Am 14. Februar kam der ehemalige Ministerpräsident des Libanons, Rafic Hariri, bei einem Bombenattentat ums Leben. Seitdem mobilisiert die Opposition tausende Menschen zu Protesten gegen die syrische Militärpräsenz im Land. Doch wer ist diese Opposition, und ist sie wirklich eine Alternative zum bestehenden Regime? (GWR-Red.)
Es ist überhaupt keine Frage, dass Syriens Präsenz im Land und seine Unterstützung für die herrschende Klasse beendet werden müssen. Genauso wenig sollten wir aber zulassen, dass die berechtigten Forderungen nach Frieden und Freiheit von faschistischen Gruppen und Kriegsverbrechern besetzt werden. (1)
Die Straße, die Rafic Hariris (2) Autokolonne auf dem Rückweg aus der Innenstadt bevorzugte, ist die Verbindung mit dem westlichen Teil der Stadt. Der Ausgang, oder Eingang, wird beiderseits flankiert von 4- und 5-Sterne-Hotels für die reichen TouristInnen. Auch am Montag, dem 14. Februar 2005, entschied man sich wieder, diesen Rückweg von einem Treffen im Parlament zu nehmen, der zwischen teuren Restaurants im Herzen der Stadt liegt.
Das Zentrum von Beirut ist besser bekannt als „Solidere“, das milliardenschwere Unternehmen, das teilweise Hariri gehört. Dem Unternehmen gehört das ganze Zentrum: die Häuser, Straßen, Versorgungseinrichtungen, Sicherheitsdienste, Cafés, Hotels, Büros, Wohnblocks, Bürgersteige, Parks und sogar die Stadtverwaltung von Beirut. Mit einer Ausnahme: dem St. Georges Hotel. Sein Besitzer weigert sich, es aufzugeben, und unterstützt sogar eine Kampagne gegen „Solidere“. Am besagten Montag um 12:55 Uhr wurde Hariris Autokolonne von 300 Kilo TNT (so scheint es) in die Luft gejagt. Bei der Explosion starben Hariri, sieben Menschen in seiner Begleitung und zehn PassantInnen.
Der „Retter“ der libanesischen Wirtschaft
Hariris Politik war nicht so eindeutig wie sein Projekt, Beirut in ein neues Hong Kong zu verwandeln, inklusive Privatisierung und Kürzung sozialer Leistungen. Fast alle Geschäfte und Läden in dem Gebiet sind für die Reichen: für die libanesischen AuswandererInnen auf Besuch und die vielen TouristInnen aus Saudi-Arabien, Kuwait und anderen Ländern.
Die Exklusivität der „neuen“ Innenstadt wird noch verstärkt durch private Sicherheitsdienste und der libanesischen Armee, deren Schutz des zentralen Platzes auch umfasst, Menschen mit palästinensischen Halstüchern und Jugendlichen, die in vollbesetzten Autos aus den Vorstädten kommen, um einen Blick auf das „versprochene Land“ zu werfen, den Zutritt zu verweigern.
Eindeutig ist die Wirklichkeit im Libanon: 40 Milliarden Dollar Schulden, 30 % Arbeitslosigkeit, eine alarmierende Rate an Abwanderung und etwa 1 Millionen Menschen, die in überfüllten Unterkünften und Slums leben. Vor nicht allzu langer Zeit wagten Hunderte ArbeiterInnen, gegen die steigenden Benzinpreise zu demonstrieren. Fünf Demonstrierende wurden von der libanesischen Armee erschossen. Da war Hariri noch Premierminister. Niemand von der sogenannten „Opposition“ hinterfragte dieses Verbrechen. Tatsächlich näherte sich Hariri der Opposition durch eine lange Allianz (inklusive Geschäftsverbindungen) mit ihrem Führer, Walid Jumblatt. Nach der verfassungswidrigen Verlängerung der Amtszeit von Präsident Lahhoud im letzten September zog sich Hariri aus der Regierung zurück, nicht ohne weiter gute Verbindungen zu deren Unterstützer Syrien aufrecht zu erhalten.
