Am 7. Januar wurde der Flüchtling Oury Jallow von der Polizei in Dessau festgenommen. In seiner Zelle brach ein Feuer aus, in dem Jallow verbrannte. Die Ursache des Brandes ist bisher unbekannt und wirft viele Fragen auf, denen von der Staatsanwaltschaft zunächst mit eher geringem Interesse nachgegangen wurde.
Oury Jallow war 21 Jahre alt und stammte aus Sierra Leone. Er wurde von der Polizei verhaftet, da er angeblich im betrunkenen Zustand Frauen belästigt haben soll. Da sich Jallow der Verhaftung widersetzte, wurde er gewaltsam auf das Dessauer Revier gebracht und in einer Zelle an Armen und Beinen gefesselt.
Einige Stunden später starb er an einem Hitzeschock.
Nach Angaben der Polizei gab es aufgrund der starken Rauchentwicklung keine Möglichkeit mehr, in die Zelle vorzudringen und ihn zu retten.
Als die Feuerwehr eintraf, war Jallow schon tot.
Die Ermittlungen, die seitens der Staatsanwaltschaft aufgenommen wurden, waren sehr ungenau und lückenhaft.
Erst unter Druck der Öffentlichkeit wurden die Untersuchungen intensiviert, wobei viele Punkte noch lange nicht geklärt sind.
Von einem Suizid kann nicht ausgegangen werden. Während der Verhaftung wurde Jallow durchsucht, ein Feuerzeug wurde nicht gefunden. Er hätte auch keines finden können, da die Zelle vorher gründlich gereinigt wurde. Wie hätte er sich also verbrennen können, wenn die Möglichkeit ausgeschlossen ist, an ein Feuerzeug zu gelangen? Und selbst, wenn Jallow eins bei sich gehabt hätte, wie hätte er im gefesselten Zustand an das Feuerzeug gelangen und sich selbst in Brand stecken können? Des Weiteren bestand die Matratze aus einem feuerfesten Material und hätte somit nicht in Flammen aufgehen können. Um die Matratze in Brand zu setzen, hätte sie beschädigt sein müssen, da nur das Innenmaterial entflammbar ist.
Nach Angaben der Polizei wurde vorschriftsmäßig jede halbe Stunde der Zustand von Jallow überprüft. Der Feueralarm wurde zweimal ausgelöst, der Dienstgruppenleiter schaltete ihn aber wieder aus, mit der Begründung, dass der Alarm in der Vergangenheit öfter von alleine angegangen war. Das Prasseln des Feuers, das aus der Gegensprechanlage der Zelle zu hören war, wurde als ein „Plätschern“ wahrgenommen, dem die Polizisten keine weitere Beachtung schenkten. Erst als sich der Lüftungsschalter einschaltete, wurden sie aufmerksam – doch für Oury Jallow kam jede Hilfe zu spät.
Bei dieser Aussage gibt es Widersprüche.
So behauptete der diensthabende Polizist, dass der Feueralarm kaputt gewesen sei. Allerdings wurde er schon vor einigen Monaten repariert, und seitdem traten keine Fehlermeldungen mehr auf. Dieser Tatsache war sich auch der Polizist bewusst. Trotzdem ignorierte er den Alarm. Ferner ist fraglich, warum die Polizisten neben dem „Plätschern“ nicht auch Schreie und Hilferufe gehört und darauf reagierten haben.
Trotz der widersprüchlichen und fragwürdigen Aussagen wird von der Staatsanwaltschaft eine Fremdverschuldung ausgeschlossen. Unmittelbar nach dem Vorfall ging die Staatsanwaltschaft von einer Selbsttötung aus und enthielt der Öffentlichkeit vor, dass das Opfer an seiner Pritsche fixiert war. Bedingt durch die Nachforschungen der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt wurden Informationen an die Öffentlichkeit frei gegeben. Mit einem Monat Verspätung wurde die Information über die Fesselung nach außen getragen.
Bereits im Oktober 2002 kam ein 36-jähriger Mann unter demselben Dienstgruppenleiter ums Leben. Die Ursachen sind nicht aufgeklärt worden, und das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Angeblich zog er sich vor der Verhaftung einen Schädelbruch und innere Verletzungen zu, an denen er im Gewahrsam starb.
Als nicht mehr verleugnet werden konnte, dass an dem Vorfall etwas nicht stimmt, wurde ein Ermittlungsverfahren gegen drei Polizisten eingeleitet. Zu diesem Zeitpunkt lag der Tod von Jallow schon sechs Wochen zurück. Der Dienstgruppenleiter wurde erst versetzt und anschließend suspendiert. Gegen ihn wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt, weil er den Feueralarm ignorierte, gegen die anderen beiden Polizisten nur wegen des Verdachtes auf fahrlässige Tötung.
In Dessau sind die rassistischen Vorgehensweisen der PolizistInnen unter MigrantInnen bekannt. Im Juni 2004 wurde ein 37-jähriger Asylbewerber von drei Polizisten niedergeschlagen und getreten. Erst danach gaben sie sich zu erkennen. Sie entkleideten ihn in der Öffentlichkeit, durchsuchten und nahmen ihn anschließend mit auf das Revier, wo er erneut ausgezogen wurde. Nach Angaben eines Mitarbeiters der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt in Dessau stehen Farbige unter Generalverdacht, mit Drogen zu dealen. Vier ähnliche Fälle wurden in der Beratungsstelle gemeldet. Es wird vermutet, dass die Dunkelziffer höher liegt. Wenn MigrantInnen eine Anzeige gegen Polizeibeamte aufgeben, werden sie durch eine Gegenanzeige eingeschüchtert.
Polizeigewalt gegenüber MigrantInnen ist keineswegs etwas Unübliches. Die Vorfälle, die sich in Dessau ereignet haben, zeigen, dass rassistische Übergriffe nicht alleine von der rechtextremen Szene ausgeübt werden, sondern sich tagtäglich in gesellschaftlichen Strukturen wieder finden und von staatlicher Seite gefördert werden. So bestand ein großes Interesse von der Staatsanwaltschaft und den Behörden, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit so gering wie möglich zu halten und die Polizei zu decken.
In diesem Fall drang die polizeiliche Repression dank der Recherchen verschiedener Organisationen nach außen. Von Seiten der Politik werden rassistische Hintergründe kategorisch ausgeschlossen und die Vorfälle als Einzellfälle dargestellt. Von den meisten Medien wird dies unreflektiert übernommen. Die diskriminierenden, rassistischen Vorgehensweisen können so ungehindert fortgesetzt werden.
Weitere Infos
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