache ist gerecht, deshalb geht es ums Volk und „… seinen legitimen Widerstand!“

Antiimperialistische Volkstümler sind keine Spinner, sie legen Wert darauf, sich auszukennen in der Realität, und diese Realität besteht in Aktenordnern, in Verträgen, Paragraphen und Definitionen; sie jonglieren ebenso leicht mit juristischen Fiktionen wie nur je ein Staatsmann, und daher finden sie flugs das richtige Zitat, um die „Legitimität des Widerstands“ zu begründen – in diesem Fall ist es Artikel 51 der UN-Charta:

„Die Bestimmungen der vorliegenden Charta beeinträchtigen in keiner Weise das unveräußerliche Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen, bis der Sicherheitsrat die zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat. Maßnahmen, die von Mitgliedern in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts ergriffen worden sind, sind dem Sicherheitsrat sofort zu melden und berühren in keiner Weise die mit der vorliegenden Charta dem Sicherheitsrat gegebene Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu ergreifen, die er zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für notwendig hält.“

Jede Zeit hat die Phrasen, die sie verdient, und bekommt die Floskeln, mit denen sie sich abspeisen läßt. Das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs – der Geschmack von Freiheit und Abenteuer.

Ein Vorteil von Phrasen ist ihre Hohlheit: man könnte dieses Selbstverteidigungsrecht ja der Abwechslung halber auf eine Weise interpretieren, die es dem einzelnen ermöglichte, sich im Falle eines militärischen Angriffs davonzumachen, den Kriegsdienst zu verweigern, zu desertieren; mit dem Anspruch auf Schutz und Asyl in den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen … Aber wir wollen hier nicht ins Träumen geraten. Wenn das möglich wäre, würden nicht nur einzelne von diesem Recht Gebrauch machen, sondern gar Kollektive, und dann wäre es Essig mit einer effektiven Kriegführung. Also geht es darum nicht. Dieses von der UN gewährte Recht verwirklicht sich in Form von Selbstmordattentaten; es verwirklicht sich in der Verfügungsgewalt von militärischen Formationen, staatlichen oder quasistaatlichen, über das Menschenmaterial in ihrem Herrschaftsbereich. Genau so ist dieser Artikel der UN-Charta auch gemeint.

Die Charta ist ein Versuch, den Umgang souveräner Staaten miteinander zu regeln. Dazu gehört auch die Aufstellung von Regeln für die Kriegführung, denn die ist ein normaler Bestandteil staatlichen Handelns. Es mag Leute geben, die die proklamierte Absicht der UNO, den Krieg zu ächten, für bare Münze nehmen; die kriegen allerdings regelmäßig Schwierigkeiten, wenn sie erklären müssen, wieso das denn nicht klappen will. Und wieso nicht? „… der Sicherheitsrat die zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat …“

Und noch einmal: „… berühren in keiner Weise die mit der vorliegenden Charta dem Sicherheitsrat gegebene Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu ergreifen, die er zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für notwendig hält.“ Bei so vielen Maßnahmen wäre es erstaunlich, wenn sich nicht die eine oder andere militärische darunter befinden sollte.

Der Artikel 51 handelt von der Lage nach einem militärischen Angriff, spricht jedoch von der „Aufrechterhaltung des Weltfriedens“, aber Völkerrechtler und Antiimperialisten sind sich wohl einig darin, daß auf derart filigrane Widersprüche gepfiffen ist. Staaten kommen nicht aus ohne Gewalt nach innen und nach außen, ihre Androhung und ihre Anwendung. Die Vereinten Nationen, ein Zusammenschluß von Staaten, kommen nicht darum herum, dieser Tatsache Rechnung zu tragen. Sie haben, in der Absicht, kriegerische Gewalt einzudämmen und zumindest berechenbar zu machen, Regeln für einen ordnungsgemäßen Krieg aufgestellt; ihn damit allerdings im Grundsatz legitimiert.

Militärische Aktionen mit der UN-Charta zu rechtfertigen, bereitet also nicht die geringsten Probleme, auch im Fall der irakischen Guerilla nicht. Es ist bloß einigermaßen witzlos. Was wäre denn, wenn die Aktionen der irakischen Guerilla nicht von der UN-Charta gedeckt würden – wären sie dann unterblieben?

Würde das Deutsche Solidaritätskomitee Freier Irak sie dann verurteilen? Oder würde es sich wenigstens dann einmal die Frage stellen, was der Preis dieses Vorgehens ist und wohin es führen soll; wie seine unmittelbaren Wirkungen aussehen? Was dieser Krieg eigentlich für das, verzeihen Sie den Ausdruck, irakische Volk bedeutet?

