Vom 6. bis 8. Juli 2005 treffen sich die Regierungen der acht "bedeutendsten Wirtschaftsnationen" zum G8-Gipfel in einem schottischen Hochland-Hotel. Die Highlands, bekannt für ihr raues Klima und eine beeindruckende Landschaft, werden deshalb in diesem Sommer zum Ziel tausender Bergwanderfans werden. Ein Ergebnis der Globalisierung, angesichts dessen das Scottish Tourist Board "not amused" ist.
Doch schauen wir, bevor wir uns auf den langen Weg hinauf zur Heimat von Macbeth und Highlander machen, noch einmal zurück in die englische Ebene: Vor 15 Jahren hielten die G7 ihr Treffen schon einmal auf der britischen Insel ab, direkt in der City von London. Dieses Treffen, mitten in einer der größten Städte der Welt, fand damals ohne besondere Vorkommnisse statt. „Rote Zonen“, wie Sperrgebiete jetzt heißen, gab es nicht.
Und heute? Ungemütliche Aussichten für die Regierungschefs, die sich auf ein paar Tage im noblen Gleneagles-Hotel gefreut hatten: Sich in Ledersesseln am flackernden Kaminfeuer Gruselgeschichten aus der Dritten Welt erzählen, Whisky – je nach Geschmack gerührt oder geschüttelt – trinken und zwischendurch eine gepflegte Partie Golf; so schön hätte es werden können. Doch seit London hat sich viel geändert in der Welt. Wo immer sich der inzwischen zum G8 gewachsene feine Club trifft, stößt er auf Undank. Mehr noch, eine ganze Bewegung ist ihm dicht auf den Fersen und will ihm ans Leder.
Der Mob, der da – wie einst bei Macbeth der Wald von Birnam – über die schottischen Hügel naht, hat eigentlich keinen Namen. Über die letzten Jahre hat sich eine Bewegung herausgebildet, die ursprünglich unscharf als „Anti-Globalisierungs-Bewegung“, später etwas verständnisvoller, aber gleichzeitig schon leicht vereinnahmend als „globalisierungskritisch“ bezeichnet wurde. Nun ist dies zwar nicht die erste Bewegung, die sich über nationale Grenzen hinweg organisiert, und doch hat sie ein neues Element, das gerade in der Schwierigkeit, ihr einen Namen zu geben, deutlich wird: Sie lässt sich nicht auf eine Identität festlegen. „Ein wichtiger Teil des zapatistischen Kampfes“, sagt John Holloway, „bestand darin, (…) Definitionen zu unterlaufen bzw. zu überfliegen, indem sie sagten: Ja, wir sind indigen, aber wir sind mehr als das, unser Kampf ist für die Menschheit bzw. Menschlichkeit.“ (1)
Das Empire schlägt zurück
Mit den Protesten in Genua im Sommer 2001, den viele als „Summer of Resistance“ (Sommer des Widerstandes) in Erinnerung haben, erreichte – zumindest für Europa – die Konfrontation der Bewegung mit dem Staat einen Höhepunkt. Im Vorfeld wurde durch die italienische Berlusconi-Regierung die Stimmung gegen die DemonstrantInnen aufgeheizt; der quasi militärisch agierenden Staatsmacht stand eine bisher so nie gesehene Vielfalt an Protestierenden gegenüber. (2) Nach den Erfahrungen von Genua hatte „Widerstand“ etwas von seiner Leichtigkeit eingebüsst. Die RepräsentantInnen des Empire hatten für einen Augenblick gezeigt, dass sie eine „Machtfrage“ nicht zulassen würden. „Die No-Globals sind so global, wie man nur global sein kann. Sie sind innovativ, vernetzt, militant, stark. Isolierten Widerstand gegen Unterdrückung gab es immer wieder (…), jetzt erleben wir, zum ersten Mal seit 1968!, wie ein Kampf den nächsten nach sich zieht, es entsteht ein Zyklus von Kämpfen, von Seattle über Genua und weiter. Darum sind sie gefährlich. Die Mächtigen haben das begriffen.“ (3)
Auf dem Weg zu einer Alternative zum bestehenden System haben sich in den letzten Jahren zwei Entwicklungen in der Bewegung herausgebildet: zum einen die Ansätze der Selbstorganisation, von den intergalaktischen Treffen der Zapatistas bis zu den diversen Sozialforen in Porto Alegre, Mumbai, Paris und London sowie den vielen lokalen Foren und Konferenzen. In ihrer Vielfalt und ihrem radikalen Anspruch an eine Umgestaltung der Welt unterscheiden sie sich zwar von vielen vergleichbaren früheren Versuchen; trotzdem scheinen sie mit jeder – größer werdenden – Konferenz mehr gegen Vereinnahmung kämpfen zu müssen. Parallel dazu entfaltete sich der „Zyklus von Kämpfen“, also von Protesten überall dort, wo die selbsternannten Mächtigen sich symbolisch angreifen ließen: in Seattle, Prag, Evian oder Cancun.
