bücher

Allmacht und Gewalt

Das Hamburger Institut für Sozialforschung rechnet mit '68 ab

| Jens Kastner

Wolfgang Kraushaar, Jan Philipp Reemtsma, Karin Wieland: Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF, Hamburg 2005, Hamburger Edition, 142 S., 12,- €, ISBN 3-936096-54-6.

Als das Hamburger Institut für Sozialforschung sich aus den Vorbereitungen für die Berliner RAF-Ausstellung ausgeklinkt hatte, lagen wohl die Entwürfe für Katalogtexte schon in den Schubladen. So ist jetzt ein kleines Bändchen mit drei Aufsätzen erschienen, das sich der Geschichte der 1998 aufgelösten Stadtguerilla widmet. Zu deren Aufarbeitung kann allerdings einzig Wolfgang Kraushaar mit seinem Beitrag über Rudi Dutschkes Beziehung zum bewaffneten Kampf beitragen. Der Chronist der deutschen Protestbewegungen findet bei der Auswertung von Briefen Hinweise darauf, dass Dutschke schon im Februar 1966 erste Überlegungen zu einem Guerillakonzept in den Metropolen angestellt hatte. Damit zeugt nicht erst das berühmte Organisationsreferat, das er mit Hans-Jürgen Krahl 1967 vorlegte und in dem die GenossInnen dazu aufgerufen wurden, „Guerilla-Mentalität“ zu entwickeln, von der nicht-pazifistischen Haltung des Studentenführers. Dass Dutschke ein Feind der RAF blieb, stellt Kraushaar ebenso heraus wie seine unzeitgemäße Parteinahme für Israel. Deutlich soll aber auch werden: Konzepte der Gewaltanwendung sind nicht Ergebnis des Zerfallsprozesses der Studierendenbewegung, sondern bereits vor ihrem Höhepunkt angelegt – und somit auch nicht allein als Reaktion auf staatliche Repression zu erklären.

Obwohl sie sich gerade gegen die allgemein verbreitete These wehren, die RAF sei ein Splitterprodukt der 68er-Bewegung gewesen, gehören alle drei Pamphlete doch eindeutig in die Reihe der Abrechnungsliteratur mit dem Denken und Handeln von ’68. Denn die gesamte bundesdeutsche Linke steht, zumindest in den Texten von Wieland und Reemtsma, auf der Anklagebank: Mit ihrer gar nicht so klammheimlichen Sympathie für den Terrorismus der RAF trage sie letztlich auch die Schuld für die Gewaltexzesse einer kleinen Minderheit. Dass Reemtsma seine Argumentation ausgerechnet am Beispiel des Friedensaktivisten und linksliberalen Psychoanalytikers Horst-Eberhard Richter vorführt, verrät wohl mehr über die Gründlichkeit seines Abgrenzungsbedürfnisses als über die Plausibilität seiner These. Wer die RAF verstehen will, müsse die „Lebensform“ (114) der Stadtguerilleros verstehen. Und diese sei nicht etwa, wie gemeinhin angenommen, einem Ohnmachtsgefühl entsprungen, sondern habe aus Macht und Gewalt bestanden. Bei der Lebensform der RAF habe es sich um eine gehandelt, „die Machterfahrungen mit sich brachte wie keine andere“ (113). Abgesehen davon, dass zwischen der wohl von vielen geteilten Motivation, sich der RAF anzuschließen, und den sich später innerhalb der Gruppe entwickelnden Dynamiken nicht mehr unterschieden wird – hier steht tatsächlich „wie keine andere“, und das ist ernst gemeint. Dass SozialdemokratInnen die angesichts der permanenten und von konkreten Anlässen unabhängigen Verbesserungen von Sicherheitstechnologien nach wie vor skurrile These vertreten, die RAF habe Stammheim gebaut, ist ja nichts Neues. Für Reemtsma aber ist das Hochsicherheitsgefängnis eine Art Schloss, von dem die TerroristInnen wie Könige ihre Macht genossen. Und so wird die Geschichte der Neuen Linken nach 1968 die eines Hofstaates, dessen Zusammenhalt vor allem durch eines gewährleistet wurde: „es ist wohl ein gemeinsames Verleugnen – und eine geleugnete Gemeinsamkeit im Verleugnen – der Macht“ (110).

