antimilitarismus

Zwischen Angst und Hoffnung

Interview mit dem kurdisch-türkischen Kriegsdienstverweigerer Zeynettin Er

| Interview: Frank und Heike

Der kurdisch-türkische Kriegsdienstverweigerer Zeynettin Er ist in der Initiative der kurdisch-türkischen KriegsgegnerInnen aktiv. Nun hat er die Beratungsstelle der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen) für Kriegsdienstverweigerer aus der Türkei übernommen. Wir trafen Zeynettin auf einer Veranstaltung seiner Initiative, auf der über das neue Zuwanderungsgesetz und seine Folgen für kurdisch-türkische Kriegsdienstverweigerer informiert und debattiert wurde.

Graswurzelrevolution: Zeynettin, möchtest du etwas zu deiner Geschichte erzählen? Was hat dich nach Deutschland verschlagen, und wie ist deine Situation heute?

Zeynettin: Seit fast 13 Jahren lebe ich in Deutschland, seit 9 Jahren in Heuchelheim bei Gießen. Beruflich arbeite ich in einer Gaststätte, ich bin gelernter Koch. Neben dieser Tätigkeit habe ich nun die Beratungsarbeit für Kriegsdienstverweigerer übernommen.

Warum ich 1992 nach Deutschland gekommen bin? Damals herrschte bei uns Krieg. Auf offener Straße wurde geschossen. Was damals im türkischen Teil Kurdistans geschah, ist in mancher Hinsicht mit der heutigen Situation im Irak vergleichbar.

Ich habe dann in Deutschland einen Asylantrag gestellt. 1997 habe ich mich entschlossen, offiziell meine Kriegsdienstverweigerung zu erklären. Ich wollte nicht zum Militär. Ich wollte nicht töten, und ich wollte nicht getötet werden. Dieser Entschluss war über Jahre hinweg gereift. 15, 20 Jahre lang war ich Zeuge des Krieges in unserem Land gewesen. Dieser Krieg wütete auch in der Gegend, aus der ich komme. Wenn ich also zum Militär gegangen wäre, hätte die Gefahr bestanden, dass ich in meinen Heimatort geschickt werde, um auf die Menschen dort zu schießen – auf meine eigenen Leute, vielleicht auf meine Eltern oder meine Geschwister! Ich wollte also auf keinen Fall zum Militär. Deshalb habe ich an das türkische Konsulat und andere Behörden geschrieben und ihnen mitgeteilt, dass ich den Kriegsdienst verweigere.

Ich sah, dass es nicht genug war, als Einzelner den Kriegsdienst zu verweigern. Darum schloss ich mich mit gleichgesinnten Leuten zusammen. Wir machten gemeinsam Öffentlichkeitsarbeit, organisierten Veranstaltungen und Demonstrationen.

GWR: Wie hat der türkische Staat darauf reagiert?

Zeynettin: Wie ich vier Jahre später erfahren habe, führt die türkische Justiz seit meiner Verweigerungserklärung ein Strafverfahren gegen mich. Das habe ich über meinen Anwalt in der Türkei rausgekriegt. Offiziell wurde mir das nie mitgeteilt.

Ein zweites Verfahren läuft gegen mich, seitdem ich mich an einer Demonstration in Frankfurt beteiligt habe.

GWR: Trotzdem ist der Ausgang deines Asylverfahrens in Deutschland nach 13 Jahren immer noch offen.

Zeynettin: Ja. Kriegsdienstverweigerung wird in Deutschland nicht als Asylgrund anerkannt. Zwischenzeitlich sollte ich schon einmal abgeschoben werden. Und das, obwohl ich klare Beweise vorlegen kann, dass ich in der Türkei verfolgt würde.

Mit Unterstützung meines Anwalts hier in Deutschland habe ich einen neuen Antrag an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gestellt. Wir haben uns auch ans Innen- und Justizministerium und ans Auswärtige Amt in Berlin gewandt. Von diesen Stellen ist mir bestätigt worden, dass ich in der Türkei befürchten müsste, wegen meiner politischen Aktivitäten verfolgt zu werden. Trotzdem läuft mein neues Asylverfahren jetzt schon seit über einem Jahr, und ich habe noch keine Antwort bekommen. Ich kann auch noch nicht einschätzen, wie sich das neue Zuwanderungsgesetz auf mein Verfahren auswirken wird. Auf jeden Fall leben ich und meine Familie ständig in der Gefahr, abgeschoben zu werden.