Der G8-Gipfel in Genua wurde auch deshalb zum Kristallisationspunkt, mehr noch als zuvor die WTO- (4) und Weltbank-Treffen, weil das Treffen der Regierungen, die sich selbst den prahlerischen Titel „wirtschaftlich bedeutendste Staaten“ gegeben haben, mehr ist als eine bloße Konferenz. „Die Führer (…) scheinen irgendwie losgelöst von den Veränderungen, die um sie herum stattfinden,“ schrieben Michael Hardt und Antonio Negri zum G8-Treffen in der italienischen Renaissance-Stadt Genua. „Ein König, unterstützt von niedrigeren Monarchen.
Das ist kein Bild der Zukunft. Es ist eher ein Foto aus dem Archiv…“ (5) Die G8, die sich auf ihre wirtschaftliche Stärke berufen, um ihren umfassenden Machtanspruch zu rechtfertigen, sind die damit deutlichste Repräsentanz dessen, was Hardt und Negri als „Empire“ (6) bezeichnen.
Der „Zyklus der Kämpfe“ ist nach Genua nicht abgerissen, auch wenn die Proteste während der WTO-Konferenz in Cancun in Europa weniger wahrgenommen wurden. Genua ging auch nicht spurlos am Club der Acht vorüber: Konnten sie in Köln 1999 noch vor dem Dom posieren oder es in Genua wagen, im Hafen anzulegen, zog sich das Treffen in der Folge der Proteste in kleine Orte oder unwegsames Gelände zurück, sei es ins schlecht erreichbare Evian, auf Inseln weitab von jeder großen Stadt oder, wie jetzt, ins abgelegene schottische Hochland.
Mit dem Rückzug aus den Metropolen änderte sich auch die vorgebliche Thematik der Gipfel: Statt „Liberalisierung“ und „eigenen Interessen“ steht heute „Entschuldung der armen Staaten“ auf der Gipfel-Agenda. Der Sprachduktus der G8-Gruppe nähert sich in vielen Teilen den Flugblättern der NGOs (7), selbstverständlich ohne Folgen für die Politik. Die Mainstream-Presse ist voll von teils lobenden Kommentaren wie „erstaunlicherweise auf der Agenda“ oder „Zugeständnissen“. Tony Blair, nicht berühmt für seine sozial engagierte Politik, hat durchgesetzt, „Afrika“ und „Klimawandel“ als Schwerpunkte für den kommenden Gipfel festzuschreiben. „Greenwash (Grünwaschen)“, eine dreckige Politik durch sprachliche Kunstfertigkeit zu säubern, wird dies im englischsprachigen Raum genannt.
„oh! ye’ll take the high road and I’ll take the low road and I’ll be in Scotland afore ye.“ (16)
Farbenlehre
Die Mobilisierung gegen das G8-Treffen in Schottland wird im Wesentlichen von drei Gruppen getragen. Unter dem Motto „Make Poverty History (Armut zur Geschichte machen)“ mobilisiert eines der größten Bündnisse von NGOs, das es je gegeben hat, zu einer Demonstration für Schuldenerlass und Armutsbekämpfung nach Edinburgh am Samstag vor Beginn des G8-Gipfels. Medien und OrganisatorInnen rechnen mit über 100.000 Menschen. (8)
Gleichzeitig scheint es Sorge der Medien zu sein, dass diese Demonstration zu „Zuständen wie in Genua“ führen könnte, wenn sich „Anarchisten und andere“ unter den Protestmarsch mischten. Eine Angst, die von einigen der NGOs geteilt wird. Dementsprechend gibt es zwischen den Organisationen dieses Bündnisses und den Gruppen, die eine „Verhinderung des G8-Gipfels“ fordern, wenig Austausch. Die eher allgemein gehaltenen politischen Forderungen veranlassten jetzt sogar den britischen Schatzkanzler Gordon Brown, dazu aufzurufen, sich „in Edinburgh zu versammeln und sich für eine Bekämpfung der Armut einzusetzen“. Ob sich die NGOs gegen diese Versuche der „Assimilierung“ wehren können (oder wollen), wird sich zeigen müssen.