Dass Reemtsma seine zentralen Begriffe – Macht und Gewalt – dabei mit keinem Wort näher definiert, ist im Grunde egal. Es geht ihm nämlich gerade nicht um das Verständnis eines Lebensgefühls, sondern um dessen Abkanzelung, und zwar auf allen Ebenen. Und dafür ist es natürlich ganz praktisch, wenn zwischen beispielsweise der Ermordung von Repräsentanten aus Staat und Wirtschaft, dem Vietnamkrieg und einer pädagogisch gemeinten Ohrfeige nicht unterschieden werden muss. Alles Gewalt. Leider steht Reemtsma mit dieser von sozialen, politischen, historischen und den meisten anderen Spezifizierungen des Gewaltbegriffes absehenden Verwendung nicht alleine da. In den Sozialwissenschaften hat sich in den letzten Jahren um Wolfgang Sofsky und Trutz von Trotha ein Diskurs etabliert, der „Gewalt“ weder als soziale Konstruktion bestimmt noch aus sozialen Verhältnissen heraus erklärt, sondern als anthropologische Konstante ausmacht. Und auch politisch gesehen ist Reemtsma keinesfalls ein einsamer Rufer. Er reiht sich ein in die große Riege von Ex-Linken, die sich nicht zuletzt ihre eigene Vergangenheit vom Hals schreiben. Die Interpretation von 1968 ist da einer der beliebtesten Gegenstände. Das Schlimmste daran ist eigentlich – neben vielen anderen Ärgernissen – die Umdeutung der Geschichte. Schon in Gerd Koenens Geschichte der K-Gruppen, aus der in dem vorliegenden Band gerne zitiert wird, erscheint die Revolte von 1968 als das Ausflippen von ein paar Narzissten mit paranoider Selbst- und Weltwahrnehmung. Nazis in Führungspositionen, autoritäre Strukturen in Familie, Schule und Hochschule, die letzten Gefechte des Kolonialismus, all das waren nur Phantasmen von ein paar Leuten, die zu viel gelesen hatten. Auch Karin Wieland geht davon aus, dass die politische und soziale Modernisierung ohnehin „im Sinne von Demokratisierung“ (64) voranschritt, nicht etwa durch soziale Kämpfe, sondern einfach so. Und währenddessen hatten ein paar gefährliche Knallköpfe nichts besseres zu tun, als sich aus dem Nichts heraus mit den Opfern ihrer Eltern zu identifizieren: „Meinhof, die als junge Frau durch eine Sophie-Scholl-Frisur zu beeindrucken wusste, mobilisierte mit ihrem Opferneid eine breite Unterstützerszene.“ (96) Nicht etwa die Inhalte ihrer Kolumnen in konkret, wie bislang vermutet, waren entscheidend für Meinhofs Überzeugungskraft, sondern das outfit. Mag sein, dass auch die Stilgeschichte der RAF bisher zu wenig beachtet worden ist. Für Wieland allerdings ist überhaupt alles nur eine Frage des Stils. Die ganze Bewegung, die die Revolution „nur aus Büchern“ kannte, sehnte sich nach „Inszenierung ihrer eigenen Heldenzeit“ (63) und übersah dabei schlicht, wie super alles war: „Rückblickend gewinnt man den Eindruck, als habe diese Generation alles unternommen, um zu vertuschen, dass sie zu den großen Gewinnern der Bundesrepublik gehörte.“ (63) Andreas Baader, gegen den Wieland in ihrem Essay anschreibt, mag ein gewaltbesessener Aufschneider gewesen sein. Und die RAF war sicherlich eine Gruppe von Leuten, die aus mangelndem Bezug zu ihren Ursprüngen wie auch zunehmend zur übrigen Wirklichkeit das Morden zum Programm erhob. Daraus aber abzuleiten, die 1960er Jahre seien eine quasi paradiesische Zeit und – in Umkehrung der Mao-Losung – Rebellion sei alles andere als gerechtfertigt gewesen, ist nichts anderes als ein politisches Statement. Und das von Leuten, die – bei Kraushaar mit Einschränkungen – dem Aufbruch von 1968 im Grunde jeden politischen Inhalt absprechen. Wer die RAF verstehen will, erfährt in diesem Buch jedenfalls nichts, was relevant und neu wäre. Wer verstehen will, wie mit der Geschichte der Neuen Linken abgerechnet wird, schon.