GWR: Deine Familie lebt auch in Deutschland?

Zeynettin: Ich habe zwei Kinder. Mein älterer Sohn ist sieben, der jüngere drei Jahre alt. Meine Frau und ich haben vor acht Jahren geheiratet, aber da ich den Kriegsdienst verweigere, weigern sich die türkischen Behörden, uns die entsprechenden Dokumente auszustellen. Deshalb sind wir zwar aus religiöser Sicht verheiratet, aber staatlich nicht als Ehepaar anerkannt. So tragen unsere Kinder den Familiennamen ihrer Mutter, aber wir leben als Familie zusammen in unserer gemeinsamen Wohnung.

GWR: Wenn du nicht als Asylberechtigter anerkannt wirst, welche Folgen hat das für dich und deine Familie?

Zeynettin: Nach 13 Jahren abgeschoben zu werden, würde für mich Gefängnis bedeuten. Ich weiß, dass ich wegen meiner KDV und meiner politischen Aktivitäten in der Türkei angeklagt bin. Fast alle abgeschobenen Kriegsdienstverweigerer werden in der Türkei festgenommen und vor Gericht gezerrt und müssen sich für die Kriegsdienstverweigerung und ihre politische Arbeit in Deutschland verantworten. Für meine Familie würde es bedeuten: Meine Kinder sind hier in Deutschland geboren, sie wachsen in dieser Gesellschaft auf, gehen hier in den Kindergarten und zur Schule. Deutsch ist praktisch ihre Muttersprache geworden. Wenn sie nun plötzlich in der Türkei leben müssen, ist das für sie ein fremdes Land. Die Vorstellung allein ist schrecklich. Wenn ich darüber nachdenke: Seit 13 Jahren hier, und das Verfahren läuft immer noch.

GWR: Hat die Tatsache, dass deine Kinder in Deutschland geboren sind und hier aufwachsen, keinen Einfluss auf dein Asylverfahren?

Zeynettin: Nein, das wird nicht berücksichtigt. Seit Januar 2005 gilt außerdem das neue Zuwanderungsgesetz. Es schränkt unseren Spielraum noch weiter ein.

Und ich bin kein Einzelfall. Es gibt Tausende von Leuten, die seit vielen Jahren in Deutschland leben. Ein Bekannter von mir ist kürzlich nach 17 Jahren abgeschoben worden.

Du kannst total überraschend abgeschoben werden. Oft gibt es keine Vorwarnung, keine Vorbereitungszeit. Du hast nicht mal Gelegenheit, dich hier zu verabschieden oder den Angehörigen in der Türkei Bescheid zu geben, dass du zurückkommst. Eines Morgens um vier Uhr steht die Polizei vor deiner Tür und holt dich aus dem Bett. Du musst dich anziehen und mitkommen und wirst direkt zum Flughafen geschafft, und von dort fliegst du dann nach Istanbul. Diese ständige Bedrohung ist eine große psychische Belastung, mit der wir leben müssen: Seit Jahren lebst du in diesem Land, hast hier deine Arbeit, deine Familie, du baust dir dein Leben auf, und plötzlich wirst du abgeholt und abgeschoben und kannst nicht mal einen Koffer mitnehmen.

Ob du Arbeit hast oder nicht, spielt da keine Rolle. Ob du politisch aktiv warst, auch nicht. Plötzlich können sie vor deiner Tür stehen und sagen: Mitkommen, Ende.

GWR: Wie gehst du mit dieser Angst im Alltag um?

Zeynettin: Ich habe einen sehr guten Rechtsanwalt, der schon vieles für mich erreicht hat und der mir immer wieder Mut macht. Aber die Angst ist natürlich in unseren Köpfen, wir leben jeden Tag mit ihr. Manchmal sagen wir: Wir haben das angefangen, wir müssen das nun durchziehen, egal, was passiert. Wir haben so vieles schon geschafft, wir werden es durchstehen. Es gibt keinen anderen Weg.

Es ist sehr belastend, die Zukunft nicht planen zu können. Für uns hat es keinen Sinn, zu überlegen, was wir in drei Jahren machen. Wir wissen ja nicht mal, ob wir nächste Woche noch hier sind. Das ist unser Leben.