Das unter dem Namen „G8 Alternatives (G8-Alternativen, G8A)“ agierende Bündnis organisiert sich weitgehend in Schottland selbst und ist zur Zeit ein gern gesehener Ansprechpartner der Medien. Teile der Gewerkschaftslinken und die SCND (Scottish Campaign for Nuclear Disarmament), aber auch verschiedene von der Socialist Workers Party (SWP) dominierte Organisationen wie „Globalize Resistance“ sind dort vertreten.
Die G8A planen zur Zeit eine Großdemonstration an der Bahnstation in Gleneagles, wenige Kilometer vom Hotel entfernt. Leider ist der Einfluss der trotzkistischen SWP in dem Bündnis nicht unbedeutend; KritikerInnen werfen dem Bündnis, speziell der SWP, vor, nach außen hin basisdemokratisch aufzutreten, in Wirklichkeit aber alle wesentlichen Entscheidungen hinter verschlossenen Türen zu treffen und damit die schlechten Erfahrungen des Europäischen Sozialforums in London fortzusetzen. (9) Trotzdem gibt es, wie ein Blick in das G8A-Internetforum zeigt, eine gewisse Offenheit gegenüber den „Anarchisten“. Der Anarcho-Syndikalismus wird dort ausdrücklich als eine der „Alternativen“ aufgeführt.
Kommen wir nun also zu den Menschen, die in der britischen Presse schlicht „die Anarchisten“ genannt werden: Unter dem Namen „Dissent!Network“ hat sich in den letzten zwei Jahren ein Netzwerk gebildet, dem freie Gruppen angehören, von denen sich viele als „anarchistisch“, alle aber als basisdemokratisch verstehen. Als gemeinsame Grundlage haben sich die Gruppen auf die PGA-Hallmarks (10), die Grundsätze von Peoples‘ Global Action, verständigt. Es gibt keine feste Organisation oder Struktur, auch keine SprecherInnen. Oder wie es in einer gemeinsamen Erklärung heißt: „Wer im Namen des Netzwerkes spricht, der lügt.“ Wie der Name Dissent! unschwer erraten lässt, geht es um grundsätzliche Kritik am G8-Treffen. Ziel ist es dabei nicht nur, eine Massenmobilisierung zu der ein oder anderen Aktion zu erreichen. Vielmehr „soll mit anderen Menschen aus Europa und der ganzen Welt zusammengearbeitet und diskutiert werden, um zu entscheiden, was wir – als eine globale Bewegung – aus dieser Bewegung machen wollen.“ (11) Obwohl gerade die Gruppen des Dissent!-Netzwerkes schlechte Erfahrungen mit der SWP gemacht haben, findet zwischen Dissent! und Teilen der G8 Alternatives ein Austausch statt. Wie viele Gruppen und Einzelpersonen sich dem Netzwerk angeschlossen haben, das sich inzwischen auf ganz Europa erstreckt, ist kaum einzuschätzen. Das Spektrum reicht von MigrantInnen bis zu Anarcho-ChristInnen. Auffallend ist der hohe Anteil an Gruppen, die sich selbst als „anarchistisch“ oder „libertär“ bezeichnen. Insofern liegt die Presse mit ihrem Prädikat „anarchistisch“ sogar ungewollt richtig.
Die Vorbereitungen von Dissent! sind der britischen Presse nicht selten reißerische Artikel wert. So konstatierte der Sunday Herald, dass „einige der entschlossensten Demonstranten der Welt hier versammelt sind.“ (13) Der als einigermaßen seriös bekannte „Scotsman“ meint, in den offen angekündigten Vernetzungstreffen anarchistische „Top-Level Meetings“ und in Schottland „geheime Ausbildungslager für Anarchisten“ (14) erkannt zu haben. Aus dem Dissent!-Netzwerk sind eine Fülle von Ideen und Pläne von direkten Aktionen hervorgegangen.