Aber dazu finden sich ja ein paar Worte in dem Aufruf:

„Für das irakische Volk bedeutet dies: brutalste Besatzung nach einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, Zerstörung des Landes und Ausplünderung seiner Ressourcen, Folter, Mord und Terror durch die Besatzer.“

Soweit richtig, damit sieht sich tatsächlich nicht allein die platonische Idee des Volkes, sondern die konkrete irakische Bevölkerung konfrontiert. Im übernächsten Absatz heißt es dann:

„Um den wachsenden Widerstand des irakischen Volkes zu brechen, setzen die von den USA geführten Besatzer immer brutalere Methoden ein …“

Eine Besatzung, die ohnehin keine nur brutale, sondern von Anfang an eine brutalste war, wird immer noch brutaler. Auch hier geht es den Aufrufern nicht um eine zutreffende Beschreibung des Zustandes, sondern um die Anhäufung vieler imponierender Wörter, die das Bedenken nicht aufkommen lassen sollen, die militärische Reaktion auf eine Besatzung könnte die Besatzungsmacht zu immer brutaleren Maßnahmen führen, die Lage der Bevölkerung ins vollends unerträgliche steigern und alle anderen Möglichkeiten gesellschaftlichen Widerstands erschlagen. Kann sich unter solchen Bedingungen ein Widerstand überhaupt dynamisch entwickeln, und zwar auf allen Ebenen?

Aber sicher, sagen die Aufrufer, das irakische Volk habe sich nicht nur von Beginn an gegen die Besatzung erhoben, sondern: „Sein Widerstand entwickelt sich dynamisch und auf allen Ebenen.“ Und das ist immerhin so erhebend, daß man auf einen Beleg für diese Behauptung gerne verzichtet. Die größte Leistung des Aufrufes liegt darin, eine Sprache, die Diplomaten erfreut und alle, die gerne Diplomaten oder Staatsmänner wären, zu verbinden mit einem Pathos, so leer, daß es nur von Antiimperialisten stammen kann, die von den Interessen und der tatsächlichen Politik des gegenwärtigen Imperialismus keinen Begriff haben:

„Die Konkurrenz der imperialistischen Hauptmächte verschärft sich, sie ringen immer aggressiver um eine Neuaufteilung der Welt, ihrer Absatzmärkte und Rohstoffe …“ Wenn die Imperialisten ringen, was bleibt den Habenichtsen übrig?

„Inzwischen schmachten Tausende politischer Gefangener in den Folterkammern der Besatzer.“ Genau, das Schmachten.

Das Ringen der Imperialisten und das Schmachten der Völker sind Phrasen, die auch aus der Solidarität eine Phrase machen. Wer Fahnen schwenken und Parolen rufen möchte, ist damit bestens bedient. Manchmal ist das vielleicht gar nicht falsch, und niemand erwartet, daß Parolen den Zustand der Welt mit wissenschaftlicher Genauigkeit wiedergeben: sie sollten nur nicht in die Irre führen.

Das Ringen der imperialistischen Hauptmächte ist nicht der Kampf bis aufs Messer, den diese Parole zu suggerieren versucht. Der Imperialismus des 21. Jahrhunderts muß die Welt nicht erobern und aufteilen: das ist bereits geschehen; heute geht es vor allem darum, den Besitzstand zu verteidigen. Die Aufrechterhaltung des Status Quo ist aber eine Aufgabe, an der selbst eine Militärmacht wie die USA scheitern müßte, wenn sie sie ganz allein zu erledigen hätte – denn dieses „ganz allein“ bedeutet: auch gegen die bisherigen Verbündeten. Davon kann nicht die Rede sein.

Die europäischen Nato-Staaten versuchen, eigenständig militärisch handlungsfähig zu werden, aber es ist klar, daß das auf absehbare Zeit nur in begrenztem Rahmen möglich sein wird. Die Nato ist die gemeinsame Struktur, in der die westlichen Staaten auf kooperativer Grundlage punktuelle Interessengegensätze austragen. Derartige Konflikte werden in Zukunft nicht weniger werden; die Art, wie die deutsche Regierung vor Beginn des Irakkrieges die diplomatischen Reibereien mit den USA provoziert hat, um das eigene Profil als vermeintliche Friedensmacht zu schärfen, liefert ein Beispiel für die Konkurrenz innerhalb dieses Militärpakts.

