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Mehmet liebt Baris!

Freiheit für Totalverweigerer Mehmet Tarhan!

| KAOS GL

Izmir/Türkei. Der schwule Totalverweigerer Mehmet Tarhan wurde am 8. April 2005 in seinem Hotelzimmer von Polizisten festgenommen und dem Rekrutierungsbüro überstellt.

Er war in Izmir, um auf der jährlichen Buchmesse zu arbeiten, und wurde dort zwangsrekrutiert. Die Polizei leitete ihn an die Gendarmerie (Militärpolizei) weiter, die ihn dann an eine Einheit in Tokat überstellte. Da Mehmet Tarhan weiterhin zivilen Ungehorsam leistet, wurde er in das Militärgefängnis Sivas verlegt.

Mehmet Tarhan ist schwuler Aktivist und Anarchist, der seine Kriegsdienstverweigerung am 27. Oktober 2001 in den Räumen des Menschenrechtsvereins mit den Worten „Entzieht dem Krieg den Menschen als Ressource. Jede Art von Gewalt ist ein Verbrechen gegen die Menschheit“ erklärt hat. Er hat seitdem seine offenen und angekündigten Aktionen Zivilen Ungehorsams gegen Krieg und Militarismus fortgeführt, ohne je die Notwendigkeit zu verspüren, sich oder seine Adresse zu verbergen. Die Festnahme Mehmet Tarhans, der seinen unbedingten Widerstand gegen den Militärapparat und der Wehrpflicht verkündet hat, gibt gerade in einer Phase intensivierter rassistischer und nationalistischer Ressentiments Anlass zur Sorge.

Militärdienst in der Türkei: Es herrscht Wehrpflicht.

Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung wird nicht anerkannt. Kriegsdienstverweigerer kommen Aufforderungen zum Einzug in die Armee nicht nach und leisten zivilen Widerstand, was mit Inhaftnahme und Gefängnis beantwortet wird.

Die türkischen Streitkräfte sehen Homosexualität als Krankheit an und kündigen homosexuellen Offizieren den Dienst.

Homosexuelle, die mit einem Attest („Psycho-sexuelle Störung: Homosexualität“) abgestempelt werden, sind in ihrem künftigen sozialen und beruflichen Leben materieller und moralischer Diskriminierung und Rechtsüberschreitungen ausgesetzt.

Die Türkei ist unter den Nato-Staaten das einzige Land, dessen Streitkräfte die Homosexualität offiziell als Krankheit verstehen.

Anarchisten und Zeugen Jehovas verweigern aus Gewissensgründen den Militärdienst in der Türkei.

Militaristische Kultur

An Sexismus und Homophobie hat es in der türkischen Gesellschaft, die von einer Spirale aus „Männlichkeit“ und „Soldatentum“ umfasst ist, nie gemangelt.

Militärinstitutionen haben Homosexuelle, besonders im Zusammenhang mit dem Militärdienst, zügellos erniedrigt, gebrandmarkt und ihnen das Leben erschwert. Die Aufnahme in die Armee wurde Homosexuellen als eine unerreichbare Gunst präsentiert. Dass die Armee als Hochburg der „Männlichkeit“ und des institutionalisierten Militarismus Frauen und homosexuelle Männer ausschließt, bedeutet natürlich nicht, dass sie für Militärdienst und Kriegsführung nicht geeignet sind.

Diese Ausgrenzung ist ein Resultat der patriarchalen Ideologie. Diese Ideologie und die Armee als eine der führenden Institutionen, in denen sie zu Ausdruck gelangt, reduzieren Homosexualität auf „Schwulheit“ und erkennen das homosexuelle Individuum nicht als vollwertigen Menschen an, was in Erniedrigungen und Angriffen auf Psyche und Persönlichkeit ausartet. Es wird beleidigt, entwertet.

Die Militärpsychiatrie in der Türkei stellt die wissenschaftliche Basis für die ideologische Herangehensweise des Militarismus bereit. Sie beruft sich immer noch auf DSM II (2) der American Psychiatric Association (APA)und geht davon aus, dass, entgegen aktueller Psychiatrieliteratur, Homosexualität der psychosexuellen Pathologiezuzuordnen sei. Wer angeblich einer psychosexuellen „Störung“ unterliegt, wird, selbst wenn er es will, nicht rekrutiert. Die gleiche Herangehensweise wird fortgesetzt, falls die Situation sich im Nachhinein klärt. Der Soldat wird auf Basis der rechtlich definierten „unnatürlichen Beziehung“ frühzeitig aus den Streitkräften entlassen und somit auch seine Homosexualität von vornherein als unnatürlich festgesetzt.

Doch der tatsächliche Sachverhalt ist nicht immer so simpel. Es ist bekannt, dass viele Homosexuelle ihre Identität verheimlichen und die Wehrpflicht ableisten, während viele nicht homosexuelle Männer in der Kaserne sexuelle Beziehungen mit anderen Männern eingehen.

Falls diese Fälle aufgedeckt werden, wird in einer von drei Formen reagiert:

a) geflissentliches Übersehen, um den Namen der Einheit nicht zu gefährden,
b) Versetzung der involvierten Personen in andere Einheiten,
c) bekennende Homosexuelle attestieren und frühzeitig entlassen.

Wie in einzelnen Fällen gehandelt wird, hängt von der konkreten Situation und den übergeordneten Offizieren ab.

Freiheit für Mehmet Tarhan!

Der schwule Kriegsdienstverweigerer Mehmet Tarhan hat in seiner öffentlichen Verweigerungsdeklaration ausdrücklich dargelegt, er werde als bekennender Schwuler die Möglichkeit nicht nutzen, die Wehrpflicht mit einem Attest eines Militärpsychiaters abzustreifen.

Die Kriegsdienstverweigerung muss als Menschenrecht anerkannt werden!

Den Inhaftierungen von Kriegsdienstverweigerern muss ein Ende gesetzt und die inhaftierten Verweigerer müssen freigelassen werden!

(1) Titel: "Mehmet liebt Baris" ist ein auf einer Anti-Kriegsdemo spontan entstandener Slogan. Er wird von antimilitaristischen Hetero- und Homosexuellen gleichermaßen genutzt. "Baris" bedeutet "Frieden", ist aber auch ein Männername. "Mehmet" ist ein weit verbreiteter Männername, der aber auch als anonymer Name für den einfachen Soldaten gebraucht wird. (Anm. Kaos GL)

(2) Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 1968. Aktuell ist international DSM IV (1994) in Gebrauch, das Homosexualität längst nicht mehr als Pathologie definiert. (Anm. d. Übersetzers)

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