„Stellen wir uns die Schlagzeile vor: Die Polizei warnt, dass AnarchistInnen in die Stadt kommen und Kaffee für umsonst anbieten.“ (12)
Die Hillwalking (Bergwander)-Gruppen, die sich das Ziel gesetzt haben, Gleneagles über die Highlands zu erreichen, die Blockade-Gruppen und nicht zuletzt die PGA(sic!), die „Peoples‘ Golfing Association“, die sich mehr oder weniger golfspielend dem Hotel (dem „neunzehnten Loch“!) nähern will. Ergänzt werden die Aktionen vor Ort durch weltweite Aktionstage.
Nicht zu vergessen die bereits angekündigten „Pies“ (Kuchen)-Attacken auf die im Vorfeld stattfindenden Ministertreffen. Um eine Hierarchie der Aktionen zu vermeiden, verzichtet Dissent! bewusst darauf, selbst zu einer bestimmten Aktion oder zu Demonstration aufzurufen. Stattdessen stellt Dissent! allen AktivistInnen, egal ob Teil des Netzwerkes oder nicht, Infrastruktur, rechtliche Unterstützung und Kommunikationsmittel rund um die Proteste zur Verfügung. Eine mehrwöchige Fahrradkarawane von Südengland bis Schottland oder die seit langem durchs Land tourende T.R.A.P.E.S.E -Roadshow ergänzen die Mobilisierung, genauso wie das für April geplante „Dissent-Festival“ in Lanark (Südschottland).
Ob die NGOs, die G8 Alternatives und Dissent! zu einer gemeinsamen Sprache des Protests finden, vielleicht sogar voneinander lernen, wird sich wohl erst während des Gipfels zeigen. Bei allen Differenzen gibt es aber kleine Zeichen der Hoffnung, dass sich die Gruppen nicht spalten lassen werden: Bisher respektieren alle Beteiligten die angekündigten Aktionen der anderen.
Die anarchistischen Weltuntergangs-Szenarien in der britischen Presse spiegeln sich auch in der Sicherheitsdiskussion: Die Rede ist von „no go areas“, also „roten Zonen“ in den Highlands und Edinburgh, und Ausweispflicht für die AnwohnerInnen. Für die personalausweislosen BritInnen ist das ein Skandal. Für die Auftaktdemo sind – unbekannt bisher in Großbritannien – „Container als Gefangenensammelstellen“ geplant. Für MitteleuropäerInnen klingt die Diskussion etwas seltsam, ob die Polizei Wasserwerfer einsetzen sollte oder nicht. Bisher hat es solche auf den britischen Inseln nicht gegeben. Und auch wenn die Ankündigung, es sei mit „10.000 Polizisten der größte Einsatz der neueren britischen Geschichte“ (15) geplant, für Menschen mit Erfahrungen aus dem Wendland oder Berlin etwas provinziell anmuten mag, sollte man sicht nicht täuschen: Der Gipfel wird militärisch abgeschirmt, und der Staat wird sein Bestes tun, die Rechte der DemonstrantInnen zu beschneiden, wo es nur geht. Der ganze Aufwand macht aber auch deutlich, dass aus dem einstigen schottischen Stolz, Gastgeber des G8 zu sein, eine zweifelhafte Ehre geworden ist.
„Right To Roam“ als „Recht auf Protest“
Apropos Bergwandern. Die Aktionsform des „Hillwalking“ hat in Schottland nicht nur für Wanderfans ihren Reiz, sondern verweist ironischer Weise auf eine lokale Diskussion: Seit langem findet in Schottland eine intensive Auseinandersetzung über das „Right to Roam“ statt, eine Art Gewohnheitsrecht darauf, beim Wandern privates Gelände überqueren zu dürfen. Historisch sollte eine scharfe Gesetzgebung in Schottland verhindern, dass Farmer, die während der „Higland Clearances“ vertrieben wurden, wieder auf ihre Ländereien zurückkehren. Wenn nun DemonstrantInnen das Recht auf „roaming“, also „umherziehen“, für sich beanspruchen, bzw. ihnen dies verwehrt werden sollte, könnte dies in Schottland eine interessante Debatte über „öffentlichen Raum“ auslösen.