Und unter der Bush-Administration werden die USA in den nächsten Jahren ihre Vormachtstellung eher rabiater verteidigen. Aber der Vorteil der Nato besteht in gerade dieser Flexibilität, die ebenso die gemeinsame Kriegführung ermöglicht, wie sie eine Basis für die Austragung von Konflikten unter den Verbündeten selbst darstellt. Diese Basis durch allzu heftiges Ringen zu zerstören, liegt nicht im Interesse der imperialistischen Hauptmächte; ihre grundsätzliche Solidarität miteinander äußert sich unspektakulär, aber effektiv.

Die Solidarität, die die antiimperialistischen Volksbefreier dagegen anzubieten haben, ist, wie gesagt, eine bloße Phrase und insofern bestenfalls ein Hebel für eine Politik der Unterschriftensammlungen, pathetischen Aufrufe und Spendensammlungen wie der „10 Euro für den irakischen Widerstand“-Kampagne, die den Teilnehmern vielleicht Anlaß bot, sich zu fühlen wie Humphrey Bogart in „Casablanca“: Weißt du noch damals, als wir Waffen für die Rebellen geschmuggelt haben? Stattdessen käme es darauf an, Ansatzpunkte für eine reale Zusammenarbeit mit emanzipatorischen Gruppen zu suchen. Dabei reicht es nicht, sich auf das Schmachten des Volkes zu berufen; es müßten sich schon inhaltliche Übereinstimmungen finden und benennen lassen. Wie die Erfahrungen der transnationalen Zusammenarbeit von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren zeigen, ist das eine mühsame Aufgabe, die bislang in den meisten Fällen nur punktuell zu erfüllen war. Unter den Bedingungen des imperialistischen wie des Volkskrieges, oder wie immer man das Massaker nennen möchte, wird dieses eigene Handeln so gut wie unmöglich.

Das betrifft vor allem die Bevölkerung im Kriegsgebiet. Was sich fernab der Schlachtfelder, in den pamphletistischen Auseinandersetzungen der Anhänger des langandauernden Volkskrieges, relativ harmlos äußert und wo schlimmstenfalls Verluste an Tinte und Druckerschwärze zu beklagen sind, das stellt für das Menschenmaterial am Ort des Geschehens eine weitere Bedrohung dar. Abweichende Meinungen werden zum Verrat, und zur Abschreckung oder Bestrafung von Verweigerern greifen die Volksarmeen zu denselben Mitteln wie die regulären Truppen. Wer immer noch der Vorstellung anhängt, Revolution sei etwas, das sich in der Form einer militärischen Entscheidungsschlacht abspielt und damit notwendig die These unterstützt, die Macht komme aus den Läufen der Gewehre und nur dorther, der sieht sich mit der traurigen Realität konfrontiert, daß die Gewehre zwangsläufig von Reaktionären kommandiert werden. In einer Zeit, in welcher ein allgemeiner Gegenentwurf gegen den globalen Kapitalismus abhanden gekommen ist (wofür wir uns vor allem bei der repressiven Praxis der realsozialistischen Staaten bedanken dürfen), müssen sich die Guerilleros nicht einmal mehr durch die Militarisierung der Kampfformen zu diesen Reaktionären entwickeln: sie können gleich so anfangen.

Aber in der Vorstellung des Deutschen Solidaritätskomitees Freier Irak malt sich die Welt sehr viel romantischer: es wird gerungen und geschmachtet, jedoch die Völker leisten Widerstand, solchen natürlich, der juristisch allen Anforderungen der UN-Charta entspricht; es gibt Dinge, die sind nicht, was sie scheinen, sondern werden nur „so genannt“ – etwa die Neue Weltordnung oder die Irakische Kommunistische Partei, die gleich mal die Verräterrolle übernehmen darf; dafür werden die Schuldigen genannt: „Die USA und ihre Verbündeten…“; und ein paar Sachen werden leider gar nicht genannt: wen man sich unter diesen Verbündeten vorstellen darf – die Koalition der Willigen? Die Nato?

Ist Deutschland mit im Boot, oder nicht, oder halb, oder was?

Egal, es kommt nicht so genau drauf an. Wichtig sind Pathos und Stimmung; und nebenbei die Möglichkeit, mit dem Elend der Bevölkerung des Iraks große Politik zu machen. Da unterscheiden sich die Staatsmänner wenig, ob sie nun in den USA sitzen, im Irak oder im „Deutschen Solidaritätskomitee Freier Irak“ – Moment mal …. klingt das nicht beinahe wie „Nationalkomitee Freies Deutschland“?

Soll es ja wohl auch.