concert for anarchy

Flüchtlingsschutz ist hip!

Pro-Asyl-Sampler "On the Run" spaltet die Szene - künstlerisch und politisch

| Claudius Voigt

Der gemeine Flüchtlingsunterstützer trägt beige-graue Breitcordhosen und ebensolches, schütteres Haar, der einzige Farbtupfer ist in der Regel ein selbstgebatiktes, regenbogenfarbenes Seidentuch.

Der gemeine Flüchtlingsunterstützer ist seit 35 Jahren Stammgast bei sämtlichen evangelischen Kirchentagen – genau seit dem Zeitpunkt, seit dem er sich auch täglich anderthalb Stunden der Lektüre der Frankfurter Rundschau widmet. Der gemeine Flüchtlingsunterstützer ist ebenso betroffen wie wütend darüber, dass alles immer schlimmer wird. Der gemeine Flüchtlingsunterstützer ertränkt seit 35 Jahren seine Wut in trockenem Rotwein aus einem ökologisch wirtschaftenden, familiär geführten Weingut in Südfrankreich und seine Betroffenheit in fadem, weil selbstverständlich nicht aromatisierten Rooibuschtee von der GEPA. Der gemeine Flüchtlingsunterstützer hört dazu üblicherweise Konstantin Wecker, weil der sich so erfrischend ungeschminkt zu persönlichen Fehlern bekennt, und Franz-Josef Degenhardt, weil der noch nie Fehler gemacht hat.

Das ist doch alles ziemlich uncool, hat sich jüngst Pro Asyl gedacht.

Man müsste doch mal endlich was machen, damit auch die Jugend merkt, dass Flüchtlingsunterstützung in Wirklichkeit hip, sexy und total knorke ist. Also hat Pro Asyl gemeinsam mit der Produktionsfirma der Toten Hosen eine Schallplatte aufgenommen – oder wie das jetzt auf neudeutsch heißt: eine Diskette. Oder so. Herausgekommen ist jedenfalls eine Benefiz-Scheibe, von der die Rotwein trinkenden, beige-grau bekleideten und Degenhardt hörenden Pro-Asyl-Vorstandsmitglieder glauben, dass sie auch auf der diesjährigen Abi-Feier des durchschnittlichen linksliberalen Gymnasiums einer beliebigen deutschen Großstadt rauf und runter gespielt werden könnte. Also: Die Toten Hosen, Mousse T., Sportfreunde Stiller, Paul van Dyk, Rosenstolz, Biermösl Blosn, Mia.

Mia? Sind das nicht die, die jetzt auch wieder stolz sein können auf Deutschland? Die finden: „Fragt man mich jetzt woher ich komme / tu ich mir nicht mehr selber leid / (…) / Wohin es geht, das woll’n wir wissen und betreten neues deutsches Land“? Was wiederum zum Beispiel das NPD-Blatt „Deutsche Stimme“ ausgesprochen cool findet.

„Wenn auch noch von keinem nennenswerten Einfluss einer Neuen Rechten oder der nationalen Opposition auf die Popkultur die Rede sein kann, so ist dort doch Deutschsein vom Nachteil zum Mehrwert geworden“, analysiert das Innere Organ für den pseudo-intellektuellen Rassisten. Aber was suchen Mia dann auf einem Sampler von Pro Asyl?

„Mit der Planung des CD-Projekts sind wir seit fast zwei Jahren beschäftigt“, sagt Pro-Asyl-Mitarbeiterin Nicole Viusa. „Zu diesem Zeitpunkt wurde die Diskussion über mögliche ,rechte‘ Inhalte der Musik von Mia noch nicht öffentlich geführt.

Mia fand unser Projekt toll und war eine der ersten Bands, die zugesagt hatten, ein Lied zu spenden.“ Nach den anschließenden kontroversen Diskussionen ist Pro Asyl zu dem Schluss gekommen: Mia sollen auf dem Sampler bleiben. Nicht zuletzt wegen der Statements, in denen die Bandmitglieder Stellung nehmen zu den Nationalismus-Vorwürfen: „es gibt keine schlussstriche in der geschichte. unsere vergangenheit ist schwer belastet. sie wird es auch bleiben“, erklärt etwa Trommler Gunnar in linksradikaler Kleinschreibung. „es gibt leute, denen ,frische spuren in den weissen sand‘ gereicht haben, uns geschichtsblindheit zu unterstellen.“ Und Nhoah, Mittexter des umstrittenen Songs, schreibt: „das lied ,was es ist‘, welches im zeichen der stimmung der deutschen anfang 2003, sich massiv gegen den irakkrieg auszusprechen, entstanden ist, hat gesagt: liebe, respekt, toleranz und mut. wie verträgt sich denn der vorwurf von nationalismus mit toleranz? er schließt sich doch eindeutig aus!“

Warum Mia sich bemüßigt fühlen, der Auseinandersetzung mit nationaler Identität eine so zentrale Rolle einzuräumen, bleibt jedoch weiterhin im Dunkeln. Alle Antworten der Bandmitglieder auf diese Frage bleiben dermaßen verschwurbelt, dass es für rational denkende Leser faktisch unmöglich ist, den künstlerischen Intentionen zu folgen. Aber das gilt im Übrigen nicht nur für das Thema Deutschland – Mia scheinen grundsätzlich eine etwas verschwurbelte Denkstruktur zu haben.