Bewegung heißt „sich bewegen können“
Mit dem Slogan „We are everywhere“ (Wir sind überall), d.h. den G8 zu ihren Treffen überall hin in der Welt zu folgen oder schon dort zu sein, formuliert der Protest gleichzeitig Ziel und Anspruch einer weltweiten Bewegung: Das Recht, sich überall zu bewegen und zu organisieren, sich über alle Grenzen zu vernetzen. Dazu gehört, dass das Recht, sich zum Protest zusammenzufinden, erkämpft werden muss.
Seitdem Bundesinnenminister Schily 2001 sein Machtwort „Es gibt kein Grundrecht auf Ausreise“ verkündete, um die Anreise zu den Protesten zu unterbinden, ist klar, dass die Organisation von grenzüberschreitenden Protesten ein eigener sozialer Kampf geworden ist. So sind im Vorfeld des Gipfels Protestaktionen beiderseits des Kanals geplant: Die für Dover-Calais angedachten Aktionen sind ein wichtiger Hinweis darauf, dass „Bewegungsfreiheit“ eine Vorbedingung zum gemeinsamen Protest ist und für viele Menschen nicht selbstverständlich. Es ist zu hoffen, dass die NGOs, die zur Auftaktdemo nach Edinburgh mobilisieren, dies nicht aus dem Blick verlieren und sich an den Aktionen dazu beteiligen.
Bei allen Verschiedenheiten der Anliegen sind die Anzeichen für ein „wir“, ein „gemeinsam“ in den Protesten unübersehbar. Die große MigrantInnen-Demonstration in Genua, bei der sich unter dem Slogan „tutti siamo clandestini“ – „Wir sind alle Illegale“ – Zehntausende mit den Kämpfen der illegalisierten Flüchtlinge solidarisierten, war ein eindrucksvolles Beispiel dafür. Natürlich haben die einzelnen Menschen, die sich zu den Protesten zusammenfinden, verschiedene Anliegen: sei es Armut, die Rechte für MigrantInnen, Umwelt oder prekäre Arbeit. Gleichzeitig besteht aber die Entschlossenheit, sich aufeinander zu beziehen und nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Es ist schon etwas ironisch, dass das G8-Treffen selbst für eine thematische Ausweitung der Gegenbewegung sorgt, in dem es z.B. „Klima“ neben „Weltwirtschaft“ auf die Tagesordnung bringt.
Auch wenn die Gemeinsamkeit oft nicht über ein „Dagegen-sein“(Hardt/Negri) hinausgeht. Es ist dieses unverhandelbare „Dagegen“, dass das Besondere dieser Bewegung ausmacht, der grundsätzliche Dissenz, ohne eine erfüllbare Forderung zu stellen: „Es ist dieser undefinierte Kampf, mit dem das Kapital nicht umgehen kann, weil es ihn nicht integrieren kann, es kann noch nicht einmal vorgeben, seine Forderungen zu erfüllen.“ (17)
Temporäre Räume schaffen
Hier wird deutlich, dass die Gegenüberstellung, die oft das „Gipfelhopping“ und „den Mächtigen hinterher rennen“ kritisiert und in den Kontrast zum „Konstruktiven“ der Sozialforen stellt, ein nicht zutreffendes Klischee bedient: Nicht nur politische Fragen wie das Recht, Grenzen zu überschreiten und sich weltweit zu organisieren, wurden erst durch die Proteste aufgeworfen. Durch die Erfahrung des „gemeinsamen Kampfes“, und damit ist nicht eine Verherrlichung des Kampfbegriffs gemeint, sondern die gemeinsam unternommene Anstrengung, sich selbst, frei von staatlich verordneten Kategorien wie Nationalität, zu organisieren; auch und vor allem gegen den Druck von außen.
Projekte wie Indymedia und das Bewusstsein, wie wichtig eine selbstorganisierte und ungehinderte Kommunikation überhaupt ist, entstanden aus dieser Erfahrung und der Notwendigkeit, politische Kämpfe sichtbar zu machen und weltweit aufeinander zu beziehen.