Die Opposition
Die Opposition, einfallslos „die Opposition“ genannt oder, nach einem 5-Sterne-Hotel, „Bristol-Treffen“, ist ein seltsamer Haufen. Sie reicht von der „Demokratischen Linken Bewegung“ (HYD), einer Abspaltung der Libanesischen Kommunistischen Partei, und einigen „Mitte-Links“-Intellektuellen, die den US-geführten Angriff auf den Irak unterstützten, bis zu Gemayyels „Phalanxen“. Gemayyel ist der Sohn des früheren Führers der Partei der „Kata’eb“ oder „Phalanxen“. Die Partei selbst wurde gegründet, nachdem Pierre Gemayyel Senior Nazi-Deutschland besucht hatte und während der Olympischen Spiele 1936 von der Hitlerjugend begeistert war. Ganz das Vermächtnis seines Großvaters weiterführend, beleidigte Pierre Junior (der Enkel) vor ein paar Wochen die Schiiten, als er sie „Masse“, und er meinte damit „Pöbel“, nannte, während er „die Besseren (the Quality)“, d.h. die Christen, repräsentiere.
Das bekannteste Mitglied der Opposition ist Walid Jumblatt, der Anführer der Drusen-Sekte, Mitglied des libanesischen Parlaments, Ex-Minister und Kopf der „Fortschrittlichen Sozialistischen Partei“ (2. Internationale).
Er ist außerdem Großgrundbesitzer und Multimillionär. Aber wahrscheinlich am Bekanntesten ist er als Anführer derjenigen Miliz, die im libanesischen Bürgerkrieg ethnische Säuberungen ihrer Region gegen Christen durchführte. Er hat dies wiederholt zugegeben, nicht ohne uns daran zu erinnern, dass ein Amnestiegesetz ihn schützt, das er und befreundete Warlords verabschiedet haben.
Das Treffen, bei dem die zweite libanesische Republik verabschiedet und formal ein Ende des Bürgerkriegs erklärt wurde, fand 1989 in Taef statt. Es wurde möglich, als Syrien, unter Aufsicht der USA, General Michel Aoun als Präsident abgesetzt hatte, nachdem dieser vergeblich versuchte, einen „Befreiungskrieg“ gegen Syrien zu führen. Es war eine der blutigsten Abschnitte des libanesischen Bürgerkriegs.
Aoun, der jetzt in Frankreich lebt, ist der andere starke Anführer der Opposition und kontrolliert einen großen Teil der Christen, die Syrien für die Übel im Libanon verantwortlich machen.
Die UN-Resolution 1559 fordert den Rückzug Syriens aus dem Libanon.Die Opposition nutzte die Gelegenheit, um gegen die von Syrien unterstützte Regierung mobil zu machen. Hariri stand kurz davor, sich ihnen anzuschließen, und hatte bereits Vertreter geschickt. Deshalb, so die Schlussfolgerung vieler, war es Syrien, das Hariri tötete. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die Mehrzahl der lokalen und regionalen Massenmedien, die Profit daraus schlagen, Hariri als Retter darzustellen.
Die kaum ernst zu nehmenden Untersuchungen der Explosion durch die libanesische Regierung führten zu „den Islamisten“. Aber war es der bärtige junge Mann vor einem hochgehaltenen Banner, dessen Video auf Al-Jazeera gezeigt wurde? Oder waren es die 12 bärtigen Australier, die drei Stunden nach der Explosion das Land verließen, durch australische Behörden verhaftet und sofort wieder frei gelassen wurden?
Die Polarisierung hat ihren Gipfel erreicht. Die Opposition ruft zu täglichen Sit-Ins am Grab von Hariri auf, bequemer weise nah bei den Cafés der Innenstadt, dem Virgin Megastore und dem Märtyrer-Platz gelegen.
Die Organisatoren rufen alle „echten“ Libanesen auf, sich anzuschließen, womit sie die Plakate der Libanesen in Frankreich und den USA widerspiegeln, die „Libanon den Libanesen“ fordern. Le Pen sollte sehr stolz auf sie sein. Und tatsächlich, einige der Organisatoren der Opposition in Paris gehören zu Le Pens Umfeld.
Die vereinzelten, aber ernsthaften Angriffe gegen syrische ArbeiterInnen und die Rufe gegen Teile der Gesellschaft, die nicht in der „Bristol Koalition“ repräsentiert sind, zeigen, dass dies keine Ausnahmen sind. Der „linke“ Teil der Opposition, vertreten durch die Ex-Kommunisten, einige demokratische Intellektuelle und die Bewegung für eine Demokratische Erneuerung, wiegelt diese Vorfälle ab und erklärt, dass aufgrund des libanesischen Kampfes für Unabhängigkeit faschistische und rassistische Reaktionen irgendwie verständlich seien.