Kostprobe aus einem Interview mit Sängerin Mieze auf der Band-Homepage:

Frage: „Was bedeutet es für dich, deutsch zu sein?“
Antwort: „Ich hab nichts zu meinem Deutschsein dazugetan, ich bin es einfach, und ich lerne gerade, es zu sein ohne Stolz und ohne Scham.“
Frage: „Was hast du in letzter Zeit intensiv erfahren?“
Antwort: „Die Macht des Geistes.“
Frage: „Welches andere Leben würdest du gern mal ausprobieren?“
Antwort: „Ich lebe erstmal dieses Abenteuer, bevor ich als singendes Aboriginimädchen, ausgerüstet mit Aboriginizauber, durch die Wüste ziehe.“

„Es ist was es ist: Saudämlich“, urteilte einmal die taz über den umstrittenen Liedtext. Diese Einschätzung trifft ganz offensichtlich nicht nur darauf zu. Ob allerdings die große Nationalismuskeule die angemessene Antwort auf solch saudämliches Geblubber ist, darf trotz allem bezweifelt werden…

Aber zurück zu der Pro-Asyl-Schallplatte: „On the Run“ heißt sie, was wohl soviel heißt wie „Auf dem Sprung“. Auf dem Cover erkennt der interessierte Betrachter einen unrasierten Berliner Autonomen mit schwarzer H+M-Mütze, außerhalb des sichtbaren Bildausschnitts verborgen Bolzenschneider und Hakenkralle haltend, die revolutionär funkelnden Augen durch den Stacheldraht düster-entschlossen auf den flutlicht-gleißenden Castor-Verladebahnhof Dannenberg-Ost gerichtet. Zugegeben: Mit viel Fantasie kann man in dem jungen Mann auch einen bedauernswerten südosteuropäischen Armutsflüchtling ausmachen, der verklärt und verbittert durch den eisernen Vorhang der Festung Europa in Richtung kapitalistische Metropole blickt, die so nah und doch so unerreichbar vor ihm liegt, und vermutlich darüber sinniert, wie er jetzt noch an ein falsches deutsches Touristenvisum kommen kann.

Wie dem auch sei, das wird wohl das Geheimnis des Fotokünstlers bleiben. Und es kommt schließlich auf den Inhalt einer Schallplatte an und nicht auf ihre Verpackung. Und der ist: gar nicht schlecht. Neben ein paar mäßigen bis peinlichen Stücken von Klee, Patrice & Laygwan Sharkie, Italo Reno & Germany feat. Curse, Laith Al-Deen (kein Wunder bei solchen Namen) und den Toten Hosen als Mitinitiatoren des Sampler-Projekts findet sich so manches Schätzchen auf dem Scheibchen. Zum Beispiel der arschcoole Funny van Dannen mit dem bisher unveröffentlichten Song „Indisch Essen“. In 1 Minute 56 eine Geschichte zu erzählen, mit der andere Leute in einem ganzen Roman nicht fertig werden, das schafft nur er. Oder die ebenfalls arschcoolen Tocotronic mit dem Live-Titel „Racist Friend“. Einen simplen Aussagesatz auf über fünf Minuten aufzublähen, das schaffen nur unsere Hamburger Jungs. Aber die Musik ist top. Richtig gut auch Astra Kid mit „Liga ohne Endspiel“ und hinreißend schön Rosenstolz mit „Laut“. Der Hit ist und bleibt aber natürlich „Dada packmas mpfda“ von den grandiosen Biermösl Blosn. Die werden im Übrigen (schätzungsweise) viel zu selten auf Abi-Parties gespielt.

„On the Run“ ist also nicht nur musikalisch, sondern auch politisch ein Spaltpilz. Sogar die neurechte „Junge Freiheit“ widmete im Februar der CD ein Stück ihres kostbaren Papiers: „Deutsche Pop-Größen sammeln Geld für linksradikales Projekt“ – na also, das hört sich doch gar nicht schlecht an! Obwohl – die linksradikale Szene ist gar nicht primäre Zielgruppe: „Uns geht es mit dem CD-Projekt darum, über den Kreis der Menschen hinaus, die wir bisher erreichen konnten, eine breitere Zielgruppe für die Themen Flucht, Asyl und Fremdenfeindlichkeit zu sensibilisieren“, so Nicole Viusa von Pro Asyl. Vielleicht gelingt es ja, ähnlich wie in Frankreich, auch in Deutschland endlich ein breites Bündnis zu schmieden, das der Forderung nach einem Bleiberecht für Flüchtlinge und der Legalisierung von Flüchtlingen hörbar Nachdruck verleihen könnte. Und gleichzeitig streckenweise sogar Spaß machen kann. Ein Anfang ist gemacht.

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