„Ich denke, dass diese Bewegungen bewaffnet sein müssen – bewaffnet mit gutem Willen, mit der Fähigkeit und der Intelligenz des Respekts.“ (19)
Dass diese Bewegung keine klare Forderung stellt und quasi „ziellos“ scheint, ist ihre Stärke. Die Absage weiter Teile des Protests daran, die Macht zu wollen und die Herrschenden durch andere zu ersetzen, ja, nicht einmal eine starke Gegenmacht aufbauen zu wollen, könnte immer mehr ihr Vorteil werden: „Wenn ich sage, dass wir vielleicht überlegen sollten, nicht auf Organisationen beschränkt zu kämpfen, sondern an Ereignissen orientiert, so meine ich nicht, dass Organisieren nicht wichtig wäre. Offensichtlich könnten diese Ereignisse ohne Organisation gar nicht stattfinden, ebenso wie jede gute Party Organisation benötigt.
Aber die Organisation ist nicht der Zweck des Ereignisses.“ (18) Warum sollte nicht auch mal eine Bergtour in Schottland zu einem solchen Ereignis werden?
(1) "Die Welt verändern, ohne die Macht zu ergreifen", Interview mit John Holloway, in: GWR Nr. 283, November 2003
(2) Vgl. dazu auch den Text der Aktivistin Starhawk: "Nach Genua die richtigen Fragen stellen" www.starhawk.org, August 2001
(3) Antonio Negri in "Tokyo wird nie bombardiert", Interview in der Hamburger Woche, 2002
(4) World Trade Organisation, Welthandelsorganisation
(5) Hardt/Negri: "What The Protesters in Genoa Want", New York Times, 2001
(6) "Empire" ist für Hardt/Negri mehr als die Macht imperialistischer Regierungen: "Das Empire expandiert rasch, schließt zunehmend die ganze Realität der Welt ein. (...) Sein dezentralisierter Apparat unterwirft alles und alle seinen Regeln und Werten. Das Empire ist die globale Form der Souveränität." Da der Kontrollanspruch des Empires total ist, geht auch der Widerstand dagegen weit über das, was der alte Begriff der "Arbeiterklasse" bezeichnet, hinaus.
(7) Non Governmental Organisation (Nicht-Regierungs-Organisation)
(8) Die Kampagnenseite whiteband.org führt u.a. Oxfam International, Attac, Caritas Internationalis, Terre des Hommes und World Vision International, um nur einige bekannte Namen zu nennen, als Unterstützer.
(9) Die SWP (Socialist Workers Party) ist eine autoritär organisierte trotzkistische Partei. Sie distanziert sich offen von AnarchistInnen und wendet sich immer wieder, obwohl sie gerne selbst zu "Aktionen" aufruft, gegen direkte Aktionen. In diesem Zusammenhang sehen viele ihr Engagement innerhalb der G8 Alternatives, die sie versuchen, als Plattform zu (be)nutzen, sehr kritisch.
(10) Die PGA-Hallmarks finden sich unter www.dissent.org.uk/content/view/4/2/
(11) Aus einer Selbstdarstellung von "Dissent!"
(12) Luther Blisset zum G8-Protest in "Unser sogenannter geheimer Plan", Beitrag auf der Dissent Mailingliste, November 2004
(13) Sunday Herald: "Anarchy at the G8", 20. Februar 2005. Im Original; "some of the world's most determined demonstrators".
(14) The Scotsman: "Protestors trained at secret camp to target Gleneagles summit", Dezember 2004 und "Anarchists put chaos on agenda for summit", 10. März 2005.
(15) Sunday Herald, a.a.O.
(16) Traditionelles schottisches Lied
(17) "Die Welt verändern, ohne die Macht zu ergreifen", Interview mit John Holloway, a.a.O.
(18) Ebd.
(19) Antonio Negri in "Tokyo wird nie bombardiert", a.a.O.
Dissent! in Deutschland
In Deutschland haben sich verschiedene Gruppen dem Dissent!-Netzwerk angeschlossen. Für die Monate April bis Juni ist eine Info-Tour durch mehr als 30 Städte geplant. Am 9. und 10. April findet ein bundesweites Vorbereitungstreffen in Mannheim statt. Im Sommer 2007 soll der G8-Gipfel übrigens nach Deutschland kommen. Nach dem momentanen Planungsstand wollen sich die Regierungen dann in einem Hotel im Ostseebad Heiligendamm treffen.
de.dissent.org.uk (deutschsprachige Dissent!-Seite)