Ich hoffe, dass irgendwann mehr Stabilität in unser Leben einkehrt. Aber wenn ich mir die neuen Gesetze ansehe, zweifle ich manchmal, ob das jemals passieren wird. Manchmal denke ich, ich schaffe es nicht, ich habe nicht die Kraft dazu. Aber dann machen wir doch wieder eine Veranstaltung oder eine Demonstration, arbeiten weiter, zusammen mit den hiesigen Friedensgruppen und Organisationen, und das gibt mir wieder Auftrieb. Dann kommt die Hoffnung zurück: Wir können etwas tun, wir können etwas verändern. Nicht nur für mich, sondern für alle Kriegsdienstverweigerer hier in Deutschland.

GWR: Du hast die Beratungsstelle der DFG-VK für Kriegsdienstverweigerer aus der Türkei übernommen. Welche Chancen siehst du in dieser Arbeit, welche Möglichkeiten, politisch Einfluss zu nehmen oder juristische Unterstützung zu leisten?

Zeynettin: Zum einen kenne ich mich inzwischen mit den einschlägigen Gesetzen gut aus, zum anderen ist es wichtig, dass wir als türkische Kriegsdienstverweigerer uns selbst organisieren. Die DFG-VK bietet uns eine gute Arbeitsgrundlage. Ein wichtiger Partner ist auch Connection e.V. aus Offenbach. Darüber hinaus haben wir inzwischen ein vielfältiges Netz von Beziehungen geknüpft. So arbeiten wir sehr gut zusammen mit verschiedenen Friedensgruppen, Menschenrechtsorganisationen und mit der Kirchengemeinde vor Ort. Wir wollen aber unbedingt noch mehr Kontakte knüpfen und unser Anliegen stärker an die Öffentlichkeit tragen. Wir müssen den Menschen vermitteln, warum wir den Kriegsdienst verweigern, warum wir Krieg und Militär ablehnen. Da ist noch viel Erklärungsarbeit zu leisten.

GWR: Arbeitet ihr auch mit Gruppen und Organisationen in der Türkei zusammen?

Zeynettin: Der „Verein der KriegsgegnerInnen“ in der Türkei ist eine Partnerorganisation. Sie leisten seit vielen Jahren Beratungsarbeit für Kriegsdienstverweigerer, organisieren Anwälte usw. Sie sind starker Repression durch den türkischen Staat, durch Behörden und Gerichte ausgesetzt und sind oft gezwungen, illegal zu leben und zu arbeiten.

GWR: In Münster hast du zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung am 15. Mai 2004 die Aktionstage „Asyl für Deserteure!“ (1) mitorganisiert – dabei arbeitete eure Initiative kurdisch-deutscher KriegsgegnerInnen mit Pro Asyl, der DFG-VK, Connection e.V., der Graswurzelrevolution u.a. zusammen. Was war die Idee hinter diesen Aktionstagen, und was haben sie gebracht?

Zeynettin: Wir führen seit Jahren immer wieder Demonstrationen und Veranstaltungen durch, um unser Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen, aber noch nie zuvor hatte ich eine derartige Unterstützung von so vielen Friedensgruppen und befreundeten Organisationen hier in Deutschland erfahren.

Über diese Solidarität habe ich mich sehr gefreut. Ich hatte das Gefühl: Die türkischen Kriegsdienstverweigerer stehen in Deutschland nicht allein, sie können auf die Unterstützung der Kollegen hier zählen. Das gibt mir Hoffnung, dass wir mit unserem Anliegen durchkommen werden, dass unser Recht auf Kriegsdienstverweigerung anerkannt wird.

GWR: Was sind eure nächsten Projekte?

Zeynettin: Darüber wollen wir heute Nachmittag diskutieren. Wir besprechen und beschließen gemeinsam, wie wir unsere Kriegsdienstverweigerung und unsere Asylverfahren hier in Deutschland betreiben und wie wir auf Veränderungen in der Türkei hinarbeiten können.

GWR: Wir wünschen euch alles Gute für eure weitere Arbeit und danken dir für das Interview.

(1) Siehe GWR 288ff. Die "Asyl für Deserteure!"-Demo-Redebeiträge, u.a. von Zeynettin Er, sowie ein Pressespiegel zu den Aktionstagen zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung 2004 finden sich unter der Rubrik "antimilitarismus" auf der GWR-Homepage: www.graswurzel.net/news/

Kontakt

Beratungsstelle der DFG-VK für Kriegsdienstverweigerer aus der Türkei
Zeynettin Er
Marktstr. 18
35452 Heuchelheim
Tel.: 0162/6997237 (Mo-Fr)
ktski@gmx.de