Ganz offensichtlich wurden aus den nationalen Befreiungsbewegungen, einschließlich ihres Rassismus, keine Lehren gezogen. Diesmal sind syrische ArbeitsmigrantInnen, die in Unternehmen von Leuten wie Hariri, Jumblatt oder Nassib Lahhoud (der Za’im (3) der Bewegung für eine Demokratische Erneuerung und ebenfalls Millionär) beschäftigt sind, der Feind.
Die Mächtigen schließen das Regime ein, besser bekannt als „die Unterstützer“ (Syriens). Es wird gebildet durch den Ex-Chef der Armee als Präsident der Republik, verschiedene syrische Baathisten, syrische Nationalisten (noch eine durch Hitler inspirierte Partei), der Amal-Bewegung (angeführt vom Parlamentssprecher und verantwortlich für einen erheblichen Teil der Kriegsverbrechen einschließlich der Belagerung palästinensischer Flüchtlingslager, die zu fast soviel Elend geführt haben wie die Massaker von Sabra and Shatila), Warlords, Söhne von Feudalherren und die Vertreter politischer und wirtschaftlicher Korruption im Land.
Die Hizbollah und die Kommunistische Partei haben entschieden, sich rauszuhalten. Erstere will als Vermittlerin auftreten, weil jede Instabilität ihren Widerstand gefährden könnte. Die KP hat sich für eine Politik des „Abwartens und Beobachtens“ entschieden.
Etwa 50.000 DemonstrantInnen tragen die Fahnen der „Phalanxen“, der libanesischen Streitkräfte, der „Wächter der Zedern“ (4) und der Sozialistischen Drusen-Partei. Es bleibt abzuwarten, ob das Regime sich entscheidet, die Opposition zu unterdrücken. Polizeistaat-Methoden sind nicht ungewöhnlich, aber es scheint so, als wolle die Regierung den Dingen ihren Lauf lassen, um nicht für ein Blutbad verantwortlich zu sein. Es bleibt auch abzuwarten, ob sich einige vernünftigere Teile der Opposition gegen die allgemein rassistische Haltung der Koalition durchsetzen können. Unglücklicherweise hat Walid Jumblatt, bestärkt durch Unterstützung aus den USA und Frankreich, versprochen, dass das Regime zur Hölle fahren wird. Wer sich an die Schrecken des Bürgerkriegs erinnert, weiß genau, was Jumblatts Hölle bedeutet.
Während der 15 Jahre des Bürgerkriegs und einer ähnlich langen Periode des Friedens hat der Libanon gesehen, wozu beide Lager imstande sind: zur völligen Zerstörung des Landes während des Krieges, gefolgt vom Zusammenbruch des Bildungs- und Gesundheitssystems und anderer sozialer Einrichtungen; zu einer höheren Pro-Kopf-Verschuldung als in vielen der schlimmsten Fälle in Lateinamerika; zum Ausschluss von Frauen und jungen Menschen aus dem demokratischen Prozess; zu einigen der schlimmsten Beispiele für Korruption auf der Welt und einem Wirtschaftsprogramm, das einen unüberbrückbaren Abstand erzeugt hat zwischen den 5 %, die alles haben, und denen, die nichts haben außer der vagen Hoffnung auf ein Visa irgendwohin; überallhin, nur nicht hier bleiben.
(1) Leicht gekürzte Version eines Textes, der inzwischen auf Englisch und Französisch auf Indymedia Beirut erschienen ist.
(2) Rafiq al-Hariri, geboren 1944, war von 1992 bis 1998 und von 2000 bis zum 20. Oktober 2004 libanesischer Ministerpräsident. Ihm gehörten eine Baufirma, Rundfunkstationen, Hotels und Banken. Sein Gesamtvermögen wurde mit 4,3 Milliarden US-Dollar angegeben.
(3) Vertreter/Anführer feudaler Klans.
(4) Die "Wächter der Zedern" (Guardians Of The Cedars) ist eine nationalistische Bewegung im Libanon. Ursprünglich waren sie eine Miliz. Die meisten Mitglieder sind Christen. Sie forderten u.a. eine "De-Arabisierung" des Libanon und die Wiedereinführung einer "phönizischen" Sprache.