Beinahe vier Jahre nach seiner Kriegsdienstverweigerungserklärung wurde der Antimilitarist und Anarchist Mehmet Tarhan Anfang April dieses Jahres verhaftet und befindet sich seither in Gewahrsam des türkischen Militärs (vgl. GWR 299, S. 4).
Mehmet hatte zusammen mit einem anderen Aktivisten im Oktober 2001 seine KDV mit der Begründung nicht dem Militärapparat dienen zu wollen, Krieg, mit Blick auf den zu der Zeit beginnenden Angriff auf Afghanistan und generell als solchen abzulehnen deklariert und gleichzeitig seine Utopie von einer herrschaftslosen und gewaltfreien Gesellschaft vorgestellt. Die Jahre danach war Mehmet in der Türkei ununterbrochen in der antimilitaristischen Bewegung aktiv und organisierte so unter anderem den „Reistag“ (Reis essen gegen Militarismus).
Die Verhaftung Mehmets kam, wenn mensch sie vor dem Hintergrund der türkischen KDV-Bewegung betrachtet, überraschend. Anfang der 90er erklärten die ersten zwei KDVler ihre Verweigerung, worauf eine sechs Monate dauernde Kampagne folgte. Nachdem der „Verein der KriegsgegnerInnen“ 1992 gegründet wurde, einigten sich damals die Aktivisten auf eine ständige Konfrontation des Militärs mit ihrer Ablehnung gegen das militaristische System und so sollte alle paar Wochen jemand seine Verweigerung öffentlich erklären.
Die öffentliche Erklärung hat mehrere Ziele. Zum einen die öffentliche Brandmarkung des militärischen Gräuels und einen Gegenpart zur Propaganda des türkischen Militärs und Staates darzustellen, zum anderen stellte sich heraus, dass die mediale Veröffentlichung den türkischen Staat insofern einschüchterte, dass er aufgrund von besagter Negativpropaganda lieber auf die Arrestierung und Prozessierung der meisten KDVler verzichtete.
Von ca. 60 Kriegsdienstverweigerern seit 1990 wurden „nur“ drei wirklich als Wehrpflichtige in die Kaserne gezwungen. So wurden 1995 Osman Murat Ülke, 2003 Mehmet Bal und 2004 Halil Savda für einen längeren Zeitraum inhaftiert. Alle befinden sich wieder auf freiem Fuß, wenn denn auch in einer Grauzone von Illegalität und Legalität. Kriegsdienstverweigerung ist in der Türkei nicht gesetzlich geregelt, also de facto nicht strafbar. Hingegen sind „Entfremdung des Volkes vom Militär“, wiederholte Befehlsverweigerung oder Desertion gesetzlich definiert. Das hat zur Folge, dass die Strafbarkeit nicht kalkulierbar ist und auch nach einem längeren Gefängnisaufenthalt ein KDVler immer noch als Wehrflüchtiger gesehen wird und somit jederzeit neu inhaftiert werden kann.
Die Verhaftung Mehmets war somit wohl mehr ein „Versehen“ als eine geplante Repression politischer Oppositioneller, wie mensch es eigentlich generell von der türkischen Polizei erwarten würde.
Um auf einer Buchmesse zu arbeiten war Mehmet von Istanbul nach Izmir gereist und wurde dort aus einem Hotel am 8. April 2005 verhaftet. Höchstwahrscheinlich hatte die Polizei ihn auf der Liste der Hotelgäste als Wehrflüchtigen erkannt und als solchen und nicht gezielt als KDVler verhaftet.
Von Ýzmir aus wurde er – wie es in der Türkei mit Wehrflüchtigen üblich ist – zu „seiner“ Einheit nach Tokat geschickt. Dort wurde schnell deutlich, dass Mehmet zu keinerlei Kooperation bereit ist. Er verweigert durchweg alle Befehle und Unterschriften und sonstige Mitarbeit. Er sollte dazu gezwungen werden eine Uniform anzuziehen was er aber auch mit konsequentem Widerstand beantwortete. Aufgrund von Sympathiebekundungen einiger Soldaten der dortigen Einheit und wiederholter Befehlsverweigerung (vor Augen der Einheit) wurde er schon zwei Tage später nach Sivas in das nächstgelegene Militärgefängnis verlegt. Die dortigen Mitgefangenen wurden auf seine Ankunft als „der Vaterlandsverräter und Terrorist“ vorbereitet. Als solcher wurde er von den Mithäftlingen verbal und physisch angegriffen.
Auf Befehl des Generalstaatsanwalts wurde er am 20. April unter Gewaltanwendung ins Militärkrankenhaus verlegt. Dort sollte er physisch und psychisch untersucht werden und ihm ein Gesundheitszeugnis ausgestellt werden. Derartige Untersuchungen gegen den Willen Mehmets sind fraglos eine Form von Folter, worauf die drei Anwälte (Abdullah Öztürk, Suna Coskun, Senem Doganay), die Mehmet zur Seite stehen, auch öffentlich hingewiesen haben. Auf diesen öffentlichen Druck wurde den Anwälten nach einer Woche Besuchsverbot auch das Besuchsrecht wieder gewährt.
Die psychische Untersuchung ist in Mehmets Fall aber ausschlaggebender. Sie soll Mehmets Homosexualität belegen. Homosexualität wird als Krankheit gesehen und so als „Recht“ ausgemustert zu werden.
Mehmet aber betont seine Ablehnung dieses „Rechts“ und sieht es vielmehr als eine Diskriminierung der Schwulen im Militär und in der Türkei generell:
(I perceive the unfit (or ‚rotten‘) report given as a ‚right‘ based on my homosexuality as an expression of the rottenness of the militarist system itself.“)
Somit weist er eine Ausmusterung aufgrund seiner Homosexualität zurück. Bislang wird das akzeptiert – also Mehmet nicht als „krank“ ausgemustert. Das ist erstaunlich, denn ihn auszumustern würde das „Problem Mehmet“ lösen.
Eine Woche später fand eine Gerichtsvorführung statt, zu der zahlreiche Unterstützer und Unterstützerinnen aus dem In- und Ausland angereist waren. Mehmet wird wegen Artikel 88 TACK „Ungehorsam vor versammelter Mannschaft“ und „Abwesenheit während des Dienstes und Ungehorsam während des direkten Dienstes an/mit der Waffe“ angeklagt, was mit Gefängnis zwischen drei Monaten und fünf Jahren bestraft. Im Kriegsfall werden alle diese Straftaten mit erhöhter Strafe bedroht.
Die Gerichtsvorführung wurde vertagt auf den 26. Mai, um bis dahin mehrere Zeugen gegen Mehmet zu finden. Das bedeutet das Mehmet weiter in Haft bleibt.
Mehmet aber hat seinen Unterstützerinnen und Unterstützern mitgeteilt, dass ihm die Erfüllung der politischen Forderungen wichtiger ist als seine Freilassung. Sein Kampf im Gefängnis ist der Kampf der gesamten KDVler in der Türkei. So liefen in den drei Städten Ankara, Izmir und Istanbul verschiedenste Solidaritätsveranstaltungen unter dem Motto „Mehmet Barisi seviyor“ (Mehmet liebt den Frieden). In Istanbul und Izmir wurden Demonstrationen und in Ankara eine Solidaritätsparty organisiert. Auch am 1. Mai wurde überall auf die Situation Mehmets aufmerksam gemacht. Die Solidaritätskampagne hört auch jetzt nicht auf, am 14. Mai findet in Izmir eine Veranstaltung gegen Militarismus und für Solidarität mit Mehmet Tarhan statt.
Leider ziehen diese Proteste auch Repression nach sich. Am 19. April wurde eine Aktivistin auf ihrem Heimweg nachts aus einem Taxi von drei Männern entführt und in ein Büro gebracht. Unsere Freundin erklärte, dass diese Männer nicht gesagt haben wer sie waren und warum sie sie in dieses Büro brachten. Sie wurde über ihre Beziehung zu Mehmet befragt, den Verlag für die sie und Mehmet arbeiten und die Leute, mit denen sie von ihrem Mobiltelefon aus sprach. Schwerpunktmäßig wurden Fragen zur Zusammenarbeit mit Aktivisten aus dem Ausland gestellt. Dann wurde sie zurück zum selben Ort an dem sie mitgenommen wurde zurückgebracht und freigelassen. Diese Form von Repression ist erschreckend und zeigt wie hinterhältig der Staat gegen politische Aktivisten vorgeht.
Aber auch solche Ereignisse brechen nicht den Widerstand. Die Forderungen nach Mehmets Freilassung und auf die Anerkennung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung bleiben und werden weiterhin vehement vertreten.
Anmerkungen
Freiheit für Mehmet Tarhan! Für die Anerkennung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung in der Türkei! Das fordert eine Unterschriftenliste der DFG-VK Hessen. Sie kann heruntergeladen werden von der Homepage www.dfg-vk.de (zu finden in der Meldung vom 19.5.2005). Wir bitten darum, möglichst viele Unterschriften zu sammeln und die Listen bis zum 13. Juni 2005 an die DFG-VK Hessen, Mühlgasse 13, 60486 Frankfurt/M. zu schicken.
Eine Protest-E-Mail an das Hauptquartier des Generalstabs kann von der WRI-Website versandt werden.
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